L 7 KA 45/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 79 KA 378/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 45/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Kassenärztliche Vereinigung ist nicht verpflichtet, im Rahmen der Bestimmung des RLV für eine radiologische Berufsausübungsgemeinschaft den Weggang einer Vertragsärztin unter Mitnahme ihrer Zulassung und Einbringung in ein MVZ im selben zulassungsbeschränkten Bezirk im Rahmen einer Fallzahlerhöhung für die verbliebenen Praxispartnerinnen zu berücksichtigen.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2016 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Vergrößerung ihres Regelleistungsvolumens (RLV) für das Quartal III/2009. Streitig ist, ob in diesem eine höhere Fallzahl im Hinblick auf den Weggang einer Vertragsärztin aus der Praxis zum Ende des Quartal II/2009 zu bestimmen ist.

Die Klägerin ist als radiologische Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) in B-W (S, B), einem zulassungsbeschränkten Planbereich, zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Gesellschafterinnen waren von Juli 1997 bis 30. September 2011 die Fachärztinnen für Radiologie Dr. C und für Radiologische Diagnostik Dr. K. Im Zeitraum von Juli 2006 bis zum 30. Juni 2009 war auch die Fachärztin für Radiologische Diagnostik Dr. S Mitgesellschafterin. Diese verließ die Praxis und wechselte in ein MVZ nach Berlin-N (, 12351 B). Sie nahm ihre Zulassung mit und wurde im MVZ mit 1 Vollzeitkraft (VK) angestellt. Zum 1. Oktober 2009 wurde Dr. L im Wege des Jobsharing (mit 1 VK) in der klägerischen BAG angestellt.

Die Beklagte wies der Klägerin für das Quartal III/2009 unter Gewährung eines 10 % Zuschlags ein praxisbezogenes Regelleistungsvolumen (RLV) von 191.640,15 Euro mit einer Gesamtfallzahl von 2.487 zu. Es wurde dabei aus den Einzel-RLVs der Ärztinnen Dr. C (110.889,18 Euro) und Dr. K (64.329,14 Euro) unter Zugrundelegung von Fallzahlen von 1.255 und einem Fallwert von 50,39 Euro (Frau Dr. K, Arztgruppe 34 – Radiologen mit Radiologie und CT oder MRT) bzw. 1.232 und einem Fallwert von 89,62 Euro (Frau Dr. C, Arztgruppe 35 - Radiologen mit Radiologie und CT und MRT) ermittelt. Eine Berücksichtigung der von Frau Dr. S im Vorjahresquartal III/2008 realisierten RLV-Fälle erfolgte dabei nicht (Bescheid vom 4. Juni 2009).

Die Klägerin behandelte im Quartal III/2009 tatsächlich 4.562 Fälle und forderte ein Honorarvolumen in Höhe von 329.488,24 Euro an. Sie überschritt das RLV damit in Höhe von 137.848,09 Euro.

Die Klägerin legte gegen die RLV-Zuweisung Widerspruch ein und beantragte im Hinblick auf die tatsächlich abgerechneten Behandlungsfälle die Anerkennung einer Fallzahlerhöhung auf 4.562. Die Regelung des § 6 Abs. 3 Sätze 1 und 2 c) der Anlage 1 zum Honorarvertrag 2009 (HVV 2009) sei insoweit zumindest entsprechend anzuwenden. Die BAG C K sei eine seit vielen Jahren am Splatz etablierte Praxis. Frau Dr. S sei übergangsweise und lediglich probeweise tätig gewesen und dann in das entfernte MVZ (im Zulassungsbezirk) gewechselt. Sie habe damit ihre vertragsärztliche Versorgung im Einzugsbereich der Praxis aufgegeben. Die Entfernung zwischen der BAG der Klägerin und dem MVZ, an dem sie nun tätig sei, betrage knapp 22 km. Dr. S seien keine Patienten oder Überweisungen aus dem Einzugsgebiet an das MVZ nach Berlin-N gefolgt. Die infolgedessen aufgetretene Versorgungslücke habe durch die Gemeinschaftspraxis der Klägerin geschlossen werden müssen. Das belege auch eine historische Betrachtung der Fallzahlen; Diese seien vor, während und nach der Tätigkeit von Frau Dr. S weitestgehend konstant geblieben. Wie die Fallzahl im ersten Quartal nach ihrem Weggang, dem Quartal III/2009, belege, habe dieser gerade nicht zu dem vom RLV-Bescheid zugrunde gelegten Fallzahlenrückgang geführt. Auf die Fallzahl im Aufsatzquartal III/2008 dürfe dabei für die verbliebenen beiden Ärztinnen nicht abgehoben werden, denn dieses sei bei einer Tätigkeit von seinerzeit noch drei Ärztinnen nicht repräsentativ. Hilfsweise sei aber zumindest die in diesem Aufsatzquartal realisierte Fallzahl der Praxis von 4.121 Fällen dem RLV zugrunde zu legen. Bereits unter Geltung der Individualbudgets sei anerkannt gewesen, dass die tatsächliche Übernahme von Patienten einer nicht mehr fortgeführten Praxis zur Erhöhung des Budgets führe. Dabei komme es allein auf die Übernahme von Patienten an.

Die Beklagte lehnte die beantragte Fallzahlerhöhung für das Quartal III/2009 ab (Bescheid vom 16. Februar 2012). Eine Ausgleichszahlung wegen eines überproportionalen Honorarverlustes könne nicht erfolgen.Leistungen könnten über das arztbezogene RLV hinaus mit den Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung vergütet werden, wenn aufgrund einer Aufgabe einer Zulassung oder genehmigten Tätigkeit eines Arztes der eigenen Berufsausübungsgemeinschaft eine außergewöhnlich starke Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten vorliege. Bei dem Weggang von Frau Dr. S liege lediglich eine Praxissitzverlegung unter Beibehaltung ihrer Zulassung bzw. ihres Überganges in ein MVZ vor und nicht die tatsächliche ersatzlose Aufgabe aufgrund des Endes einer Zulassung.

Den Widerspruch, mit dem die Klägerin u.a. geltend machte, auf eine "ersatzlose Aufgabe der Zulassung" komme es für die gebotene Fallzahlerhöhung im Rahmen des RLV nicht an, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. April 2013 zurück. Es fehle an einer Rechtsgrundlage für das Begehren. Ab dem Quartal II/2010 sehe der Honorarvertrag mit § 7 Abs. 6 eine Regelung vor, die eine abweichende RLV-Festsetzung ermögliche, wenn von Ärzten höhere Fallzahlen nachgewiesen werden könnten. Frau Sattler habe ihre Zulassung nicht aufgegeben, sondern nur ihren Praxissitz innerhalb des Zulassungsbezirks verlegt.

Die Klägerin hat am 6. September 2013 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben. Es liege in III/2009 im Hinblick auf den Weggang von Dr. S ein unverschuldeter Fallzahlanstieg vor. Hilfsweise sei jedenfalls in III/2009 eine Ausnahme von der Abstaffelung auf der Grundlage der allgemeinen Härteklausel vorzunehmen. Die in dem Quartal erbrachten ärztlichen Leistungen müssten bis zur Summe der arztbezogenen RLV der Klägerin und von Frau Dr. S unter Berücksichtigung des Kooperationszuschlags vergütet werden. Dass die Beklagte keine Ausnahme von der Abstaffelung gewähre, verstoße gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit. Die Frage der Existenzgefährdung sei unerheblich.

