L 6 SF 3/19 EK AL

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
ÜG
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 3/19 EK AL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ist eine Klagerücknahme wirksam erklärt, bleibt es auch bei einem Streit um die Wirksamkeit der Erklärung - nach entsprechender Feststellung des Gerichts, gegebenenfalls durch das Berufungs- oder Revisionsgericht - bei der Erledigung des Rechtsstreit durch diese. Für das Entschädigungsklageverfahren hat dies zur Folge, dass sowohl die Frist für die Erhebung der Entschädidungsklage aus § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG als auch die Möglichkeit einer wirksamen Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG nach einer Rücknahmeerklärung von dem materiellen Ausgang des Streits um deren Wirksamkeit abhängt.
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger macht einen Entschädigungsanspruch in Höhe von mindestens 21.600,- Euro wegen der nach seiner Auffassung unangemessenen Dauer mehrerer vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main und dem Hessischen Landessozialgericht geführter Verfahren geltend, wobei er davon ausgeht, dass die Verfahren wegen ihres sachlichen Zusammenhangs als einheitlicher, insgesamt überlanger Rechtsstreit zu verstehen seien.

In der Sache ging es in den Ausgangsverfahren zunächst um die Weitergewährung von Arbeitslosenhilfe dem Grunde nach für die Zeit ab dem 9. Dezember 1998 durch die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die Bundesanstalt für Arbeit, später Bundesagentur für Arbeit. Gegen deren diesbezüglichen Bescheid vom 12. März 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 1999 erhob der Kläger am 11. Mai 1999 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main, wo das Verfahren das Aktenzeichen S 19 AL 1739/99 erhielt. Nach durch längere Pausen unterbrochenem Schriftverkehr der Beteiligten des Ausgangsverfahrens bis September 2001 – zum Teil nach Erinnerung durch das Gericht , Ausreise des Klägers nach Kroatien im Herbst 2001 und Anhörung der Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid am 4. September 2003 wies das Sozialgericht die Klage durch Gerichtsbescheid vom 22. März 2004 ab. Der Kläger legte mit Eingang beim Hessischen Landessozialgericht am 24. Mai 2004 Berufung ein, wo das Verfahren zunächst unter dem Aktenzeichen L 10 AL 115/04, später unter dem Aktenzeichen L 7 AL 115/04 geführt wurde. Nach Ermittlungen des Gerichts zu der zentral streitigen Frage der Verschlossenheit des Arbeitsmarkts hob der für das Ausgangsverfahren zuständige Senat durch Urteil vom 21. August 2009 – beiden Beteiligten zugestellt im September 2009 – den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts sowie die streitigen Bescheide auf und verurteilte die Beklagte des Ausgangsverfahrens, an den Kläger ab dem 9. Dezember 1998 dem Grunde nach Arbeitslosenhilfe zu zahlen.

Diese setzte das Urteil durch acht Bescheide vom 15. Juli 2010 – zu verschiedenen Teilzeiträumen – um und gewährte dem Kläger insgesamt für die Zeit vom 9. Dezember 1998 bis zum 25. September 2001 Arbeitslosenhilfe. Mit Bescheid vom 16. Juli 2010 bewilligte sie zudem Zinsen in Höhe von 2.518,60 Euro. Auf Widerspruch des Klägers gegen die Bescheide erließ sie am 15. September 2010 einen Widerspruchsbescheid zur Höhe der Arbeitslosenhilfe, konkret zu der Frage, ob von der Ehefrau des Klägers bezogenes Arbeitslosengeld auf die Arbeitslosenhilfe anzurechnen sei, am 16. September 2010 einen Widerspruchsbescheid zur Berücksichtigung eines Erstattungsanspruchs des Sozialhilfeträgers und schließlich am 7. Oktober 2010 einen Widerspruchsbescheid zur Verzinsung der Nachzahlung.

Der Kläger erhob daraufhin am 29. November 2010, vertreten durch seine damalige Prozessbevollmächtigte, Klage gegen die Bescheide. Das Verfahren wurde zunächst unter dem Aktenzeichen S 1 AL 520/10, später unter dem Aktenzeichen S 32 AL 520/10 geführt. Nach Schriftverkehr der Beteiligten bis Mai 2011 bewilligte das Sozialgericht durch Beschluss vom 18. Dezember 2013 Prozesskostenhilfe zu Gunsten des Klägers. In der mündlichen Verhandlung vom 11. August 2014 trennte das Sozialgericht durch Beschluss das Verfahren hinsichtlich der Verzinsung ab; insoweit wurde der Rechtsstreit fortan unter dem Aktenzeichen S 32 AL 214/14, später S 19 AL 214/14 geführt und durch Urteil des Sozialgerichts vom 7. Februar 2017 sowie anschließend durch Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. September 2018 – L 7 AL 31/17 – und Beschluss des Bundessozialgerichts wegen der Nichtzulassung der Revision vom 20. Dezember 2018 – B 11 AL 8/18 BH – ohne Erfolg für den Kläger abgeschlossen.

Im Übrigen, also hinsichtlich der Bewilligungsbescheide vom 15. Juli 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2010 wegen der Berücksichtigung des Einkommens der Ehefrau und des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2010 wegen des Erstattungsanspruchs der Stadt Frankfurt am Main für die von ihr gezahlte Sozialhilfe, nahm die Prozessbevollmächtigte des Klägers im Ausgangsverfahren die Klage im Termin zur mündlichen Verhandlung am 11. August 2014 zurück.

Der Kläger meldete sich wenig später persönlich mit einem am 25. August 2014 beim Sozialgericht eingegangenen Schreiben vom 20. August 2014 und widersprach der nach seiner Auffassung rechtswidrigen Rücknahme der Klage durch seine Bevollmächtigte. Diese habe ohne Beratung mit ihm und ohne seine Zustimmung die Klage zurückgezogen, weil sie von der Kammervorsitzenden dazu gezwungen worden sei. Nachdem zwischenzeitlich kein Fortgang zu verzeichnen war, erhob der Kläger, der bereits in dem vorangegangenen Schreiben auf die Dauer des Verfahrens hingewiesen hatte, mit Eingang am 23. Dezember 2014 ausdrücklich und unter Bezugnahme auf § 198 Abs. 3 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) Verzögerungsrüge. Die Kammervorsitzende wandte sich daraufhin mit Schreiben vom 5. Januar 2015 an die Beteiligten und wies darauf hin, dass sie keine Möglichkeit sehe, das gerichtliche Verfahren fortzuführen. Da sich der Kläger hiermit nicht abfinden möge, rege sie an, sein Schreiben vom 20. August 2014 als Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) anzusehen. Im Verfahren über den Zinsanspruch fragte das Gericht vor diesem Hintergrund an, ob das Verfahren ruhen könne, bis über den für den Zinsanspruch vorgreiflichen Überprüfungsantrag hinsichtlich des Leistungsanspruchs entschieden sei.

