S 12 AS 2637/20 ER

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 2637/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Das Gericht muss bei der Würdigung der aktenkundigen und öffentlich zugänglichen Erkenntnisse überdies einfließen lassen, dass der Nachweis einer gefestigten, rechtsfeindlichen „reichsbürgerlichen“ Gesinnung regelmäßig Zweifel an der Bereitschaft rechtfertigt, in gesetzlich geregelten Verfahren an der behördlichen Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken und hierbei umfassende und zutreffende Angaben zu machen.
Die (Welt-)Anschauungen der meisten Organisationen der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ sind logisch kaum nachvollziehbar, sie bilden sich meist in wirren bis skurrilen Theorien ab, welche ein mangelndes Verständnis des Rechtsstaates sowie eine grundsätzliche Bereitschaft, geltende Gesetze nichtanzuerkennen, zeigen.
„Extremnews“ verbreitet zahlreiche Verschwörungstheorien und Fake News.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

1.

Der Antragsteller begehrt im Wege des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes die außergerichtlich abgelehnte Gewährung von Arbeitslosengeld 2 ab 08.09.2020.

Der 1978 geborene Antragsteller bewohnt eine von seiner Mutter angemietete Drei-Zimmer-Wohnung in der W.Straße 4 in K., zahlt hierfür einem Mietzins in Höhe von 390,- EUR sowie einer Nebenkostenpauschale in Höhe von 165,- EUR monatlich und ersucht seit 2016 durchschnittlich fünf Mal jährlich das Sozialgericht Karlsruhe um Rechtsschutz, zumeist erfolglos.

Laut Arbeitsvertrag vom 03.12.2018 ist er im Homeoffice im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung im Umfang von 2,5 Wochenstunden als Online-Journalist der Firma A. m. GmbH Co. KG. (im Folgenden A.) beschäftigt und erhält ausweislich ihrer Entgeltbescheinigungen und -meldungen einen Monatslohn von nur 100,- EUR. Infolgedessen bezieht der Antragsteller laufend von dem Antragsgegner ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ohne leistungsmindernde Anrechnung irgendeines Einkommens oder Vermögens.

Mit Bescheid vom 24.07.2019 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.09.2019 bis 31.08.2020 in Höhe von 957,75 EUR monatlich und überwies die bewilligten Kosten für Unterkunft und Heizung antragsgemäß auf das Bankkonto seiner Mutter.

Mit Schreiben vom 07.10.2019 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zu einer möglichen Aufhebung der Leistungen für die Zeit ab 01.11.2019 nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) an und gab ihm Gelegenheit, bis zum 25.10.2019 hierzu Stellung zu nehmen. Ausweislich seiner Kontoauszüge habe der Antragsteller zumindest in den Monaten Juni bis September 2019 kurze Zeit nach Eingang der vom Antragsgegner ausgezahlten Leistungen den erhaltenen Leistungsbetrag auf ein Konto der W. Bank AG seiner Vermieterin überwiesen. Als Verwendungszweck sei angegeben "Rückzahlung K." Der Antragsteller werde aufgefordert, darzulegen, aus welchen Gründen diese Überweisungen erfolgten und geeignete Nachweise vorzulegen. Der Antragsteller werde außerdem aufgefordert, mitzuteilen, ob er über eine Kontovollmacht für dieses Konto verfüge. Falls ja, werde um die Vorlage lückenloser Kontoauszüge für das Jahr 2019 gebeten. Er werde außerdem um Mitteilung gebeten, welche weitere Person über eine Kontovollmacht verfüge.

Der Antragsteller nahm hierzu am 24.10.2019 Stellung: Von seinem Konto könne er kostenfrei nur von Geldautomaten Geld abheben, die mindestens 10 km von seinem Wohnort entfernt seien. Durch die Überweisung könne er diese Gebühren vermeiden. Weiterhin helfe ihm sein Bruder bei seinen Einkäufen und gebe ihm das übrige Geld bar zurück. Dies sei in der Betreffzeile mit "Rückzahlung" gekennzeichnet. Das Geld überweise er allerdings auf ausdrücklichen Wunsch seines Bruders auf das Konto seiner Eltern, die den Betrag ihrerseits mit seinem Bruder verrechneten. Zu dem Konto der W. Bank AG hätten seines Wissens nur seine Eltern Zugang. Er verfüge lediglich über das Erwerbseinkommen bei der A..

