L 3 R 641/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 97 R 4503/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 R 641/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Mit Erlass eines – vorbehaltlosen - Rentenbescheides hat sich der die Aufhebung eines bestandskräftigen Vormerkungsbescheides ablehnende Überprüfungsbescheid nach § 44 Abs. 2 SGB X auf sonstige Weise gemäß § 39 Abs. 2 SGB X erledigt, so dass das Klagebegehren auf Feststellung weiterer rentenrechtlicher Zeiten nur noch gegen den Rentenbescheid weitergeführt werden kann.

2. Das übliche Ermittlungsverfahren bei einem Antrag auf ständige Ausreise aus der DDR einschließlich der Observierung und Vernehmung durch Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes begründet noch keine besondere Zwangslage im Sinne des § 3 BVFG.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juni 2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung der Eigenschaft der Klägerin als Flüchtling nach dem Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz - BVFG) und die entsprechende Berücksichtigung von Ersatzzeiten bei der Berechnung einer Erwerbsminderungsrente.

Die Klägerin ist 1968 in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) geboren. 1984 wurde sie mit der Lessing-Medaille ausgezeichnet. Im Juli 1986 schloss sie die Ausbildung zum Wirtschaftskaufmann mit der Spezialisierung Außenhandel mit der Note "gut" ab (vgl. Zeugnis vom 15. Juli 1986). Ausbildungsbetrieb war die F Handelsgesellschaft mbH. In der Folge war die Klägerin bis Juli 1987 bei diesem Unternehmen als Ex- und Importbearbeiterin tätig. Von Februar 1987 bis Juli 1989 besuchte sie die Abendschule und erwarb die Hochschulreife. Vom 10. Juli bis zum 10. Oktober 1989 arbeitete sie als Sekretärin im Verlag N Z. Bis 1987 war die Klägerin Mitglied der Gesellschaft für Sport und Technik (GST), der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische-Freundschaft (DSF). Ihren Wohnsitz in der DDR hatte die Klägerin zuletzt vom 13. September 1988 bis zum 18. September 1989 in der Astr. 9 in B-F und vom 19. September 1989 bis zum 11. Oktober 1989 in der W-P-Str. 99 (umbenannt 1994 in Tstr. 99) in B-M (vgl. Melderegisterauskunft vom 14. November 2011).

Die Klägerin stellte am 23. September 1988 gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann (laut Eheurkunde vom 29. August 1989: Heirat am 13. Juli 1987, Rechtskraft der Scheidung seit dem 25. Juli 1989) einen Antrag auf ständige Ausreise aus der DDR, welcher am 14. November 1988 abgelehnt wurde (Erstgespräch am 27. September 1988, Ablehnungsgespräch am 14. November 1988) Sie reiste nach ihren Angaben im September 1988 mit einer Gruppe von Freunden mit dem Zug nach Prag, um mit Unterstützung der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland (BRD) die Ausreise zu erzwingen. Dort legte man ihr nach ihren Angaben nahe, in die DDR zurückzukehren und erneut die Ausreise in die Bundesrepublik zu beantragen. Wohl im März 1989 stellte die Klägerin einen weiteren Ausreiseantrag bei den Behörden der DDR, den sie am 30. Mai 1989 zurücknahm. In diesem Zusammenhang wurde die Klägerin nach ihren Angaben im Mai 1989 zweifach - vermutlich durch Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) - verhört.

Am 11. Oktober 1989 verließ die Klägerin gemeinsam mit dem Zeugen S G die ehemalige DDR. Mit einer Jugendtouristikgruppe flogen sie nach Ungarn, lösten sich dort von der Gruppe und reisten über die Grenze nach Österreich und von dort in die Bundesrepublik (P) aus, wo sie im Erstaufnahmelager in W aufgenommen wurden. Dort gab sie am 14. Oktober 1989 im Aufnahmeformular als Gründe für das Verlassen der DDR an: "extreme Einschränkung meiner persönlichen Interessen – bzw. Entfaltungsmöglichkeiten durch staatliche Bevormundung, politische Situation in der DDR, - humanitäre Gründe.” Des Weiteren gab sie an, die DDR mit Genehmigung für eine Reise nach Ungarn verlassen zu haben und legte ihren am 09. November 1983 ausgestellten Personalausweis der DDR vor. Sodann verzog die Klägerin in das Aufnahmeland B.

Eine berufliche Tätigkeit übte die Klägerin seither nicht mehr aus. Ein Studium der Japanologie/ Betriebswirtschaftslehre vom 01. April 1990 bis zum 31. März 1995 schloss sie nach ihren Angaben aus gesundheitlichen Gründen nicht ab.

Im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens machte die Klägerin im Juni 2011 gegenüber der Beklagten geltend, dass sie aufgrund der Flucht aus der ehemaligen DDR im Sinne des BVFG als Flüchtling anzuerkennen sei, und begehrte die Berücksichtigung entsprechender Ersatzzeiten sowie Anschlusszeiten unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit (14. Oktober bis 26. November 1989) bzw. Arbeitslosigkeit (27. November 1989 bis 31. März 1990) in ihrem Versicherungsverlauf. Die Beklagte wandte sich sodann schriftlich zur Prüfung der Voraussetzungen der §§ 1 ff. BVFG an das Landesamt für Gesundheit und Soziales, welches den Vorgang zuständigkeitshalber an die Beigeladene abgab.

Die Beigeladene zog zunächst die Unterlagen der Bundesaufnahmestelle in Kopie bei. Auf ihre Nachfragen erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 08. November 2011, 31. Mai 2012 und 14. November 2012 zu den Umständen ihrer Flucht aus der DDR sinngemäß, dass sie einen Freundes- und Bekanntenkreis gehabt habe, der zum Teil aktiv in verschiedenen Widerstands- und oppositionellen Gruppen gearbeitet habe. Seit den ersten Verhaftungen in dieser Gruppe im Jahr 1985 sei sie selbst permanent von Staatsorganen observiert worden. Sie sei verhört worden und die Staatsorgane hätten nur noch einen hinreichenden Grund für ihre Inhaftierung gesucht. Sie habe die DDR ohne Visum mit einer Jugendtouristikgruppe über Ungarn verlassen. Dort sei sie nachts über die Grenzanlagen nach Österreich geflüchtet. Ihre Angaben im Oktober 1989 in der Aufnahmestelle seien vor allem von dem Wunsch geprägt gewesen, die in der DDR verbliebenen Angehörigen zu schützen, und seien daher nicht umfassend gewesen. Zudem sei sie damals in einer schlechten gesundheitlichen Verfassung gewesen und habe noch im Aufnahmelager einen nervlichen Zusammenbruch erlitten. Sie habe sich nach Ankunft in B aufgrund der Folgen der Flucht in nervenärztliche Behandlung begeben müssen und sei seitdem dauerhaft erkrankt. Zum Nachweis legte sie zwei Berichte der Volkspolizei, die sie bei ihrer Akteneinsicht beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) gefunden hatte, in Kopie vor. Dabei handelte es sich um ein Schreiben des Leiters des Volkspolizeireviers 51 vom 20. Oktober 1988 (BStU-Dok Nr. 47), wonach ein vollständiger Ermittlungsbericht über die Klägerin und ihren damaligen Gatten nicht abgegeben werden könne, da das Ehepaar erst seit dem 13. September 1988 hier wohnhaft sei. Vor dem Einzug sei die Wohnung von dem Ehepaar total renoviert worden, sogar Türen und Außenfenster gestrichen worden. Zum Haushalt gehöre ein kleiner Hund. Das Ehepaar sei sehr zurückhaltend, habe bisher keine Besucher empfangen. Keine der Vertrauenspersonen im Haus habe bisher mit ihnen gesprochen. Die Wohnung werde in einem ordentlichen und sauberen Zustand gehalten und sei mit modernem Mobiliar eingerichtet. Des Weiteren handelte es sich um das Schreiben des Volkspolizeireviers 51 vom 20. April 1989 (BStU-Dok Nr. 71), wonach weiterhin kein Bürger des Hauses Kontakt mit dem Ehepaar habe, der Hund abgeschafft worden sei, in den letzten Monaten keine Besucher registriert worden seien und die Observierung fortgesetzt werde.

Den zwischenzeitlich mit Schreiben vom 08. November 2011 gestellten Antrag der Klägerin auf strafrechtliche Rehabilitierung für den Grenzübertritt am 11. Oktober 1989 wies die zuständige Rehabilitierungskammer des Landgerichts B (LG) mit Beschluss vom 13. Mai 2013 - (551 Rh) 152 Js 88/12 Reha (976/11) - als unbegründet zurück. Nach dem Ergebnis der umfangreichen Ermittlungen unter anderem in den Beständen des BStU sowie im Archiv der Staatsanwaltschaft B habe es keine rehabilitierungsfähige strafrechtliche Entscheidung oder Maßnahme gegen die Klägerin gegeben. Gerade wegen des Datums der Ausreise (11. Oktober 1989) liege es nahe, dass keine strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen eingeleitet worden seien. Im Spätsommer 1989 seien insbesondere über Ungarn tausende DDR-Bürger in die Bundesrepublik ausgereist. Am 11. September 1989 habe Ungarn seine Grenzen nach Österreich geöffnet. Danach seien mehr als 10.000 Bürger der DDR auf diesem Weg geflohen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin hat das Kammergericht B mit Beschluss vom 05. Juli 2013 - (2 Ws 325/13 REHA) - als unzulässig verworfen.

