Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 11 R 308/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 15.08.2012 wird abgeändert und der Widerspruchsbescheid vom 02.03.2016 wird insoweit aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung unter einem Leistungsfall vom 12.05.2011 auf Zeit bis 31.07.2021 ab Dezember 2011 (01.12.2011) nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu leisten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach zu ¾.
Tatbestand:
Die am xxxxx1962 in S1 geborene Klägerin lebt seit 1985 in Deutschland. Eine förmliche Ausbildung hat die Klägerin nicht absolviert und war als Reinigungskraft und Zimmermädchen beschäftigt. Die Klägerin hat einen Grad der Behinderung von 20.
Aufgrund einer Straftat ist die Tochter der Klägerin psychisch erheblich eingeschränkt. Die Tochter lebt bei der Klägerin und wird von ihr versorgt.
Am 12.05.2011 beantragte die Klägerin Rente bei der Beklagten und verwies auf Kopfschmerzen und psychische Belastungen bei der Pflege der Tochter.
Ein für die Arbeitsagentur am 14.03.2008 von Frau Dr. B. erstelltes Gutachten ergab eine psychische Minderbelastbarkeit aufgrund der familiären Situation und diverse Befindlichkeitsstörungen. Aus medizinischer Sicht sei die Klägerin in der Lage, täglich sechs Stunden und mehr eine leichte und gelegentlich mittelschwere Tätigkeit auszuüben. Allerdings sei ein psychiatrisches Gutachten erforderlich. In dem sodann von Herrn Dettmer erstellten psychologischen Gutachten stellte dieser keine ausreichende psychische Belastbarkeit der Klägerin für eine berufliche Tätigkeit fest.
Der Nervenarzt Dr. H. erstellte sodann am 21.10.2008 ein weiteres Gutachten für die Arbeitsagentur und konnte ein Leistungsvermögen ebenfalls nicht mehr festgestellt werden. Unter der Diagnose von Spannungskopfschmerzen und andauernden depressiven Reaktionen und einfach strukturierter Persönlichkeit ergab sich hieraus für die Dauer von etwa zwei Jahren kein Leistungsvermögen. Die Klägerin sei gedanklich so von der Sorge um die Tochter beherrscht, dass die Klägerin weder gedanklich noch aber emotional Raum habe für hiervon unabhängige Aktivitäten. Es handele sich nicht einfach um ein Organisationsproblem bei erhaltener Belastbarkeit, sondern um eine symbiotische Bindung mit Krankheitswert. In dieser Situation entwickele die Klägerin eine depressive Reaktion und funktionell verstärkte körperliche Störungen, die sie schwerpunktmäßig mit Analgetika behandele.
Auf den Rentenantrag der Klägerin hin erstellte der Neurologe/Psychiater Dr. S. am 31.07.2012 für die Beklagte ein fachärztliches Gutachten und stellte bei der Klägerin eine depressive Anpassungsstörung bei anhaltender häuslicher Belastungssituation, eine Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule bei Fehlstatik und wiederkehrende Kopfschmerzen fest und hielt die Klägerin grundsätzlich täglich sechs Stunden und mehr leistungsfähig für eine leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeit ohne besondere nervliche Belastung. Die Klägerin habe sich für die Betreuung der Tochter entschieden und sei einem Gespräch über Alternativen nicht zugänglich.
Die Beklagte lehnte sodann den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 15.08.2012 ab. Der Widerspruch der Klägerin vom 29.08.2012 blieb erfolglos und wurde nach Stellungnahmen der beratenden Ärzte Dr. F. und Frau G. mit Widerspruchsbescheid vom 02.03.2016 zurückgewiesen.
Mit ihrer Klage vom 14.03.2016 verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter. Sie verweist darauf, dass sie nicht mehr in der Lage ist, eine Erwerbstätigkeit auszuüben.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 15.08.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung; hilfsweiser teilweise Erwerbsminderung; hilfsweise teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu leisten.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und den Inhalt der Verwaltungsakten.
Zur Ermittlung des Sachverhaltes hat das Gericht Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt. So hat die Neurologin Frau Dr. N. auf eine zweimalige Synkope hingewiesen. Der Orthopäde Dr. V. hat auf Beeinträchtigungen seitens der Brust- und Lendenwirbelsäule hingewiesen. Der Hausarzt der Klägerin, Herr M. bzw. Herr L., hat verschiedene Krankenunterlagen vorgelegt. Eine rheumatologische Erkrankung war hiernach ausgeschlossen, jedoch eine latente Tbc diagnostiziert worden.
