L 3 U 194/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 12 U 9/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 194/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 1/21 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Weg zum Postbriefkasten, um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an den Arbeitgeber zu übersenden, unterliegt nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Mit der Übersendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an den Arbeitgeber erfüllt der Versicherte zuvörderst eine eigene gesetzliche Pflicht, nicht jedoch eine Nebenpflicht, damit der Arbeitgeber eine ihm obliegende Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis erfüllen kann.

Eine Ausweitung des versicherungsrechtlichen Wegeschutzes bedarf nach dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung.
Bemerkung
von Klägerin Revision eingelegt
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 28. September 2018 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 10.263,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist ein Erstattungsanspruch in Höhe von 10.263,00 Euro wegen der Behandlungskosten der Beigeladenen nach einem Unfall. Die im Jahr 1957 geborene Beigeladene ist bei der Klägerin gesetzlich krankenversichert. Am 16. November 2013 stürzte sie gegen 12.00 Uhr in der S auf dem Weg zum Briefkasten, als sie dort einen an den Arbeitgeber adressierten Brief mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einwerfen wollte. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 15. November 2013 war für die Zeit vom 12. August 2013 bis zum 19. November 2013 ausgestellt. Die Beigeladene erlitt eine Luxation des Handgelenks sowie eine Rotatorenmanschettenläsion und wurde auf Kosten der Klägerin bis zum 06. Mai 2014 medizinisch behandelt; vom 10. Februar 2014 bis zum 04. Mai 2014 erhielt sie Krankengeld. Die Kosten der stationären Behandlung betrugen 2.706,72 Euro, der physiotherapeutischen Behandlung 901,90 Euro, der Hilfsmittel (Bandagen, Bewegungsschiene, Orthese) 641,03 Euro und Krankengeld wurde in Höhe von 6.013,35 Euro gezahlt.

Mit Schreiben vom 05. Dezember 2013 meldete die Klägerin bei der Beklagten vorsorglich einen Erstattungsanspruch an. Unter dem 11. Dezember 2013 teilte die Beklagte der Klägerin die Ablehnung eines Versicherungsfalls mit. Am 27. Februar 2015 wandte sich die Klägerin wieder an die Beklagte mit der Bitte einer erneuten Prüfung und Anerkennungsmitteilung. Die Beklagte führte sodann Ermittlungen zu dem Unfallereignis durch Befragung der Beigeladenen durch. Mit Bescheid vom 21. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Oktober 2015 lehnte die Beklagte gegenüber der Beigeladenen Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass des Ereignisses vom 16. November 2013 ab. Ein Arbeitsunfall habe nicht vorgelegen, da sich die Beigeladene zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem versicherten Weg befunden habe. Der Weg zum Briefkasten könne nicht analog zum Weg von und zur Arbeitsstätte betrachtet werden. Es stünden lediglich die Wege zum Arbeitgeber und zurück unter Versicherungsschutz, wenn der Versicherte die Krankmeldung persönlich beim Arbeitgeber abgebe.

Am 22. Dezember 2016 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Potsdam erhoben. Entgegen der Auffassung der Beklagten habe ein Versicherungsfall vorgelegen. Es sei anerkannt, dass ein Arbeitnehmer versichert sei, wenn er während einer Erkrankung dem Arbeitgeber persönlich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung überbringe und dabei auf dem Hin-/ Rückweg verunfalle. Nichts anderes könne gelten, wenn der Arbeitnehmer einen schonenderen Weg wähle, indem er die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung postalisch zum Arbeitgeber auf den Weg bringe. Die Beklagte ist dem entgegengetreten; es bestehe eine Bindungswirkung von Verwaltungsakten im Erstattungsverfahren, wenn die Entscheidung des Erstattungsverpflichteten nicht offenkundig fehlerhaft sei. Zudem sei lediglich ein Anspruch wegen Krankenbehandlung zur Fristwahrung gem. § 111 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) angemeldet. Der Anspruch auf Erstattung von Krankengeld sei verjährt.

Das Sozialgericht Potsdam hat die Klage ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 28. September 2018 abgewiesen. Die Klage sei als Leistungsklage zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin habe keinen Erstattungsanspruch, da die Beklagte für die Leistungserbringung nicht zuständig sei. Ein Versicherungsfall, insbesondere ein Arbeitsunfall liege nicht vor. Die Beigeladene habe sich nicht während einer versicherten Tätigkeit verletzt, sie sei auch nicht auf einem versicherten Weg gewesen, denn der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung bestehe grundsätzlich nur auf dem Weg zwischen der Arbeitsstätte und dem häuslichen Bereich. Der Wortlaut des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sei eindeutig und die Ausnahmeregelungen der § 8 Abs. 2 Nrn. 2 bis 4 SGB VII zeigten, dass die Norm eng auszulegen sei.

