L 2 AL 38/18

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 3 AL 17/17
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AL 38/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 8. November 2018 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Insolvenzgeld für den Monat September 2016 von der Beklagten für ein weiteres Insolvenzereignis bei der gleichen Arbeitgeberin.

Die am ... 1985 geborene Klägerin war seit dem 12. Februar 2007 bei der Firma T. T. GmbH aus D. (im Folgenden: Arbeitgeberin) beschäftigt, die einen Modehandel im Filialgeschäft betrieb. Auf ihren Antrag bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 19. März 2015 Insolvenzgeld für die Monate Dezember 2014 bis Februar 2015 in Höhe von 3.761,35 EUR. Insolvenzereignis war der Beschluss des Amtsgerichts D. über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Arbeitgeberin vom 1. März 2015 (500 IN 226/14). Es wurde ein Insolvenzplan beschlossen. Hierfür war neben einem Darlehen von Herrn B. C. aus H. K. in Höhe von 2,5 Mio. EUR auch eine selbstschuldnerische Bürgschaft von Herrn W. über 1 Mio. EUR Grundlage. Am 12. Januar 2016 gab her W. eine Patronatserklärung ab, wonach er sich verpflichtete, die Schuldnerin mit einem Betrag in Höhe von 650.000 EUR auszustatten, um die Masseverbindlichkeiten und Forderungen der Insolvenzgläubiger zu erfüllen, soweit sie hierzu nicht in der Lage sei. Danach führte die Arbeitgeberin ihre Geschäfte fort. Mit Beschluss vom 14. Januar 2016 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben, nachdem die Bestätigung des Insolvenzplanes rechtskräftig geworden war. Nach dem Beschluss werde – wie im Insolvenzplan vorgesehen – nunmehr durch den Sachwalter überwacht, ob die Ansprüche erfüllt werden, die den Gläubigern nach dem gestaltenden Teil des Insolvenzplanes gegen die Schuldnerin (Arbeitgeberin) zustehen.

Mit Schreiben vom 20. September 2016 teilte der Sachwalter (Rechtsanwalt Dr. K.) der Beklagten mit, dass die Schuldnerin (Arbeitgeberin) Ansprüche aus dem Insolvenzplan nicht erfülle. Am 30. September 2016 wurde der Rechtsanwalt Dr. M. d`A. zum vorläufigen Insolvenzverwalter für die Arbeitgeberin bestellt wurde. Am 29. November 2016 eröffnete das Amtsgericht Düsseldorf per Beschluss erneut das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin (500 IN 184/16).

Die Klägerin beantragte am 27. Oktober 2016 bei der Beklagten Insolvenzgeld für den Monat September 2016. Ihr sei ihr abgerechneter Lohn in Höhe von 1.700 EUR brutto bzw. 1.207,71 EUR netto für diesen Monat nicht ausgezahlt worden.

Mit Bescheid vom 6. Dezember 2016 lehnte die Beklagte die Zahlung von Insolvenzgeld ab, weil die Forderung nicht in den letzten drei Monaten vor der Insolvenzeröffnung am 1. März 2015 liege. Hiergegen legte die Klägerin am 5. Januar 2017 Widerspruch ein. Das alte Insolvenzverfahren dürfe nicht zugrunde gelegt werden, weil es durch Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben worden sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Januar 2017 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück: Das neue Insolvenzereignis könne hier nicht anerkannt werden, denn das Insolvenzereignis vom 1. März 2015 entfalte Sperrwirkung. Ein neues Insolvenzereignis könne nur dann anerkannt werden, wenn das fragliche Unternehmen zwischenzeitlich die Zahlungsfähigkeit wiedererlangt habe. Dies sei hier nicht der Fall, weil der Insolvenzplan nicht vollständig erfüllt worden sei.