Mit Bescheid vom 28.10.2019 nahm der Antragsgegner den Bescheid vom 24.07.2019 über die Bewilligung von Leistungen nach § 45 Abs. 1 SGB X für die Zeit ab 01.11.2019 zurück. Die Angaben des Antragstellers seien weder schlüssig noch glaubhaft, eher lebensfremd. Nicht nachvollziehbar sei es, wenn der Antragsteller Sozialleistungen auf ein Konto überweise, zu dem er keine Kontovollmacht besitze. Zum anderen sei nicht schlüssig, dass sein Bruder ihn bei Einkäufen unterstütze und das "übrige Geld" in bar übergebe. Er habe nämlich ebenfalls keine Kontovollmacht. Es sei fraglich, weshalb er nicht ein Konto bei einer ortsansässigen Bankfiliale habe. Der Antragsteller entziehe mit seiner Weigerung, Kontoauszüge von dem Konto der W. AG vorzulegen, dem Antragsgegner die Möglichkeit der Ermittlung, Feststellung und Prüfung seiner tatsächlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Dieser trage die materielle Beweislast für das Vorliegen seiner Hilfebedürftigkeit.

Hiergegen legte der Antragsteller am 05.11.2019 Widerspruch beim Antragsgegner ein und beantragte zugleich beim Sozialgericht Karlsruhe den Erlass einer einstweiligen Anordnung (S 18 AS 3600/19 ER). Das Gericht ordnete mit Beschluss vom 11.11.2019 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 28.10.2019 an. Es lägen deutliche Hinweise für eine Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes vor. Da der Antragsgegner sich auf keine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse berufe, käme allein eine Aufhebung nach § 45 Abs. 1 SGB X in Betracht. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners trage er für das Vorliegen der Rechtswidrigkeit des aufgehobenen Bewilligungsbescheides selbst die Beweislast, da er die Leistungen bereits zuvor rechtsverbindlich bewilligt hatte. Der Antragsgegner habe aber nicht dargelegt, dass der Antragsteller über Einkommen oder Vermögen verfüge oder von anderen derart unterstützt werde, dass er nicht hilfebedürftig sei. Vielmehr habe der Antragsgegner ausdrücklich ausgeführt, ihm sei eine Feststellung der tatsächlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht möglich. Die Klärung, ob der Antragsteller tatsächlich über weitere Einkommens- oder Vermögensquellen verfügt oder anderweitig von Dritten unterstützt wird, bleibe daher dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Der Antragsgegner hat diesen Gerichtsbeschluss mit Bescheid vom 19.11.2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25.11.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2019 ausgeführt, dem Widerspruch vom 05.11.2019 gegen den Bescheid vom 28.10.2019 mit Bescheid vom 19.12.2019 abgeholfen und mit Änderungsbescheid vom 19.12.2019 Arbeitslosengeld 2 bis 31.08.2020 in Höhe von monatlich sogar 965,94 EUR bewilligt.

Einen Weiterbewilligungsantrag für die Zeit ab dem 01.09.2020 reichte der Antragsteller am 02.07.2020 ein. Mit Schreiben vom 28.07.2020 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, im Rahmen der Prüfung seiner Hilfebedürftigkeit weitere Erklärungen abzugeben. Nach Durchsicht und Prüfung der Unterlagen falle auf, dass er weiterhin die erhaltenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II und den Lohn der A. wenige Tage nach der Gutschrift auf das Konto seiner Mutter bei der W. Bank AG überweise. Der Antragsteller möge bitte schlüssig und nachvollziehbar darlegen, aus welchen Gründen die Überweisungen erfolgen und geeignete Unterlagen/Nachweise hierzu einreichen. Da der Antragsteller – nach den vorliegenden Unterlagen – über keine weiteren Einnahmen oder Vermögen neben dem Einkommen aus der geringfügigen Beschäftigung und den Leistungen nach dem SGB II verfüge, werde um schlüssige und nachvollziehbare Darlegung gebeten, wie, wovon und auf welche Art und Weise er seinen Lebensunterhalt ohne Zugriff auf die weitergeleiteten Gelder bestreite. Er müsse außerdem mitteilen, ob er über eine Kontovollmacht für das Konto seiner Mutter verfüge. Falls ja, werde um die Vorlage lückenloser Kontoauszüge für die letzten drei Monate gebeten. Er werde außerdem zur Mitteilung aufgefordert, welche weitere Person über eine Kontovollmacht verfüge.

