Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
28
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 28 KA 169/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Im vertragsärztlichen Disziplinarverfahren können zur „Lückenschließung“ im Hinblick auf allgemein anerkannte Rechtfertigungsgründe und einen Erlaubnistatbestandsirrtum sowie hinsichtlich der Frage eines Schweigerechts Anleihen im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren genommen werden.
I. Der Bescheid vom 25.06.2018 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit einer Disziplinarmaßnahme streitig.
Die Klägerin ist als Praktische Ärztin seit 01.04.1995 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und in A-Stadt niedergelassen. Bis zum 23.03.2011 war die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann in Gemeinschaftspraxis tätig; seit der bestandskräftigen Entziehung der Zulassung ihres Ehemannes praktiziert sie in Einzelpraxis.
Die Klägerin besitzt u.a. den Fachkundenachweis Rettungsdienst gem. RettDGes der Länder und die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin. Am 24.10.2005 erteilte ihr die Beklagte die Genehmigung zur Teilnahme am vertragsärztlichen Notarztdienst am Notarztwagenstandort C-Stadt; an diesem wurde bis zum Jahr 2017 kein Notarzteinsatzfahrzeug vorgehalten. Mit Bescheid vom 26.3.2012 erkannte die Regierung von Mittelfranken das Privat-Kfz der Klägerin als Einsatz- und Kommando-Kraftfahrzeug des Rettungsdienstes für die Ausrüstung mit Sonderwarneinrichtungen (blaues Blinklicht und Einsatzhorn) an. Die Anerkennung gelte für alle Einsatzfahrten als dienstplanmäßige Notärztin am anerkannten Notarztstandort C-Stadt, solange und soweit der Notarztdienstgruppe kein Notarzteinsatzfahrzeug oder Notarztwagen zur Verfügung stehe. Die Anerkennung umfasste unter Nr. 5 u.a. folgende Auflagen:
"a) Die Ausrüstung mit Sonderwarneinrichtungen (blaues Blinklicht und Einsatzhorn) hat nach Maßgabe der Vorschriften der StVZO zu erfolgen. ( ...)
b) Als Kennleuchten für blaues Blinklicht können schnell abnehmbare Leuchten, welche mit dem Fahrzeug fest (formschlüssig) oder magnethaftend (kraftschlüssig) verbunden werden, verwendet werden. Empfohlen werden Kennleuchten für blaues Blinklicht, welche mit dem Fahrzeug fest (formschlüssig) verbunden werden. ( ...) Magnethaftende (kraftschlüssige) Kennleuchten müssen zum Erreichen des optimalen Kraftschlusses besonders sorgfältig aufgesetzt werden; ein Aufsetzen während der Fahrt ist daher in der Regel bereits durch die Aufsatzanweisungen des Herstellers untersagt.
d) Der ordnungsgemäße Einbau und Anschluss sowie die besondere Schaltung der Sonderwarneinrichtungen (blaues Blinklicht und Einsatzhorn) sind von einem amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer unter Beachtung insbesondere der Ziffern 5a) bis c) abzunehmen und zu bescheinigen. Die Zulässigkeit der Ausstattung mit Sonderwarneinrichtungen ist durch die Zulassungsbehörde gebührenfrei in Fahrzeugbrief und Fahrzeugschein bzw. in der Zulassungsbescheinigung Teil I und II einzutragen (vgl. §§ 11, 12 FZV).
g) Die Kennleuchte für blaues Blinklicht darf am privaten Kfz nur dann angebracht sein, wenn Sie es als Einsatz-und Kommando-Kraftfahrzeug einsetzen. Bei Privatfahrten Ihrerseits oder Dritter darf die Kennleuchte nicht erkennbar oder angebracht sein.
i)Sie haben ein Fahrtenbuch zu führen, ständig im Fahrzeug mitzuführen und alle Einsatzfahrten unverzüglich (nach dem Einsatz) einzutragen, bei denen die Kennleuchte für blaues Blinklicht am privaten Kraftfahrzeug angebracht ist. Das Fahrtenbuch ist auf Verlangen berechtigten Personen zur Prüfung auszuhändigen und bis mindestens sechs Monate nach Ablauf der Anerkennung aufzubewahren.
j) Bei der Entscheidung, ob eine Einsatzstelle zeitnah erreicht werden kann, ist vor Antritt der Einsatzfahrt eigenverantwortlich der mögliche Zeitgewinn durch die Verwendung der Sonderwarneinrichtungen mit den daraus resultierenden möglichen Nachteilen für Sie und die übrigen Verkehrsteilnehmer abzuwägen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass mit zunehmender Entfernung des jeweiligen Standorts zum anzufahrenden Schadensort aus einsatztaktischen und verkehrstechnischen Gründen auf die Nutzung von Sonderwarneinrichtungen verzichtet werden sollte, da ein zeitgerechtes Eintreffen am Schadensort nicht mehr möglich ist. ( ...)
l) Bei Betrieb der Sonderwarneinrichtungen und auch wenn die Blaulichtleuchte sichtbar im Fahrzeug mitgeführt wird, darf das Kraftfahrzeug nur durch Sie selbst als Berechtigten gesteuert werden."