Daraufhin erfolgte zunächst weder von Seiten des Klägers noch der Beklagten eine Reaktion. Erst nach zweimaliger Erinnerung des Sozialgerichts im Verfahren über den Zinsanspruch an eine dort – überdies – ausstehende Stellungnahme der Klägerseite zur Erläuterung der Zinsberechnung durch die Beklagte des Ausgangsverfahrens äußerte sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers dort mit Schreiben vom 4. Januar 2016: Das Gericht habe zum Verfahren S 32 AL 520/10 mit Schreiben vom 5. Januar 2015 angefragt, ob das Verfahren über den Zinsanspruch ruhend gestellt werden solle, bis über den Überprüfungsantrag im abgeschlossenen Verfahren S 32 AL 520/10 entschieden worden sei. Was diesen Überprüfungsantrag angehe, vertrete sie den Kläger nicht mehr. Sie gehe davon aus, dass der Kläger nicht mehr möchte, dass sie "im hiesigen Verfahren" noch für ihn tätig werde. Er habe sich seit einem Jahr nicht bei ihr gemeldet und ihr nicht mitgeteilt, ob das Verfahren ruhend gestellt werden solle. Er habe sich auch sonst bei ihr nicht mehr gemeldet. Nach Übermittlung dieses Schreibens an die Beklagte des Ausgangsverfahrens teilte diese – ebenfalls im Verfahren über den Zinsanspruch – mit Schreiben vom 20. Januar 2016 mit, dass dessen Ruhen nicht veranlasst sei, weil mit Blick auf die sogenannte Verfallsklausel aus § 44 Abs. 4 SGB X kein Anlass bestehe, ein Überprüfungsverfahren hinsichtlich der die Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 9. Dezember 1998 bis 25. September 2001 regelnden Bescheide einzuleiten. Zur Akte des Verfahrens wegen des Umfangs des (noch zu erfüllenden) Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe wurde dieses Schreiben offenbar nicht vor Dezember 2016 genommen.

Bereits zuvor hatte der Kläger mit Eingang beim Hessischen Landessozialgericht am 9. Juli 2015 Entschädigungsklage wegen der nach seiner Auffassung überlangen Dauer des von ihm als einheitliches Verfahren betrachteten Auseinandersetzung mit der Beklagten des Ausgangsverfahrens erhoben. Nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch Beschluss vom 18. Januar 2016 hat der Senat das Entschädigungsklageverfahren wegen des noch offenen Ausgangsverfahrens durch Beschluss vom 17. Mai 2016 ausgesetzt. Mit Schreiben vom selben Tag hat der damalige Berichterstatter die Akten des Ausgangsverfahrens an das Sozialgericht zurückgegeben und darauf hingewiesen, dass aufgrund des Schriftsatzes des Klägers vom 20. August 2014 noch über die Wirksamkeit der Klagerücknahme zu entscheiden sein dürfte. Dieses Schreiben ist allerdings – anders als nachfolgende Sachstandsanfragen des Senats –, soweit ersichtlich, nicht zu den Akten des Ausgangsverfahrens gelangt. Nach erneuter Übersendung der Akten durch das Sozialgericht – wohl als Reaktion auf die erwähnten Sachstandsanfragen – hat der Senat diese unverzüglich mit Schreiben vom 8. Dezember 2016 zur Entscheidung über die Wirksamkeit der Klagerücknahme wieder an das Sozialgericht zurückgegeben.

Daraufhin hat das Sozialgericht unter dem Aktenzeichen S 19 AL 69/17 ein entsprechendes Verfahren angelegt, die Beteiligten des Ausgangsverfahrens, die sich bis dahin zur Frage der Wirksamkeit der Klagerücknahme nicht mehr geäußert hatten, mit Schreiben vom 10. März 2017 entsprechend unterrichtet und die dortige Beklagte um Stellungnahme gebeten. Die frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit Schreiben vom 13. März 2017 mitgeteilt, sie sei nicht mehr bevollmächtigt; mit Schreiben vom selben Tage hat die Beklagte des Ausgangsverfahrens erklärt, sie stimme der Anfechtung/Widerruf der Klagerücknahmeerklärung nicht zu. Der Rechtsstreit sei durch die von der damaligen Bevollmächtigten des Klägers abgegebene und ordnungsgemäß protokollierte Erklärung erledigt. Das Sozialgericht hat die Beteiligten des Ausgangsverfahrens daraufhin mit Schreiben vom 21. März 2017 und Frist bis zum 18. Mai 2017 zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens hat dazu mit Schreiben vom 28. März 2017 erklärt, sie habe keine Einwände, während der Kläger durch ein am 16. Mai 2017 eingegangenes Schreiben sein Vorbringen im Wesentlichen wiederholt und namentlich erneut darauf hingewiesen hat, seine frühere Bevollmächtigte habe die Klage unter dem Druck der früheren Kammervorsitzenden und ohne sein Einverständnis zurückgenommen. Er fühle sich betrogen. Nachdem das Gericht dieses Schreiben der Beklagten mit Gelegenheit zur Stellungnahme übersandt hatte, hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2017 festgestellt, dass die Klage zurückgenommen sei.

Der Kläger hat nach Übermittlung des Gerichtsbescheides an ihn am 14. Juli 2017 mit Eingang beim Landessozialgericht am 18. August 2017 im Ausgangsverfahren Berufung eingelegt, die das Aktenzeichen L 7 AL 62/17 erhalten hat. Die dortige Beklagte hat am 7. September 2017 erwidert und beide Beteiligte haben sich im September 2017 nochmals kurz geäußert, wobei die Schreiben jeweils nachfolgend dem anderen Beteiligten übersandt worden sind. Nach Hinweis des Berichterstatters vom 1. Dezember 2017 auf die absehbare Erfolglosigkeit der Berufung ist der Kläger der damit verbundenen Bitte, deren Rücknahme zu prüfen, mit Schreiben vom 14. Dezember 2017 entgegengetreten. Der für das Ausgangsverfahren zuständige Senat hat sodann mit Beschluss vom 16. Januar 2018 den Rechtsstreit auf den Berichterstatter übertragen. Auf Grund der noch im Januar 2018 anberaumten mündlichen Verhandlung hat er die Berufung durch Urteil vom 16. März 2018 zurückgewiesen. Die daraufhin vom Kläger erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat das Bundessozialgericht durch Beschluss vom 23. Mai 2018 – B 11 AL 27/18 B – bei gleichzeitiger Ablehnung seines Antrags, ihm für das Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, als unzulässig verworfen.

Der Senat hat anschließend das Entschädigungsklageverfahren wiederaufgenommen.

Der Kläger macht zur Begründung seiner Entschädigungsforderung im Wesentlichen geltend, er habe bereits 1998 [richtig: 1999] Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben und das Verfahren sei [bei Erhebung der Entschädigungsklage] noch immer nicht abgeschlossen; dazu schildert er den Verlauf der Auseinandersetzung aus seiner Sicht, wobei er davon ausgeht, dass es sich um einen einheitlichen und insgesamt überlangen Rechtsstreit gehandelt habe.

Er beantragt sinngemäß,
ihm Entschädigung wegen der unangemessenen Dauer der Verfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main zu den Aktenzeichen S 19 AL 1739/99, S 32/1 AL 520/10 und S 19 AL 69/17 sowie vor dem Hessischen Landessozialgericht zu den Aktenzeichen L 7/10 AL 115/04 und L 7 AL 62/17 in Höhe von mindestens 21.600, Euro zu gewähren,
hilfsweise,
die unangemessene Dauer der genannten Verfahren festzustellen.

Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Klage sei unbegründet. Dabei sei voranzustellen, dass das Entschädigungsbegehren sich nicht auf das unter dem Aktenzeichen S 19/32 AL 214/14 geführte Verfahren (Verzinsung der nachzuzahlenden Arbeitslosenhilfe) beziehe, da der Kläger unter diesem Aktenzeichen keine Verzögerungsrüge erhoben habe. Dem Entschädigungsbegehren liege auch im Übrigen nicht ein einheitliches Ausgangsverfahren seit dem Jahre 1998 zu Grunde. Es sei vielmehr von drei Verfahren im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG auszugehen. Trotz der erheblichen Dauer dieser Verfahren stehe dem Kläger kein Entschädigungsanspruch zu.

Für das Verfahren S 19 AL 1739/99 [wegen des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe dem Grunde nach] ergebe sich dies zum einen aus der Übergangsvorschrift des Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG), nach dessen Satz 1 das Gesetz zwar auch für bereits abgeschlossene Verfahren gelte, jedoch nur dann, wenn deren Dauer bei Inkrafttreten des Gesetzes (am 3. Dezember 2011) Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewesen sei oder noch habe werden können. Beides treffe auf das Verfahren nicht zu. Zum anderen habe der Kläger auch die Klagefrist (Art. 23 Satz 6 ÜGG) nicht eingehalten, da er danach die Entschädigungsklage bis zum 3. Juni 2012 hätte erheben müssen.

Für das Verfahren S 32 AL 520/10 [wegen des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe der Höhe nach und des Erstattungsanspruchs] stehe dem Kläger ebenfalls kein Entschädigungsanspruch zu. Denn bis zum Abschluss dieses Verfahrens am 11. August 2014 habe er keine wirksame Verzögerungsrüge erhoben. Diese sei jedoch als materielle Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs konzipiert (Verweis auf BSG, Beschluss vom 27. Juni 2013 – B 10 ÜG 9/13 B –, juris, Rn. 27 m.w.Nw.), die durch die vorliegend erst am 23. Dezember 2014 erhobene Verzögerungsrüge nicht erfüllt sei. Diese Verzögerungsrüge sei zu spät erfolgt und entfalte keine rechtlichen Wirkungen. Das ergebe sich schon daraus, dass eine erst nach Abschluss des Verfahrens erhobene Verzögerungsrüge nicht mit der mit der Rügeobliegenheit verfolgten Intention – nämlich "Warnfunktion" und Ausschluss der Möglichkeit eines "Dulde und liquidiere" (Verweis auf BT-Drs. 17/3802 S. 20) – in Einklang zu bringen sei.

Bei dem Ausgangsverfahren zum Aktenzeichen S 19 AL 69/17 [wegen der Wirksamkeit der Klagerücknahmeerklärung] handele sich um ein eigenständiges Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG, wobei das Gesetz ersichtlich von einem an der Hauptsache orientierten Verfahrensbegriff ausgehe (Verweis auf Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 1. Aufl. 2013, § 198 GVG Rn. 34): In dem Klageverfahren S 32 AL 520/10, das durch Rücknahme am 11. August 2014 seinen Abschluss gefunden habe, sei um die Rechtmäßigkeit von Sozialleistungen gestritten worden, während in dem nachfolgenden Klageverfahren S 19 AL 69/17 allein die Wirksamkeit der Klagerücknahme im Streit gestanden habe. Sowohl inhaltlich als auch zeitlich betrachtet lägen damit ganz offenkundig zwei verschiedene Ausgangsverfahren vor, für die deshalb die Voraussetzungen für eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer jeweils gesondert erfüllt sein müssten. Da das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2017 festgestellt habe, dass die Klage zum Aktenzeichen S 32 AL 520/10 zurückgenommen sei, sei dieses Verfahren nicht mehr fortgeführt worden.

Auch das Verfahren zum Aktenzeichen S 19 AL 69/17 selbst sei nicht zu entschädigen. Dabei könne offenbleiben, ob das Sozialgericht die Klage bereits aufgrund des Schreibens des Entschädigungsklägers vom 20. August 2014 hätte erfassen und betreiben müssen. In Anbetracht der Gesamtsituation könne vorliegend kein entschädigungsrelevantes Nichtbetreiben des Ausgangsverfahrens angenommen werden, sondern allenfalls eine rechtsfehlerhafte Bearbeitung des Vorgangs, nämlich die Verkennung der Möglichkeit, auch nach einer Klagerücknahme die Fortsetzung des Klageverfahrens zu beantragen, für die eine Entschädigung nach § 198 GVG jedoch gerade nicht vorgesehen sei. Wenn überhaupt, hätte sich das Sozialgericht erst aufgrund des Schreibens der Beklagten des Ausgangsverfahrens vom 20. Januar 2016 dazu veranlasst sehen müssen, ein Klageverfahren über die Feststellung der Wirksamkeit der Klagerücknahme vom 11. August 2014 zu betreiben. Bis zum Eingang dieses Schreibens habe es berechtigt davon ausgehen dürfen, dass dem Ansinnen des Entschädigungsklägers im Wege eines Überprüfungsantrags entsprochen werde. Ausgehend hiervon sei die absolute Dauer des Ausgangsverfahrens mit dann knapp 28 Monaten (Januar 2016 bis Mai 2018) und in Anbetracht dessen, dass das Verfahren über drei Instanzen bis zum Bundessozialgericht geführt worden sei, sicherlich nicht als unangemessen lang zu beurteilen, wobei zusätzlich zu berücksichtigen sei, dass das Schreiben der Beklagten des Ausgangsverfahrens vom 20. Januar 2016 unter dem insoweit unzutreffenden Aktenzeichen des Verfahrens über den Zinsanspruch übersandt und daher jedenfalls nicht sogleich dem richtigen Verfahren zugeordnet worden sei. Überdies habe der Entschädigungskläger im Ausgangsverfahren zum Aktenzeichen S 19 AL 69/17 zu keinem Zeitpunkt wirksam Verzögerungsrüge erhoben.

Die Beteiligten – der Kläger durch Schreiben vom 24. September 2020, der Beklagte durch Schreiben vom 29. September 2020 – haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der Gerichtsakten zum hiesigen wie zu den Ausgangsverfahren Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet ohne Beteiligung des Senatsmitglieds RiinLSG Prof. Dr. C., da diese – als damalige Vorsitzende der 32. Kammer des Sozialgerichts Frankfurt am Main – mit den Ausgangsverfahren befasst war und daher von der Ausübung des Richteramtes nach § 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 41 Nr. 7 Zivilprozessordnung (ZPO) kraft Gesetzes ausgeschlossen ist; einer gesonderten gerichtlichen Entscheidung hierüber bedarf es nicht.

Der Senat entscheidet auf der Grundlage von § 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung, nachdem beide Beteiligte ihr Einverständnis hiermit erklärt haben.