Die Beklagte hat entgegengehalten, es liege keine außergewöhnlich starke Erhöhung der Fallzahlen der behandelten Versicherten vor, der Fallzahlzuwachs gegenüber dem Aufwuchsquartal (III/2008) betrage nur 10,87 %. Außerdem hätten radiologische Praxen keinen Kundenstamm.

Mit Urteil vom 22. Juni 2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine Fallzahlerhöhung. Grundlage könne Teil F, Ziffer 3.4 des Beschlusses des erweiterten Bewertungsausschusses (EBewA) vom 27./28. August 2008 und die gleichlautende Regelung des § 6 Abs. 3 der Anlage 1 zum HVV 2009 sein. Deren Voraussetzungen lägen nicht vor. Insbesondere seien die Voraussetzungen für die Regelung des § 6 Abs. 3 lit. c) HVV nicht gegeben. Das dort vorgesehene Merkmal der "Aufgabe einer Zulassung" liege mit dem Weggang von Frau Dr. S nicht vor. Diese habe ihre Zulassung mitgenommen und in ein MVZ eingebracht, welches ebenfalls den RLV-Regelungen unterliege. Die von der Klägerin begehrte Anwendung der Regelung würde dazu führen, dass sowohl Frau Dr. S in dem MVZ aufgrund ihrer vorhergehenden Tätigkeit bei der Klägerin und des auf dieser Grundlage zu bildenden RLV Leistungen erbringen könne als auch die Klägerin ihre Leistungen unter Berücksichtigung dieser Tätigkeit ohne Einschränkungen so ausweiten könne, als wäre Frau Dr. S noch in der klägerischen Praxis tätig. Ein derartiges Vorgehen finde im Gesetz keine Stütze. Für eine analoge Anwendung der Bestimmung sei kein Raum. Die Einführung des RLV sei als Instrument der Mengensteuerung erfolgt. Ziel sei es, einerseits den Vertragsärzten Kalkulationssicherheit zu geben und andererseits durch Abstaffelungen den ökonomischen Anreiz zur Leistungsausweitung zu begrenzen und einer Kostendegression Rechnung zu tragen (BSG, Urteil vom 14. September 2011 – B 6 KA 6/11 R Rn. 31, juris). Die analoge Anwendung von geregelten Ausnahmen auf weitere Fälle wie den vorliegenden würde letztlich jegliche Leistungsmengensteuerung obsolet machen und dem gesetzlichen Steuerungszweck zuwiderlaufen. Der Gesetzgeber habe lediglich verhindern wollen, dass besondere Situationen, etwa ein besonderer Fallzahlanstieg infolge der Erkrankung oder Zulassungsaufgabe eines Kollegen, dazu führten, dass ein Arzt unverschuldet mit einem Großteil seiner Leistungen in die Abstaffelung gerate. Es könne im Fall der Klägerin offenbleiben, ob ein HVV neben Regelungen wie § 6 Abs. 3 lit. c) HVV 2009 eine allgemeine Härteklausel enthalten müsse (BSG, Urteil vom 19. Dezember 2004 – B 6 KA 44/03 R Rn. 66, juris). Dies könne im Fall der Klägerin bereits deshalb nicht zum Erfolg der Klage führen, weil ein Härtefall u.a. eine Existenzgefährdung voraussetze (BSG, Urteil vom 17. Juli 2013 – B 6 KA 44/12 R). Diese habe die Klägerin aber nicht dargelegt.

Es bestehe auch kein Anspruch auf eine Ausnahme von den Abstaffelungsregelungen. § 87b Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz SGB V sehe vor, dass bei einer außergewöhnlichen Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten von der Abstaffelung der Vergütung für die das RLV übersteigende Leistungsmenge abgesehen werden könne. Ob für diese Bestimmung überhaupt noch Raum neben den Tatbeständen des § 6 Abs. 3 der Anlage 1 des HVV 2009 Raum sei oder diese Regelung oder der Beschluss des EBewA eine abschließende Konkretisierung darstellten, habe das BSG offengelassen (Urteil vom 17. Juli 2013 – B 6 KA 44/12 R). Es habe aber ausgeführt, dass ein Arzt, der aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen eine erhöhte Fallzahl habe, entweder wegen eines starken Patientenzulaufs im neuen Quartal oder einer von ihm nicht zu vertretenden geringen Fallzahl im Vorjahresquartal, nicht nur mit abgestaffelten Preisen abgefunden werden sollte. Eine solche Fallkonstellation liege bei der Klägerin aber nicht vor. Aus den Darlegungen der Beklagten ergebe sich, dass im Vergleich zum Aufsatzquartal III/2008 lediglich ein Fallzuwachs von 10,87 % bestanden habe. Eine ungewöhnliche Fallzahlsteigerung liege nicht vor. So werde für die Anerkennung von Praxisbesonderheiten gefordert, dass der Fallwert den durchschnittlichen Fallwert der Arztgruppe um mindestens 15 % übersteige. Ferner sei erforderlich, dass ein erheblicher Anteil der als Praxisbesonderheiten geltend gemachten Leistungen bezogen auf das Gesamtleistungsvolumen erbracht werde. Als erheblich habe die Rechtsprechung bereits zum Individualbudget einen Anteil von 20 % angesehen. Auch sei für die Klägerin nicht erkennbar, dass die Fallzahl des Vorjahresquartals nicht repräsentativ sei. Die Kammer gehe davon aus, dass die Klägerin die Erhöhung der Fallzahl selbst zu vertreten habe. Da radiologische Praxen keinen festen Patientenstamm hätten, sei es nachvollziehbar, dass die Klägerin weiterhin mit den Leistungserbringern vertrauensvoll kooperieren wolle, die ihr Patienten überwiesen und die überwiesenen Patienten versorge. Dann müsse sie auch die Konsequenzen einer Abstaffelung tragen. Außerdem dürfe nicht verkannt werden, dass die tatsächlichen Behandlungsfälle der Klägerin in III/2009 gemäß dem Beschluss des EBewA vom 27./28. August 2008 nach Teil F Nr. 3.2.1 bei der Festsetzung des RLV im Nachfolgequartal Berücksichtigung fänden und es deshalb nur vorübergehend zur Anwendung der Abstaffelungsregelungen komme.