Auf Veranlassung des Gerichts hat sodann die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Frau L1 die Klägerin am 24.2.2017 untersucht und das Gutachten am 19.05.2017 für das Gericht erstellt.
Unter der Diagnose einer permanenten psychosozialen Belastungssituation mit chronischem Erschöpfungssyndrom im Sinne eines burn-out, eines Analphabetismus mit psychischer Minderbelastbarkeit, einer Minderbegabung mit psychischer Minderbelastbarkeit, einer Migräne, einem Spannungskopfschmerz, einer Insomnie und Schmerzsyndrom der Wirbelsäule hat die Sachverständige die Klägerin für nicht mehr in der Lage gehalten, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Die Einschränkung ergebe sich weniger aus den körperlichen Befunden, sondern vielmehr aus dem psychiatrischen Befund. Gründe für das aufgehobene Leistungsvermögen ergäben sich aus der symbiotischen Beziehung zur Tochter, die eingeschränkten intellektuellen Fähigkeiten, der Analphabetismus mit den damit verbundenen psychischen Problemen und die burn-out Symptomatik. Die symbiotische Beziehung habe Krankheitswert. Entlastungsangebote würden von der Klägerin als Trennungsmanöver verstanden werden. Möglicherweise spielten auch eigene Schuldgefühle eine erhebliche Rolle, die letztlich von der Klägerin nicht aus eigener Kraft überwunden werden könnten.
Zu dem Verhandlungstermin vor der Kammer am 09.08.2018 ist ein aktueller Befundbericht des – vor allem die Tochter – behandelnden Neurologen/Psychiaters Dr. T. eingeholt worden, der auf den letzten Behandlungskontakt zur Klägerin am 19.12.2016 verwies. Frau L1 ist sodann in dem Verhandlungstermin als Sachverständige zu ihrem Gutachten gehört worden. Sie hat ergänzend ausgeführt, dass das Gutachten von Dr. S., welches für die Beklagte erstellt worden war, zwar zutreffend den psychopathologischen Befund widerspiegele, jedoch die symbiotische Beziehung der Klägerin zu ihrer Tochter nicht ausreichend im Schweregrad erfasse.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Prozessakte des Gerichts, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akten des Versorgungsamtes Hamburg, die vorgelegen haben und zum Gegenstand der Entscheidung gemacht worden sind.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin abgelehnt. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Leistung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Dies hat die Beweisaufnahme ergeben. Die Bescheide der Beklagten sind daher rechtswidrig und waren aufzuheben.
Rechtsgrundlage sind vorliegend die Vorschriften des am 1.1.1992 in Kraft getretenen Sechsten Sozialgesetzbuches – SGB VI – in der seit 1.1.2001 geltenden Fassung (§ 300 Abs. 1 SGB VI).
Nach § 43 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Nach Absatz 2 der Vorschrift haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist nach Absatz 3 hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Die Klägerin ist voll erwerbsgemindert. Die Kammer schließt sich in vollem Umfang dem vorliegenden medizinischen Gutachten sowie den Ausführungen der Sachverständigen im Verhandlungstermin an. Nach diesem Gutachten leidet die Klägerin an den Folgen einer permanenten psychosozialen Belastungssituation mit chronischem Erschöpfungssyndrom im Sinne eines burn-out, eines Analphabetismus mit psychischer Minderbelastbarkeit, einer Minderbegabung mit psychischer Minderbelastbarkeit, einer Migräne, einem Spannungskopfschmerz, einer Insomnie und Schmerzsyndrom der Wirbelsäule. Zwar ist das körperliche Leistungsvermögen noch nicht aus quantitativ eingeschränkt, jedoch ergibt sich diese Einschränkung aus den psychiatrischen Befunden.