Die Entschädigungsklage ist zulässig, aber namentlich hinsichtlich eines Entschädigungsanspruchs in Geld unbegründet: Entscheidend ist dabei insbesondere, dass entgegen der Auffassung des Klägers – der aus seiner Sicht durchaus nachvollziehbar von einem einheitlichen Lebenssachverhalt ausgeht – entschädigungsrechtlich mehrere selbständige Verfahren vorliegen.

I. Gegenstand der Klage ist nicht nur die vom Kläger ausdrücklich geltend gemachte Entschädigung wegen der Dauer des beziehungsweise der Verfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main. Vielmehr geht er ersichtlich davon aus, dass der gesamte Ablauf von der Klageerhebung wegen des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe dem Grunde nach über das Verfahren hinsichtlich der Umsetzungsbescheide bis zum Abschluss des Verfahrens wegen der von ihm bestrittenen Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung einheitlich zu betrachten sei, und macht hierfür Entschädigung geltend. Damit ist deutlich, dass auch die Verfahren vor dem Landessozialgericht – wobei er das Verfahren L 7/10 AL 115/04 im Rahmen der Klagebegründung zudem mit Aktenzeichen benannt hat – und deren Dauer Grundlage der im hiesigen Verfahren geltend gemachten Ansprüche sein sollen.

Mit ähnlicher Argumentation wie hinsichtlich der Berufungsverfahren ließe sich annehmen, dass der Kläger auch Entschädigung wegen der Dauer des Verfahrens vor dem Bundessozialgericht – B 11 AL 8/18 BH – verlangt. Er hat seine Entschädigungsklage jedoch bereits im Jahre 2015 erhoben, also noch bevor es im Ausgangsverfahren zu der Nichtzulassungsbeschwerde kam, und hat das Bundessozialgericht auch in seinem späteren Vorbringen an keiner Stelle erwähnt. Zudem haftet das im hiesigen Verfahren beklagte Land nur für Verzögerungen, die bei Gerichten des Landes eingetreten sind (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m. § 200 Satz 1 GVG), während für Verzögerungen bei Gerichten des Bundes die Bundesrepublik Deutschland in Anspruch zu nehmen wäre (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m. § 200 Satz 2 GVG); auch ist für entsprechende Klageverfahren von vornherein nicht das Landes-, sondern das Bundessozialgericht zuständig (vgl. § 202 Satz 2 SGG i.V.m. § 201 Abs. 1 GVG). Vor diesem Hintergrund kann bei einer an den erkennbaren Interessen des Klägers orientierten Auslegung nicht davon ausgegangen werden, dass er im hiesigen Verfahren Entschädigung auch wegen der vor dem Bundessozialgericht zurückgelegten und im Übrigen sehr kurzen und daher keinesfalls entschädigungspflichtigen Verfahrensdauer verlangt. Der Senat hat deswegen von einer Abtrennung und Verweisung diesbezüglicher Ansprüche abgesehen; gegen das im hiesigen Verfahren beklagte Land könnte der Kläger mit einem entsprechenden Begehren wegen der fehlenden Passivlegitimation von vornherein keinen Erfolg haben.

Ebenfalls nicht Gegenstand des Verfahrens sind Ansprüche wegen der Dauer des Verfahrens wegen der Zinsansprüche. Der Kläger hat dieses Verfahren – auch nachdem der Beklagte in seiner Klageerwiderung auf die Problematik ausdrücklich eingegangen ist im Entschädigungsklageverfahren zu keinem Zeitpunkt erwähnt. Im Übrigen hat er keine auf dieses Verfahren bezogene Verzögerungsrüge erhoben, so dass Entschädigungsansprüche in Geld hierfür von vornherein ausscheiden.

Neben beziehungsweise hilfsweise zu dem Entschädigungsanspruch in Geld wird regelmäßig – und auch hier – ein auf die Feststellung der unangemessenen Dauer des Verfahrens beziehungsweise der Verfahren gerichtetes Begehren Gegenstand eines Entschädigungsklageverfahrens; eines gesonderten Antrags hierfür bedarf es kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nicht (§ 198 Abs. 4 Satz 2 GVG i.V.m. § 202 Satz 2 SGG).

II. Die Entschädigungsklage nach § 202 Satz 2 SGG in Verbindung mit §§ 198 ff. GVG ist zulässig.

Das auf Entschädigung in Geld gerichtete Begehren ist als reine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG), für den Hilfsantrag eine Feststellungsklage (§ 55 Abs. 1 SGG) statthaft. Das Landessozialgericht ist – erstinstanzlich – für die Entscheidung zuständig (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m. § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG).

Der Kläger hat zudem die Wartefrist aus (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m.) § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG eingehalten. Das gilt auch mit Blick auf das Verfahren wegen des Streits um die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung: Der Kläger hat, nachdem er mit Schreiben vom 20. August 2014 deren Wirksamkeit bestritten hatwt, mit Schreiben vom 17. Dezember 2014, eingegangen am 23. Dezember 2014, Verzögerungsrüge erhoben. Die Entschädigungsklage ist am 9. Juli 2015 eingegangen, so dass die Sechs-Monats-Frist, die er abzuwarten hatte, gewahrt ist.

Auch sonstige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit bestehen nicht. Namentlich gehört die Einhaltung der Klagefrist aus Art. 23 Satz 6 ÜGG beziehungsweise § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG (i.V.m. § 202 Satz 2 SGG) nicht zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Entschädigungsklage; vielmehr handelt es sich um materiell-rechtliche Ausschlussfristen (vgl. BT-Drucks. 17/3802, S. 22; BSG, Urteil vom 10. Juli 2014 – B 10 ÜG 8/13 R –, SozR 4-1720 § 198 Nr. 2, Rn. 12; BSG, Urteil vom 7. September 2017 – B 10 ÜG 1/17 R –, SozR 4-1710 Art. 23 Nr. 5, Rn. 22; erk. Senat, Urteil vom 8. Juli 2020 – L 6 SF 8/19 EK AS –, juris, Rn. 29 m.w.Nw.). Die damit zusammenhängenden Fragen können daher im hiesigen Zusammenhang noch offenbleiben.

III. Die Klage ist jedoch unbegründet; der Kläger kann Entschädigung wegen der überlangen Dauer des beziehungsweise der Ausgangsverfahren nicht verlangen.

Dabei meint der Begriff des – gegebenenfalls entschädigungspflichtigen – Gerichtsverfahrens ausweislich seiner gesetzlichen Definition in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG (i.V.m. § 202 Satz 2 SGG) jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Dem Entschädigungsrecht liegt damit ein am prozessualen Verfahrensbegriff orientiertes Verständnis zugrunde, nicht dagegen, wie vom Kläger der Sache nach geltend gemacht, eine Abgrenzung anhand eines inhaltlichen Zusammenhangs, auch wenn nachvollziehbar ist, dass dieser für den Kläger im Vordergrund steht.