Gegen das ihr am 20. Juli 2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22. August 2016 Berufung eingelegt. Frau Dr. S habe auf ihre vertragsärztliche Zulassung verzichtet, um sich im etwa 17 km entfernten VKlinikumNRStraßeB, anstellen zu lassen. Vom Grundsatz der Abstaffelung der Leistungen, die das RLV überschritten, müsse im Fall der Klägerin nach § 6 Abs. 3 Satz 1 und 2 lit. c) der Anlage 1 HVV 2009 (gleichlautend mit Teil F, Ziff. 3.4 des Beschlusses des EBewA vom 27./28. August 2008) eine Ausnahme gemacht werden. Mit dem Weggang von Frau Dr. S zum 01. Juli 2009 sei der Klägerin eine Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes nicht möglich gewesen (§ 103 Abs. 4a Satz 1, 2. Halbsatz SGB V). Das Patientenaufkommen der Ärztin, das diese nicht in das entfernte MZV mitgenommen habe, hätten die verbleibenden beiden Ärztinnen versorgen müssen. Die RLV-Überschreitungen der BAG seien Folge des eigenverantwortlichen Ausscheidens von Frau Dr. S, damit nicht der Klägerin. Es hätten deshalb rund 1.500 Patienten in dem Quartal III/2009 zusätzlich versorgt werden müssen. Diese Entwicklung sei bei der Zuweisung des RLV für das Quartal noch nicht absehbar gewesen. Die Klägerin sei bei der Zuweisung so behandelt worden, als hätte Frau Dr. S ihre Patienten mitgenommen. Entscheidend für die Anwendbarkeit der Regelung des HVV 2009 sei, dass Frau Dr. S ihre Tätigkeit in der BAG aufgegeben hätte. Eine ersatzlose Aufgabe der Zulassung sei nach Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung nicht erforderlich. Die Regelung solle sicherstellen, dass das erhöhte Patientenaufkommen aufgrund des besonderen Umstandes, dass ein Vertragsarzt aus einer BAG ausgeschieden sei und somit der vermehrte Versorgungsbedarf nicht auf eigene Kosten der verbleibenden BAG erfolgen müsse. Gemäß der zum Individualbudget und einer vergleichbaren Ausnahmevorschrift vertretenen Rechtsprechung des Sozialgerichts Berlin sei allein maßgeblich gewesen, ob eine tatsächliche Übernahme von Patienten von der nicht mehr fortgeführten Praxis erfolge (S 79 KA 87/06). Die Ausnahmeregelungen seien für nicht steuerbare und nicht selbst verursachte Leistungsausweitungen geschaffen.

Zudem liege hier sogar eine "Aufgabe der Zulassung" i.S. der Vorschrift vor. Frau Dr. S habe nicht etwa "nur" ihren Vertragsarztsitz innerhalb des Zulassungsbezirks verlegt und in das MVZ N eingebracht, sondern sie habe im Zuge ihrer Anstellung im MVZ auf ihre vertragsärztliche Zulassung gemäß § 103 Abs. 4a Satz 1 SGB V verzichtet, das habe die Beklagtenvertreterin im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht auch bestätigt. Eine Fortführung der Praxis im Wege des Nachbesetzungsverfahrens im zulassungsbeschränkten Planungsbereich sei nicht möglich. Die Zulassung von Frau Dr. S habe also tatsächlich ihr Ende gefunden. Eine teleologische Reduzierung der "Aufgabe der Zulassung" komme nicht in Betracht. Denn die ausgeschiedene Ärztin betreue am MVZ einen ganz anderen Patientenstamm, nämlich den des dort ansässigen Klinikums N, auf dessen Gelände es sich befinde. Dieses habe wiederum ein hochspezialisiertes Diagnostikzentrum für Tumorerkrankungen und hämatologische Erkrankungen, damit ein gänzlich anderes Patientenklientel als die klägerische BAG.

Eine außergewöhnliche Erhöhung der Fallzahl liege schließlich bei Betrachtung der arztbezogenen Patientenzahl vor, denn dann ergebe sich ein erheblich gesteigertes Patientenaufkommen von mindestens 1.500 Fällen. Verfehlt sei demgegenüber die strikt praxisbezogene Betrachtung des Sozialgerichts, danach habe die Zahl im Quartal III/2008 4.002 Fälle betragen, im Quartal III/2009 4.437 Fälle. Diese seien allerdings von der Praxis von nur noch zwei Ärztinnen zu versorgen gewesen. Werde deren beider Patientenaufkommen im Quartal III/2008 (insgesamt 2.487 Fälle) den Fallzahlen gegenübergestellt, die sie III/2009 zu bewältigen hatten, ergebe sich ein Anstieg um ca. 2.000 Fälle, damit für sie eine außergewöhnliche Steigerung in Höhe von 78 %. Eine außergewöhnliche Steigerung bestehe auch dann, wenn man nur 4.002 Fälle (III/2008) zugrunde lege und die absolute Steigerung der Fallzahl in III/2009 außer Acht lasse. Denn entscheidend sei, dass dasselbe Patientenaufkommen der BAG von nur noch zwei Ärztinnen versorgt werden müsse, das RLV diesen aber ausgehend von ihrer Fallzahl III/2008 zugewiesen worden sei. Das Ausscheiden eines Praxispartners stelle stets einen außergewöhnlichen Grund für eine Ausnahme von der Abstaffelung i.S. des § 6 Abs. 3 Satz 2 lit. c) der Anlage 1 zum HVV 2009 dar. Bei einer reinen Praxisbetrachtung wäre die Ausnahmeregelung obsolet, da ein durch das Ausscheiden eines Praxismitgliedes sich (für die übrigen) ausdehnendes Volumen nie den Tatbestand erfüllen könne. Hätte Frau Dr. S ihre vertragsärztliche Tätigkeit ersatzlos eingestellt, wäre auch keine Ausnahmeregelung in Betracht gekommen. Dies widerspreche auch der Auffassung der Beklagten z.B. im Verfahren des Senates L 7 KA 110/13. Auch die Vorgaben des Bewertungsausschusses sowie des HVV 2009 sprächen gegen eine praxisbezogene Betrachtung. Teil F Ziff.1.2 des Beschlusses des EBewA vom 27./28. August 2008 sehe als Bezugsgröße für die Ermittlung des RLV den Arzt und nicht die Praxis vor ("Regelleistungsvolumen je Arzt "). Das ergebe sich auch aus dem Wortlaut von § 6 Abs. 3 Anlage 1 und aus § 5 Abs. 3 Satz 2 Anlage 1 HVV 2009. Bezogen auf die beiden Ärztinnen sei der Anstieg der Fallzahlen auch außergewöhnlich. Dies ergebe sich zumindest aus der Rechtsprechung des Sozialgerichts Berlin zum Individualbudget. Die Erhöhung der Fallzahl sei jedenfalls bis 2012 auch dauerhaft. Die Klägerin habe die per Überweisung kommenden Patienten auch gemäß § 13 Abs. 7 Satz 3, § 13 Abs. 4 Satz 1 BMV-Ä behandeln müssen und nicht ablehnen dürfen. Dass die BAG nur auf Überweisung tätig werde, spreche nicht gegen die Anwendung der Ausnahmereglung. Das BSG habe klargestellt, dass es auch bei der Fachgruppe der Radiologen auf eine vertrauensvolle Kooperation mit den überweisenden Ärzten und Krankenhäusern ankomme (Urteil vom 11. Dezember 2013 – B 6 KA 49/12 R). Die Klägerin verfüge über einen entsprechenden Stamm von überweisenden Ärzten, dies hätte sich durch den Weggang von Frau Dr. S nicht verändert, weil sie kein eigenes Vertrauensverhältnis zu diesen habe aufbauen können.

Rechtsfolge der Ausnahmeregelung sei allein eine Vergütung der das RLV überschreitenden Leistungen, die aufgrund des Ausscheidens von Frau Dr. S erbracht würden, zu den Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung. Das grundsätzlich eröffnete Ermessen sei zugunsten der Klägerin reduziert. Unter Berücksichtigung des zugewiesenen RLV und der tatsächlich in III/2009 erbrachten Fallzahlen führe die Überschreitung bei einer Abstaffelung dazu, dass fast die Hälfte der Leistungen nur mit dem Restpunktwert vergütet worden seien. Allein die Tatsache, dass das hohe Fallzahlvolumen sich ja im Quartal III/2010 positiv auswirke, spreche nicht gegen das Bedürfnis der Erhöhung in III/2009, denn dass das Bedürfnis vorübergehender Natur sei, sei auch anderen Ausnahmetatbeständen in § 6 Abs. 3 Anlage 1 HVV 2009 eigen. Diese bezweckten daher gerade eine angemessene Vergütung für das Abrechnungsquartal der Ausnahme.