Hiergegen hat die Klägerin am 20. Januar 2017 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Halle erhoben und es wie folgt begründet: Es handele sich vorliegend um ein neues Insolvenzereignis im Sinne der Insolvenzgeldvorschriften. Sie habe ihre Arbeitsleistung im Vertrauen darauf erbracht, dass der erste Insolvenzfall beseitigt gewesen sei und dass die Arbeitgeberin wieder in der Lage war, ihre fälligen Verbindlichkeiten im Allgemeinen zu erfüllen. Auch der vorläufige Insolvenzverwalter habe ihr ein Merkblatt über Insolvenzgeld übersandt.

In den beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten ist der Bericht des Insolvenzverwalters vom 11. Januar 2017 zur Gläubigerversammlung enthalten. Danach konnten nur 80.000 EUR (im Juni 2016) von Herrn W. vereinnahmt werden (Bl. 175 VA). Für weitere Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten verwiesen.

Mit Urteil vom 8. November 2018 hat das SG der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Insolvenzgeld unter Zugrundelegung eines Bruttoarbeitsentgeltes von 1.700 EUR für September 2016 zu gewähren. Die Voraussetzungen für Insolvenzgeld nach dem Insolvenzereignis vom 29. November 2016 seien gegeben. Das erste Insolvenzereignis vom 1. März 2015 entfalte keine Sperrwirkung. Es sei nach Ansicht der Kammer - entgegen der Rechtsprechung des BSG - allein auf die formale Aufhebung des ersten Insolvenzverfahrens abzustellen. Etwas anderes hätte ausdrücklich durch den Gesetzgeber geregelt werden müssen. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Nichterfüllung des Insolvenzplanes in Anbetracht von der Bürgschaft bzw. Patronatserklärung nicht aussagekräftig sei.

Gegen das ihr am 13. Dezember 2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21. Dezember 2018 Berufung eingelegt und auf die gefestigte Rechtsprechung des BSG verwiesen. Die Arbeitgeberin habe ihre allgemeine Zahlungsfähigkeit nicht wiedererlangt, weshalb ein neuerliches Insolvenzereignis nicht in Betracht komme.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, das erstinstanzliche Gericht habe zu Recht der Klage stattgegeben. Auch aus dem Schutzzweck des europäischen Rechtes sei zu entnehmen, dass auf die zwingende Verbindung zwischen der Zahlungsunfähigkeit und den unbefriedigten Ansprüchen abzustellen sei. Sie habe die Arbeitsleistung für den Monat September 2016 vollständig erbracht und sei den folgenden Geschehnissen ohne Handlungsalternative ausgesetzt gewesen. Ihr seien keine Zahlungsschwierigkeiten der Arbeitgeberin bekannt gewesen. Die Darstellung der Beklagten, die Arbeitgeberin habe ihre Zahlungsfähigkeit nicht wiedererlangt, werde mit Nichtwissen bestritten. Es seien auch 1,5 Jahre zwischen den beiden Insolvenzereignissen vergangen. Die Arbeitgeberin sei im Allgemeinen ihren Verpflichtungen nachgekommen und habe die Modehäuser betrieben und auch Arbeitsentgelte bezahlt. Es müsse jedenfalls die Regelung in § 165 Abs. 3 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III) zu der Weiterarbeit in Unkenntnis des Insolvenzereignisses zur Anwendung gebracht werden. Die Kenntnis von dem vorangegangenen Insolvenzereignis könne nicht zu der Unterstellung eines Kennens oder Kennenmüssens von dem weiteren Insolvenzereignis führen.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten der Beklagten ergänzend verwiesen. Diese lagen bei der zu treffenden Entscheidung vor.

Entscheidungsgründe:

Der Berichterstatter durfte gem. § 155 Abs. 3 und 4 des Sozialgesetzbuches (SGG) anstelle des Senates allein ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten dem zugestimmt haben.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft gem. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, weil der Beschwerdewert 750 EUR übersteigt. Es geht um die Zahlung von Insolvenzgeld in Höhe von 1.207,71 EUR. Die Berufung ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden.