1. Hiervon ausgehend ist zunächst das im Jahre 1999 eingeleitete und im Jahr 2009 durch Urteil des Landessozialgerichts abgeschlossene Verfahren wegen des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe dem Grunde nach als eigenständiges Verfahren aufzufassen. Diesbezüglich kann der Kläger aber Entschädigung in Geld oder auch (nur) die Feststellung der Überlänge des Verfahrens schon deswegen nicht verlangen, weil er die maßgebliche Klagefrist, bei der es sich, wie ausgeführt, um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist handelt, versäumt hat.

Das beim Sozialgericht Frankfurt am Main unter dem Aktenzeichen S 19 AL 1739/99 und beim Hessischen Landessozialgericht unter den Aktenzeichen L 10 AL 115/04 und L 7 AL 115/04 geführte Verfahren fand durch das dem Kläger günstige und von der Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht angegriffene Urteil des Landessozialgerichts vom 21. August 2009 beziehungsweise den Ablauf der an dessen Zustellung im September 2009 anknüpfenden Frist für die Erhebung einer Nichtzulassungsbeschwerde (§ 160a Abs. 1 Satz 2 SGG; zur Verlängerung der regelmäßig nur einmonatigen Frist wegen der Auslandszustellung vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG – Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 160a Rn. 7) seinen rechtskräftigen Abschluss, lange bevor das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302) am 3. Dezember 2001 (vgl. dazu Art. 24 ÜGG) in Kraft trat. Das schließt entsprechende Ansprüche zwar nicht von vornherein aus, vielmehr ist das Gesetz durchaus auch auf Verfahren anwendbar, die bei seinem Inkrafttreten bereits abgeschlossen waren, allerdings nur, sofern deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte war oder noch hätte werden können (vgl. Art. 23 Satz 1 ÜGG). Das ist vorliegend nicht der Fall; zudem war die Entschädigungsklage nach der insoweit maßgeblichen Übergangsregelung aus Art. 23 Satz 6 ÜGG in diesen Fällen spätestens am 3. Juni 2012 zu erheben.

Diese Voraussetzung ist hier angesichts der Einleitung des Entschädigungsklageverfahrens am 9. Juli 2015 ganz augenfällig nicht erfüllt, so dass trotz der ganz erheblichen Dauer dieses Ausgangsverfahrens von vornherein weder ein Anspruch auf Entschädigung in Geld zugesprochen noch dessen unangemessene Dauer festgestellt werden kann, ohne dass es auf die Gründe für die Dauer des Verfahrens ankäme.

2. Gleiches gilt für das Verfahren S 32/1 AL 520/10 wegen der Höhe der Arbeitslosenhilfe mit Rücksicht auf das Einkommen der Ehefrau des Klägers und der teilweisen Erfüllung des Anspruchs über § 107 Abs. 1 SGB X auf Grund des Bezugs von Sozialhilfe. Auch insofern ist die Klage nicht innerhalb der hierfür nunmehr zu beachtenden Sechs-Monats-Frist (aus § 202 Satz 2 SGG i.V.m. § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG) erhoben worden; für den primär geltend gemachten Entschädigungsanspruch in Geld fehlt es zudem an einer wirksamen Verzögerungsrüge.

Entscheidend ist insofern, dass dieses Ausgangsverfahren mit der Klagerücknahme im Termin zur mündlichen Verhandlung am 11. August 2014 seinen Abschluss fand. Der anschließend vom Kläger gestellte Antrag auf dessen Fortsetzung wegen ihrer vermeintlicher Unwirksamkeit vermag daran nichts zu ändern. Dabei besteht im Ausgangspunkt ein Spannungsverhältnis zwischen dem Umstand, dass der Streit um die Wirksamkeit einer Klagerücknahme im entsprechenden Verfahren ausgetragen wird und dieses, wenn der Kläger mit seiner Auffassung durchdringt, in der Sache fortgeführt wird (vgl. für viele BSG, Beschluss vom 25. April 2001 – B 9 V 70/00 B –, SozR 3-1500 § 73 Nr. 10; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG – Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 102 Rn. 12; H. Müller, in: BeckOGK – Stand: 1. September 2019 –, § 102 Rn. 16); der Rechtsstreit ist dann durchgängig anhängig geblieben. Ist die Klagerücknahme dagegen wirksam, bleibt es bei der Erledigung des Verfahrens durch diese (§ 102 Abs. 1 Satz 2 SGG); der Rechtsstreit in der Sache ist und bleibt dann mit der Rücknahme – nach entsprechender Feststellung durch das Gericht, gegebenenfalls durch das Berufungs- oder Revisionsgericht – abgeschlossen. Auf die streitige Frage, ob der wegen der Wirksamkeit der Rücknahme fortgeführte Rechtsstreit jedenfalls zunächst – und insbesondere in der Rechtsmittelinstanz – einen anderen Streitgegenstand als das ursprüngliche Verfahren hat, kommt es dabei nicht einmal an (vgl. in diesem Sinne LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. Februar 2017 – L 25 AS 931/16 –, juris, Rn. 19; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG – Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 102 Rn. 13; H. Müller, in: BeckOGK – Stand: 1. September 2019 –, § 102 Rn. 16; dagg. z.B. Thüringer LSG, Urteil vom 27. März 2019 – L 12 R 901/18 –, juris, Rn. 26).

Für das Entschädigungsklageverfahren hat dies zur Folge, dass sowohl die Frist für die Erhebung der Entschädigungsklage als auch die Möglichkeit einer wirksamen Verzögerungsrüge noch nach einer Rücknahmeerklärung von dem materiellen Ausgang des Streits um deren Wirksamkeit abhängt. Dieses auf den ersten Blick überraschende Ergebnis ist aber nur die Konsequenz daraus, dass eben dieser Ausgang auch für die Frage entscheidend ist, ob das Sachverfahren durch die Rücknahmeerklärung erledigt worden oder fortzuführen ist.

Dieses Ergebnis stimmt im Übrigen mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Beschluss vom 27. Juni 2013 – B 10 ÜG 9/13 B –, SozR 4-1710 Art. 23 Nr. 1 = juris, Rn. 23; ebs. – als Vorinstanz – LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. November 2012 – L 18 SF 10/12 EK KA –, juris, Rn. 19) und auch des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 14. November 2016 – 5 C 10/15 D –, BVerwGE 156, 229 = juris, Rn. 29) zu der jedenfalls verwandten Frage überein, ob und welche Auswirkungen eine Restitutionsklage auf ein Entschädigungsklageverfahren wegen der behaupteten Überlänge des der Restitutionsklage vorausgehenden Verfahrens in der Sache haben kann. Ganz wie hier für die Klagerücknahme vertreten, sind das Bundessozialgericht und das Bundesverwaltungsgericht in den genannten Entscheidungen zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausgangsverfahren auch mit Blick auf die daraus für das Entschädigungsrecht zu ziehenden Konsequenzen durch das mit der Restitutionsklage angegriffene Urteil abgeschlossen ist und bleibt, wenn diese keinen Erfolg hat.