Selbst wenn die direkte Anwendung der Ausnahmereglung nicht möglich sei, habe die Klägerin Anspruch auf eine analoge Anwendung von § 6 Abs. 3 Satz und 2 lit. c) der Anlage 1 zum HVV 2009. Die Auswirkungen des Weggangs von Frau Dr. S auf die klägerische Praxis seien absolut identisch mit der ausdrücklich geregelten Situation. Dies liefe der leistungssteuernden Wirkung des RLV als nur punktuelle Modifizierung nicht entgegen. Es gehe darum, dass das Budget der Versorgung folge. Den Ärzten solle ein RLV entsprechend der Anzahl der versorgten Patienten zur Verfügung stehen.

Hilfsweise sei der Klägerin eine Ausnahme nach einer allgemeinen Härteklausel zu gewähren, die ein HVV enthalten müsse (B 6 KA 17/10 R, B 6 KA 5/08 R und B 6 KA 63/05 B). Nicht erforderlich sei, dass im konkreten Fall stets eine Existenzgefährdung vorliege. Das ergebe sich nicht aus der BSG-Rechtsprechung (Urteil vom 17. Juli 2013 - B 6 KA 44/12 R). Es gelte jedenfalls dann nicht, wenn der Fall wertungsmäßig zumindest einer Existenzgefährdung – wie bei der Klägerin – entspreche.

Zwischenzeitlich habe die Beklagte eine Verwaltungsrichtlinie zu "Neufestsetzungen von arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumen (RLV) und qualifikationsgebundenen Zusatzvolumen (QZV)" beschlossen (KV-Blatt 3/2018). Aus dieser gehe hervor, dass eine Verlegung des Praxissitzes nunmehr einer Aufgabe der Zulassung in derselben Berufsausübungsgemeinschaft bzw. im Umfeld der Praxis gleichgestellt sei, wenn die Praxisverlegung bei an der fachärztlichen Versorgung Teilnehmenden "grundsätzlich" außerhalb eines Radius von 10 km um die bisherige Praxis erfolgt sei (Ziff. 2.1.1). Die Beklagte habe damit ihren Standpunkt aufgegeben, dass eine Verlegung unter keinen Umständen einer Aufgabe der Zulassung gleichgesetzt werden könne. Zwischen der klägerischen BAG und dem MVZ, an welches Dr. S gewechselt sei, lägen 16,5 Autokilometer. Soweit die Verwaltungsrichtlinie zudem festlege, dass anhand entsprechender Patientenlisten nachgewiesen werden müsse, dass die ehemaligen Patienten des verlegten Praxissitzes weiter betreut würden, könne das für die überweisungsgebundenen Radiologen nicht gefordert werden. Denn das Behandlungsgeschehen ende in den meisten Fällen mit der Ausführung des Überweisungsauftrags und es gebe keine längerfristigen Arzt-Patienten-Kontakte. Ein Vergleich mit Patientenlisten vor und nach Weggang eines Radiologen könne somit nicht abbilden, ob dessen Patientenaufkommen von den verbleibenden Ärzten übernommen worden sei. Das dürfe aber nicht dazu führen, dass die Ausnahmeregelung für Radiologen nicht einschlägig sei, da sonst Art. 3 GG verletzt werde. Zutreffend könne das z.B. dadurch ermittelt werden, indem die 2008 an Frau Dr. S und III/2009 noch an die Klägerin überweisenden Ärzten verglichen würden. Außerdem sei das im Fall der Klägerin durch die Entwicklung der Patientenzahlen nachgewiesen. Mit ihrer Steigerung von 78 % der Behandlungsfälle (pro Ärztin) überschreite die Klägerin die Schwelle von 15 %, die nach der Richtlinie als eine außergewöhnliche Fallzahlerhöhung gelte. Das sei auch so, wenn nur die Fallzahlen aus III/2008 dem RLV III/2009 gegenübergestellt würden (Ziff. 2.1 der RL).

Die Klägerin beantragt:

1. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2016 wird aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung von Ziffer 3. des Bescheides vom 16. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2013 verpflichtet, der Klägerin für das Quartal III/2009 eine Ausnahme von der Abstaffelung zu gewähren und die von ihr erbrachten und abgerechneten Leistungen mit den vollen Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung bis zur Summe der arztbezogenen RLV der Klägerin und der Frau Dr. S für das Quartal III/2009 unter Berücksichtigung des Kooperationszuschlags zu vergüten.

2. Hilfsweise: Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2016 wird aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung von Ziffer 3. des Bescheides vom 16. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2013 verpflichtet, den Antrag der Klägerin auf Ausnahme von der Abstaffelung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Frau Dr. S habe zum 01. Juli 2009 ihre Zulassung in ein MVZ eingebracht und nicht aufgegeben. Der Radius der Distanz von der BAG zu dem MVZ, dem neuen Tätigkeitsort von Frau Dr. S, betrage 11,94 km. Ausgehend von der Fallzahlentwicklung der Klägerin sei zu berücksichtigen, dass sich die Ausnahmeregelung des § 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. c) Anlage 1 zum HVV 2009 in der Konkretisierung der von der Klägerin genannten Verwaltungsrichtlinie nicht generell auf die Betreuung einer überdurchschnittlichen Anzahl an Patientinnen und Patienten beziehe, sondern das Vorliegen einer außergewöhnlichen Steigerung zum Bezugsquartal voraussetze. Die Steigerung betrage für die klägerische BAG weniger als 15 % gegenüber dem Vergleichsquartal. Anhand einer erneuten Prüfung der Patientenlisten habe sich ergeben, dass 65 der allein von Frau Dr. S im Quartal III/2008 versorgten Patienten auch im Quartal III/2009 betreut worden seien, alle seien nur einmal im Quartal versorgt worden. Die Steigerung der Fallzahl beruhe somit nicht auf der Übernahme von Patienten. Die BAG habe vor ihrem Eintritt III/2006 im Durchschnitt 3.967,63 Fälle versorgt, während der Zugehörigkeit von Frau Dr. S habe die Praxis durchschnittlich 4.057,75 Fälle betreut. Es sei aber festzustellen, dass die aus noch zwei Ärztinnen bestehende Praxis auch nach dem streitigen Quartal bis I/2012 im Durchschnitt 4.452,45 Fälle betreut habe. Der Fallzahlzuwachs sei nicht auf das Ausscheiden von Frau Dr. S zurückzuführen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die ausgetauschten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichts- und Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung sowie der Beratung des Senates gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

A. Der Senat durfte durch seine stellvertretende Vorsitzende entscheiden. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Vorsitzenden im Wege des schriftlichen Verfahrens gemäß § 155 Abs. 3 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

B. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Beklagte war nicht zur Neubescheidung zu verpflichten. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, soweit mit ihr ein höheres RLV für das Quartal III/2009 begehrt wird.