Zwischenzeitlich hatte die Beklagte mit Vormerkungsbescheid vom 25. Juli 2012 nach § 149 Abs. 5 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) die in dem beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten bis zum 31. Dezember 2005 festgestellt, ohne dass hierbei Ersatzzeiten vorgemerkt wurden.

Nach Beiziehung der Verfahrensakten des LG B - (551 Rh) 152 Js 88/12 Reha (976/11) - teilte die Beigeladene mit Schreiben vom 02. März 2015 der Beklagten mit, dass die Klägerin die Flüchtlings- bzw. Vertriebeneneigenschaft nach dem BVFG nicht besitze. In der dem Bescheid zugrundeliegenden Verfügung wird dargelegt, die Klägerin habe die DDR anlässlich einer genehmigten Reise nach Ungarn am 11. Oktober 1989 verlassen. Sie habe angegeben, in keiner Weise mit Organen der Staatsicherheit der DDR in Verbindung gekommen zu sein. Ihre jetzigen Angaben würden erheblich von denen nach der Ausreise abweichen. Es sei lediglich eine Observierung der Klägerin und ihres damaligen Gatten belegt, aber keine darüber hinaus gehenden staatlichen Maßnahmen. Es sei auch widersprüchlich, dass die Klägerin angebe, seit Jahren durch umfangreiche private Kontakte zu Widerstandsgruppen und oppositionellen Gruppen im Fokus der staatlichen Organe der DDR gestanden zu haben, dann aber durch das Verschweigen dieser Kontakte gegenüber Behörden der Bundesrepublik die Familienangehörigen habe schützen zu wollen. Der Tatbestand des § 3 BVFG sei nicht erfüllt. Die Klägerin habe lediglich die für alle DDR-Bürger geltenden Lebensbedingungen und keine darüber hinaus gehende Bedrückung durch staatliche Organe der DDR erfahren. Für die erst im November 2011 vorgetragenen Fluchtgründe fehle jeder Nachweis.

Am 31. März 2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung wegen ihrer seit der Flucht aus der DDR bestehenden gesundheitlichen (psychischen) Probleme.

Zudem beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 14. April 2015 sinngemäß die Überprüfung des Vormerkungsbescheides vom 25. Juli 2012. Sie sei Flüchtling im Sinne des BVFG und folglich seien die entsprechenden rentenrechtlichen Zeiten anzuerkennen. Mit Bescheid vom 24. April 2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Beigeladene habe auf Nachfrage (Auskunft vom 20. April 2015) weiterhin die Auffassung vertreten, dass die Flucht aus der ehemaligen DDR allein die Eigenschaft als Flüchtling nach § 1 ff. BVFG nicht begründen könne. Eine besondere Zwangslage, die darüber hinaus erforderlich sei, habe die Klägerin aber nicht glaubhaft gemacht.

Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 01. Mai 2015 Widerspruch ein. Sie sei, wie sich aus den vorbezeichneten Ermittlungsberichten der Volkspolizei vom 20. Oktober 1988 und 20. April 1989 ergebe, observiert worden. Den Berichten lasse sich zudem entnehmen, dass ihre Wohnung in ihrer Abwesenheit von Mitarbeitern des MfS ohne Erlaubnis betreten worden sei. Es sei zudem zu beachten, dass sie sich mit der Flucht nach den einschlägigen strafrechtlichen Vorschriften der DDR strafbar gemacht habe. Die politische Verfolgung in der DDR sowie die Flucht hätten eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) bei ihr verursacht. Nach Auskunft des BStU in der beigefügten E-Mail vom 23. April 2015 seien zudem Vorgänge aus den Jahren 1988/1989 – sofern sie sich noch in laufender Bearbeitung befanden - massiven Vernichtungsaktionen des Staatssicherheitsdienstes ausgesetzt gewesen. Die Beklagte wies den Widerspruch nach erneuter schriftlicher Anhörung der Beigeladenen (vgl. Auskunft vom 18. Mai 2015) mit Widerspruchsbescheid vom 11. August 2015 als unbegründet zurück.

Mit der am 09. September 2015 vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens im Verwaltungsverfahren weiterverfolgt. Sie habe sich in der ehemaligen DDR in einer Zwangslage befunden. Bereits seit ihrem 15. Lebensjahr habe sie unter staatlichen Repressionen gelitten, weil sie sich nonkonform und damit politisch kritisch verhalten habe. So habe sie Partei- und Gemeinschaftsveranstaltungen gemieden und sich hierzu kritisch verhalten. Das MfS habe schon seit 1985 ihre Briefe überprüft. Aufgrund ihrer Fluchtabsicht habe ihr die Inhaftierung gedroht. Seit dem ersten Ausreiseantrag sei sie durchgehend durch Mitarbeiter des MfS observiert worden. Sie gehe davon aus, dass ihre Wohnung abgehört worden sei. Aufgrund dieser staatlichen Maßnahmen habe sie ihr Privatleben umstellen müssen, was ebenfalls eine Zwangssituation belege. Ein Visum für die Reise nach Ungarn habe sie nicht gehabt.

Die Klägerin hat zum Nachweis eidesstattliche Erklärungen des Zeugen S G vom 07. November 2015 sowie der Zeugin S H vom 09. Dezember 2015 zur Akte gereicht, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

Der 1970 geborene Zeuge G hat hierin angegeben, die Klägerin im Januar 1989 kenngelernt zu haben. Sie hätten sich dann verliebt und die Klägerin habe ihm ihren Wunsch, mit ihm aus der DDR zu fliehen, anvertraut. Sie habe unter starkem Druck gestanden, im Hinblick auf das Schicksal von Freunden und Bekannten Angst vor einer Inhaftierung gehabt und über ihre Überwachung durch den MfS berichtet. Sie sei sich sicher gewesen, dass sich die Staatssicherheit Zugang zur ihrer Wohnung verschafft habe. Die Vorstellung, ihre Familie zurückzulassen, habe sie sehr belastet. Er habe eine Flucht zunächst abgelehnt. Nach dem er zufällig während eines Telefonats Zeuge geworden sei, wie ein Spitzel seinem Führungsoffizier über eine observierte Person berichtet habe, und er dann auch noch seine Einberufung zur Armee erhalten habe, habe er nicht mehr in diesem Staat leben wollen und sich auch zur Flucht entschlossen.

Die 1969 geborene Zeugin H hat angegeben, sich 1988 mit der Klägerin angefreundet zu haben. Im Herbst 1988 hätten sie mit einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter den Versuch unternommen, durch ein Hilfeersuchen in der bundesdeutschen Botschaft in Prag ihre Ausreise voranzutreiben. Kurz vor der Grenze zur ehemaligen CSSR habe im Zug im barschen Ton eine Kontrolle der Ausweispapiere stattgefunden und sie seien nach dem Grund ihrer Reise befragt worden. Einer aus der Gruppe sei ohne Angabe eines Grundes gezwungen worden, mit den bewaffneten Grenzsoldaten den Zug zu verlassen. Solchen beängstigenden Formen der staatlichen Willkür seien sie nicht das erste Mal ausgesetzt gewesen. In Prag hätten ihnen die Botschaftsmitarbeiter nahe gelegt, zuhause Ausreiseanträge zu stellen. Danach habe für die Klägerin die Observierung ihrer Wohnung in der Astr. 9 in B-F begonnen. Im Februar 1989 seien sie einmal zu Erledigungen aus der Wohnung aufgebrochen und bei der Rückkehr sei die Klägerin völlig durcheinander gewesen, weil sie überzeugt gewesen sei, dass zwischenzeitlich jemand anderes als ihr Ehemann in der Wohnung gewesen sei. Die Klägerin habe ihr berichtet, dass dies in letzter Zeit schon mehrmals vorgekommen sei. Die Klägerin habe gedacht, dass es Mitarbeiter des MfS gewesen seien, die herumschnüffelten oder sie einschüchtern wollten. Sie selbst habe sich dies nicht vorstellen können und gedacht, ob dies eher Einbildung oder Verfolgungswahn sei. Aber nachdem sie 26 Jahre später von dem Protokoll des MfS über die Wohnung in den Unterlagen des BStU erfahren habe, habe sie sich wegen ihrer Zweifel beschämt gefühlt.

Mit Rentenbescheid vom 24. September 2015 hat die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung beginnend am 01. Oktober 2015 und befristet bis zum 30. September 2016 gewährt. Die Rentenhöhe hat die Beklagte aus 4,1291 persönlichen Entgeltpunkten (EP) mit einem Zahlbetrag von monatlich 107,58 EUR ermittelt. Bei der Rentenberechnung ist keine Ersatzzeit berücksichtigt worden, jedoch Anrechnungszeiten wegen Krankheit vom 01. bis zum 26. November 1989, wegen Arbeitslosigkeit vom 27. November 1989 bis zum 31. März 1990 sowie wegen Hochschulausbildung vom 01. April 1990 bis zum 31. März 1995. Mit Rentenbescheid vom 13. Juli 2016 ist sodann die Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet bis zum 30. September 2018 weitergewährt worden. Das SG hat mit Beschluss vom 19. Oktober 2016 das Bundesveraltungsamt zum Verfahren beigeladen.