Gegen das ihr am 11. Oktober 2018 zugestellte Urteil des SG Potsdam hat die Klägerin am 30. Oktober 2018 Berufung vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass sich ein Versicherter unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung befinde, wenn er zur Abgabe einer Krankmeldung die Arbeitsstätte aufsuche. Die Beigeladene sei jedoch aufgrund der Erkrankung nicht in der Lage gewesen, direkt den Arbeitgeber aufzusuchen, sondern habe den Postweg zur Einreichung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gewählt. Der Versicherte könne bei dieser Verfahrensweise nicht vom Unfallversicherungsschutz ausgeschlossen sein. Es liege zumindest ein ausnahmsweise versicherter, abweichender Weg im Sinne von § 8 Abs. 2 Nrn. 2 bis 4 SGB VII vor.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 28. September 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 10.263,00 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine neuen Erkenntnisse. Die erstinstanzliche Entscheidung sei zutreffend.

Am 18. Dezember 2019 hat die damalige Berichterstatterin des Senats mit den Beteiligten einen Termin zur Erörterung des Streitverhältnisses durchgeführt.

Der Senat hat durch seine Berichterstatterin mit Beschluss vom 04. Juni 2020 Frau AW nach §§ 153 Abs. 1, 155 Abs. 1 und 4, 75 Abs. 2, 106 Abs. 3 Nr. 6 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Verfahren beigeladen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 01. Juli 2020 (Beigeladene), 27. Juli 2020 (Klägerin) und 30. Juli 2020 (Beklagte) mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat vorlagen und Gegenstand der Beratung waren.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht Potsdam hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der von ihr geltend gemachten Forderung. Es handelt sich bei der Klage auf Kostenerstattung um eine echte Leistungsklage im Sinne von § 54 Abs. 5 SGG. Diese erfordert keine besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen, denn die Beteiligten stehen einander nicht in einem Über-/Unterordnungsverhältnis, sondern in einem Gleichordnungsverhältnis gegenüber (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Auflage, 2020, § 54 Rn. 37, 41).

Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch ist § 105 Abs. 1 SGB X. Nach dieser Norm ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen, soweit der an sich zuständige Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.

Die Klägerin als Leistungsträgerin der gesetzlichen Krankenversicherung hat der Beigeladenen Sozialleistungen im Sinne des § 11 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) in Form von Krankenbehandlung als Sachleistung (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 lit. a, b, e SGB I) erbracht bzw. durch Dritte erbringen lassen und Krankengeld (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 lit. g SGB I) geleistet. Die Klägerin war indes für die Leistungserbringung materiell-rechtlich nicht unzuständig. Die Vorschrift des § 11 Abs. 5 Satz 1 SGB V definiert die sich gegenseitig ausschließenden Leistungs- und Zuständigkeitsbereiche der gesetzlichen Kranken- und Unfallversicherung (BSG, Urteil vom 26. Juni 2014 – B 2 U 17/13 R -, Rn. 20, 21, zitiert nach juris). Nach dieser Norm besteht auf Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung kein Anspruch, wenn sie als Folge eines Arbeitsunfalls im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen sind. Durch einen Arbeitsunfall geschädigte Versicherte haben gegenüber dem zuständigen Unfallversicherungsträger u.a. Anspruch auf stationäre Behandlung und Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln sowie auf Zahlung von Verletztengeld nebst Sozialversicherungsbeiträgen(§ 26 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 Nr. 4 und 6, §§ 30, 31, 34 sowie §§ 45 ff SGB VII).

Die Unzuständigkeit der Beklagten und die damit korrespondierende Zuständigkeit der Klägerin für die Erbringung der streitbehafteten Leistungen folgt jedoch entgegen der Ansicht der Beklagten nicht bereits aus dem bestandskräftigen Verwaltungsakt vom 21. Juli 2015, mit dem die Beklagte gegenüber der Beigeladenen die Gewährung von Leistungen aus Anlass des Ereignisses am 16. November 2013 abgelehnt hat.