I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Frage, ob die Klägerin Anspruch auf Erhöhung der Fallzahl im Rahmen des RLV für das obige Quartal hat. Sie hat tatsächlich 4.652 Fälle abgerechnet, das RLV hat dagegen für die Praxis die Fallzahl von insgesamt 2.487 (nämlich 1.255 für Dr. K und 1.232 für Dr. C) gebildet. Das RLV wurde in Höhe von 191.640,15 Euro festgesetzt, die tatsächlich angeforderten Leistungen für die 4.652 Fälle betrugen 329.488,24 Euro und überschritten das RLV um 137.848 Euro. Die Klägerin begehrt somit die vollständige Vergütung nach der (regionalen) Euro-Gebührenordnung für weitere 2.165 Fälle, hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten zur Neufestsetzung.

II. Die Klage ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in der Form einer Neubescheidungsklage (§ 54 Abs. 1, § 131 Abs. 3 SGG) statthaft (vgl. auch BSG Urteil vom 29. Juni 2011 - B 6 KA 17/10 R - Rn. 26). Sie ist deshalb unbegründet, weil die Entscheidung der Beklagten ohne Rechtsfehler erfolgte.

1. Die rechtlichen Grundlagen für die Berechnung der für die Honorarverteilung ausschlaggebenden RLV in den Jahren 2009 bis 2011 ergeben sich aus dem Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V), den Vorgaben des (erweiterten) Bewertungsausschusses sowie den von den Gesamtvertragspartnern geschlossenen Honorarverträgen (HVV).

a. Die Vergütung vertragsärztlicher Leistungen erfolgte ab dem 1. Januar 2009 im gesamten Bundesgebiet für die große Mehrzahl der Arztgruppen auf der Grundlage von RLV gemäß § 87b Abs. 2 Satz 2 SGB V (in der bis zum 23. September 2011 geltenden, hier maßgeblichen alten Fassung – a.F.). Nach § 87b Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB V a.F. sind zur Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit arzt- und praxisbezogene RLV festzulegen, die die im Quartal abrechenbare Menge der vertragsärztlichen Leistungen erfassen, welche mit den in der regionalen Euro-Gebührenordnung (§ 87a Abs. 2 SGB V) enthaltenen Preisen vergütet werden. Die das RLV überschreitende Leistungsmenge ist abgestaffelt zu vergüten (§ 87b Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 SGB V a.F.). Nach § 87b Abs. 3 Satz 1 SGB V a.F. sind die Werte für die RLV nach Absatz 2 morbiditätsgewichtet und differenziert nach Arztgruppen und nach Versorgungsgraden sowie unter Berücksichtigung der Besonderheiten kooperativer Versorgungsformen festzulegen; bei der Differenzierung der Arztgruppen ist die nach § 87 Abs. 2a SGB V zugrunde zu legende Definition der Arztgruppen zu berücksichtigen. Nach § 87b Abs. 4 Satz 1 SGB V a.F. bestimmt der Bewertungsausschuss erstmalig bis zum 31. August 2008 das Verfahren zur Berechnung und zur Anpassung der Regelleistungsvolumina nach den Absätzen 2 und 3 sowie Art und Umfang, das Verfahren und den Zeitpunkt der Übermittlung der dafür erforderlichen Daten.

b. Nach dem Scheitern einer Einigung im Bewertungsausschuss schuf der erweiterte Bewertungsausschuss (§ 87 Abs. 4 SGB V) durch Beschluss vom 27./28. August 2008 (DÄ 2008, A 1988 - insoweit nicht geändert durch die nachfolgenden Änderungsbeschlüsse vom 17. September 2008 und vom 23. Oktober 2008 sowie nur redaktionell überarbeitet durch Änderungsbeschluss vom 20. April 2009) im Teil F Nr. 3.2.1 und 3.4 sog. Basisregelungen: Diese sahen vor, dass für die Bemessung des RLV u.a. die Fallzahl im Vorjahresquartal maßgebend war (Nr. 3.2.1 Satz 2) ) und dass bei Überschreitung der fachgruppendurchschnittlichen Fallzahl um mehr als 50 % eine Abstaffelung des Fallwerts stattzufinden hat (a.a.O. Satz 3). Nr. 3.4 sah unter der Überschrift "Kriterien zur Ausnahme von der Abstaffelung" vor, dass auf Antrag des Arztes und nach Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung Leistungen über das arzt-/praxisbezogene Regelleistungsvolumen hinaus mit den Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung vergütet werden können. Über das Verfahren der Umsetzung sollten sich die Partner der Gesamtverträge einigen.

c. Zur Umsetzung der in Nr. 3.4 enthaltenen Regelungen vereinbarten die Gesamtvertragspartner im Bezirk der beklagten KV in § 6 Abs. 3 der Anlage 1 zum HV 2009 ("Ermittlung des Regelleistungsvolumens"):

"Auf Antrag des Arztes und nach Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung Berlin können Leistungen über das arzt-/praxisbezogene Regelleistungsvolumen hinaus mit den Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung vergütet werden. Ein Arzt kann einen Antrag stellen, wenn aufgrund

a) Urlaubs- und krankheitsbedingter Vertretung eines Arztes der eigenen Berufsausübungsgemeinschaft, b) Urlaubs- und krankheitsbedingter Vertretung eines Arztes einer Arztpraxis in der näheren Umgebung der Arztpraxis, c) Aufgabe einer Zulassung oder genehmigten Tätigkeit eines Arztes der eigenen Berufsausübungsgemeinschaft d) Aufgabe einer Zulassung oder genehmigten Tätigkeit eines Arztes einer Arztpraxis in der näheren Umgebung der Arztpraxis,

eine außergewöhnlich starke Erhöhung der Zahl der behandelnden Versicherten vorliegt oder wenn durch

e) einen außergewöhnlichen und/oder durch Arzt unverschuldeten Grund eine niedrige arztindividuelle Fallzahl im Aufsatzquartal abgerechnet wurde. Hierzu zählt z.B. Krankheit des Arztes.

Die Vergütung der aufgrund der o.g. Kriterien a) bis d) das Regelleistungsvolumen überschreitenden Leistungen erfolgt je nach Zugehörigkeit des antragstellenden Arztes aus der Rückstellung für Sicherstellungsaufgaben gemäß § 3 Abs. 1 Buchstabe d) für Ärzte des hausärztlichen Versorgungsbereichs und § 4 Abs. 1 Buchstabe d) für Ärzte des fachärztlichen Versorgungsbereichs; entsprechendes gilt bei Stattgabe eines Antrags nach dem Kriterium e). [ ] Über das Verfahren der Umsetzung verständigen sich die Vertragspartner in einer gesonderten Vereinbarung". (zum ganzen Urteil des Senats vom 8. März 2017 – L 7 KA 110/13, Rn. 29 - 36, juris)

2. Ausgehend von diesen rechtlichen Grundlagen nimmt die Klägerin für sich in Anspruch, dass mit dem Weggang von Dr. S aus der BAG die Aufgabe einer Zulassung oder genehmigten Tätigkeit eines Arztes der eigenen Berufsausübungsgemeinschaft vorliegt, zumindest aber das RLV für das Quartal III/2009, dem ersten Quartal ohne die Mitarbeit von Frau Dr. S in entsprechender Weise diesem geregelten Fall gleichgestellt werden müsse. Beides trifft indessen nicht zu.