Jedenfalls für den Anspruch auf Entschädigung in Geld kommt hinzu, dass die in diesem Rahmen nach (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m.) § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG notwendige Verzögerungsrüge bezogen auf das Verfahren in der Sache ihrer Warn- und Beschleunigungsfunktion nicht mehr gerecht werden kann, wenn sie erst nach Klagerücknahme erhoben wird und sich diese letztlich – wie hier – als wirksam erweist (vgl. zur Warn- und Beschleunigungsfunktion der Verzögerungsrüge BT-Drucks. 17/3802 S. 20; erk. Senat, Urteil vom 8. Juli 2020 – L 6 SF 8/19 EK AS –, juris, Rn. 37; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG – Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 202 Rn. 28).

Schließlich könnte ein Antrag auf Fortführung des Verfahrens wegen der vermeintlichen Unwirksamkeit einer Rücknahmeerklärung – ebenso wie eine Restitutionsklage nach einem rechtskräftig gewordenen Urteil – gezielt dazu eingesetzt werden, eine während des Sachverfahrens versäumte Verzögerungsrüge nachzuholen oder die Klagefrist für die Entschädigungsklage nach ihrem Verstreichen "wieder zu eröffnen", wenn man von einem Abschluss auch des Verfahrens in der Sache erst mit der rechtskräftigen Entscheidung in dem wegen der Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung fortgeführten Rechtsstreit auch in den Fällen ausginge, in denen das Fortführungsbegehren keinen Erfolg hat. Das wäre umso problematischer, als das Gesetz für einen auf die vermeintliche Unwirksamkeit der Rücknahme gestützten Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens keine Frist vorsieht, sondern dieser nur verwirkt werden kann (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11. Juni 2020 – L 15 AS 281/18 –, juris; Hintz, in: Rolfs u.a., BeckOK Sozialrecht 58. Edition, Stand: 1. September 2020 –, § 102 Rn. 3c).

Nach allem ist für das Entschädigungsrecht von einer Beendigung des Verfahrens mit einer wirksamen Rücknahmeerklärung auszugehen, auch wenn um diese nachfolgend zunächst noch gestritten wird.

Das Verfahren S 32/1 AL 520/10 endete daher durch die Klagerücknahme im Termin am 11. August 2014, die Erhebung der Entschädigungsklage am 9. Juli 2015 konnte somit die Frist aus (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m.) § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG nicht wahren. Auch konnte der Kläger im Dezember 2014 bezogen auf dieses Verfahren keine wirksame Verzögerungsrüge mehr erheben.

Damit kommt auch im Hinblick auf dieses Verfahren weder ein Anspruch auf Entschädigung in Geld noch auch nur die Feststellung von dessen unangemessener Dauer in Betracht.

3. Schließlich kann die Entschädigungsklage auch mit Blick auf die Dauer des Streits um die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung keinen Erfolg haben.

Nach dem Vorgesagten ist diesbezüglich von einem eigenständigen Verfahren auszugehen (vgl. in diesem Sinne für das Restitutionsklageverfahren nochmals: BSG, Beschluss vom 27. Juni 2013 – B 10 ÜG 9/13 B –, SozR 4-1710 Art. 23 Nr. 1 = juris, Rn. 26; BVerwG, Urteil vom 14. Novernber 2016 – 5 C 10/15 D –, BVerwGE 156, 229 = juris, Rn. 29) oder doch jedenfalls von einem verselbständigten Verfahrensabschnitt, der entschädigungsrechtlich gesondert zu betrachten ist.

a) Ein Entschädigungsanspruch in Geld scheitert insoweit allerdings bereits daran, dass der Kläger auch bezogen auf dieses Verfahren die nach (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m.) § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG notwendige Verzögerungsrüge nicht wirksam, sondern – in diesem Fall – zu früh erhoben hat.

Ihre Erhebung ist erst dann wirksam möglich, wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen werden wird (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m. § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 GVG). Es muss danach zum Zeitpunkt der Erhebung einer Verzögerungsrüge zwar noch nicht zu einer Verzögerung des Rechtsstreits gekommen sein, diese muss aber bei einer Prognose des Zeitbedarfs für das weitere Verfahren drohen (vgl. hierzu und zum Folgenden u.a. B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG – Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 202 Rn. 28a; außerdem: BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 – 2 WA 1/17 D –, juris, Rn. 22; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 12. September 2019 – L 11 SF 58/18 EK AL –, BeckRS 2019, 42336, Rn. 48 f.). Das ist der Fall, wenn aufgrund des bisherigen Verlaufs des Ausgangsverfahrens Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Gericht nicht mit der ihm im konkreten Fall zuzubilligenden, in der Regel zwölfmonatigen Vorbereitungs- und Bedenkzeit auskommen wird, die zu den Zeiten konkreter Verfahrensförderung oder vom Gericht nicht zu vertretender Verzögerungen hinzutritt.

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger die Verzögerungsrüge bezogen auf den Streit um die Wirksamkeit der Klagerücknahme zu früh erhoben: Er hat die Wirksamkeit der von seiner Prozessbevollmächtigten abgegebenen Erklärung mit Schreiben vom 20. August 2014, eingegangen bei Gericht am 25. August 2014, beanstandet und bereits mit Eingang am 23. Dezember 2014, also knapp vier Monate später, Verzögerungsrüge erhoben. Auf Grund des Schreibens vom 20. August 2014 war der neu entstandene Streit zu klären, ob der Rechtsstreit durch die Rücknahmeerklärung im Termin zur mündlichen Verhandlung (endgültig) beendet worden war. Insoweit ist im Grundsatz davon auszugehen, dass dem Gericht auch bezüglich dieses neuen Streits die übliche Bearbeitungs- und Überlegungsfrist von zwölf Monaten zuzubilligen war (vgl. allg. zu dieser Frist BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, SozR 4-1720 § 198 Nr. 4, Rn. 53; erk. Senat, Urteil vom 27. November 2019 – L 6 SF 24/17 EK KR –, juris, Rn. 45 f.). Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass wegen der langen Dauer des (vorangegangenen) Rechtsstreits S 32/1 AL 520/10, der bis Dezember 2014 fehlenden Reaktion des Sozialgerichts auf das Schreiben vom 20. August 2014 und der geringen Schwierigkeit des Verfahrens über den absehbar erfolglosen Fortsetzungsantrag vergleichsweise früh die Besorgnis entstehen konnte, der Rechtsstreit werde nicht in angemessener Zeit abgeschlossen, so ist die Zeitspanne von vier Monaten doch erkennbar zu gering. Die Verzögerungsrüge ist daher bezogen auf diesen Streit verfrüht erhoben, ein Umstand, der auch dann nicht nachträglich geheilt wird, wenn das Verfahren anschließend tatsächlich unangemessen lange dauert (vgl. ebs. BFH, Urteil vom 26. Oktober 2016 X K 2/15 –, BFHE 255, 407 = juris, Rn. 45; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 202 Rn. 28a).

b) Ein Entschädigungsanspruch in Geld scheidet aber auch deswegen aus, weil die Fortführung des Verfahrens wegen der vermeintlich unwirksamen Rücknahmeerklärung erkennbar aussichtslos war. Dauert ein derartiges Verfahren unangemessen lang, genügt – ausnahmsweise – die in (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m.) § 198 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 Satz 1 GVG vorgesehene Möglichkeit der Wiedergutmachung auf andere Weise als durch Zubilligung einer Entschädigungszahlung, insbesondere durch die Feststellung der Überlänge (vgl. zu entspr. Fallgestaltungen die Begründung zum Gesetzentwurf BT-Drucks. 17/3802, S. 20; außerdem BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 – B 10 ÜG 1/12 KL , BSGE 113, 75, Rn. 45; BFH, Urteil vom 17. April 2013 – X K 3/12 –, BFHE 240, 516 = juris, Rn. 62; erk. Senat, Urteil vom 8. Juli 2020 – L 6 SF 6/19 EK AS –, juris, Rn. 48; Engel-Boland, in: Roos/Wahrendorf, Sozialgerichtsgesetz, 2014, § 202 Rn. 53; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG – Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 202 Rn. 26a).