Die Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht der Klage der Klägerin stattgegeben. Ihr steht kein Anspruch auf Insolvenzgeld für den Monat September 2016 gegen die Beklagte zu. Einen solchen Anspruch hat die Beklagte zu Recht mit Bescheid vom 6. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Januar 2017 abgelehnt.

Nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Durch den Insolvenzeröffnungsbeschluss vom 29. November 2016 über das Vermögen der Arbeitgeberin ist kein arbeitsförderungsrechtliches Insolvenzereignis eingetreten. Denn das frühere Insolvenzereignis vom 1. März 2015 entfaltet Sperrwirkung. Insolvenzgeldrechtlich ist kein neues Insolvenzereignis eingetreten, weil lediglich das frühere Insolvenzereignis wieder aufgelebt ist. Zu Recht hat das Bundessozialgericht schon für das Konkursausfallgeld wie auch für das Insolvenzgeld hervorgehoben, dass es nicht auf die formelle Aufhebung und Wiedereröffnung des Insolvenzverfahrens nach der Insolvenzordnung ankommt, sondern darauf, ob tatsächlich materiell ein neues Insolvenzereignis vorliegt, sich also eine neue Gefahr verwirklicht hat. Insofern hat das Bundessozialgericht nachvollziehbar in ständiger Rechtsprechung den Maßstab entwickelt, dass ein neues Insolvenzereignis i. S. des SGB III nicht eintreten kann, solange die auf einem früheren Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers noch andauert (ständige Rechtsprechung des BSG statt anderer: Urteil vom 17. März 2015 – B 11 AL 9/14 R und Urteil vom 29. Mai 2008 – B 11a AL 57/06 R – jeweils juris).

Der vorliegende Fall ist insofern geradezu typisch für diese Fallkonstellationen.

Der abgeschlossene Insolvenzplan, dessen Erfüllung der Sachwalter (Insolvenzverwalter) überwachen sollte, ist von der Arbeitgeberin nicht erfüllt worden, weshalb das Insolvenzverfahren wiedereröffnet werden musste. Dies hat der Sachwalter unmissverständlich am 20. September 2016 der Beklagten als Gläubigerin mitgeteilt und hierauf beruht der (neuerliche) Eröffnungsbeschluss vom 29. November 2016. Dadurch lebten die gesamten Forderungen der Gläubiger wieder auf. Angesichts dieser konkreten Tatsachen, die auch von der Beklagten hervorgehoben wurden und sich aus den Verwaltungsakten ergeben, ist ein pauschales Bestreiten der Klägerin unsubstantiiert. Soweit die Klägerin damit die Rechtsansicht vertritt, die allgemeine Zahlungsfähigkeit sei schon dann wiederhergestellt, wenn durch die Arbeitgeberin die Löhne bezahlt und der Betrieb aufgenommen wurde, ist dies verfehlt. Die allgemeine Zahlungsfähigkeit bezieht sich gerade darauf, dass die vorhandenen Verpflichtungen erfüllt werden können. Hierzu gehören auch die vereinbarten Teilzahlungen aus dem Insolvenzplan. Es ist unbeachtlich, ob nach der Konzeption des Insolvenzplanes ein solcher Fall wegen einer Bürgschaft bzw. Patronatserklärung von Herrn W. nicht hätte eintreten sollen. Trotz der Bürgschaft und Patronatserklärung die wohl – aus welchen Gründen auch immer – nur zu einem kleinen Teil erfüllt wurde, ist es der Arbeitgeberin nicht gelungen, die Verpflichtungen aus dem Insolvenzplan zu erfüllen. Dies zeigt, dass sich das ursprüngliche Risiko verwirklicht hat. Zutreffend und nachvollziehbar hat das BSG herausgearbeitet, dass es in einem solchen Fall unerheblich ist, ob nach den Vorschriften in der Insolvenzordnung das ursprüngliche Insolvenzverfahren formell schon mit der rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplanes nach § 258 Abs. 1 Insolvenzordnung aufgehoben wird und formell erneut eröffnet werden muss, wenn sich die Erwartung, der Schuldner werde seinen Verpflichtungen nachkommen, nicht erfüllt.