Wie die Sachverständige überzeugend erläutert hat, ist die Klägerin durch die Problematik im Zusammenhang mit der erkrankten Tochter dergestalt eingeschränkt, dass kein Leistungsvermögen mehr besteht. Wie schon der für die Arbeitsagentur tätige Sachverständige Dr. H. erläutert hat, liegt hier eine symbiotische Beziehung der Klägerin zu ihrer Tochter vor, die krankheitswertig ist. Die Betreuung der Tochter ist, entgegen der Auffassung des für die Beklagte tätigen Gutachters hingegen kein organisatorisches Problem, welches durch Unterstützungsmaßnahmen zu lösen wäre. Die Klägerin ist nicht in der Lage, sich aus eigener Kraft hieraus zu lösen und bewertet – pathologisch – Hilfsangebote als Trennungsversuch. Dahinterstehende mögliche Schuldgefühle hat die Sachverständige überzeugend dargelegt. Die Klägerin nimmt sich selber nicht mehr wahr. Für die Kammer hat die Sachverständige erläutert, dass das Gutachten von Dr. S. diese besondere und pathologische Situation mit dem "plötzlich" schwerstbehinderten Kind unterschätzt hat. Für die Kammer sind die Ausführungen der Sachverständigen, auch nach dem Eindruck, den die Kammer in dem Verhandlungstermin von der Klägerin gewonnen hat, in vollem Umfang nachvollziehbar und entsprechen auch insbesondere den Feststellungen der für die Arbeitsagentur tätigen Sachverständigen. Gerade wegen der, möglicherweise mit Schuldgefühlen belasteten Situation, ist der Klägerin eine distanzierte Betrachtungsweise nicht möglich, insbesondere auch unter Berücksichtigung der intellektuellen Fähigkeiten. Aufgrund der Verschmelzung auch mit eventuellen Schuldgefühlen ist es der Klägerin gerade nicht möglich, durch Distanz ein eigenständiges Leben zu führen. Hilfe, dieses zu erlangen, kann die Klägerin zu Überzeugung aufgrund der krankheitswertigen Beziehung nicht annehmen. Derartige Angebote könnten zu einer Verstärkung der symbiotischen Beziehung führen; jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass diese allein zu einer Lösung führen.
Vor diesem Hintergrund ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Die Klägerin ist voll erwerbsgemindert und hat daher Anspruch auf die Leistung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Dieser Anspruch war jedoch zeitlich zu befristen. Nach § 102 Absatz 2 SGB VI werden u.a. Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Sie werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann (Satz 5 der Vorschrift). Die Sachverständige hat für die Kammer nachvollziehbar dargelegt, dass eine Besserungsaussicht nicht unwahrscheinlich ist. Die Rente war daher zu befristen.
Hingegen besteht ein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bereits aus rechtlichen Gründen nicht.
Nach § 240 SGB VI haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die 1. vor dem 2. Januar 1961 geboren und 2. berufsunfähig sind. Die Klägerin ist jedoch nach dem in der Vorschrift genannten Stichtag geboren, so dass ein diesbezüglicher Anspruch ausgeschlossen ist.
Aus alldem ergibt sich, dass die Klägerin voll erwerbsgemindert ist. Der Klage war daher stattzugeben. Die Quotelung der Kosten entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Tatbestand:
Die am xxxxx1962 in S1 geborene Klägerin lebt seit 1985 in Deutschland. Eine förmliche Ausbildung hat die Klägerin nicht absolviert und war als Reinigungskraft und Zimmermädchen beschäftigt. Die Klägerin hat einen Grad der Behinderung von 20.
Aufgrund einer Straftat ist die Tochter der Klägerin psychisch erheblich eingeschränkt. Die Tochter lebt bei der Klägerin und wird von ihr versorgt.
Am 12.05.2011 beantragte die Klägerin Rente bei der Beklagten und verwies auf Kopfschmerzen und psychische Belastungen bei der Pflege der Tochter.
Ein für die Arbeitsagentur am 14.03.2008 von Frau Dr. B. erstelltes Gutachten ergab eine psychische Minderbelastbarkeit aufgrund der familiären Situation und diverse Befindlichkeitsstörungen. Aus medizinischer Sicht sei die Klägerin in der Lage, täglich sechs Stunden und mehr eine leichte und gelegentlich mittelschwere Tätigkeit auszuüben. Allerdings sei ein psychiatrisches Gutachten erforderlich. In dem sodann von Herrn Dettmer erstellten psychologischen Gutachten stellte dieser keine ausreichende psychische Belastbarkeit der Klägerin für eine berufliche Tätigkeit fest.
Der Nervenarzt Dr. H. erstellte sodann am 21.10.2008 ein weiteres Gutachten für die Arbeitsagentur und konnte ein Leistungsvermögen ebenfalls nicht mehr festgestellt werden. Unter der Diagnose von Spannungskopfschmerzen und andauernden depressiven Reaktionen und einfach strukturierter Persönlichkeit ergab sich hieraus für die Dauer von etwa zwei Jahren kein Leistungsvermögen. Die Klägerin sei gedanklich so von der Sorge um die Tochter beherrscht, dass die Klägerin weder gedanklich noch aber emotional Raum habe für hiervon unabhängige Aktivitäten. Es handele sich nicht einfach um ein Organisationsproblem bei erhaltener Belastbarkeit, sondern um eine symbiotische Bindung mit Krankheitswert. In dieser Situation entwickele die Klägerin eine depressive Reaktion und funktionell verstärkte körperliche Störungen, die sie schwerpunktmäßig mit Analgetika behandele.