Die Beigeladene hat mit Schreiben vom 20. Februar 2017 und 04. Mai 2017 ausführlich Stellung genommen und auf diverse Widersprüche im Vortrag der Klägerin hingewiesen. Auch sei die 1984 erhaltene Lessing-Medaille eine ministerielle Auszeichnung gewesen, mit welcher in der DDR der Abschluss der Polytechnischen Oberschule (POS) bzw. der 12. Klasse der erweiterten Oberschule "mit Auszeichnung bestanden" gewürdigt worden sei, wenn der Kandidat zusätzlich eine gewisses gesellschaftliches Engagement bzw. eine parteiliche Haltung gezeigt habe. Die Mitgliedschaft in der GST bis 1987 spreche eher für eine Identifikation mit dem System als für den behaupteten Non-Konformismus. Zudem ergebe sich allein aus der nach Ausreiseanträgen in der ehemaligen DDR gängigen Observierung, Anforderung von Stellungnahmen und Anlegen von Vorgängen noch keine besondere Zwangslage im Sinne des BVFG. Im Übrigen seien die die Klägerin betreffenden Unterlagen des MfS aus den Jahren 1988/1989 offensichtlich nicht vernichtet worden, sonst hätten die Berichte der Volkspolizei aus 1988 und 1989 gar nicht vorgelegt werden können.

Das SG hat in der mündlichen Verhandlung am 30. Juni 2017 Frau S H und Herrn S G jeweils als Zeugen vernommen und die Klägerin persönlich angehört; hinsichtlich der Einzelheiten wird jeweils auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift verwiesen. Die Beklagte hat eine Probeberechnung vom 23. Juni 2017 vorgelegt, wonach sich bei Berücksichtigung einer Ersatzzeit vom 11. Oktober 1989 bis zum 31. Dezember 1991 4,4759 EP und damit ein Rentenzahlbetrag von 116,32 EUR ab dem 01. Oktober 2015 ergäbe. Die Klägerin hat beantragt, unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 24. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2015 die Beklagte zu verpflichten, ihr unter Abänderung des Bescheides vom 25. Juli 2012 in der Fassung des Rentenbescheides vom 24. September 2015 höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung einer Ersatzzeit gem. § 250 Abs. 1 Ziff. 6 SGB VI als Vertriebene gem. § 3 BVFG vom 11. Oktober 1989 bis zum 31. Dezember 1991 zu gewähren.

Das SG hat mit Urteil vom 30. Juni 2017, der Klägerin zugestellt am 12. Juli 2017, die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Rentenbewilligungsbescheid der Beklagten vom 24. September 2015 sei nach § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Rechtsstreits geworden. Dieser habe die streitbefangenen Feststellungen von Tatbeständen rentenrechtlicher Zeiten im Vormerkungsbescheid vom 25. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2015 während des laufenden Klageverfahrens im Sinne von § 96 Abs. 1 SGG ersetzt (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 14. Dezember 2011 – B 5 R 36/11 R –, juris). Die Klage sei jedoch nicht begründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung einer Ersatzzeit gem. § 250 Abs.1 Ziff. 6 SGB VI vom 11. Oktober 1989 bis zum 31. Dezember 1991 habe. Ersatzzeiten seien danach Zeiten vor dem 01. Januar 1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden habe und Versicherte nach vollendetem 14. Lebensjahr unter anderem vertrieben, umgesiedelt oder ausgesiedelt worden oder auf der Flucht oder im Anschluss an solche Zeiten wegen Krankheit arbeitsunfähig oder unverschuldet arbeitslos gewesen seien, mindestens aber die Zeit vom 01. Januar 1945 bis zum 31. Dezember 1946, wenn sie zum Personenkreis der §§ 1 bis 4 des BVFG gehörten (§ 250 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI). Die Klägerin sei jedoch nicht DDR-Flüchtling im Sinne des § 3 BVFG. Nach § 3 Abs. 1 BVFG sei dies ein deutscher Staatsangehöriger, der seinen Wohnsitz in der ehemaligen DDR vor dem 01. Juli 1990 verlassen habe nur dann, wenn er geflüchtet sei, um sich einer von ihm nicht zu vertretenden und durch die politischen Verhältnisse bedingten besonderen Zwangslage zu entziehen. Erforderlich sei das Verlassen des bisherigen Wohnsitzes in der DDR in der Absicht, sich durch den Aufenthaltswechsel aus dem Bereich einer drohenden Gefahr oder sonstiger Bedrängnisse, die eine besondere Zwangslage zur Folge hatten, zu begeben. Den Begriff der "besonderen Zwangslage" habe der Gesetzgeber beispielhaft erläutert. Dazu zählten unmittelbare Gefahr für Leib und Leben oder die persönliche Freiheit, ein schwerer Gewissenskonflikt und eine Zerstörung oder Beeinträchtigung der Existenzgrundlage (§ 3 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 BVFG). Die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft sei im sozialgerichtlichen Klageverfahren gegen den Rentenversicherungsträger auf Feststellung von Versicherungszeiten zu prüfen (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 2006 - B 5 RJ 54/04 R -, juris). Die Kammer sei überzeugt, dass eine besondere persönliche Zwangslage im Fall der Klägerin nicht fluchtauslösend gewesen sei. Dies beurteile sich danach, ob sie sich aus politischen Gründen im Vergleich zu anderen Bewohnern der ehemaligen DDR in einer individuellen Situation befunden habe, die sich von der Situation anderer Bewohner unterschieden habe (besondere individuelle Zwangslage). Eine besondere Zwangslage i.S.d. § 3 Abs. 1 BVFG liege hier aber nicht vor, da sich die persönliche Situation der Klägerin nicht von der unterschieden habe, die den Durchschnittsbürger in der früheren DDR betroffen habe. Gegen eine auf den politischen Verhältnissen der DDR beruhende Zwangslage spreche zunächst, dass die Klägerin, wie sie in der mündlichen Verhandlung ausführlich geschildert habe, sich bis zum Verlassen der DDR mit Ausnahme der gestellten Ausreiseanträge objektiv ausgesprochen systemkonform verhalten habe. Im Jahre 1984 sei sie mit der Lessing-Medaille ausgezeichnet worden. Diese sei als offizielle ministerielle Auszeichnung in der DDR anlässlich der Abschlussprüfung an Schulen für ausgezeichnete Leistungen und sehr gute gesellschaftliche und außerunterrichtliche Arbeit verliehen worden (Verordnung über die Sicherung einer festen Ordnung an den allgemeinbildenden Schulen vom 20. Oktober 1967; GbI. DDR Il Nr. 111 S. 769). Wenige Monate vor der Flucht habe sie noch die Hochschulreife erlangt. Die Klägerin sei Mitglied der GST, der FDJ und der DSF gewesen. Ihre kaufmännische Berufsausbildung habe sie mit Erfolg in einem Außenhandelsbetrieb absolviert und dabei auch in Fächern wie Politische Ökonomie und Politisch-Ökonomische Geographie gute Noten erreicht. Dass die Klägerin, wie sie glaubhaft angegeben habe, nicht aus innerer politischer Überzeugung gehandelt habe, sondern darauf bedacht gewesen sei, nicht in Konflikte mit den staatlichen Institutionen der DDR zu geraten, und Angst vor Repressionen und beruflichen Nachteilen gehabt habe, ändere daran nichts. Die Klägerin sei in keiner oppositionellen Gruppe aktiv gewesen. Mit Freunden, die dies vermeintlich gewesen seien, habe sie sich nach eigenen Angaben bewusst nicht über deren politische Überzeugungen und Aktivitäten ausgetauscht. Insoweit sei die Klägerin lediglich den inneren Bedrängnissen ausgesetzt gewesen, denen jeder DDR-Bürger ausgesetzt gewesen sei, der subjektiv gegenüber dem SED-Regime kritisch eingestellt gewesen sei, ohne dies nach außen zu bekunden. Auch die von der Klägerin im September 1988 sowie im Mai 1989 gestellten Ausreiseanträge hätten zur Überzeugung der Kammer nicht zu einer besonderen Zwangslage im Sinne des § 3 BVFG geführt. Dass die Klägerin mehrfach in diesem Zusammenhang verhört worden sei, wobei unterstellt werden könne, dass es sich bei den ihr unbekannten Vernehmungspersonen um Mitarbeiter des MfS gehandelt habe, sei, wenn auch für die Klägerin verständlicherweise belastend und angstauslösend, das übliche Verfahren der DDR-Behörden bei Ausreisanträgen gewesen, und habe unter anderem dazu gedient, die Antragsteller zur Rücknahme und zum Verbleib in der DDR zu motivieren. Die Zeugin H habe diese gängige Vernehmungspraxis in der mündlichen Verhandlung auch aus ihrer persönlichen Erfahrung beschrieben. Insoweit werde auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Zwar sei die Klägerin, wie sich aus den vorliegenden beiden Ermittlungsberichten ergebe, in der Folge der Ausreiseanträge durch die Volkspolizei observiert worden. Allerdings sei auch dies nicht über die standardisierte Überwachung von DDR-Bürgern unter vergleichbaren Umständen hinausgegangen. Die beiden vorliegenden Berichte beinhalteten lediglich ganz allgemeine Informationen, die durch schlichte Befragung von Mitbewohnern des Mietshauses, in dem die Klägerin und ihr früherer Gatte gelebt hatten, erlangt werden konnten. Die Klägerin sei zurückhaltend gewesen und habe nicht an der Hausversammlung teilgenommen. Sie halte einen Hund. Anhaltspunkte für eine systematische und umfassende Observierung der Klägerin in größerem Umfang ergäben sich daraus nach Auffassung des Gerichts gerade nicht. Überdies lägen keine Nachweise oder objektive Anhaltspunkte dafür vor, dass die Wohnung der Klägerin tatsächlich durch Mitarbeiter der DDR-Behörden in Abwesenheit der Klägerin unerlaubt betreten worden sei. Die Zeugen Herr G und Frau H hätten insoweit keine eigenen Wahrnehmungen gemacht und lediglich angegeben, dass die Klägerin die Vermutung geäußert habe, dass jemand ohne ihre Zustimmung in ihrer Wohnung gewesen sei. Die Angaben in den Berichten des Volkspolizeireviers 51 seien insoweit auch nicht ergiebig. Die allgemeinen Feststellungen, dass sich die Wohnung in einem guten baulichen Zustand befinde, in einem ordentlichen Zustand gehalten werde und mit modernem Mobiliar eingerichtet sei, belegten ein Betreten der Wohnung nicht, denn diese Beobachtungen könnten auch aus dem Flur des Hauses durch die geöffnete Wohnungstür gemacht worden sein oder beispielsweise anlässlich des Einzugs in die Wohnung. Schließlich lägen keine Nachweise oder konkreten objektiven Anhaltspunkte dafür vor, dass der Klägerin tatsächlich eine Inhaftierung gedroht und ihre Flucht aus der DDR dazu gedient habe, sich der bevorstehenden Verhaftung zu entziehen. Zwar gebe die Klägerin an, vor ihrer Flucht stets in der Angst vor politisch bedingter Haft gelebt zuhaben. Da die Klägerin aber, wie auch beide Zeugen bestätigten, stets mit besonderer Vorsicht darauf bedacht gewesen sei, sich nicht politisch zu äußern, sich möglichst angepasst zu verhalten und Konflikte mit Hoheitsträgern in besonderer Weise vermieden habe, sei eine sich daraus ergebende Zwangslage für das Gericht nicht nachvollziehbar. Die Klägerin habe insoweit als Tatsachengrundlage auch lediglich angegeben, dass ihre damalige Schwiegermutter durch einen unbenannten Dritten informiert worden sei, dass die Klägerin und ihr früherer Gatte sich nach dem Ausreiseantrag besonders vorsichtig verhalten sollten, da sie nunmehr im Fokus der staatlichen Organe stünden. Ermittlungs- oder Strafverfahren oder sonstige gegen die Klägerin gerichtete Maßnahmen habe das strafrechtliche Rehabilitierungsverfahren (551 Rh) 152 Js 88/12 Reha (976/11) beim LG B indessen nicht ergeben. Schließlich spreche der Zeitpunkt der Flucht am 11. Oktober 1989 gegen eine besondere Zwangslage im Sinne des § 3 BVFG. Es sei aus Sicht der Kammer nicht unerheblich, dass die Klägerin die ehemalige DDR verlassen habe, nachdem im September 1989 bereits die Grenze von Ungarn und Österreich geöffnet gewesen sei und eine große Zahl von DDR-Bürgern auf diesem Weg in die Bundesrepublik ausgereist waren. Zwar sei der Vortrag der Klägerin durchaus plausibel, dass sie bei ihrer Flucht nicht absehen konnte, dass wenige Wochen später auch die innerdeutsche Grenze geöffnet werden würde. Gleichwohl seien die politischen Verhältnisse in der DDR bereits aufgrund der Massenflucht und der zunehmend auch in der Öffentlichkeit sichtbaren Abwendung vom politischen System der DDR, beispielsweise durch die sogenannten Montagsdemonstrationen oder die Arbeit von Bürgerbewegungen wie des Neuen Forums, zumindest für die Bevölkerung erkennbar erodiert gewesen. Dies spreche aus Sicht der Kammer eher gegen eine politisch motivierte Flucht der Klägerin als dafür. Vor diesem Hintergrund komme es aus Sicht der Kammer auch nicht entscheidend darauf an, ob der Klägerin vor ihrer Ausreise über Ungarn ein Visum für diese Reise erteilt worden war.