Der Antragsteller verwies mit Schreiben vom 13.08.2020 auf seine Aussagen in seinen Antwortschreiben auf ähnlich lautende Anfragen vom 01.09.2016, 22.10.2019 sowie die Ausführungen des Sozialgerichts in dessen Entscheidung vom 11.11.2019. Ergänzend legte er neben einer allgemeinärztlichen Bescheinigung seiner Wegeunfähigkeit vom 31.07.2020 zwei Stellungnahmen seines Bruders vom 13.08.2020 und 31.08.2020 vor. In der ersten bestätigte sein Bruder schriftlich, dem Antragsteller bei Einkäufen zu helfen: Auf seinen Wunsch hin überweise der Antragsteller jeden Monat das Geld vom Jobcenter und seinen Arbeitslohn auf das Konto ihrer Mutter. Nach Geldeingang werde er von seiner Mutter informiert und erledige daraufhin Einkäufe für seinen Bruder. Das Restguthaben übergebe er dem Antragsteller in bar. Der Antragsteller erhalte von ihm keine, über sein überwiesenes Guthaben hinausgehenden Gelder. Es finde kein gemeinsames Wirtschaften aus einem Topf statt. In der Stellungnahme vom 31.08.2020 fügte der Bruder seinem bürgerlichen Namen sowohl im Fließtext als auch bei der Unterschrift das Copyright-Symbol ("©") als Namenszusatz an und ergänzte unmittelbar unterhalb der "Unterschrift" ein nicht allgemeingebräuchliches bzw. unverständliches Kürzel ("a.R.d.P"). In ihr gab der Bruder an, in Vollzeit bei der P. AG in W. zu arbeiten. Er halte sich in dieser Zeit in seinem Haus in der W. Str. 6 in [...] K. auf und sei an den Wochenenden an seinem Hauptwohnsitz in M..

Der Antragsteller lehnte den Weiterbewilligungsantrag vom 02.07.2020 mit Bescheid vom 26.08.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.09.2020 ab. Zur Begründung verwies er auf einen Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichts vom 27.02.2017 im Verfahren L 7 AS 1281/16 B ER. Eine nicht nachgewiesene Hilfebedürftigkeit gehe danach zu Lasten des Antragstellers. Unter Berücksichtigung der Angaben und Stellungnahmen könnten die Einkommens- und Vermögensverhältnisse bzw. das Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Hilfebedürftigkeit nicht festgestellt werden. Indessen wiederholte und vertiefte der Antragsgegner seine Ausführungen im Bescheid vom 28.10.2019 zur seiner Meinung nach mangelnden Glaubhaftigkeit, Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit der Einlassungen des Antragstellers. Wegen deren Einzelheiten wird auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides und die darin in Bezug genommenen rechtsanwaltlichen Ausführungen im Widerspruchsschreiben vom 08.09.2020 verwiesen.