a) Die Klage auf Änderung des RLV wäre bei einer (reinen) Wortlautinterpretation des HVV 2009 bereits unzulässig. Sowohl Teil F. Nr. 3.4 des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom 27./28. August 2008 als auch § 6 Abs. 3 Satz 1 der Anlage 1 zum HVV 2009 sahen vor, dass Folge einer durch Aufgabe einer Zulassung eines Vertragsarztes in der eigenen BAG mit einer außergewöhnlich starken Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten nicht etwa eine Erhöhung der RLV-relevanten Fallzahl sein sollte, sondern eine Vergütung von Leistungen über das arzt-/praxisbezogene RLV hinaus. § 6 Abs. 3 Satz 3 der Anlage 1 zum HV 2009 spricht daher (konsequenterweise) auch von der "Vergütung der [ ] das Regelleistungsvolumen überschreitenden Leistungen". Einzig die Überschrift von § 6 a.a.O. ("Ermittlung des Regelleistungsvolumen") gibt einen (schwachen) Hinweis darauf, dass im o.g. Fall das RLV zu erhöhen ist. Sie lässt sich jedoch möglicherweise damit erklären, dass die Kernregelungen von § 6 a.a.O. das RLV betreffen [so bereits Urteil des Senats vom 8. März 2017 – L 7 KA 110/13 –, Rn. 41, juris zu § 6 Abs. 3 Satz 1 lit. e) – niedrige arztindividuelle Fallzahl infolge Krankheit des Arztes im Aufsatzquartal].

b) Die besseren Gründe sprechen zwar dafür, dass § 6 Abs. 3 Anlage 1 zum HVV 2009 in Satz 2 und 3 über den reinen Wortlaut hinaus Vorgaben für die Bestimmung des RLV selbst enthält. In diesem Fall ist die Klage aber jedenfalls unbegründet. Für eine solche Auslegung, wonach abweichend vom Wortlaut sowohl Teil F. Nr. 3.4 des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom 27./28. August 2008 als auch § 6 Abs. 3 Satz 1 der Anlage 1 zum HV 2009 Vorgaben für die Bestimmungen des RLV enthalten, kann darauf Bezug genommen werden, dass es sich bei diesen beiden untergesetzlichen Regelwerken um Konkretisierungen von § 87b Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz SGB V (a.F. vom 26. März 2007) handelt. Sie formen das dort vorgesehene Tatbestandsmerkmal einer "außergewöhnlich starken Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten" aus, in dem von der "abgestaffelten Vergütung abgewichen" werden kann. Diese gesetzliche Ermächtigung steht systematisch zwischen den weiteren gesetzlichen Vorgaben in Abs. 2 Sätze 1 und 2 sowie 4 und 5, die sich wiederum eindeutig auf die Bestimmung des RLV beziehen. Wäre allein Satz 3 auf die Vergütung, damit den Honorarbescheid, gerichtet, wäre er ein Fremdkörper. Dass das nicht gemeint war, wird durch die Gesetzeshistorie bestätigt. Bereits die Entwurfsfassung von § 87b SGB V, der § 85b Abs. 2 Satz 2 SGB V-E in der Fassung des Gesetzentwurfs des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG (BT-Drs. 16/3100 S. 19) enthielt die Ermächtigung, bei einer "außergewöhnlich starken Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten" von der abgestaffelten Vergütung abzuweisen. Die Begründung zu § 85b Abs. 2 SGB V-E führt aus, dass "die Regelungen beschreiben, was ein arztbezogenes Regelleistungsvolumen ist und wie es wirkt". Weiter wird ausgeführt, das RLV solle verhindern, dass ein Arzt, der medizinisch erforderliche Leistungen erbringt, in die Abstaffelung rutscht. Zu den Vorgaben rechnet die Begründung diejenigen in Abs. 2 Satz 2 und dann auch die weiteren Grundsätze im folgenden Satz 3, "die bei der Festlegung von arztbezogenen RLV zu beachten sind" (BT-Drs. 16/3100 S. 124).

c) In der Sache liegen bereits die Tatbestandsvoraussetzungen für die Bestimmung einer höheren Fallzahl nicht vor. So hat das Sozialgericht zutreffend ausgeführt, dass weder nach dem Wortlaut noch der Regelungsintention des § 6 Abs. 3 lit. c) der Anlage 1 zum HVV 2009 das Ausscheiden der Vertragsärztin aus der bisherigen Gemeinschaftspraxis unter Mitnahme und Neueinbringung ihrer Zulassung in eine andere vertragsärztliche Praxis, hier ein MVZ, im gleichen Zulassungsbezirk eine Aufgabe der Zulassung i.S. der Vorschrift bedeutet. Zwar definiert der HVV 2009 selbst nicht, wann eine Aufgabe der Zulassung vorliegt. Der Begriff der "Aufgabe" der Zulassung impliziert aber bereits nach dem Wortlaut, dass diese nicht mehr zur Versorgung Versicherter eingesetzt wird. Dafür sprechen auch Systematik sowie Sinn und Zweck. "Aufgabe" meint mithin, dass der Versorgungsauftrag, zu dessen Erfüllung die Zulassung gemäß § 95 Abs. 3 Satz 1 SGB V verpflichtet, nicht mehr ausgeübt wird. Davon kann keine Rede sein, wenn die Zulassung lediglich an räumlich anderer Stelle im selben Zulassungsbezirk weiter genutzt wird. Ziff. 1.2.3 Teil F des Beschlusses des Erweiterten Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs. 4 SGB V zur Neuordnung der vertragsärztlichen Vergütung vom 27. /28. August 2008 spricht dafür, auf den Bestand der förmlichen Zulassung abzuheben. Denn danach ist bei der Ermittlung des RLV eines Arztes der Umfang seiner Tätigkeit laut Zulassungs- bzw. Genehmigungsbescheid zu berücksichtigen. Dies spricht dafür, an den förmlichen Zulassungsakt auch für die Frage, ob eine Aufgabe der Zulassung i.S. des HVV 2009 vorliegt, grundsätzlich anzuknüpfen, wenn es um die Bestimmung des RLV für Vertragsärzte geht. Denn danach ist bei der Ermittlung des RLV eines Arztes der Umfang seiner Tätigkeit laut Zulassungs- bzw. Genehmigungsbescheid zu berücksichtigen. Dies spricht dafür, an den förmlichen Zulassungsakt auch für die Frage, ob eine Aufgabe der Zulassung i.S. des HVV 2009 vorliegt, grundsätzlich anzuknüpfen, wenn es um die Bestimmung des RLV für Vertragsärzte geht.

Der in § 6 der Anlage 1 zum HVV 2009 verwendete (Rechts-)Begriff der "Aufgabe der Zulassung" findet sich auf Gesetzesebene in den maßgeblichen höherrangigen Normen des § 95 SGB V oder der Ärzte-ZV nicht. Es spricht aber einiges dafür, dass es bei der Aufgabe um die Beendigung der Zulassung, d.h. ihrer Wirkungen, geht. § 95 SGB V kennt in Abs. 5 bis mehrere Beendigungsgründe für die Zulassung, die von Gesetzes wegen eintreten (Tod, Befristung und Wegzug aus dem Bezirk des Kassenarztsitzes) sowie solche, die kraft hoheitlicher Regelung als actus contrarius zur Erteilung eintreten (Entziehung oder Ruhen nach Beschluss des Zulassungsausschusses) und schließlich solche, die auf rechtsgestaltenden Willenserklärungen beruhen. Dazu gehört an erster Stelle der "Verzicht" auf die Zulassung als einseitige freiwillige empfangsbedürftige Willenserklärung, aber auch die Auflösung eines MVZ (§ 95 Abs. 7 Satz 2 SGB V). Beide grenzen sich vom bloßen Wegzug (der Praxis) ab, der als jede tatsächliche, nicht nur vorübergehende Aufgabe der ärztlichen Niederlassung am Vertragsarztsitz, ohne Rücksicht darauf definiert wird, ob die Absicht späterer erneuter Niederlassung an diesem Vertragsarztsitz besteht (Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 95 SGB V (Stand: 06.11.2020), Rn. 1251 m.w.N.; BSG, Beschluss vom 5. November 2003 – B 6 KA 60/03 B –, juris, Rn. 8).