Hiergegen richtet sich die Klägerin mit ihrer am 07. August 2017 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) eingelegten Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft. Das SG gehe fehlerhaft davon aus, dass es sich bei ihr bzw. Bürgern der DDR, die Ausreiseanträge stellten, um "Durchschnittsbürger" der DDR handele. Ein Ausreiseantrag sei gemessen an der Gesamtbevölkerungszahl der DDR eher die Ausnahme gewesen als die Regel. Anträge auf Ausreise vor dem Rentenalter hätten negative Folgen für die Antragsteller gehabt, die bis zum Verlust der Arbeitsstelle und Verhinderung von Bildungschancen geführt hätten. Auch hätte man beim MfS intern als feindlich-negative-Person eingestuft werden können. Anhand der Zeugenaussagen und der vorgelegten Nachweise sei erwiesen, dass sie observiert worden sei und Sicherheitskräfte ohne ihre Zustimmung die Wohnung betreten hätten. Die Berichte der Kriminalpolizei (BStU-Dok. Nrn. 47 und 71) zeigten, dass sehr wohl umfangreiche strafrechtliche Ermittlungen gegen sie geführt worden seien, die politisch motiviert und daher grob rechtsstaatswidrig gewesen seien. Da in ihrem Freundeskreis mehrere Personen, die flüchten wollten, inhaftiert worden seien, habe sie sich nur "objektiv systemkonform" verhalten können, um der Gefahr einer sofortigen Verhaftung zu entgehen. Sie habe sich wegen des ständigen Gewissenskonfliktes, sich nicht frei äußern zu können und einer ständigen Bevormundung zu unterliegen, zur Ausreise entschieden. Die Zwangslage habe bereits vor Stellung des Ausreiseantrages bestanden und sich danach verstärkt. Es könne ihr nicht vorgehalten werden, dass sie die ehemalige DDR kurz vor dem Mauerfall bzw. kurz nach Öffnung der Grenze zwischen Ungarn und Österreich verlassen habe. Die Reisevorbereitungen seien bereits im Sommer getroffen worden. Weder sie noch jemand anderes habe voraussehen können, dass sich die politische Lage derart ändern werde. Nach der damaligen Rechtslage sei es Republikflucht gewesen. Damals habe niemand absehen können, ob ein nachhaltiger Öffnungsprozess oder ein repressiver Konservierungsprozess folgen würde. Die Vorsitzende der Kammer habe ihre subjektive – retrospektive – Wahrnehmung über ihre – der Klägerin - Wahrnehmung der Lage in der damaligen Zeit gestellt. Die Sozialgerichte seien auch nicht an die Entscheidungen der Beigeladenen oder der Rehabilitierungskammer beim Landgericht gebunden.

Die Klägerin beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juni 2017 aufzuheben und den Rentenbescheid vom 24. September 2015 abzuändern sowie die Beklagte zu verpflichten, den Wert der Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung einer Ersatzzeit gemäß § 250 Abs. 1 Ziff. 6 SGB VI als Vertriebene gemäß § 3 BVFG vom 11. Oktober 1989 bis zum 31. Dezember 1991 festzustellen und ihr entsprechend höhere Beträge ab dem 01. Oktober 2015 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Sie hat mit Schreiben vom 23. Juli 2020 mitgeteilt, dass die bisher jeweils nur befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung nunmehr als Dauerrente weitergewährt werde.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung ebenfalls für zutreffend und verweist zudem auf die Motive des Gesetzgebers zu § 3 BVFG, wonach vorausgesetzt werde, dass die Bevölkerung der DDR die mit der in einem totalitären Staat einhergehenden Opfer und Einschränkungen aufgrund der allgemeinen Bedrängnis in Kauf nehme und am bisherigen Wohnsitz ausharre. Wer seinen Wohnsitz ohne besondere Zwangslage, d.h. ohne Glaubhaftmachung einer überdurchschnittlichen Bedrängnis in den Geltungsbereich des BVFG verlege, sei daran nicht gehindert, jedoch sei dies nicht zugleich mit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verbunden. Soweit sich die Klägerin nunmehr darauf stütze, dass gegen sie Ermittlungen erfolgt seien, werde darauf hingewiesen, dass die Klägerin hiervon erst nach erfolgter Akteneinsicht beim BStU Kenntnis erlangt habe.

Der Senat hat eine Auskunft des BStU vom 23. März 2018 eingeholt. Dieser waren eine Kopie der Erfassung für die Kreisdienststelle (KD) B-F KK (KK steht für die bis 1980 geführte Kerblochkartei, "KK" wurde jedoch als Begriff weiterbenutzt bei der Erfassung von Personen), wonach die Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Übersiedlungsantrag im November 1988 erfasst worden ist, sowie die 80 Blatt umfassenden Unterlagen der Zentralen Materialablage (ZMA) der BV Berlin KD F 197 (alte Signatur: BV Berlin, KD F ZMA 7903) in Kopie (BStU-Dok Nrn. 1 - 80) beigefügt.