Der Ehemann der Klägerin war lt. Genehmigung vom 4.9.2014 vom 1.10.2014 bis 30.9.2017 Sicherstellungsassistent in der klägerischen Praxis (ganztags).
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 12.9.2012 verhängte die Beklagte gegen die Klägerin eine Geldbuße i.H.v. 3.000,00 EUR wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung in den Quartalen 2/2005 bis 1/2009.
Die Beklagte verhängte gegen die Klägerin mit Bescheid vom 14.2.2017, reduziert durch gerichtlichen Vergleich am 27.9.2019, eine Geldbuße i.H.v. 2.500,00 EUR wegen erneuten Verstoßes gegen die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung in den Quartalen 2/2009 bis 4/2009.
Mit Schreiben vom 22.8.2017 stellte der Vorstand der Beklagten einen weiteren Antrag auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen die Klägerin. Die Beklagte habe die Information erhalten, dass der Ehemann der Klägerin den privaten Pkw der Klägerin unter Betrieb der Sonderwarneinrichtung bei einem Verkehrsunfall auf der B X gefahren habe. Der von der Beklagten kontaktierte Polizeihauptmeister (PHM), Herr F., habe per E-Mail mitgeteilt, dass am 10.5.2016 ein Verkehrsunfall auf der B X stattgefunden habe. Er habe sich beim Bayerischen Roten Kreuz erkundigt, ob auch ein Notarzt zur Unfallstelle kommen würde. Er habe dann ein Martinshorn von F-Stadt kommend wahrnehmen können. Das Notarzteinsatzfahrzeug, ein blauer BMW mit Signalbalken, sei in die Richtung B-Stadt gefahren und dann in Richtung F-Stadt unter dem Einsatz von Sondersignalen umgekehrt. Er habe den Gegenverkehr angehalten, um dem Fahrzeug das Abbiegen zu ermöglichen, wobei er erkannt habe, dass eine männliche Person das Fahrzeug geführt habe und eine weitere weibliche Person auf dem Beifahrersitz gesessen sei. Nach Abschluss der Erstversorgung habe sich herausgestellt, dass es sich bei diesen beiden Personen um das Ehepaar Dres. A. gehandelt habe. Mit Schreiben vom 19.7.2016 und Erinnerungsschreiben vom 4.8.2016 habe die Beklagte die Klägerin um Stellungnahme gebeten. Die Klägerin teilte mit E-Mail vom 7.8.2016 mit, dass sie die Vorwürfe nicht nachvollziehen könne. Herr Dr. A. habe das Einsatzfahrzeug zum Krankenhaus nachgeführt, wobei er die Sonderwarneinrichtung nicht genutzt habe, da sie selbst den Patienten im Rettungswagen begleitet habe. Da die Auskunft der Klägerin aus Sicht der Beklagten nicht ausreichend auf den betreffenden Sachverhalt eingegangen sei, habe die Beklagte die Klägerin per E-Mail erneut um eine detaillierte Stellungnahme zur Situation während der Fahrt zum Einsatzort gebeten. Hierauf antwortete die Klägerin nicht. Die Klägerin habe nach alledem gegen die Auflagen zur Nutzung der Sonderwarneinrichtung, gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Durchführung des Notarztdienstes sowie gegen die Pflicht zur Mitwirkung verstoßen. Daneben hafte sie auch für das Verhalten ihres Sicherstellungsassistenten. Im Übrigen verwies der Vorstand der Beklagten noch auf einen weiteren Vorfall, wonach lt. einer anonymen Beschwerde Herr Dr. A. am 20.6.2016 das Einsatzfahrzeug "allein und mit Blaulicht mit extrem hoher Geschwindigkeit" gefahren habe. Dieser Sachverhalt habe aber von der Beklagten nicht näher nachgeprüft werden können.
Die Klägerin wies in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass der von der Beklagten wiedergegebene Sachverhalt unzutreffend sei. Sie sei damals vom Klinikum F-Stadt von ihrem Ehemann im Privatfahrzeug abgeholt worden. Zuvor habe sie einen Noteinsatz gehabt, bei dem sie mit den Rettungskräften im RTW mitgefahren sei. Herr Dr. A. habe sie privat abgeholt, auf dem Rücksitz habe sich der zwanzigjährige Sohn, der im Rahmen eines Betriebspraktikums zugegen gewesen sei, befunden. Kurz nachdem sie F-Stadt verlassen und sich auf der B X Richtung B-Stadt befunden hätten, sei die Einsatzmeldung gekommen, dass ein Unfall auf der Bundesautobahn A Y Höhe G-Stadt geschehen sei. Da zu diesem Zeitpunkt lediglich bekannt gewesen sei, dass ein Motorradfahrer Kopfverletzungen erlitten habe, habe die Klägerin von einer lebensbedrohlichen Verletzung ausgehen müssen. Ein Fahrerwechsel sei nicht möglich gewesen, da zu dem Zeitpunkt viel Verkehr auf der B X geherrscht habe. Es habe sich um einen sehr kurzen Streckenabschnitt gehandelt, den Herr Dr. A. unter Betrieb der Sonderwarneinrichtung und des Blaulichts zurückgelegt habe. Hierin sei kein Pflichtverstoß zu sehen.