Bereits am 07.09.2020 hatte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers das Sozialgericht Karlsruhe erneut um Eilrechtsschutz ersucht (S 12 AS 2637/20 ER). Er meint, der Anordnungsanspruch bestehe, weil ihm Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II materiell-rechtlich zustünden. Er erfülle alle Anspruchsvoraussetzungen und habe diese auch ausreichend nachgewiesen. Der Ablehnungsbescheid sei nicht bestandskräftig. Er sei schon deshalb rechtswidrig, weil aus Sicht des Antragsgegners noch nicht feststehe, ob ein Leistungsanspruch besteht oder nicht. Der Antragsgegner führe selbst aus, dass er dies mangels Mitwirkung des Antragstellers nicht ermitteln könne. Insoweit komme hier allenfalls eine Versagung nach § 66 SGB I in Betracht. Im Übrigen habe er insbesondere auch die Hilfebedürftigkeit nachgewiesen. Einkommen durch Zahlungen von Verwandten seien ebenso wenig vorhanden wie Vermögen. Soweit der Antragsgegner auf eine Verpflichtung zur Vorlage von Kontoauszügen verweise, auf welche der Antragsteller mangels Kontovollmacht gar keinen Zugriff habe, überspanne der Antragsgegner die Anforderungen an die Beweislast. Im Übrigen sei diese Forderung schon deshalb unverständlich, weil in der Mitwirkungsaufforderung die Vorlage von Kontoauszügen nur für den Fall ausgesprochen werde, dass der Antragsteller selbst Zugriff auf das Konto habe. Dass keine Zugriffsmöglichkeit bestehe, habe der Antragsteller aber erklärt. Ein Anordnungsgrund sei ebenfalls gegeben. Ohne Erlass einer einstweiligen Anordnung sei die Existenzgrundlage des Antragstellers nicht sichergestellt. Der Antragsteller beantragt,

den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig ab dem 08.09.2020 bis zum Vorliegen eines bestandskräftigen Verwaltungsakts Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag vom 07.09.2020 abzulehnen.

Er verweist auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte sowie die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

2.

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist zulässig, aber unbegründet.

Eine einstweilige Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Dies setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (Wehrhahn in: Breitkreutz/Fichte, SGG, 2. Aufl., § 86b Rdnr. 58). Bei dem Anordnungsanspruch handelt es sich um den in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruch (Wehrhahn, a.a.O., Rdnr. 57). Die für den Anspruch erforderlichen Tatsachen müssen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Sofern ein anspruchsbegründender Sachverhalt lediglich möglich erscheint, genügt dies hingegen grundsätzlich nicht; denn gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO ist der Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 86b Rdnr. 16b; Krodel in: Krodel/Feldbaum, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 4. Aufl., Rdnr. 357). Auch im Eilverfahren gilt die Regelung des § 103 S. 1 SGG, wonach das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen erforscht. Aufgrund des Spannungsverhältnisses zwischen Eilbedürftigkeit und Amtsermittlung steht es aber im Ermessen des Gerichts, ob und inwieweit es im Eilverfahren Beweis erhebt (Keller, a.a.O., Rdnr. 16a). Zumeist muss sich das Gericht auf bereits präsente Beweismittel beschränken (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.4.2016, L 9 KR 150/16 B ER RG, Rdnr. 11 – nach Juris).

Ausgehend von den derzeit verfügbaren Beweismitteln ist zwar möglich, aber unwahrscheinlich, dass der Antragsteller ab dem 08.09.2020 Arbeitslosengeld 2 beanspruchen kann.

Einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen haben nach § 7 Abs. 1 SGB II erwerbsfähige Personen ab 15 Jahren, die hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Hilfebedürftig wiederum ist gemäß § 11 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

Nach Lage der Akten verfügt der Antragsteller wahrscheinlich seit Langem über erhebliches Einkommen, welches er wohl in der rechtswidrigen Absicht, sich um existenzsichernde Leistungen zu bereichern, systematisch mithilfe seines zwielichtigen Arbeitgebers verdunkelt.