Die Beteiligten haben sich zuletzt mit Schriftsätzen 09. November 2020 (Beigeladene) sowie vom 10. November 2020 (Klägerin und Beklagte) mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst Beiheft sowie der jeweils beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen verwiesen, die in der mündlichen Verhandlung vorliegen werden.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 09. und 10. November 2020 ihr Einverständnis hiermit erklärt hatten.

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet. Das SG Berlin hat in zutreffender Weise mit Urteil vom 30. Juni 2017 die Klagen abgewiesen.

Soweit die Klägerin ihr Begehren erstinstanzlich zunächst in zutreffender Weise im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs. 1 SGG), gerichtet auf die Aufhebung des ablehnenden Überprüfungsbescheides vom 24. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2015 und die Verpflichtung der Beklagten, für sie unter Änderung des Vormerkungsbescheides vom 25. Juli 2012 eine Ersatzzeit wegen Flucht vorzumerken, verfolgt hat, konnte sie dieses Begehren nach Erlass des Rentenbescheides vom 24. September 2015 in zulässiger Weise nur als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG), gerichtet auf die Änderung des Rentenbescheides vom 24. September 2015 und die Verpflichtung der Beklagten, den Wert der Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung einer Ersatzzeit gemäß § 250 Abs. 1 Ziff. 6 SGB VI als Vertriebene gemäß § 3 BVFG vom 11. Oktober 1989 bis zum 31. Dezember 1991 festzustellen und ihr entsprechend höhere Beträge ab dem 01. Oktober 2015 zu gewähren, weiterverfolgen.

Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass es sich bei dem Bescheid vom 24. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2015 um einen ablehnenden Bescheid im Sinne von § 44 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bezogen auf den nach § 149 Abs. 5 SGB VI erlassenen Vormerkungsbescheid vom 25. Juli 2012 handelte.

Hat der Versicherungsträger das Versicherungskonto geklärt oder hat der Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten nach Versendung des Versicherungsverlaufs seinem Inhalt nicht widersprochen, stellt der Versicherungsträger die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest (§ 149 Abs. 5 Satz 1 SGB VI). Über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten wird erst bei der Feststellung einer Leistung entschieden (§ 149 Abs. 5 Satz 3 SGB VI). Der Vormerkungsbescheid ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Er trifft auf der Grundlage des bei seinem Erlass geltenden Rechts Feststellungen über Tatbestände einer rentenversicherungsrechtlich relevanten Vorleistung, die grundsätzlich in den späteren Rentenbescheid und damit in den Rentenwert eingehen. Es werden also unter anderem rechtserhebliche Tatbestände von beitragsfreien Zeiten für die jeweiligen Bezugsmonate verbindlich festgestellt mit der Folge, dass diese Zeiten als sogenannte beitragsfreie Zeiten im Leistungsfall grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Sind allerdings derartige Zeiten durch Verwaltungsakte verbindlich abgelehnt worden, so sind diese Negativentscheidungen ebenfalls bindend mit der Folge, dass diese Zeiten bei Eintritt des Leistungsfalls bei der Rentenwertfestsetzung nicht zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, Urteil vom 30. März 2004 – B 4 RA 36/02 R –, Rn. 16, juris). Soweit die Beklagte im Vormerkungsbescheid vom 25. Juli 2012 für den hier streitigen Zeitraum vom 11. Oktober 1989 bis zum 31. Dezember 1991 Feststellungen (14.10.89 – 26.11.89 Krank-/Gesundheitsmaßnahme ohne Beitrags-zahlung, 27.11.89 – 31.12.89 und 01.01.90 – 31.03.90 Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug sowie 01.04.90 – 31.03.93 Hochschulausbildung) getroffen hatte, handelte es sich um Regelungen über Rechtscharakter und zeitlichen Umfang der rentenrechtlichen Vorleistung "Krank-/Gesundheitsmaßnahme", "Arbeitslosigkeit" und "Hochschulausbildung" i. S. v. § 31 SGB X, d. h. um Verwaltungsakte, die zunächst für die Beteiligten bindend geworden waren (§ 77 SGG). Eine hiervon abweichende Regelung über Rechtscharakter und zeitlichen Umfang dahingehend, dass die Zeit vom 11. Oktober 1989 bis zum 31. Dezember 1991 als Ersatzzeit ( § 250 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI) im Versicherungsverlauf festgestellt wird, konnte die Klägerin nur im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 Abs. 2 SGB X erreichen.

Nach § 44 Abs. 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass der Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Im Übrigen ist ein rechtswidriger, nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen (§ 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Eine, den Vormerkungsbescheid vom 25. Juli 2012 überprüfende Entscheidung im Sinne von § 44 Abs. 2 SGB X hat die Beklagte mit dem hier zunächst angefochtenen Bescheid vom 24. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2015 (§ 95 SGG) getroffen, in dem sie die Aufnahme eines Ersatztatbestandes für die Zeit ab dem 11. Oktober 1989 abgelehnt hatte.

Mit Erlass des Rentenbescheides vom 24. September 2015 hatte sich nicht nur der Vormerkungsbescheid vom 25. Juli 2012 sondern auch der dessen Abänderung sowie die Feststellung von Ersatzzeiten wegen Flucht ablehnende Bescheid vom 24. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2015 gemäß § 39 Abs. 2 SGB X auf "andere Weise" erledigt. Der Rentenbescheid vom 24. September 2015 ist ohne jeglichen Vorbehalt bezüglich des laufenden Streitverfahrens auf Vormerkung rentenrechtlicher Tatbestände in Form einer Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI erlassen worden. Er hat die im Vormerkungsbescheid vom 25. Juli 2012 getroffenen Feststellungen von Tatbeständen rentenrechtlicher Zeiten übernommen und diese ausweislich des darin enthaltenen Versicherungsverlaufs – 1 zu 1 - der Rentenwertfestsetzung zugrunde gelegt. Sofern der Rentenbescheid als wertfeststellender Verwaltungsakt die streitbefangenen Feststellungen von Tatbeständen rentenrechtlicher Zeiten in einem Vormerkungsbescheid i. S. von § 96 Abs. 1 SGG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I 444) ersetzt, muss dies auch für die Ablehnung der Feststellung von Tatbeständen rentenrechtlicher Zeiten im Rahmen des Überprüfungsverfahrens zum Vormerkungsbescheid gelten. Die Vormerkung von Tatbeständen rentenrechtlicher Zeiten (sei es im Vormerkungsbescheid unmittelbar oder im Überprüfungsverfahren) und die Rentenwertfestsetzung unter Berücksichtigung auch dieser Zeiten stellen zwar keine Verwaltungsakte mit identischem Regelungsgehalt dar, jedoch stehen beide hinsichtlich ein und desselben Rechtsverhältnisses in einem Verhältnis sachlicher und zeitlicher Exklusivität zueinander. Während nämlich der Rentenversicherungsträger erstmals mit der "Feststellung einer Leistung" über Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten entscheiden (§ 149 Abs. 5 Satz 3 SGB VI) und den Rentenwert bestimmen darf, bedarf es mit diesem Zeitpunkt umgekehrt keines diese Entscheidung nur vorbereitenden Verfahrens über die Feststellung einzelner wertbestimmender Umstände mehr. Hierzu ergangene Verwaltungsakte erledigen sich ungeachtet ihrer Anfechtung "auf andere Weise" (§ 39 Abs. 2 SGB X) und dürfen durch weitere Feststellungen einzelner wertbestimmender Elemente von vornherein nicht mehr ersetzt werden. Das insofern anhängig gewordene Klageverfahren findet indessen seine Fortsetzung im Streit über dasjenige Rechtsverhältnis, dessen vorbereitende Klärung die bisher ergangenen Verwaltungsakte gerade gedient hatten. Demzufolge findet § 96 Abs. 1 SGG unmittelbar Anwendung mit der Folge, dass der Verwaltungsakt über die Rentenhöhe als unmittelbar kraft Gesetzes angegriffen gilt, soweit diese ihrerseits auf den bereits ursprünglich streitigen Feststellungen beruht (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 14. Dezember 2011 – B 5 R 36/11 R –, Rn. 12, juris).

Wenn sich aber mit Erlass des Rentenbescheides unter Übernahme der im Vormerkungsbescheid bindend festgestellten rentenrechtlichen Tatbestände der Vormerkungsbescheid vom 25. Juli 2012 und letztlich auch den der die Änderung des Vormerkungsbescheides und Feststellung von Ersatzzeittatbeständen ablehnende Bescheid vom 24. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2015 auf andere Weise erledigt haben, kann deren Aufhebung bzw. Abänderung nicht mehr erfolgreich mit der Klage begehrt werden. Das Klageverfahren war als Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) gegen die Rentenhöchstwertfestsetzung, verbunden mit der Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) auf Festsetzung eines höheren Wertes des Rechts auf Erwerbsminderungsrente unter Berücksichtigung einer Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI vom 11. Oktober 1989 bis zum 31. Dezember 1991 sowie verbunden mit einer (unechten) Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) auf Zahlung entsprechend höherer monatlicher Beträge umzustellen.