Knüpft § 5 Abs. 2 der Anlage 1 zum HVV 2009 zwar für die Bemessung des RLV an die (förmliche) Zulassung an und ist allen oben genannten einfachrechtlich bestimmten Beendigungstatbeständen das Ende der Versorgungsberechtigung und des Versorgungsauftrages gemein, so ist § 6 Abs. 3 Satz 2 der Anlage 1 zum HVV 2009 dazu nicht vollständig deckungsgleich. Zwanglos als Aufgabe i.S. von Satz 2 lit. c) erfasst sein dürfte der (förmliche) Verzicht einer Praxispartnerin auf ihre Zulassung i.S. von § 95 Abs. 7 Satz 1 SGB V. Es widerspricht weder der Systematik noch Sinn und Zweck der geregelten Tatbestände des HVV 2009, wenn in einer solchen Situation die verbleibenden Ärztinnen die Patientenzahl mit übernehmen. Eine (unerwünschte) Mengenausweitung ist hiermit bei gesamthafter praxisübergreifender Betrachtung mit der Erhöhung der Fallzahl des RLV für die verbliebenen Praxisangehörigen nicht verbunden. Für die Mitnahme der Zulassung aus der Gemeinschaftspraxis in ein MVZ innerhalb des gleichen Kassenarztbezirks gilt das nicht in gleicher Weise. Wenn sie als eine praxisbezogene "Aufgabe der Zulassung" die Erhöhung des RLV rechtfertigen würde, so würde das zu einer Mengenausweitung führen. Denn ein deswegen erhöhtes RLV in der "alten" Praxis findet bei der Bestimmung des RLV in einer neuen Praxis, z.B. einem MVZ, keine Berücksichtigung. Die Zuweisung der RLV erfolgt praxis-, nicht arztbezogen (vgl. die Bestimmungen zur Berechnung des RLV in § 5 Abs. 2 und Abs. 3, § 6 Abs. 1 und Abs. 2 Anlage 1 zum HVV 2009).

Schließlich ist die Zulassung für die Leistungsmenge entscheidend. Sie berechtigt und verpflichtet Vertragsärzte zur Versorgung gesetzlich Versicherter (§ 95 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Zulassung und Umfang des Versorgungsauftrags sind so untrennbar miteinander verbunden (Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 95 SGB V (Stand: 06.11.2020), Rn. 53), es gibt keine Zulassung ohne Versorgungsauftrag und umgekehrt keinen Versorgungsauftrag ohne Zulassung (BSG, Urteil vom 28. September 2016 – B 6 KA 1/16 R Rn. 29). Das rechtfertigt, die Bestimmung des RLV ebenfalls an Bestehen und Umfang sowie das Schicksals der vertragsärztlichen Zulassung zu knüpfen. Solange diese nicht (förmlich) endet, kann sie bei der Bestimmung von RLV auch nicht einfach unberücksichtigt bleiben, so nicht weitere Umstände hinzutreten. Das gebietet auch Sinn und Zweck des RLV. Es dient nicht nur dazu, Kalkulationssicherheit zu gewähren, sondern auch dazu, den medizinisch erforderlichen Behandlungsbedarf zu finanzieren und Mehrleistungen zu vermeiden, die durch eine Zunahme der Arztzahlen entstehen, damit der Mengensteuerung (BT-Drs. 16/3100 S. 123/124; Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 22 Rn. 6). In der Konsequenz muss die nicht beendete Zulassung bei der Bestimmung der RLV für die Arztpraxis grundsätzlich weiter Berücksichtigung finden. Das gilt dann aber auch für die Vorgaben, die eine ausnahmsweise Erhöhung des RLV bestimmen, mithin § 6 Abs. 3 Satz 2 Anlage 1 zum HVV 2009.

Die Mitnahme der Zulassung in ein MVZ des gleichen Zulassungsbezirks kann auch bei Berücksichtigung der übrigen Fallgruppen des § 6 Abs. 3 Satz 2 Anlage 1 zum HVV 2009 nicht ohne weiteres als "Aufgabe der Zulassung" angesehen werden. Die Gefahr der Mengenausweitung findet vielmehr dabei stets Berücksichtigung. Die parallel geregelten Tatbestände zeichnen sich dadurch aus, dass entweder ein vorübergehender oder unvorhergesehener Wegfall von Versorgungskapazitäten in der betreffenden Praxis selbst aufgefangen werden muss (Urlaubs- und krankheitsbedingte Vertretung von der BAG angehörenden Vertragsärzten) oder selbiges in der näheren Umgebung der Arztpraxis erfolgt [(lit. a), b) und d)]. Damit ist die dauerhafte Mitnahme einer Zulassung aus der BAG nicht vergleichbar. Diese führt zur Erhöhung der Fallzahlen, im ungünstigsten Fall zur Verdoppelung im Umfang der Fallzahlen der ausscheidenden Ärztin. Schließlich zeigt der Blick in die den Regelungen zum RLV vorangegangenen Regelungen zum Individualbudget, dass bereits dort der Unterschied zwischen der Aufgabe einer Zulassung und dem Ausscheiden eines Partners aus einer Gemeinschaftspraxis bekannt war und nicht gleichgesetzt wurde (vgl. § 9 Abs. 6 HVM der Beklagten in der Fassung vom 19. Juni 2003, gültig ab Juli 2003, dazu Beschluss des Senats vom 6. Februar 2008 – L 7 B 46/07 KA ER –, Rn. 19 ff., juris).

Soweit die Klägerin darauf hinweist, Dr. S habe im Zuge ihres Weggangs zum MVZ ihre Zulassung gemäß § 103 Abs. 4a SGB V aufgegeben, trifft das nicht zu. Gemäß den Eintragungen im Arztregister (Übersicht auf Blatt 16 der Verwaltungsakte) brachte sie ihre Zulassung zum 1. Juli 2009 in das MVZ in Berlin-N ein. Einen gegenteiligen Nachweis hat die Klägerin im Berufungsverfahren nicht erbracht. Liegt aber kein Verzicht vor, so war die Nachbesetzung in der klägerischen Praxis auch nicht von Gesetzes wegen gemäß § 103 Abs. 4a Satz 1, 2. Halbsatz SGB V gehindert.