Hierfür sprechen zuvörderst die vom Antragsgegner in den angefochtenen Bescheiden dargelegten Zweifel an der Plausibilität der Angaben des Antragstellers. Insbesondere erscheint die Darstellung lebensfremd, wonach er angeblich für übliche und gängige Geschäfte des täglichen Lebens nicht auf ein (Online-)Girokonto zugreife. Das Gericht erachtet es für ausgeschlossen, dass er seit Jahren nie selbst Konto-Abbuchungen für private Versicherungen, Festnetzkosten, Mobiltelefonkosten, Online-Bestellungen, etc. tätigt. Es ist in seinem Fall nicht plausibel, dass er nur auf das aktenkundige Bankkonto bei der S.-Bank zugreifen könne. Von dort werden sämtliche Gutschriften mehr oder weniger postwendend auf ein Bankkonto seiner Mutter weitergeleitet, auf welches angeblich weder der Antragsteller noch sein Bruder zugreifen können. Es leuchtet aber nicht ein, warum der Antragsteller aus Praktikabilitätsgründen kein eigenes Online-Konto nutzen sollte. Seine Schilderung widerspricht in krasser Weise seinem ansonsten angeblich flexiblen Umgang mit der hausärztlich attestierten Wegeunfähigkeit. Danach wäre er offenkundig durchaus fähig und gewillt, sich mithilfe ihm bestens vertrauter elektronischer Datenverarbeitung an seine krankheitsbedingt reduzierte Mobilität anzupassen. Vorgeblich ist der Antragsteller seit Jahren arbeitsvertragsgemäß als Online-Journalist ausschließlich am häuslichen Bildschirmarbeitsplatz tätig. Der Antragsgegner bezweifelt daher zurecht, dass der 42-Jährige auch anderweitig als bislang aktenkundig die Möglichkeiten der Digitalisierung erfolgreich nutzt, um trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Es ist nicht nachvollziehbar oder schlüssig, aus welchen Gründen der Antragsteller nur in Bezug auf seine redaktionelle Berufstätigkeit online aktiv sein sollte.

Aller Lebenswahrscheinlichkeit nutzt er das Internet nicht weniger für die Verwaltung seiner Einkünfte und Ausgaben, um trotz seiner Gebrechen am Zahlungsverkehr teilnehmen zu können. Dem hierzu widersprüchlichen Vorbringen des Antragstellers ist in seiner bisherigen Gestalt daher kein Glauben zu schenken. Viel wahrscheinlicher ist beispielsweise, dass der Antragsteller über anderweitige Zugriffsmöglichkeiten auf eigenes oder fremdes Vermögen oder Einkommen verfügt, um Geschäfte des täglichen Lebens ohne familiäre Unterstützung seines hunderte Kilometer entfernt lebenden Bruders (ggfs. online) vorzunehmen. Hierfür wäre beispielsweise denkbar, dass er selbst auf das Konto seiner Mutter zugreifen kann, weil er die diesbezüglichen Zugangsdaten für Online-Verfügungen und/oder einer EC-Karte nebst Geheimzahl besitzt. Ebenso könnte er die faktische Verfügungsgewalt über eines oder mehrere andere Konten im In- oder Ausland besitzen, auf welche neben den aktenkundigen Zuflüssen von Arbeitslosengeld 2 und Arbeitslohn auch andere Einkünfte unbekannter Art und Höhe fließen.

Massive Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Antragstellers sind auch deswegen gerechtfertigt, weil er zumindest teilweise seinen Lebensunterhalt buchstäblich durch das berufsmäßige Verbreiten von Verschwörungstheorien und Fake News im Internet sichert. Er arbeitet seit Jahren als Online-Journalist der Firma A.. Die Firma stellt sich selbst öffentlich als "Alternative Nachrichtenagentur" dar (http://www.oberhessen-live.de/2014/09/23/der-hort-der-wahren-wahrheiten). Der Antragsteller ist für A. als Redakteur des werbefinanzierten Internetprojektes "Extremnews" (https://www.extremnews.com/in-eigener-sache/... /) tätig. "Extremnews" verbreitet zahlreiche Verschwörungstheorien und Fake News (https://www.psiram.com/de/index.php/Extremnews).

Das Gericht muss bei der Würdigung der aktenkundigen und öffentlich zugänglichen Erkenntnisse überdies einfließen lassen, dass der Nachweis einer gefestigten, rechtsfeindlichen "reichsbürgerlichen" Gesinnung regelmäßig Zweifel an der Bereitschaft rechtfertigt, in gesetzlich geregelten Verfahren an der behördlichen Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken und hierbei umfassende und zutreffende Angaben zu machen. Die (Welt-)Anschauungen der meisten Organisationen der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sind logisch kaum nachvollziehbar, sie bilden sich meist in wirren bis skurrilen Theorien ab, welche ein mangelndes Verständnis des Rechtsstaates sowie eine grundsätzliche Bereitschaft, geltende Gesetze nichtanzuerkennen, zeigen (Bundesamt für Verfassungsschutz: "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". Staatsfeinde, Geschäftemacher, Verschwörungstheoretiker. Köln Dezember 2018).