Der Antrag der Klägerin war daher entsprechend ihres auf die Gewährung einer höheren Erwerbsminderungsrente unter Berücksichtigung von Ersatzzeiten gerichteten Klageziels auszulegen (§ 123 SGG).

Der den Rentenhöchstwert feststellende Rentenbescheid vom 24. September 2015 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in Ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung einer höheren Erwerbsminderungsrente unter Berücksichtigung der Zeit vom 11. Oktober 1989 bis zum 31. Dezember 1991 als Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI.

Nach § 63 Abs. 1 SGB VI richtet sich die Höhe einer Rente vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen. Das in den einzelnen Kalenderjahren durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen wird in Entgeltpunkte umgerechnet (§ 63 Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Für beitragsfreie Zeiten werden Entgeltpunkte angerechnet, deren Höhe von der Höhe der in der übrigen Zeit versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen abhängig ist (§ 63 Abs. 3 SGB VI). Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich, wenn 1. die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, 2. der Rentenartfaktor und 3. der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden (§ 64 SGB VI). Nach § 66 Abs. 1 SGB VI ergeben sich die persönlichen Entgeltpunkte für die Ermittlung des Monatsbetrags der Rente, indem die Summe aller Entgeltpunkte u. a. für 1. Beitragszeiten, 2. beitragsfreie Zeiten und 3. Zuschläge für beitragsgeminderte Zeiten mit dem Zugangsfaktor vervielfältigt wird. Beitragszeiten und beitragsfreie Zeiten sind rentenrechtliche Zeiten (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB VI). Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 SGB VI). Beitragszeiten werden vom Gesetz als Zeiten mit vollwertigen Beiträgen und als beitragsgeminderte Zeiten unterschieden (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 a und b SGB VI). Dabei sind Zeiten mit vollwertigen Beiträgen Kalendermonate, die mit Beiträgen belegt und nicht beitragsgeminderte Zeiten sind (§ 54 Abs. 2 SGB VI). Beitragsfreie Zeiten sind Kalendermonate, die mit Anrechnungszeiten, mit einer Zurechnungszeit oder mit Ersatzzeiten belegt sind, wenn für sie nicht auch Beiträge gezahlt worden sind (§ 54 Abs. 4 SGB VI).

Nach § 250 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI sind Ersatzzeiten Zeiten vor dem 01. Januar 1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte nach vollendetem 14. Lebensjahr vertrieben, umgesiedelt oder ausgesiedelt wurden oder auf der Flucht oder im Anschluss an solche Zeiten wegen Krankheit arbeitsunfähig oder unverschuldet arbeitslos gewesen sind, mindestens aber die Zeit vom 01. Januar 1945 bis zum 31. Dezember 1946, wenn sie zum Personenkreis der §§ 1 bis 4 des BVFG gehören.

Die zuvor genannten tatbestandlichen Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor, da sie nicht zum Personenkreis des hier bei Flucht aus der DDR allein maßgeblichen § 3 BVFG (Sowjetzonenflüchtling) gehört.

Nach § 3 BVFG ist Sowjetzonenflüchtling ein deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger, der seinen Wohnsitz in der sowjetischen Besatzungszone oder im sowjetisch besetzten Sektor von Berlin hat oder gehabt hat und von dort vor dem 01. Juli 1990 geflüchtet ist, um sich einer von ihm nicht zu vertretenen und durch die politischen Verhältnisse bedingten besonderen Zwangslage zu entziehen. Eine besondere Zwangslage ist vor allem dann gegeben, wenn eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben oder die persönliche Freiheit vorgelegen hat. Eine besondere Zwangslage ist auch bei einem schweren Gewissenskonflikt gegeben. Wirtschaftliche Gründe sind als besondere Zwangslage anzuerkennen, wenn die Existenzgrundlage zerstört oder entscheidend beeinträchtigt worden ist oder wenn die Zerstörung oder entscheidende Beeinträchtigung nahe bevorstand. Im Übrigen dürfen keine Ausschlussgründe im Sinne von § 3 Abs. 2 BVFG vorliegen.

Da die Flüchtlingseigenschaft der Klägerin bisher nicht festgestellt ist und sie insbesondere auch nicht im Besitz eines nach § 15 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 BVFG in der vor dem 01. Januar 1993 geltenden Fassung (a.F.) für den Rentenversicherungsträger verbindlichen Flüchtlingsausweises C ist, war vom Senat – wie bereits von der Beklagten - das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3 BVFG vollumfänglich zu prüfen. § 100 Abs. 2 S. 1 und 2 BVFG in der ab dem 01. Januar 1993 geltenden Fassung (n.F.) beschränkt das bisherige eigenständige Ausweisverfahren auf die bis spätestens am 31. Dezember 1993 gestellten Anträge, so dass bei Fehlen eines Antrages - wie im vorliegenden Fall - für die Anerkennung des Flüchtlingsstatus der Klägerin ausschließlich § 100 Abs. 2 S. 3 BVFG n.F. einschlägig ist. Danach hat die für eine Vergünstigung zuständige Behörde (hier: der Rentenversicherungsträger) im Rahmen des bei ihr anhängigen Verfahrens durch Rückfrage bei der Vertriebenenbehörde (hier: die Beigeladene) zu klären, ob der die Vergünstigung Begehrende Vertriebener bzw. Flüchtling im Sinne von § 3 BVFG ist. Diese Regelung schließt sowohl die Antragsbefugnis des Betroffenen als auch die Befugnis der Vertriebenenbehörde aus, über die Vertriebeneneigenschaft ihm gegenüber durch feststellenden Statusbescheid zu entscheiden. Die Feststellung erfolgt ausschließlich auf Ersuchen der Leistungsbehörde als verwaltungsinterne Mitwirkungshandlung dieser gegenüber und stellt mangels unmittelbarer Rechtswirkung im Verhältnis zum Bürger keinen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 S. 1 SGB X dar. Die Entscheidung über die Anerkennung als Vertriebener ist nach neuem Recht ein unselbstständiger Teil des Verfahrens bei der Leistungsbehörde (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 2006 – B 5 RJ 54/04 R-, Rn. 17 ff., juris).

Im Rahmen der Prüfung des § 3 BVFG ist Folgendes zu berücksichtigen: Nicht jede Zwangslage, in die ein Bewohner der DDR geraten und die ihn zur Flucht veranlassen kann, ist als besondere Zwangslage in diesem Sinne zu qualifizieren. Insbesondere ist eine Zwangslage nur dann eine besondere, wenn sie über die Beschwernisse und Gefährdungen hinausgeht, welche die Bevölkerung der DDR bzw. Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) aufgrund der dort herrschenden Verhältnisse allgemein erdulden muss. Zudem muss zwischen der Flucht und der besonderen Zwangslage ein ursächlicher Zusammenhang bestehen, d. h. die Flucht muss Folge einer besonderen Zwangslage sein. Daher begründen Fluchtfolgen keine besondere Zwangslage, denn es fehlt die kausale Verknüpfung von Zwangslage und Flucht in der richtigen Reihenfolge (vgl. von Schenckendorff, Vertriebenen- und Flüchtlingsrecht, B 1 § 3 BVFG, Seite 53, m. w. N.).

Für die Annahme einer objektiven Zwangslage, wie sie anhand der in § 3 Abs. 1 S. 1 BVFG genannten Beispiele dargestellt ist, muss demnach (a) eine Gefahr vorliegen, die b) unmittelbar oder c) nahe bevorstehend d) eine der genannten Rechtsgüter oder einem gleichwertigen Rechtsgut droht. Es darf sich hierbei nicht lediglich um eine Befürchtung oder völlig unwesentliche Gefahr handeln (vgl. Hoerschelmann, "Zum Begriff der besonderen Zwangslage im Sinne des § 3 BVFG" in Recht in Ost und West (ROW) 1988, Seite 99, 100).

Anhand der zuvor genannten Kriterien steht zur Überzeugung des Senats nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 SGG) nicht fest, dass die Klägerin am 11. Oktober 1989 die DDR verlassen hat, um sich einer von ihr nicht zu vertretenden und durch die politischen Verhältnisse bedingten besonderen Zwangslage zu entziehen. Eine besondere Zwangslage im Sinne von § 3 BVFG ist schon anhand des Vortrages der Klägerin und den Aussagen der erstinstanzlich gehörten Zeugen nicht erwiesen. Hierzu verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG nach eigener Prüfung zunächst vollumfänglich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils des SG Berlin vom 30. Juni 2017 (Seite 8 bis 10). Auch unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren beigezogenen Unterlagen des BStU und dem Berufungsvorbringen lässt sich der Nachweis einer besonderen Zwangslage als Fluchtgrund nicht erbringen. Soweit die Klägerin sich auf die Strafbarkeit ihrer Flucht (bzw. für den Fall des Scheiterns: Fluchtversuch) in der DDR beruft, hat dieser Umstand bei Prüfung einer besonderen Zwangslage außer Betracht zu bleiben, da es sich lediglich um eine der Flucht immanente Fluchtfolge handelte.