Davon ist hier auszugehen. Die damalige anwaltliche Bevollmächtigte des Klägers hatte die Klage im Verfahren S 32/1 AL 520/10 im Termin zur mündlichen Verhandlung am 11. August 2014 zurückgenommen. Ein Grund für die Unwirksamkeit oder Anfechtbarkeit dieser Erklärung ist nicht ansatzweise erkennbar. Insbesondere sind entgegen der Ausführungen der damaligen Bevollmächtigten in ihrer vom Kläger mit seinem Schreiben vom 20. August 2014 vorgelegten E-Mail nicht einmal Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sie durch die Kammervorsitzende zur Zurücknahme der Klage "gezwungen" worden sein, geschweige denn, dass das Terminsprotokoll hierfür einen Beweis liefern könnte. Der Umstand, dass die Kammervorsitzende die Verhängung einer Missbrauchsgebühr nach § 192 SGG bei Fortführung des Verfahrens ausdrücklich erwogen und diesen Hinweis protokolliert hat, genügt hierfür schon deswegen nicht, weil eine entsprechende Ankündigung und die Möglichkeit, sich hierzu zu äußern, zu den gesetzlichen Voraussetzungen der Verhängung einer entsprechenden Gebühr gehört (vgl. § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG).

c) Überdies ist im Ergebnis auch eine Überlänge des Verfahrens nicht feststellbar, wobei wegen dessen Verselbständigung allein auf den Streit über die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung abzustellen ist.

Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Der unbestimmte Rechtsbegriff "unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens" ist dabei insbesondere unter Rückgriff auf die Grundsätze auszulegen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention und das Bundesverfassungsgericht zum Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art 19. Abs. 4 Grundgesetz – GG –) sowie zum Justizgewährleistungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) entwickelt haben (BSG, Urteil vom 7. September 2017 – B 10 ÜG 1/16 R –, BSGE 124, 136, Rn. 30, BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 – B 10 ÜG 7/14 R –, SozR 4-1720 § 198 Nr. 10 Rn. 25). Eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, ist nicht möglich (vgl. am Maßstab von Art. 19 Abs. 4 GG: BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 1980 – 2 BvR 419/80 –, BVerfGE 55, 349, 369; BVerfG, Beschluss vom 30. August 2016 – 2 BvC 26/14 – Vz 1/16 –, juris), zumal Zügigkeit und Verfahrensbeschleunigung keine absoluten Werte darstellen, sondern stets im Zusammenhang mit den übrigen Verfahrensgrundsätzen, insbesondere dem Amtsermittlungsgrundsatz und dem damit korrespondierenden Interesse der Verfahrensbeteiligten an einer gründlichen und zutreffenden Bearbeitung durch das Gericht, zu sehen sind. Kleinste in diesem Rahmen relevante Zeiteinheit ist hierbei der Kalendermonat (vgl. nochmals BSG, Urteil vom 7. September 2017 – B 10 ÜG 1/16 R –, BSGE 124, 136, Rn. 30). Wegen der Einzelheiten kann im Übrigen auf das Urteil des Senats vom 27. November 2019 – L 6 SF 24/17 EK KR , juris, Rn. 37 f. Bezug genommen werden.

Der Streit um die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung wurde durch das am 25. August 2014 bei Gericht eingegangene Schreiben des Klägers vom 20. August 2014 eingeleitet. Es folgte bis zur Reaktion des Gerichts auf das nächste, die Verzögerungsrüge enthaltende Schreiben des Klägers aus dem Dezember 2014 ein Zeitraum, in dem eine Verfahrensförderung durch das Gericht nicht erkennbar ist. Erst auf dessen Eingang hin hat das Sozialgericht, weil es keine (sinnvolle) Möglichkeit gesehen hat, das gerichtliche Verfahren fortzuführen, Anfang Januar 2015 mit der an die Beklagte des Ausgangsverfahrens gerichteten Anregung reagiert, ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X durchzuführen. Dies hat das Gericht auch dem Kläger mitgeteilt, so dass diesem die Einschätzung des Gerichts und das nach dessen Auffassung sinnvolle weitere Vorgehen bekannt waren und er daher damit rechnen musste, dass das Gericht von sich aus jedenfalls zunächst nicht weiter tätig werden würde; der Umstand, dass das Gericht sich dabei an seine damalige Prozessbevollmächtigte gewandt hat, vermag daran nichts zu ändern: Hierzu war das Gericht vielmehr verpflichtet (vgl. § 73 Abs. 6 Satz 6 SGG), nachdem zwar ein Konflikt zwischen dem Kläger und seiner damaligen Bevollmächtigten wegen der Klagerücknahme erkennbar geworden war, aber weder der Kläger selbst noch die Bevollmächtigte dem Gericht ein Ende des Mandatsverhältnisses und der Bevollmächtigung mitgeteilt hatten; dies ist im Ausgangsverfahren selbst vielmehr erst mit Schreiben der Bevollmächtigten vom 13. März 2017, im Parallelverfahren wegen der Zinsen mit dem Schreiben der Bevollmächtigten vom 4. Januar 2016 geschehen. Der Kläger muss sich die Kenntnis seiner Bevollmächtigten daher zurechnen lassen und kann vor diesem Hintergrund, nachdem er der Verfahrensweise des Gerichts nicht entgegengetreten ist, nunmehr im Entschädigungsklageverfahren nicht erfolgreich geltend machen, dass das Gericht zunächst nicht selbst weiter tätig geworden, sondern davon ausgegangen ist, die Beteiligten nähmen seine Anregung auf und suchten einen Weg, um die im gerichtlichen Verfahren nicht mehr mögliche Sachprüfung auf dem Wege eines Überprüfungsverfahrens zu eröffnen.