d) Auch aus der zwischenzeitlich von der Beklagten erlassene Verwaltungsrichtlinie zu "Neufestsetzungen von arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumen (RLV) und qualifikationsgebundenen Zusatzvolumen (QZV)" (vom KV-Blatt 3/2017) folgt kein Anspruch auf Erhöhung des klägerischen RLV für 2009. Diese bestimmt den Begriff der Aufgabe einer Zulassung konkretisierend zunächst in Ziff. 2.1.1, wonach es sich dabei grundsätzlich um die tatsächliche ersatzlose Aufgabe mit dem Enden der Zulassung handeln muss. Sie stellt die Verlegung eines Praxissitzes eines Arztes der eigenen BAG der o.g. Aufgabe einer Zulassung nur unter der Voraussetzung gleich, dass die Praxisverlegung bei an der fachärztlichen Versorgung teilnehmenden "grundsätzlich" außerhalb eines Radius von 10 km um die bisherige Praxis erfolgt und anhand von Patientenlisten nachgewiesen wird, dass die ehemaligen Patienten des verlegten Praxissitzes in der Praxis des Antragstellenden weiterversorgt werden. Das belegt, dass die Mengenausweitung nur in geringem Umfang in Kauf genommen wird. Für den vorliegenden Fall zeigt der Vergleich mit Patientenlisten vor und nach Weggang von Frau Dr. S, dass nur 65 Patienten von der BAG jeweils einmal weiterbetreut worden sind. Die hohe Fallzahl beruht damit gerade nicht auf einer Weiterbetreuung ihrer Patienten/Patientinnen im Quartal III/2009, sondern anderer Versicherter. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Fallzahlerhöhung gemäß der RL liegen somit in ihrem Fall nicht vor. Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass eine Weiterbetreuung bei Radiologen eher untypisch ist. Das Phänomen führt nicht dazu, dass auf dieses Merkmal für radiologische Praxen wie diejenige der Klägerin zu Lasten einer Abstaffelung und damit einer wirksamen Kostenbegrenzung ersatzlos verzichtet werden kann. Dies würde dazu führen, dass das RLV in ihrem Fall de facto seine mengensteuernde Wirkung für dieses Quartal vollständig verlöre. Das ist auch vor dem Hintergrund von Art. 3 GG und der Honorarverteilungsgerechtigkeit nicht gerechtfertigt.

Dass die Klägerin die per Überweisung kommenden Patienten behandeln müssen (auch gemäß § 13 Abs. 7 Satz 3, § 13 Abs. 4 Satz 1 BMV-Ä), kann allein die entsprechende Anwendung der für bestimmte andere Fälle vorgesehenen Ausnahmeregelungen nicht tragen. Zwar trifft es zu, dass Vertragsärzte kraft ihres aus der Zulassung folgenden Versorgungsauftrags die Behandlung Versicherter nur in begründeten Fällen ablehnen dürfen. Dies konkretisieren die Bundesmantelverträge, wonach Vertragsärzte nur aus besonderen Gründen, wie Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient oder einer besonderen, durch Verweisung der Patienten an andere Vertragsärzte kompensierbaren Überlastungssituation, berechtigt sind, die Behandlung im Einzelfall abzulehnen. Zu den Gründen gehört es nicht, die Behandlung im Einzelfall von Erwägungen zur Höhe der Vergütung abhängig zu machen. Das gilt auch in Anbetracht der zahlreichen Regelungen zur Ausgabenbegrenzung im vertragsärztlichen Honorarsystem. So haben die Partner der Bundesmantelverträge schon im Zusammenhang mit der Einführung der Praxisbudgets zum 1. Juli 1997 bestimmt, dass das Überschreiten der Budgetgrenzen nicht zur privaten Abrechnung notwendiger GKV-Leistungen berechtigt (BSG, Urteil vom 14. März 2001 – B 6 KA 54/00 R –, BSGE 88, 20-31, Rn. 36 ff., juris). Mengen- und honorarbegrenzende Regelungen sind aber trotzdem auch für Arztgruppen zulässig, die nur auf Überweisung tätig werden. Die gilt zumindest dann, wenn bei ihnen trotz der Überweisungsgebundenheit die Möglichkeit der Mengenausweitung durch die die Leistung erbringenden Ärzte besteht (für Radiologen, BSG, Urteil vom 09. September 1998 – B 6 KA 55/97 R –, BSGE 83, 1-7, Rn. 14; zu Laborärzten, Urteil vom 19. August 2015 - B 6 KA 34/14 R). Das ist bei der Klägerin der Fall, wie die Höhe der Fallzahlen in III/2009 anschaulich belegt.

Zu berücksichtigen ist im Übrigen, dass die Leistungen jenseits des RLV nicht ohne Vergütung bleiben, sondern mit einem Restpunktwert vergütet wurden. Außerdem beeinflussen sie das RLV als Aufsatzquartal im Jahr 2010 (III/2010).

Es kann nach den obigen Erwägungen offen bleiben, ob die weitere Voraussetzung des § 6 Abs. 3 Satz 2 lit a) – d) der Anlage 1 zum HVV 2009, nämlich die außergewöhnlich starke Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten im Quartal III/2009, vorlag. Dies hängt u.a. davon ab, ob dabei im Rahmen des Vergleichs auf die Zahl der BAG oder eine arztbezogene Zahl abgestellt wird. Nur im zweiten Fall liegt überhaupt eine Erhöhung vor, die außergewöhnlich sein könnte. Das BSG hat zu der auch in § 87b Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz SGB V insoweit wortgleichen Bestimmung ausgeführt, sie sei ihrem Sinn und Zweck nach darauf zugeschnitten, dass ein Arzt, der aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen eine außergewöhnlich stark erhöhte Fallzahl hat - entweder starker Patientenzulauf im neuen oder aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen geringe Fallzahl im Vorjahresquartal -, nicht mit nur abgestaffelten Preisen abgefunden werden soll (BSG, Urteil vom 17. Juli 2013 – B 6 KA 44/12 R, Rn. 60, juris). Eine insoweit notwendige atypische Sachlage liegt für die Klägerin schon deshalb nicht vor, weil nicht erkennbar ist, dass Umstände für die Zunahme der Fallzahlen pro Ärztin maßgeblich gewesen sein könnten, die von der Klägerin nicht zu vertreten sind.

e) Die Klägerin kann sich in mit ihrem Hilfsantrag nicht darauf berufen, es sei eine Ausnahme nach einer allgemeinen Härteklausel zu gewähren. Soweit eine Härteklausel in einem Honorarvertrag fehlt oder zwar besteht, aber eng gefasst ist, ist eine umfassende Härteklausel in ihn hineinzuinterpretieren (BSG, Urteil vom 17. Juli 2013 – B 6 KA 44/12 R –, Rn. 51). Eine Härte kann nur aus Umständen hergeleitet werden, die der Betroffene nicht zu vertreten hat. Dabei ist es dem unternehmerischen Risiko des Vertragsarztes zuzurechnen, wie er seine Praxistätigkeit gestaltet (BSG, aaO, Rn. 53). Es ist dem Verantwortungs- und Risikobereich einer Gemeinschaftspraxis in einem gesperrten Planbereich zuzuordnen, wenn einer der Vertragsärzte diese mit seiner Zulassung verlässt, um diese in ein MVZ einzubringen, ohne dass nahtlos ein/e Ersatzpartner/-partnerin aufgenommen wird. Es besteht dann ohne Hinzutreten weiterer besonderer Umstände kein Anspruch der verbleibenden Mitglieder der BAG, die Fallzahlen unverändert abzurechnen und das Mehr unter sich, konkret in ihr eigenes RLV, zu übernehmen. Zudem waren auch die für Härtefälle weiteren Voraussetzungen der Existenzgefährdung und eines Sicherstellungsbedarfs nicht gegeben. Die Klägerin hat weder eine Existenzgefährdung noch einen Sicherstellungsbedarf geltend gemacht.

3. Der Hilfsantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung hat keinen Erfolg, weil bereits mangels der tatbestandlichen Voraussetzungen das Ermessen für die höhere Festsetzung des RLV nicht eröffnet war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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