L 7 KA 38/20 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 87 KA 162/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 38/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. November 2020 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30.000,- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. November 2020 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, dem Antrag der Antragstellerin zu entsprechen, den Antragsgegner zu verpflichten, das Praxisnachbesetzungsverfahren 453/09/19 PPTh fortzusetzen, einen Praxisnachfolger oder eine -nachfolgerin auszuwählen und mit hälftigem Versorgungsauftrag zum nächst möglichen Zeitpunkt zuzulassen.

Die Voraussetzungen für die nach § 86b Abs. 2 SGG zu treffende einstweilige Anordnung liegen nicht vor. Es besteht im Fall der Antragstellerin zumindest kein eiliges Regelungsinteresse (Anordnungsgrund, I.). Auch ein Anordnungsanspruch ist zwar nicht ausgeschlossen, er rechtfertigt es aber nicht, den Antragsgegner zu verpflichten und damit die Hauptsache vorwegzunehmen (II.).

Die Antragstellerin begehrt mit ihrem in der Beschwerdeinstanz fortgeführten Antrag, wonach der Antragsgegner ein bereits begonnenes Praxisnachbesetzungsverfahren (ohne neue Ausschreibung) fortführen soll, nicht nur die Sicherung, sondern die vorläufige Regelung einer Rechtsposition. Sie begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners durch das Gericht, ein Verwaltungsverfahren weiter zu führen, das auf ihren Nachbesetzungsantrag vom 25. März 2019 bereits begonnen wurde und nach ihrer Auffassung derzeit noch nicht beendet ist. Damit verfolgt sie der Sache nach die (vorläufige) Durchsetzung eines behaupteten Verfahrensrechts. Für ihr Begehren besteht jedenfalls kein eiliges Regelungsbedürfnis. Es kann daher offen bleiben, ob es sich um einen Fall handelt, in der der Antrag schon deshalb keinen Erfolg haben kann, weil mit ihm der Sache nach "Rechtsschutz gegen Verfahrenshandlungen" begehrt wird, die in einem Hauptsacheverfahren nicht isoliert Gegenstand einer gerichtlichen Verpflichtung sein könnten (vgl. dazu § 56a SGG).

I. Ein eiliges Regelungsbedürfnis für eine Regelungsanordnung besteht dann, wenn eine gerichtliche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Es muss daher zumindest glaubhaft sein, dass der Antragstellerin ohne die begehrte einstweilige Anordnung bei Abwarten eines Hauptsacheverfahrens unzumutbare Nachteile entstehen. Das ist – wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat – auch zur Sicherung ihrer Verfahrensrechte nicht der Fall. Die Antragstellerin ist zur Vermeidung unzumutbarer Nachteile nicht auf Fortführung eines nach ihrer Auffassung noch laufenden Verwaltungsverfahrens angewiesen. Sie kann zum einen jederzeit einen neuen Antrag auf Durchführung eines (neuen) Praxisnachbesetzungsverfahrens stellen. Der Antragsgegner hat die erneute Durchführung eines solchen Verfahrens zu keinem Zeitpunkt abgelehnt. Zum anderen bedarf es in ihrem Fall nicht einmal eines solchen neuen Antrags. Der Antragsgegner hat ihr bereits mit Schreiben vom 17. September 2020 mitgeteilt, dass im Nachgang der Sitzung des Zulassungsausschusses vom 9. September 2020 die AG-ZA beschlossen habe, dass in derartigen Fällen der Praxissitz automatisch, ohne dass es eines erneuten Antrags der Praxisabgeber*innen bedürfe, von der KV Berlin ausgeschrieben werde. Das gelte selbstverständlich auch für den Praxissitz der Antragstellerin. Diese schriftliche Selbstverpflichtung des Antragsgegners, ein Verwaltungsverfahren erneut von Amts wegen mit der Ausschreibung in Gang zu setzen, hat die Antragstellerin nicht in Anspruch genommen, sondern stattdessen den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.