Der Antragsteller ist sowohl beruflich als auch privat seit Jahren in exponierter Stellung innerhalb der "Reichsbürgerszene" aktiv. Das Internetportal "Extremnews", für welches der Antragsteller als Online-Redakteur schreibt, steht der sog. "Reichsbürgerbewegung" und der Szene um die sog. "Kommissarische Reichsregierung" nahe (https://www.psiram.com/de/index.php/Extremnews#...). Alleine eine Archivsuche nach dem bürgerlichen Nachnamen des selbsternannten Oberhauptes des Fantasiestaates "Königreich Deutschland" – Herr ... ... – auf der Webseite von "Extremnews" ergibt 102 Artikel von "Extremnews" mit namentlicher Nennung binnen weniger Jahre (https://www.extremnews.com/search?q=...&start=1&submit=). Der Antragsteller selbst erscheint namentlich und mit eigenem Bild in zumindest einem Artikel von "Extremnews" über sein eigenes kommunalpolitisches Engagement in K. (https://www.extremnews.com/berichte/politik/...). In einem weiteren Artikel mit dem Namen "Es tut sich was im Königreich Deutschland" ist ein Video eingebettet, in dessen Thumbnail der Antragsteller wiederzuerkennen ist, während er augenscheinlich sehr aufmerksam unmittelbar neben dem selbsternannten "König" von Deutschland in dessen royaler Tracht weilt bzw. an dessen Auftritt auf der Bühne mitwirkt (https://www.extremnews.com/berichte/vermischtes/...). Im Internetforum für "Reichsbürger" wird ein im Namen des sog. "Königreich Deutschland" vom Antragsteller verfasstes und an den Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages Oppermann gerichtetes Schreiben diskutiert (https://forum.sonnenstaatland.com/index.php?PHPSESSID=...).

Seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat der Antragsteller auch durch die schriftlichen Bestätigungen seines Bruders und die Vorlage von Entgeltbescheinigungen seines Arbeitgebers nicht glaubhaft gemacht.

Die Belastbarkeit der Angaben eines Bruders ist im Rahmen der Beweiswürdigung wegen der familiären Verbundenheit nicht zwangsläufig gewährleistet. Eine eidesstattliche Versicherung des Bruders liegt hier überdies nicht vor. Ohnehin kommt der Erklärung des Bruders vom 31.08.2020 wegen ihrer skurrilen Gestaltung kein nennenswerter Beweiswert zu. Der Bruder distanziert sich darin persönlich vom Erklärungsgehalt der Angaben zur Sache. Er kann für sie nicht verantwortlich gemacht werden. Die Stellungnahme vom 31.08.2020 hat der Bruder gerade nicht im eigenen Namen abgegeben. Umgekehrt hat er sich von ihrer Urheberschaft ausdrücklich distanziert. Neben seinem bürgerlichen Namen gab er sowohl im Fließtext als auch bei der Unterschrift das Copyright-Symbol ("©") als Namenszusatz an und gab damit seine Stellungnahme im Namen einer bloßen Fantasieperson ab. Ausweislich des Schriftbildes seiner weiteren schriftlichen Stellungnahme vom 13.08.2020 (Seite 152 der Behördenakte) unterschreibt er keineswegs ständig derart. Ferner hat der Bruder am 31.08.2020 unmittelbar unterhalb der "Unterschrift" ein nicht allgemeingebräuchliches bzw. unverständliches Kürzel ("a.R.d.P") angefügt. Auch dieses wertet das Gericht als eine Art Vorbehalt nicht näher bestimmbaren Inhalts. Vor dem Hintergrund dieses Verhaltens ist die Glaubwürdigkeit des Bruders stark herabgesetzt. Sein schriftliches Gebaren gegenüber dem Antragsgegner im Schreiben vom 31.08.2020 deutet in der Gesamtschau wahrscheinlich darauf hin, dass er demselben sog. "Reichsbürger"-Milieu zuzurechnen ist wie sein enger Familienangehöriger. Als solche fühlt er sich wohl nicht minder an geltendes Recht und Gesetz gebunden als der hiesige Antragsteller selbst. Dies mindert wiederum den Beweiswert seiner Erklärung vom 13.08.2020 stark. Ohnehin sind die kurzen Angaben in den Erklärungen des Bruders nicht hinreichend plausibel, anschaulich, nachvollziehbar, detailliert oder lebensnah, um das Vorbringen des Antragstellers nennenswert zu stützen. Vielmehr erscheint sein Vorbringen, neben der Vollzeittätigkeit beim Autohersteller und der angeblichen allwöchentlichen zeit- und nervenraubenden Pendelei zwischen M. – an der Grenze zu Polen – und K. – in Baden-Württemberg – auch noch seit Jahren die Haushaltsführung des wegeunfähigen und alleinstehenden Antragstellers teilweise zu übernehmen, ganz und gar unwahrscheinlich.