Auf den Rentenantrag der Klägerin hin erstellte der Neurologe/Psychiater Dr. S. am 31.07.2012 für die Beklagte ein fachärztliches Gutachten und stellte bei der Klägerin eine depressive Anpassungsstörung bei anhaltender häuslicher Belastungssituation, eine Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule bei Fehlstatik und wiederkehrende Kopfschmerzen fest und hielt die Klägerin grundsätzlich täglich sechs Stunden und mehr leistungsfähig für eine leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeit ohne besondere nervliche Belastung. Die Klägerin habe sich für die Betreuung der Tochter entschieden und sei einem Gespräch über Alternativen nicht zugänglich.
Die Beklagte lehnte sodann den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 15.08.2012 ab. Der Widerspruch der Klägerin vom 29.08.2012 blieb erfolglos und wurde nach Stellungnahmen der beratenden Ärzte Dr. F. und Frau G. mit Widerspruchsbescheid vom 02.03.2016 zurückgewiesen.
Mit ihrer Klage vom 14.03.2016 verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter. Sie verweist darauf, dass sie nicht mehr in der Lage ist, eine Erwerbstätigkeit auszuüben.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 15.08.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung; hilfsweiser teilweise Erwerbsminderung; hilfsweise teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu leisten.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und den Inhalt der Verwaltungsakten.
Zur Ermittlung des Sachverhaltes hat das Gericht Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt. So hat die Neurologin Frau Dr. N. auf eine zweimalige Synkope hingewiesen. Der Orthopäde Dr. V. hat auf Beeinträchtigungen seitens der Brust- und Lendenwirbelsäule hingewiesen. Der Hausarzt der Klägerin, Herr M. bzw. Herr L., hat verschiedene Krankenunterlagen vorgelegt. Eine rheumatologische Erkrankung war hiernach ausgeschlossen, jedoch eine latente Tbc diagnostiziert worden.
Auf Veranlassung des Gerichts hat sodann die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Frau L1 die Klägerin am 24.2.2017 untersucht und das Gutachten am 19.05.2017 für das Gericht erstellt.
Unter der Diagnose einer permanenten psychosozialen Belastungssituation mit chronischem Erschöpfungssyndrom im Sinne eines burn-out, eines Analphabetismus mit psychischer Minderbelastbarkeit, einer Minderbegabung mit psychischer Minderbelastbarkeit, einer Migräne, einem Spannungskopfschmerz, einer Insomnie und Schmerzsyndrom der Wirbelsäule hat die Sachverständige die Klägerin für nicht mehr in der Lage gehalten, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Die Einschränkung ergebe sich weniger aus den körperlichen Befunden, sondern vielmehr aus dem psychiatrischen Befund. Gründe für das aufgehobene Leistungsvermögen ergäben sich aus der symbiotischen Beziehung zur Tochter, die eingeschränkten intellektuellen Fähigkeiten, der Analphabetismus mit den damit verbundenen psychischen Problemen und die burn-out Symptomatik. Die symbiotische Beziehung habe Krankheitswert. Entlastungsangebote würden von der Klägerin als Trennungsmanöver verstanden werden. Möglicherweise spielten auch eigene Schuldgefühle eine erhebliche Rolle, die letztlich von der Klägerin nicht aus eigener Kraft überwunden werden könnten.
Zu dem Verhandlungstermin vor der Kammer am 09.08.2018 ist ein aktueller Befundbericht des – vor allem die Tochter – behandelnden Neurologen/Psychiaters Dr. T. eingeholt worden, der auf den letzten Behandlungskontakt zur Klägerin am 19.12.2016 verwies. Frau L1 ist sodann in dem Verhandlungstermin als Sachverständige zu ihrem Gutachten gehört worden. Sie hat ergänzend ausgeführt, dass das Gutachten von Dr. S., welches für die Beklagte erstellt worden war, zwar zutreffend den psychopathologischen Befund widerspiegele, jedoch die symbiotische Beziehung der Klägerin zu ihrer Tochter nicht ausreichend im Schweregrad erfasse.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Prozessakte des Gerichts, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akten des Versorgungsamtes Hamburg, die vorgelegen haben und zum Gegenstand der Entscheidung gemacht worden sind.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin abgelehnt. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Leistung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Dies hat die Beweisaufnahme ergeben. Die Bescheide der Beklagten sind daher rechtswidrig und waren aufzuheben.