Für die im Gesetz genannten Zwangslagen einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben oder der wirtschaftlichen Existenz ergeben sich bereits aus dem Vortrag der Klägerin keine objektiven Anhaltspunkte. Zutreffend hat das SG anhand der dokumentierten Ausbildungs-, Beschäftigungs- sowie Fortbildungsverhältnisse dargelegt, dass die Klägerin nicht nur erfolgreich eine Lehrausbildung abschließen, sondern auch noch die allgemeine Hochschulreife erwerben konnte und bis zu ihrer Flucht in einem Arbeitsverhältnis als Sekretärin bei einem, einer der Blockparteien gehörenden Verlag gestanden hatte. Offensichtlich hatten der von der Klägerin im September 1988 gestellte Ausreiseantrag, der im November 1988 abgelehnt worden war, wie auch der zweite, Ende Mai 1989 zurückgezogene Ausreiseantrag weder zu Beeinträchtigungen beim Erwerb der allgemeinen Hochschulreife im Juli 1989 geführt noch der Wiederaufnahme einer ihrer beruflichen Qualifizierung entsprechenden Tätigkeit entgegen gestanden.

Ebenso wenig lässt sich eine unmittelbar drohende Gefahr für die persönliche Freiheit der Klägerin im Sinne einer "drohenden Verhaftung" feststellen. So stellt nicht jede Gefahr für die persönliche Freiheit auch eine besondere Zwangslage im Sinne des § 3 BVFG dar. Als besondere Zwangslage in diesem Sinne kann nur die Beschwernis anerkannt werden, die über das Maß dessen hinausgeht, was die Gesamtbevölkerung in der DDR zu ertragen hatte. Eine kurzzeitige Verhaftung, ein Verhör oder die längerfristige Observierung durch Staatsorgane sind daher noch nicht geeignet, eine besondere Zwangslage zu begründen (vgl. Hoerschelmann, a. a. O., Seite 101)

Zunächst fehlt es an jeglichen objektiven Anhaltspunkten bzw. Nachweisen dafür, dass die Klägerin vor ihrer Flucht am 11. Oktober 1989 konkreten, gegen sie gerichteten Repressalien staatlicher Organe ausgesetzt gewesen war, die über das Maß hinausgingen, was die Gesamtbevölkerung in der DDR zu ertragen hatte. Nach ihren eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung des SG vom 30. Juni 2017 hatte sie sich nie in irgendeiner Weise in der DDR in Widerstands- oder oppositionellen Gruppen betätigt, noch hatte sie sich mit deren Themen auseinandergesetzt. Ihre äußerst vagen Angaben über Bekanntschaften mit Personen, die in oppositionellen Gruppen - wie z.B. in der Umweltbibliothek – engagiert waren, mit denen sie aber einen inhaltlichen Austausch über deren Themen vermieden haben will, vermögen eine besondere Zwangslage nicht zu begründen bzw. zu beweisen. Nichts anderes gilt für den pauschalen Vortrag der Klägerin im Verwaltungs- und erstinstanzlichen Verfahren, wonach sie einen politisch aktiven Freundes- und Bekanntenkreis gehabt habe und seit den ersten Verhaftungen in diesem Freundes- und Bekanntenkreis im Jahre 1985 permanent von den Staatsorganen observiert und auch verhört worden sei. Hierfür fehlt es an jeglichen Nachweisen. Auffällig ist die Vagheit der Klägerin in der Darstellung einer Bedrängung/Verfolgung durch die Staatsorgane der DDR seit der Jugendzeit. Weder werden konkrete Ereignisse von ihr beschrieben, noch Freunde oder Bekannte aus oppositionellen Gruppen namentlich benannt und auch nicht die deren Verhaftung vorausgehenden Sachverhalte und Umstände dargelegt. Dies lässt den Vortrag der Klägerin insgesamt wenig glaubhaft erscheinen, zumal sie damit eine Überprüfung der von ihr dargestellten Nähe zu oppositionellen Gruppen und einer daraus evtl. resultierenden besonderen Bedrohung ihrer persönlichen Freiheit verhindert. Soweit die Klägerin bei ihrer Anhörung vor dem SG auf die Überwachung ihres Postverkehrs mit einem Schweizer, den sie 1984/85 kennengelernt habe, hingewiesen hat, ergibt sich aus diesem Umstand noch keine besondere Zwangslage. Die regelhafte Überwachung des Postverkehrs mit dem westlichen Ausland stellte eines der für die Allgemeinbevölkerung in der DDR geltenden normalen Bedrängnisse und Erschwernisse dar. Wie aus der Auskunft des BStU vom 23. März 2018 nebst den in Kopie übersandten Unterlagen ersichtlich ist, war die Klägerin erstmalig im Zusammenhang mit der Stellung ihres Übersiedlungsersuchens am 21. November 1988 für die Kreisdienststelle (KD) Berlin-F KK erfasst worden. Es existieren keinerlei Belege dafür, dass die Klägerin schon vor Stellung des ersten Ausreiseantrages einer (systematischen) Observierung durch die Staatssicherheit unterlag. Die der Klägerin im April 2015 per E-Mail erteilte Auskunft des BStU, dass Vorgänge aus den Jahren 1988/89 – sofern sie sich noch in laufender Bearbeitung befanden – insbesondere in der Zentralstelle B in der Wendezeit massiven Vernichtungsaktionen des Staatssicherheitsdienstes ausgesetzt waren, steht dem nicht entgegen. Schließlich ist der die Klägerin betreffende laufende Vorgang aus den Jahren 1988/89 im Archiv des BStU aufgefunden und dem Gericht in Kopie zur Verfügung gestellt worden, was im Falle der Kläger gegen eine Vernichtung von sie betreffenden Akten spricht.

Der Senat teilt auch die vom SG vertretene Auffassung, dass die im Rahmen von Ausreiseanträgen/Übersiedelungsersuchen üblichen Verfahrensweisen in der DDR noch keine besondere Zwangslage im Sinne des § 3 BVFG begründen. Die Prüfung des Übersiedlungsersuchens unter allen Aspekten und auch die Einwirkung auf die Beteiligten, dieses wieder zurück zu ziehen, so wie es auch von der Zeugin H bei ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung des SG am 30. Juni 2017 beschrieben worden ist, war Teil der für die Bevölkerung der DDR aufgrund der dort herrschenden Verhältnisse allgemein zu ertragenden Beschwernisse und Gefährdungen. Insoweit finden sich in den BStU-Unterlagen neben der Dokumentation des sogenannten Erstgesprächs zum Ausreiseersuchen vom 27. September 1988 (BStU-Dok Nrn. 43 – 45) und des Ablehnungsgespräches vom 14. November 1988 (BStU-Dok Nrn. 46) vor allem Auskunftsersuchen an verschiedene Dienststellen hinsichtlich der Person der Antragsteller und deren Familienmitglieder bzw. zum Vorliegen von Versagensgründen (vgl. z. Bsp. Anfragen - BStU-Dok Nrn. 55, 72 -, Antworten - BStU-Dok Nrn. 56, 73 – "keine Versagensgründe"). Auch die Vorortermittlungsberichte des Volkspolizeireviers 51 vom 20. Oktober 1988 (BStU-Dok Nr. 47) und 20. April 1989 (BStU-Dok Nr. 71) bewegen sich augenscheinlich im Rahmen der üblichen Recherchepraxis. So wird aus dem Bericht vom 20. Oktober 1988 deutlich, dass diesem eine Inaugenscheinnahme des Wohnhauses wie auch eine umfassenden Befragung von sogenannten Vertrauenspersonen zugrunde lag. Die dortigen Angaben zum Umfang der Renovierung und zum baulichen Zustand der Wohnung bis hin zur Einrichtung sind Beobachtungen, die sämtlich von den im Wohnhaus lebenden Vertrauenspersonen, dem zuständigen Hausmeister wie auch von Angestellten des Vermieters stammen können, zumal der Einzug der Klägerin und ihres Ehemannes noch nicht lange zurück lag. Der Nachweis für "Durchsuchungen" bzw. "ein Betreten" der Wohnung durch Mitarbeiter des MfS lässt sich damit nicht erbringen. Letztlich bestätigt auch der zweite Bericht des Volkspolizeireviers 51 vom 20. April 1989, dass umfangreiche Ermittlungen im Sinne von Befragungen von Vertrauenspersonen und Nachbarschaft zum Verhalten der Klägerin und ihres Ehemannes durchgeführt worden waren. Das man als DDR-Bürger nach Stellen eines Ausreiseantrages einer besonderen Beobachtung ausgesetzt war, war - wie vom SG zutreffend dargelegt - Teil der allgemein geltenden Bedrängnis.

Gegen eine von der Klägerin dargestellte Zwangslage wegen einer "drohenden Verhaftung" spricht insbesondere, dass die Klägerin noch im Besitz ihres Personalausweises der DDR war, als sie in die Bundesrepublik einreiste. Denn von den Staatsorganen der DDR wurde die Möglichkeit zur Einziehung des Personalausweises der DDR und Erteilung eines Ersatzausweispapiers (sog. PM 12) nach § 11 Abs. 5 der Personalausweisverordnung vom 23. September 1963 zuletzt in der Fassung der 3. Verordnung vom 10. August 1978 (Gbl. DDR I, Seite. 343) rege genutzt, um die Bewegungsfreiheit politisch verdächtiger Personen einzuschränken (vgl. Hoerschelmann, a. a. O., Seite 101 f.).