Dem bestandskräftigen Verwaltungsakt wohnt eine Bindungswirkung gem. § 77 SGG inne, die besagt, dass Behörden und Gerichte die in dem Verwaltungsakt getroffene Regelung, solange sie Bestand hat, als verbindlich hinzunehmen und ohne Prüfung der Richtigkeit der darin getroffenen Regelung ihren Entscheidungen als gegeben zugrunde zulegen hat (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 29/15 R -, Rn. 11, zitiert nach juris).Indes besteht keine tatbestandliche Drittwirkung (BSG, Urteile vom 30. Januar 2020 – B 2 U 19/18 R -, Rn. 11, und vom 28. September 1999 - B 2 U 36/98 R -, Rn. 19, alle zitiert nach juris). Die Erstattungsansprüche nach den §§ 102 ff SGB X sind keine von der Rechtsposition des Berechtigten abgeleitete, sondern eigenständige Ansprüche. Dem Erstattungsbegehren des vorleistenden Leistungsträgers kann mithin nicht die bindende Ablehnung des Begehrens des Sozialleistungsberechtigten durch den auf Erstattung in Anspruch genommenen Leistungsträger entgegengehalten werden (st.Rspr.: BSG, Urteile vom 30. Januar 2020 – B 2 U 19/18 R -, und vom 28. September 1999 - B 2 U 36/98 R -, a.a.O.)

Der Ablehnungsentscheidung der Beklagten kommt auch keine Feststellungswirkung, mithin keine Bindungswirkung bezüglich der dem Entscheidungsausspruch im Verwaltungsakt zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen zu. Eine solche müsste gesetzlich angeordnet sein, sieht das Gesetz aber nicht vor.

Die Unzuständigkeit der Beklagten folgt jedoch aus der zutreffenden Ablehnung eines Versicherungsfalls gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII. Der Senat ist überzeugt davon, dass es sich bei den behandelten Unfallfolgen nach dem Sturz am 16. November 2013 nicht um solche aus einem Arbeitsunfall im Sinne von § 8 SGB VII gehandelt hat. Die Beigeladene hat am 16. November 2013 keinen Arbeitsunfall erlitten.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität) (vgl. st. Rspr. des BSG: Urteile vom 28. November 2019 - B 2 U 8/18 R -, 20. Dezember 2016 - B 2 U 16/15 R - , 15. November 2016 - B 2 U 12/15 R -, 05. Juli 2016 - B 2 U 16/14 R - , 17. Dezember 2015 - B 2 U 8/14 R - , 26. Juni 2014 - B 2 U 4/13 R - , 14. November 2013 - B 2 U 15/12 R - und vom 18. Juni 2013 - B 2 U 10/12 R -, alle zitiert nach juris).

Die Beigeladene verrichtete am Unfalltag keine den Versicherungsschutz begründende Tätigkeit. Sie hat keinen Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII erlitten, als sie auf dem Weg zum Briefkasten verunglückte. Zu den in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Tätigkeiten zählt das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Die in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gebrauchte Formulierung "des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges" kennzeichnet den sachlichen Zusammenhang des unfallbringenden Weges mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit, wobei nicht der Weg als solcher, sondern dessen Zurücklegen versichert ist, also der Vorgang des Sichfortbewegens auf einer Strecke, die durch einen Ausgangs- und einen Zielpunkt begrenzt ist (vgl. BSG, Urteile vom 23. Januar 2018 - B 2 U 3/16 R - , 31. August 2017 - B 2 U 11/16 R - und vom 13. November 2012 - B 2 U 19/11 R -, alle zitiert nach juris).

Versichert ist in der gesetzlichen Unfallversicherung mithin als Vorbereitungshandlung der eigentlichen Tätigkeit das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Die Beigeladene hat den Unfall weder auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte noch auf dem Weg von dort zurück erlitten. Die Beigeladene hatte auch keinen Weg zu einer Tätigkeit aufgenommen, die gleichsam unter dem Schutz der Unfallversicherung steht. Das Einwerfen des Briefes in den Postbriefkasten war arbeitsvertraglich nicht geschuldet und konkret auch nicht von ihrem Arbeitgeber veranlasst worden.