Rechtsgrundlage sind vorliegend die Vorschriften des am 1.1.1992 in Kraft getretenen Sechsten Sozialgesetzbuches – SGB VI – in der seit 1.1.2001 geltenden Fassung (§ 300 Abs. 1 SGB VI).
Nach § 43 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Nach Absatz 2 der Vorschrift haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist nach Absatz 3 hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Die Klägerin ist voll erwerbsgemindert. Die Kammer schließt sich in vollem Umfang dem vorliegenden medizinischen Gutachten sowie den Ausführungen der Sachverständigen im Verhandlungstermin an. Nach diesem Gutachten leidet die Klägerin an den Folgen einer permanenten psychosozialen Belastungssituation mit chronischem Erschöpfungssyndrom im Sinne eines burn-out, eines Analphabetismus mit psychischer Minderbelastbarkeit, einer Minderbegabung mit psychischer Minderbelastbarkeit, einer Migräne, einem Spannungskopfschmerz, einer Insomnie und Schmerzsyndrom der Wirbelsäule. Zwar ist das körperliche Leistungsvermögen noch nicht aus quantitativ eingeschränkt, jedoch ergibt sich diese Einschränkung aus den psychiatrischen Befunden.
Wie die Sachverständige überzeugend erläutert hat, ist die Klägerin durch die Problematik im Zusammenhang mit der erkrankten Tochter dergestalt eingeschränkt, dass kein Leistungsvermögen mehr besteht. Wie schon der für die Arbeitsagentur tätige Sachverständige Dr. H. erläutert hat, liegt hier eine symbiotische Beziehung der Klägerin zu ihrer Tochter vor, die krankheitswertig ist. Die Betreuung der Tochter ist, entgegen der Auffassung des für die Beklagte tätigen Gutachters hingegen kein organisatorisches Problem, welches durch Unterstützungsmaßnahmen zu lösen wäre. Die Klägerin ist nicht in der Lage, sich aus eigener Kraft hieraus zu lösen und bewertet – pathologisch – Hilfsangebote als Trennungsversuch. Dahinterstehende mögliche Schuldgefühle hat die Sachverständige überzeugend dargelegt. Die Klägerin nimmt sich selber nicht mehr wahr. Für die Kammer hat die Sachverständige erläutert, dass das Gutachten von Dr. S. diese besondere und pathologische Situation mit dem "plötzlich" schwerstbehinderten Kind unterschätzt hat. Für die Kammer sind die Ausführungen der Sachverständigen, auch nach dem Eindruck, den die Kammer in dem Verhandlungstermin von der Klägerin gewonnen hat, in vollem Umfang nachvollziehbar und entsprechen auch insbesondere den Feststellungen der für die Arbeitsagentur tätigen Sachverständigen. Gerade wegen der, möglicherweise mit Schuldgefühlen belasteten Situation, ist der Klägerin eine distanzierte Betrachtungsweise nicht möglich, insbesondere auch unter Berücksichtigung der intellektuellen Fähigkeiten. Aufgrund der Verschmelzung auch mit eventuellen Schuldgefühlen ist es der Klägerin gerade nicht möglich, durch Distanz ein eigenständiges Leben zu führen. Hilfe, dieses zu erlangen, kann die Klägerin zu Überzeugung aufgrund der krankheitswertigen Beziehung nicht annehmen. Derartige Angebote könnten zu einer Verstärkung der symbiotischen Beziehung führen; jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass diese allein zu einer Lösung führen.
Vor diesem Hintergrund ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Die Klägerin ist voll erwerbsgemindert und hat daher Anspruch auf die Leistung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Dieser Anspruch war jedoch zeitlich zu befristen. Nach § 102 Absatz 2 SGB VI werden u.a. Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Sie werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann (Satz 5 der Vorschrift). Die Sachverständige hat für die Kammer nachvollziehbar dargelegt, dass eine Besserungsaussicht nicht unwahrscheinlich ist. Die Rente war daher zu befristen.
Hingegen besteht ein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bereits aus rechtlichen Gründen nicht.
Nach § 240 SGB VI haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die 1. vor dem 2. Januar 1961 geboren und 2. berufsunfähig sind. Die Klägerin ist jedoch nach dem in der Vorschrift genannten Stichtag geboren, so dass ein diesbezüglicher Anspruch ausgeschlossen ist.
Aus alldem ergibt sich, dass die Klägerin voll erwerbsgemindert ist. Der Klage war daher stattzugeben. Die Quotelung der Kosten entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
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