Hätte der Gesetzgeber trotz der Verwirklichung des gleichen Risikos aus Gründen des Verbraucherschutzes gleichwohl einen wiederholten Anspruch auf Insolvenzgeld entstehen lassen wollen, hätte er dies gesondert regeln müssen. Dies ist nicht nur nicht geschehen, sondern ausweislich der Überarbeitung und Neugestaltung des SGB III im Jahre 2011 hat der Gesetzgeber im Hinblick auf die zu erwartenden Mehrkosten für die umlagepflichtigen Arbeitgeber sich gerade nicht entschlossen, eine solche Regelung in das SGB III aufzunehmen (BT-Drs. 17/6853 S. 18 zu Nr 2 und S. 1 Ff. zu Art. 1 Nr. 7a und Art. 2 Nr. 18; weitere Einzelheiten bei BSG, Urteil vom 6. Dezember 2012 – B 11 AL 11/11 R – juris, Rn. 25).

Auch ein von der Klägerin mit allgemeinen Erwägungen ("Verbindung zwischen Zahlungsunfähigkeit und unbefriedigten Ansprüchen auf Arbeitsentgelt") begründeter Verstoß gegen den Schutzzweck der Richtlinie 2008/94 EG ist nicht nachvollziehbar. Das BSG hat die europarechtliche Dimension des Problems bereits überzeugend abgehandelt. Die europarechtlichen Regelungen schreiben nicht vor, dass und unter welchen Voraussetzungen ein bereits eingetretenes Insolvenzereignis arbeitsförderungsrechtlich abgeschlossen ist, um ein neues Insolvenzereignis annehmen zu können (BSG, Urteil vom 17. März 2015 – B 11 AL 9/14 R – juris, Rn. 20). Das Europarecht sieht insofern keine Vorgaben für den nationalen Gesetzgeber vor, sondern hätte sogar ermöglicht, mehrere formelle Insolvenzereignisse zu einem Gesamtverfahren zusammenzufassen. Aus dem Umstand, dass dies nicht wahrgenommen wurde, kann nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass deshalb keine arbeitsförderungsrechtliche Differenzierung möglich ist. Es ist auch nicht ersichtlich, dass durch die Anwendung des § 165 SGB III entsprechend der dargestellten Auffassung der europäische allgemeine Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung oder der allgemeine Gleichheitsgrundsatz nach dem Grundgesetz verletzt sein könnte. Es stellt eine sachliche Differenzierung dar zwischen den Personen zu unterscheiden, die aus Anlass der Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers schon einmal eine Garantieleistung erhalten haben und denen, die erstmalig eine solche Leistung nach dem SGB III beanspruchen.

Ein Anspruch lässt sich auch nicht aus § 165 Abs. 3 SGB III herleiten. Ist wie oben dargestellt, unverändert das Insolvenzereignis vom 1. März 2015 maßgebend, weil es Sperrwirkung für ein neues Insolvenzereignis entfaltet, kommt eine Weiterarbeit in Unkenntnis des Insolvenzereignisses nicht in Betracht. Die Klägerin kannte ausweislich ihres Insolvenzgeldantrages das betreffende Insolvenzereignis vom 1. März 2015. Es dürfte zwar zutreffen, dass der Klägerin die Rechtskenntnis fehlte, während des laufenden Insolvenzplanes nicht durch Insolvenzgeld erneut abgesichert zu sein. Dies ändert am Fehlen der Voraussetzungen jedoch nichts.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für eine Revisionszulassung gem. § 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht. Die zugrundeliegenden Rechtsfragen sind höchstrichterlich entschieden. Die entgegenstehende Einzelmeinung des SG liefert keine neuen nicht behandelten Argumente und bietet daher keine Veranlassung für eine erneute höchstrichterliche Überprüfung.
Rechtskraft
Aus
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