Jedenfalls bis zum Eingang des Schreibens der Beklagten des Ausgangsverfahrens vom 20. Januar 2016 im Parallelverfahren über den Zinsanspruch, wonach sie die Durchführung eines Überprüfungsverfahrens nicht als sinnvoll erachte, lässt sich daher eine vorwerfbare Untätigkeit des Gerichts und eine darauf beruhende entschädigungspflichtige Verzögerung des Verfahrens nicht feststellen. Insoweit kommt es für das Entschädigungsklageverfahren nicht darauf an, ob der vom Ausgangsgericht angeregte Weg sich rückblickend als sachgerecht oder gar optimal darstellt oder ob mit Blick auf die Regelung aus § 44 Abs. 4 SGB X der Verweis auf ein Überprüfungsverfahren von Anfang an Bedenken unterliegen musste und das Ausgangsgericht eventuell die Möglichkeit verkannt – oder in seinem Hinweisschreiben zumindest nicht erwähnt – hat, das gerichtliche Verfahren hinsichtlich der Frage, ob die Rücknahme wirksam ist, fortzuführen. Der erkennende Senat hat vielmehr im Grundsatz die rechtliche Beurteilung des Ausgangsgerichts und seine Verfahrensleitung bis zur Grenze der Unvertretbarkeit keiner Prüfung zu unterziehen (vgl. BSG, Urteil vom 7. September 2017 – B 10 ÜG 1/16 R –, BSGE 124, 136, Rn. 39 und Rn. 41), so dass hier nur darauf hingewiesen sei, dass wegen der erkennbaren Aussichtslosigkeit des Fortführungsbegehrens nach der Rücknahmeerklärung, für deren Unwirksamkeit keinerlei greifbare Anhaltspunkte bestanden und bestehen, der Verweis auf das Überprüfungsverfahren jedenfalls nachvollziehbar erscheint, obwohl letztlich wegen der Verfallsfrist aus § 44 Abs. 4 SGB X auch dieser Weg nicht erfolgversprechend war. Es bleibt daher dabei, dass jedenfalls der Zeitraum von Januar 2015 bis Januar 2016 nicht als ein dem Gericht zurechenbarer Zeitraum der Verzögerung gewertet werden kann.

Anderes mag für die anschließende Zeit bis zu der erst im März 2017 erfolgten Mitteilung des Sozialgerichts an die Beteiligten gelten, dass das Verfahren wegen der umstrittenen Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung fortgeführt werde, und die damit verbundene Bitte an den Beklagten um Äußerung hierzu. Anschließend folgte dann sehr bald, ebenfalls noch im März 2017, die Anhörung zum Gerichtsbescheid mit einer Äußerungsfrist für die Beteiligten bis zum 18. Mai 2017. Nachdem sich der Kläger mit Eingang am 16. Mai 2017 inhaltlich geäußert und das Gericht dieses Schreiben der Beklagten des Ausgangsverfahrens übermittelt hatte, wie dies zur Wahrung rechtlichen Gehörs veranlasst war, folgte ohne weitere Verzögerung die Entscheidung des Rechtsstreits durch Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2017.

Danach ist für das erstinstanzliche Ausgangsverfahren (maximal) von einer dem Gericht zurechenbaren Verzögerung in der Zeit von September bis Dezember 2014 (je einschließlich) sowie in der Zeit von Februar 2016 bis Februar 2017 (wiederum je einschließlich), also von insgesamt 17 Monaten, auszugehen. Dem steht die dem Gericht einzuräumende Bearbeitungs- und Bedenkzeit gegenüber. Der hierfür übliche Zeitraum von zwölf Monaten je Instanz (vgl. auch hierzu für viele BSG, Urteil vom 7. September 2017 – B 10 ÜG 1/16 R –, BSGE 124, 136, Rn. 33) mag wegen der geringen Schwierigkeit der nunmehr im Streit stehenden Frage nach der Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung und mit Blick darauf, dass der diesbezüglichen Auseinandersetzung bereits das Verfahren in der Sache mit einer Dauer von gut dreieinhalb Jahren und bei einer sehr weiten Betrachtung auch der Rechtsstreit über den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe dem Grunde nach vorangegangen waren, etwas abzukürzen sein. Jedenfalls eine Bearbeitungs- und Bedenkzeit von neun Monaten erscheint dem Senat aber auch in diesem Fall nicht unangemessen.

Überdies ist bei der Beurteilung, ob der Kläger geltend machen kann, die Verfahrensdauer sei unangemessen, zentral auch sein eigenes Verhalten und damit im konkreten Fall zu berücksichtigen, dass er seinerseits auf den Streit wegen der Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung nach Erhebung der Verzögerungsrüge bis zur Anhörung zum Gerichtsbescheid gegenüber dem Sozialgericht zu keinem Zeitpunkt zurückgekommen ist. Im Gegenteil hat seine damalige anwaltliche Prozessbevollmächtigte im Verfahren über den Zinsanspruch mit Schreiben vom 4. Januar 2016 mitgeteilt, dass er sich seit über einem Jahr nicht mehr bei ihr gemeldet habe, um die – mit dem hiesigen Ausgangsverfahren im Zusammenhang stehende – Frage zu besprechen, ob das die Zinsen betreffende Verfahren im Hinblick auf die Anregung, ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X wegen des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe durchzuführen, ruhen könne.

Wenn man dennoch von einer unzureichenden Verfahrensförderung durch das Gericht – nach dem Vorgesagten allerdings maximal in einem Umfang von acht Monaten – ausgehen will, so ist diese nach Auffassung des Senats bereits durch das sehr schnell geführte Berufungsverfahren vollständig kompensiert. Das Verfahren vor dem Landessozialgericht begann im August 2017. Es folgte die Erwiderung der Beklagten des Ausgangsverfahrens im September 2017 und weitere Äußerungen der Beteiligten ebenfalls noch im September 2017, die der jeweils anderen Seite zur Wahrung rechtlichen Gehörs zu übermitteln waren. Nachdem der Kläger trotz des alsbald folgenden Hinweises des Berichterstatters im Dezember 2017 auf deren absehbare Erfolglosigkeit die Berufung nicht hatte zurücknehmen wollen, übertrug der für das Ausgangsverfahren zuständige Senat diese mit Beschluss vom 16. Januar 2018 auf den Berichterstatter. Es folgte ebenfalls noch im Januar die Terminierung zur mündlichen Verhandlung im März 2018, aufgrund derer die Berufung zurückgewiesen wurde. Das Urteil ging dem Kläger spätestens im April 2018 zu. Das Berufungsverfahren dauerte damit deutlich unter einem Jahr; Zeiten der Verzögerung oder auch nur einer relevanten Ausnutzung der Bearbeitungs- und Bedenkzeit sind nicht ersichtlich.

Nur ergänzend ist vor diesem Hintergrund darauf hinzuweisen, dass das Bundessozialgericht über das sich anschließende Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren bereits durch Beschluss vom 23. Mai 2018 und damit sehr schnell entschieden hat, was zu einer noch weitergehenden Kompensation führen würde, wenn es darauf ankäme.

Nach allem vermag der Senat eine unangemessene Dauer des Streits um die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung nicht festzustellen, so dass die Entschädigungsklage auch hinsichtlich der Feststellung einer Überlänge keinen Erfolg haben kann.

IV. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 und Halbs. 3, § 183 Satz 6 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

V. Die Revision ist auf der Grundlage von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, nachdem die Frage, welche Auswirkungen der Streit um die Wirksamkeit einer Rücknahmeerklärung im Ausgangsverfahren auf die mögliche Entschädigung wegen einer überlangen Dauer des Verfahrens hat, bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist, ihr jedoch grundsätzliche Bedeutung einschließlich der sogenannten Breitenwirkung zukommt.
Rechtskraft
Aus
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