Eine andere rechtliche Bewertung ist auch nicht dadurch geboten, dass die Beigeladene hier möglicherweise eine Pflicht aus ihrem Beschäftigungsverhältnis erfüllen wollte, indem sie ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dem Arbeitgeber zukommen lassen wollte. Es ist anerkannt, dass für einen Arbeitsunfall ein rein örtlicher und/oder zeitlicher Zusammenhang mit der grundsätzlich versicherten Tätigkeit nicht genügt, sondern eine Wertentscheidung zu treffen ist, ob die jeweilige Betätigung innerhalb des Schutzbereichs der betreffenden Vorschrift liegt. Für diese Beurteilung gibt es im Wesentlichen zwei Kriterien: Den objektiven Rechts- und Pflichtenkreis der versicherten Person und die Handlungstendenz des Versicherten (Keller in Hauck/ Noftz/ Keller, SGB VII, Stand 3/18, § 8 Rn. 17). Das BSG hat mehrfach festgestellt, dass nicht nur Verrichtungen des Beschäftigten zur Erfüllung von Hauptpflichten in den Versicherungsschutz einbezogen sind, sondern auch Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis (vgl. BSG, Urteile vom 05. Juli 2016 – B 2 U 5/15 R -, 14. November 2013 – B 2 U 15/12 R-, und vom 15. Mai 2012 – B 2 U 8/11 R -, alle zitiert nach juris). So hat das BSG in Erweiterung des gesetzlich normierten Versicherungsbereichs einen Versicherungsschutz auch für den Weg des Beschäftigten zur Arbeitsstätte festgestellt, um sich beim Arbeitgeber krank zu melden bzw. eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abzugeben (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1970 – 2 RU 162/68 -, SozR Nr. 11 zu § 550 RVO). Nach der jüngeren Rechtsprechung des BSG ist für einen Versicherungsschutz jedoch maßgebend, dass der Beschäftigte eigene Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis gegenüber dem Unternehmer erfüllt, die ihm zu dem Zweck obliegen, dass der Unternehmer seinerseits ihm aus dem Beschäftigungsverhältnis gegenüber dem Beschäftigten treffende Haupt- oder Nebenpflichten erfüllen kann (BSG, Urteil vom 15. Mai 2012 - B 2 U 8/11 R - , Rn. 49 ff, zitiert nach juris). Auf öffentlich-rechtliche Pflichten, die an das Arbeitsverhältnis tatbestandlich anknüpfen und durch die der Arbeitgeber hoheitlich für den Staat in Dienst genommen wird, beispielsweise die Abführung von SV-Beiträgen, Erstellen von Lohnsteuerbescheinigungen, kommt es nicht an (BSG, B 2 U 8/11 R, a.a.O.).

Vorliegend handelt es sich bei der Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch die Beigeladene nicht um eine aus dem Beschäftigungsverhältnis erwachsene Nebenpflicht, die dem Arbeitgeber bei Erfüllung einer ihm aus dem Beschäftigungsverhältnis gegenüber der Beschäftigten obliegenden Haupt- oder Nebenleistungspflicht Hilfe leisten soll. Die unverzügliche Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer gegenüber dem Arbeitgeber sowie die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit ist eine zuvörderst dem Arbeitnehmer obliegende gesetzliche Pflicht gemäß § 5 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Während die Erfüllung dieser Anzeige- und Nachweispflicht für den Beschäftigten einhergeht mit der Sicherung des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung und der Vermeidung von Gründen, die zur Kündigung des Arbeitsvertrages berechtigen könnten, dient die zeitige Krankmeldung dem Arbeitgeber, den Organisationsablauf entsprechend dem Ausfall des Arbeitnehmers neu einzurichten. Die Beigeladene hat mit der Übersendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausschließlich eigene Rechte sichern wollen.