Die laufenden Entgeltbescheinigungen des Arbeitgebers über ein vermeintliches Arbeitseinkommen in Höhe von angeblich nur 100,- EUR monatlich tragen das Vorbringen des Antragstellers ebenfalls nicht. Eine monetäre Vergütung in dieser Größenordnung würde seinen unzweifelhaften Verdiensten bei der Verbreitung von Fake News und Verschwörungstheorien nicht gerecht. Sie widerspräche der besonderen Bedeutung der Kontakte eines außerordentlich gut vernetzten Redakteurs. Der Antragsteller vermochte aufgrund seiner langjährigen Zugehörigkeit zur "sog. Reichsbürgerszene" ausweislich der oben genannten Quellen sogar in den Genuss persönlicher Begegnungen mit dem selbsternannten "König von Deutschland" kommen. Die extensive Berichterstattung über dessen Aktivitäten erscheint auf dem Markt der Internetnachrichtenanbieter ein Alleinstellungsmerkmal von "Extremnews" zu sein und zu den Säulen dessen wirtschaftlichen Erfolges zu gehören. Gemessen an der enormen Reichweite des Internetauftritts, den hiermit generierbaren Werbeeinnahmen und der wirtschaftlichen Bedeutung der persönlichen Kontakte des Antragstellers ist nicht plausibel, dass er sich seine Dienste mit nur 100,- EUR monatlich vergüten lässt. Die Abrede über eben diese Lohnhöhe im Arbeitsvertrag von 2018 dissimuliert aller Wahrscheinlichkeit nach lediglich die geheime Abrede über eine vielfach höhere Entlohnung und die weitern Modalitäten der Verdunkelung daheim bzw. online "schwarz" geleisteter Mehrarbeit. Der Anschein einer bloß geringfügigen Beschäftigung dient wohl dazu, den Einkommens-Freibetrag nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II auszuschöpfen.

Weitere Ermittlungen sind insofern von Amts wegen nicht geboten. Die Verantwortlichen von "Extremnews" entziehen sich gezielt einer rechtlichen Inanspruchnahme. Sie treten im Rechtsverkehr ausweislich des Impressums von "Extremnews" derzeit presserechtlich unter dem Firmennamen "Stiftung Neue Perspektive Medien" auf, welche in der 120 High Road, East Finchley, N2 9ED London, Groß Britannien firmiert (https://www.extremnews.com/impressum/). Unter derselben Anschrift sitzt die Firma "D... Impressums-Service". Auf diese hatte "Extremnews" in der Vergangenheit in ihrem Impressum direkt als presserechtlich verantwortliches Unternehmen hingewiesen. Der "... Impressums-Service" hat seinerseits seinen Sitz in Uruguay, ist einschlägig dafür bekannt, für Gerichte oder Anwälte schwieriger erreichbar zu sein, wirbt mit dem Slogan "Keine Angst mehr vor der Abmahnung!” und wurde vom rechtsgerichteten Blog "Politaia" sowie weiteren deutschsprachigen Blogs aus dem rechten Milieu verwendet (https://www.psiram.com/de/index.php/Extremnews). Der weiterhin amtierende Chefredakteur von "Extremnews", Herr ... ..., macht keinen Hehl daraus, dass die Verlegung der offiziellen Verwaltung ins Ausland absichtlich erfolgt ist, um sich der juristischen Verantwortlichkeit zu entziehen (https://www.oberhessen-live.de/2014/09/23/der-hort-der-wahren-wahrheiten/).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Rechtskraft
Aus
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