Ebenso wenig lässt sich hier eine besondere Zwangslage wegen eines schweren Gewissenskonfliktes begründen (§ 3 Abs. 1 S. 3 BVFG). Schwer ist der Konflikt, wenn er erheblich über die Gewissenbelastung derjenigen Bevölkerungsteile in der SBZ hinausgeht, die sich dem dort herrschenden System nicht verschrieben haben, und wenn der Konflikt zu einer ausweglosen Lage geführt hat. Gewissen ist eine grundsätzliche, in der gesamten Haltung des Menschen verwurzelte Gesinnung und Überzeugung hinsichtlich der Gebotenheit, Erlaubtheit und Nichterlaubtheit eines bestimmten Tuns oder Unterlassens. Da es sich um eine im Inneren des Menschen angelegte, auf sittlicher, ethischer oder religiöser Grundlage beruhende Überzeugung handelt, muss neben dem angesonnenen Verhalten die gesamte Persönlichkeit des Antragstellers und die Situation, die einen schweren Gewissenskonflikt auslöst, individuell gewürdigt werden. Nicht nur eine das herrschende politische System in der SBZ (erkennbar) ablehnende Haltung sondern auch eine neutrale Haltung kann zu einem solchen schweren Gewissenkonflikt führe, sofern der Betroffene durch die politischen Verhältnisse gezwungen gewesen ist, gegen seine erkennbare und achtbare Überzeugung zu handeln. Dies muss sich aus der bisherigen persönlichen Haltung des Betroffenen glaubhaft ergeben (von Schenckendorff, a. a. O., Seite 58 f., unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG)).

Wie das SG bereits in seiner Entscheidung zutreffend dargelegt hat, ergeben sich hier schon keine objektiven Anhaltspunkte für eine derartig bei der Klägerin verwurzelte, einen schweren Gewissenskonflikt begründende weltanschauliche oder religiöse Ausrichtung bzw. Haltung. So war die Klägerin bis 1987 Mitglied in verschiedenen gesellschaftlichen Organisationen. Die Verleihung der Lessing-Medaille 1984 spricht nicht nur für gute schulische Leistungen, sondern auch für ein gewisses gesellschaftliches Engagement für die DDR. So sah die Verordnung über die Sicherung einer festen Ordnung an den allgemeinbildenden Schulen – Schulordnung – vom 20. Oktober 1967 (Gbl. 1967 Teil II, Seite 769 ff.) in § 33 Abs. 4 Buchst. d) und e) für die Auszeichnung der besten Schüler mit Urkunden und Medaillen vor, dass Schülern, die im Abschlusszeugnis der Oberschule oder im Reifezeugnis der erweiterten Oberschule in allen Fächern "sehr gut" erhalten und vorbildliche gesellschaftliche und außerunterrichtliche Arbeit geleistet haben, die Lessing-Medaille in Gold verliehen werden kann bzw. die in nicht mehr als 2 Fächern die Note "gut" und in allen übrigen Fächern die Note "sehr gut" und sehr gute gesellschaftliche und außerunterrichtliche Arbeit geleistet haben, die Lessing-Medaille in Silber verliehen werden kann. Zudem hat die Klägerin bei ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung des SG am 30. Juni 2017 angegeben, nie das Bedürfnis gehabt zu haben, persönlich politisch in der DDR irgendwas zu verändern.

Auseinandersetzungen mit Ausbildern oder Lehrern hinsichtlich des gewünschten -intensiveren - Einsatzes z. B. in gesellschaftlichen Organisationen oder der geforderten Teilnahme an politischen Veranstaltungen gehörten ebenfalls zu den üblichen Bedrängnissen in Schul- und Berufsausbildung bzw. beruflicher Tätigkeit, denen die Gesamtbevölkerung in der DDR ausgesetzt gewesen war und die sich in ihrem Verhalten – wie auch die Klägerin nach ihrem Bekunden - angepasst hatten. Darüber hinausgehende, tatsächlich erlittene bzw. konkret in Aussicht gestellte erhebliche Nachteile wurden von der Klägerin weder im Einzelnen dargelegt noch finden sich hierfür Anhaltspunkte in den Akten.

Eine besondere Zwangslage wird auch nicht aus den von der Klägerin zur Begründung ihres Ausreiseantrages angeführten Gründen ersichtlich. Im Protokoll über das Erstgespräch vom 27. September 1988 (BStU-Dok Nr. 43 - 44) ist festgehalten, dass die Klägerin für sich keine Perspektive in der DDR sehe, sie studieren wolle und das dort nicht könne, sie generell etwas gegen gesellschaftliche Arbeit habe, es in der DDR keine Reisefreiheit gebe und man auch nicht die Meinung sagen könne, es dagegen in der BRD einen breiten Pluralismus gebe. Hieraus wird lediglich das Ansinnen der Klägerin deutlich, sich mit der Ausreise den für die Gesamtbevölkerung in der DDR allgemein geltenden Bedrängnissen zu entziehen.

Eine Flüchtlingseigenschaft der Klägerin lässt sich zur Überzeugung des Senats auch nicht anhand der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Behandlung einer subjektiven Zwangslage herleiten. Danach ist eine subjektive Zwangslage gegeben, wenn der Antragsteller irrtümlich angenommen hat, sich in einer Zwangslage im Sinne von § 3 BVFG zu befinden, obwohl diese tatsächlich von ihm unerkannt nicht vorgelegen hat, also nur in seiner Vorstellung bestand. Unbewusste Ängste oder unspezifische Unsicherheitsgefühle etc. scheiden dabei aus. Die Zwangslage besteht mithin in der persönlichen Furchtvorstellung als solcher, zusammen mit der einhergehenden seelischen Bedrängnis. Hierbei ist nicht die rein subjektive Sicht des Betroffenen maßgeblich, vielmehr muss sich die Lage objektiv in der Person des Antragstellers bereits verschärft und auf ihn in irgendeiner Weise bedrohlich zugespitzt haben. Maßstab ist, ob ein besonderer Bewohner der SBZ bei verständiger Betrachtung in der gleichen Lage in der Flucht den einzigen zumutbaren Ausweg gesehen habe würde (vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 27. April 1956 – BverwG IVC 040.55 -; von Schenckendorff, a. a. O., Seite 66; Hoerschelmann, a. a. O., Seite 105, 106). Eine objektive Verschärfung kann angenommen werden, wenn amtliche Maßnahmen oder entsprechend ernst gemeinte Äußerungen dazu Berufener sich als erster konkreter Schritt einer späteren umfassenderen Maßnahme darstellen, die ihrerseits als geeignet erscheint, auf die nachhaltige Änderung der bislang ungefährdeten Rechtsposition abzuzielen (vgl. Hoerschemann, a. a. O., Seite 106). Hierfür reichen Anzeichen aus, die als eingeleitete Verfolgung oder in Verwirklichung begriffene Gefahr gewertet werden können. Der unmittelbare Eintritt der vermeintlich drohenden Gefahr muss wahrscheinlich, mindestens aber jederzeit möglich sein. Überwachungsmaßnahmen allein begründen keine objektive Verschärfung. (vgl. von Schenckendorff, a. a. O., Seite 67 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG). Die Bestimmungen des BVFG über die Anerkennung und die wirtschaftliche Förderung der Sowjetzohnenflüchtliche haben den Zweck, den Deutschen, denen es in der Sowjetischen Besatzungszone aus politischen Gründen verwehrt wurde, unter in diesem Sinn menschenwürdigen Daseinsbedingungen zu leben, und die deshalb geflüchtet sind, bei ihrer Eingliederung in das wirtschaftliche und soziale Leben in der Bundesrepublik und West-Berlin in besonderer Weise zu helfen. Sie sollten für die Bewohner Mitteldeutschlands jedoch kein zusätzlicher Anreiz sein, die SBZ zu verlassen (BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1967, in Buchholz 412.3 Nr. 46 § 3 BVFG). Dementsprechend sind die in § 3 BVFG genannten Voraussetzungen eng auszulegen (BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1967, a. a. O.). Zwar deutet der Vortrag der Klägerin auf eine subjektiv angenommene Zwangslage im Sinne einer Bedrohung ihrer persönlichen Freiheit durch die Staatsorgane der DDR hin, jedoch fehlt es aus den bereits zuvor genannten Gründen an Belegen für eine "objektive Verschärfung" der Situation der Klägerin. Objektive Umstände, die vor der Flucht im Oktober 1989 den unmittelbaren Eintritt der vermeintlich drohenden Verhaftung als wahrscheinlich erscheinen lassen, sind nicht festzustellen. Insbesondere reichen im Hinblick auf die oben aufgeführten Rechtsprechungskriterien die im Rahmen des Verfahrens bei Anträgen auf eine ständige Ausreise üblichen Ermittlungen der DDR-Behörden einschließlich persönlicher Anhörungen und Vernehmungen der Antragsteller durch den MfS nicht aus, um eine objektive Verschärfung der Situation zu begründen.

Die Berufung der Klägerin war daher aus den zutreffenden Gründen der angefochtene Entscheidung des SG zurück zu weisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

Die Revision ist wegen fehlender Zulassungsgründe im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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