Auf die Entscheidungen, die einen Unfall auf dem Weg zum oder vom Betrieb zwecks Abgabe von Unterlagen oder Empfang von Lohn betreffen (vgl. BSG, Urteile vom 23. Oktober 1970 – 2 RU 162/68 -, a.a.O., und vom 25. Februar 1976 – 8 RU 58/76 -, BSGE 41, S. 207 ff) ist gleichwohl nicht zu rekurrieren, da sie Fallkonstellationen betreffen, in denen der Beschäftigte sich auf dem Weg zum Arbeitgeber (Arbeitsort) befand. In dem vorliegenden Fall liegen die Dinge insofern anders, als die Beigeladene sich auf dem Weg zu einem öffentlichen Postbriefkasten befand. Für den Senat lässt sich auch aus dem Schutzzweck der Norm des § 8 SGB VII keine andere Bewertung ableiten. Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung haben Schutz gegen Gefahren zu gewähren, die sich durch Verrichtungen der Versicherten von den im jeweiligen Versicherungstatbestand konkret umschriebenen Tätigkeiten realisieren können. Ihre Einstandspflicht besteht, wenn sich durch eine Handlung der Geschädigten, die den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt, ein Risiko verwirklicht hat, gegen dessen Eintritt nicht die Unfallversicherung allgemein, sondern der gesetzliche Versicherungstatbestand schützen soll. Für Schäden, die außerhalb des Schutzzwecks der Norm liegen, muss der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung nicht einstehen. Die Wegeunfallversicherung wurde mit der Regelung des § 545 a Reichsversicherungsordnung (RVO) durch das Zweite Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 14. Juli 1925 (RGBl I 97) eingeführt. Danach galt als Beschäftigung in einem der Versicherung unterliegenden Betrieb der mit der Beschäftigung in diesem Betrieb zusammenhängende Weg nach und von der Arbeitsstätte als versichert. Hintergrund dieser Erweiterung des Unfallversicherungsschutzes war, dass die "Wege umfangreicher und durch die motorische Zurücklegung auch gefährlicher" geworden seien und daher "diese Gefahren" erfasst werden müssten (vgl. Bericht des 9. Ausschusses für soziale Angelegenheiten Nr. 1060 S. 6). An diesem Schutzzweck hat sich bis heute nichts geändert. Zwar ist nunmehr in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII bestimmt, dass zu den versicherten Tätigkeiten auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit zählt. Dadurch ist aber nur verdeutlicht worden, dass nicht der Weg an sich, sondern dessen Zurücklegen, also der Vorgang des Sichfortbewegens versichert ist. Die Vorschrift des §§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII soll folglich vor typischen Weggefahren, die auf dem Weg zur Arbeitsstätte oder von dieser eintreten können, schützen (BSG, Urteil vom 30. Januar 2020 – B 2 U 20/18 R-, Rn. 30, zitiert nach juris). Nicht geschützt sind Wege, die zu einem anderen Ort als dem der beabsichtigten versicherten Tätigkeit führen. Hätte der Gesetzgeber eine derartige Ausweitung oder Vorverlagerung des Wegeschutzes in den Unfallversicherungsschutz aufnehmen wollen, hätte es einer klaren Normierung bedurft so wie es im Übrigen auch in § 8 Abs. 2 Nrn. 2 bis 4 SGB VII vorgenommen wurde. Dies gebietet der rechtsstaatliche Grundsatz der Normenbestimmheit und Normenklarheit, denn die gesetzesausführende Verwaltung soll für ihr Handeln klare Handlungsmaßstäbe vorfinden, die eine Rechtskontrolle durch die Gerichte ermöglichen.

Es liegt auch keine Tätigkeit der Klägerin vor, die unter den Tatbestand des § 8 Abs. 2 Nr. 5 SGB VII zu subsumieren ist. Nach dieser Vorschrift ist das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgerät oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt, vom Versicherungsschutz umfasst. Als Arbeitsgerät ist jeder Gegenstand anzusehen, der zur Erledigung der versicherten Tätigkeit genutzt werden kann und auch hauptsächlich dafür gebraucht wird. In Betracht kommen neben typischem Arbeitsgerät wie Werkzeugen auch alltägliche Gebrauchsgegenstände, die für die versicherte Tätigkeit genutzt werden. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung fällt hierunter eindeutig nicht.

Unerheblich ist indes der Einwand der Beklagten, die Klägerin sei mit ihrem Erstattungsanspruch nach § 111 SGB X ausgeschlossen, da die Klägerin den Anspruch nicht spätestens 12 Monate nach Ablauf des letzten Tages, für die die Leistung erbracht wurde, geltend gemacht habe. Der Senat erachtet es als ausreichend an, dass die Klägerin sich am 27. Februar 2015 (erneut) an die Beklagte mit dem Begehren wandte, ihren Anspruch zu prüfen und anzuerkennen, da sich diesem Schreiben erkennbar der Wille entnehmen lässt, dass die Klägerin mit der Ablehnung vom 11. Dezember 2013 nicht einverstanden war und ihren Anspruch durchsetzen wollte. Die Jahresfrist ist gewahrt, denn die Leistungserbringung an die Beigeladene endete am 06. Mai 2014.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da weder die Klägerin noch die Beigeladene als Versicherte bzw. Leistungsempfänger kostenprivilegiert gem. § 183 SGG sind. Die Revision ist zuzulassen, weil ein Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG vorliegt. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, da es im Interesse der Rechtsfortbildung liegt, zu klären, ob der Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung nach der Vorschrift des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch auf solche Wege auszuweiten ist, die der Versicherte deshalb beschreitet, um eine zuvörderst eigene gesetzliche Pflicht zu erfüllen.

Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 1 und 3, § 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) und bemisst sich nach der Höhe der geltend gemachten Klageforderung.

Der Beschluss über die Streitwertfestsetzung ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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