Eine neue Ausschreibung des hälftigen Psychotherapeutensitzes begründet für die Antragstellerin keinen wesentlichen Nachteil. Es sind mit ihr keine neuen Verwaltungskosten verbunden. Ist nach dem Beschluss der AG-ZA gerade kein erneuter Antrag der Antragstellerin erforderlich, dürfte auch die Antragsgebühr von 120,00 Euro für sie nicht anfallen. Dass sie ihre Praxis über das Ende des Quartals IV/2020 mit ihrer vollen Arbeitskraft und nicht nur hälftig weiter führen muss, ist kein daraus folgender (unzumutbarer) Nachteil. Dies entspringt vielmehr der Zulassung selbst und einer mit ihr verbundenen Versorgungsberechtigung sowie dem Versorgungsauftrag (§ 95 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 95c SGB V). Die Antragstellerin hat unter der Bedingung der Nachbesetzung zum 1. Januar 2021 auf die Hälfte verzichtet. Kein für die Antragstellerin wesentlicher Nachteil folgt schließlich daraus, dass u.U. gerade kein Bewerber oder eine Bewerberin, mit denen sie bereits vor der Entscheidung des Zulassungsausschusses jeweils einen Kaufvertrag geschlossen hat, den (hälftigen) Praxissitz erhalten. Die wirtschaftliche Verwertung des Praxisteils wird mit einer erneuten Ausschreibung und dem möglichen Abspringen bekannter und Auftreten neuer Interessenten im Bewerbungsverfahren jedenfalls keinesfalls gefährdet.

II. In der Sache ist durchaus offen, ob allein dadurch, dass die ausgewählte Bewerberin Frau Kvor der förmlichen Zustellung der Entscheidung i.S. des § 41 Abs. 5 Ärzte-ZV ihren Antrag zurückgenommen hat, auch das von der Antragstellerin initiierte Verwaltungsverfahren beendet wurde. Dafür könnte die Entscheidung des BSG vom 5. November 2003 (B 6 KA 11/03) sprechen, wonach das vor den Zulassungsgremien anhängige Verwaltungsverfahren i.S. des § 8 SGB X insgesamt beendet ist, wenn ein dieses Verfahren abschließender Verwaltungsakt sich - auch vor Eintritt der Bestandskraft - auf andere Weise, z.B. durch Verzicht des ausgewählten Bewerbers auf die Zulassung, erledigt (BSG, aaO, Rn. 31). Voraussetzung wäre allerdings im besonderen Fall der Antragstellerin, dass der nach § 41 Abs. 2 Ärzte-ZV gefasste Beschluss des Zulassungsausschusses zu seiner Wirksamkeit nicht der nach dem Gesetz "alsbald" vorzunehmenden "Zustellung einer Ausfertigung" an die Beteiligten bedarf. Nur in diesem Fall wäre der Verwaltungsakt bereits mit der mündlichen Bekanntgabe des Beschlusses in der Sitzung des Zulassungsausschusses am 12. August 2020 wirksam i.S. des § 39 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X, so die überwiegende Literatur, Kremer/Wittmann, Vertragsärztliche Zulassungssachen, Rn. 181; Peters-Hencke, § 96 SGB V Rn. 21; Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 96 SGB V (Stand: 06.11.2020), Rn. 87; Ladurner, Ärzte-ZV, § 41 Rn. 8). In diese Richtung weist auch das BSG mit seinem Urteil vom 24. Oktober 1961, welches es für möglich hält, dass Beschlüsse der Zulassungsinstanzen schon mit der mündlichen Verkündung existent werden (6 RKa 25/60BSGE 15, 177, 180). Dagegen könnte § 37 Abs. 5 SGB X angeführt werden, wonach Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes mittels Zustellung unberührt bleibe (so explizit Berchtold, ASR 2020, 198, 199, wonach der Zulassungsverwaltungsakt ohne die Zustellung nicht existent wird).

Dieser unübersichtlichen Rechtslage hat der Antragsgegner aber Rechnung getragen, da er von sich aus das Verwaltungsverfahren ohne einen erneuten Antrag der Antragstellerin mit der erneuten Ausschreibung neu beginnen wird (dazu oben). Das BSG selbst hält im Fall der Beendigung des Zulassungsverfahrens durch einen Verzicht des gewählten Bewerbers die Praxisabgeber für berechtigt, die Ausschreibung zu wiederholen und so das Verwaltungsverfahren neu zu starten (BSG, Urteil vom 5. November 2003, B 6 KA 11/03, Rn. 32). Der Antragsgegner wird dabei die für die Antragstellerin nachvollziehbar unglückliche Situation durch ein möglichst zügiges Verwaltungshandeln seinerseits berücksichtigen müssen. Dies erscheint im Lichte ihres grundrechtlich durch Art. 12 Grundgesetz (GG) abgesicherten Rechts einer Praxisverwertung geboten.

Die Kostenentscheidung und Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), §§ 52 Abs. 3, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz. Der Senat hat der Wertfestsetzung den mutmaßlichen Streitwert des Hauptsacheverfahrens (30.000 EUR) zu Grunde gelegt, weil die Antragstellerin mit ihrem Antrag auch in der Beschwerde eine vollständige Vorwegnahme der Hauptsache begehrt.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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