Die Beklagte holte daraufhin eine Stellungnahme der Fachabteilung ein, die ausführte, dass die Klägerin laut Dienstplan am 10.5.2016 von 7.00 Uhr bis 20.00 Uhr zum Notarztdienst eingeteilt gewesen sei. Relevant sei die Aussage des Polizeibeamten, dass das von der Klägerin und ihrem Ehemann benutzte Einsatzfahrzeug einen Signalbalken getragen habe. Der Begriff des Signalbalkens beschreibe eine lang gestreckte Bauweise eines blauen Blinklichts, die in äußerer Gestalt einem Balken ähnele. Wenn es sich, wie vom Polizeibeamten beschrieben, um einen Leuchtbalken gehandelt habe, bestünden nur zwei Möglichkeiten: Entweder sei dieser bereits vor der Fahrt angebracht worden oder das Fahrzeug hätte für eine nachträgliche Einrichtung angehalten werden müssen. In beiden Fällen könne das Steuern des Fahrzeugs durch eine andere Person als die Klägerin vermieden werden. Theoretisch hätte auch während der Fahrt eine relativ kleine, per Hand aufsetzbare, magnethaftende Blaulichtleute angebracht werden können; dies widerspreche jedoch der Aussage des Polizeibeamten.
Die Klägerin erwiderte, dass sich an ihrem Pkw lediglich eine magnethaftende Blaulichtleuchte, eine MOVIA-D-Leuchte, befinde, welche jederzeit während der Fahrt durch einen einfachen Griff aus dem Fenster angebracht werden könne. Die Signalleuchte sei grundsätzlich während der Fahrt unter dem Fahrersitz verstaut.
Mit Bescheid vom 25.6.2018 verhängte die Beklagte gegen die Klägerin wegen Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten eine Geldbuße in Höhe von 20.000,00 EUR. Die Klägerin habe gegen ihre Pflicht, den Notarztdienst ordnungsgemäß nach § 10 Abs. 1 NADO-KVB durchzuführen sowie gegen ihre Pflicht, für ihre jederzeitige Einsatzbereitschaft nach § 10 Abs. 4 Satz 2 NADO-KVB zu sorgen, verstoßen. Dass Herr Dr. A. am Steuer des Fahrzeugs gesessen sei, werde von der Klägerin nicht bestritten. Dadurch habe sie gegen die in Ziffern 5g) und 5l) des Bescheids vom 26.3.2012 erteilten Auflagen verstoßen. Die Nichtbeachtung dieser Auflagen sei als vertragsärztlicher Pflichtverstoß zu werten, weil der Notarztdienst Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sei, § 1 Abs. 1 NADO-KVB. Wegen ihrer Einteilung im Notarztdienstplan habe die Klägerin jederzeit mit einer Alarmierung rechnen und daher für ihre jederzeitige Einsatzbereitschaft sorgen müssen. Sie hätte schon deshalb ihren Ehemann überhaupt nicht mit ihrem PKW fahren lassen dürfen, weil sich an diesem der von dem Zeugen F. beschriebene Signalbalken, also eine Sonderwarneinrichtung befunden habe und das Martinshorn eingeschaltet gewesen sei. An der Aussage des Zeugen bestünde für den Ausschuss, da er wohl täglich mit dem Anblick solcher Einrichtungen zu tun habe, keinerlei Zweifel. Die Klägerin habe zudem gegen § 32 Abs. 4 Ärzte-ZV verstoßen, wonach der Vertragsarzt Vertreter und Assistenten zur Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten anzuhalten habe. Ihr Ehemann habe gegen Vorschriften der StVO (§ 35 Abs. 5a, § 18 Abs. 7) verstoßen; dieser Pflichtverstoß sei ihr zuzurechnen (§ 14 Abs. 2 Satz 1 BMV-Ä). Schließlich habe die Klägerin gegen ihre Auskunftspflicht aus § 4 Abs. 5 der Satzung der Beklagten verstoßen. Sie habe der Beklagten nicht alle Auskünfte erteilt, die zur Nachprüfung der vertragsärztlichen Tätigkeit, nämlich ihrer von der Beklagten gem. § 5 NADO-KVB genehmigten Notarzttätigkeit erforderlich gewesen seien. Denn sie habe sich zu der Fahrt zum Einsatzort auf der B X überhaupt nicht geäußert. Schließlich habe sie auch schuldhaft gehandelt. Bezüglich des Verstoßes gegen ihre Pflicht, den Notarztdienst ordnungsgemäß nach § 10 Abs. 1 NADO-KVB durchzuführen sowie gegen ihre Pflicht, für ihre jederzeitige Einsatzbereitschaft nach § 10 Abs. 4 Satz 2 NADO-KVB zu sorgen, sei der Ausschuss vom vorsätzlichem Handeln der Klägerin überzeugt. Sie habe die Auflagen aus dem Bescheid vom 26.3.2012 gekannt. Auch bezüglich des Verstoßes gegen ihre Auskunftspflicht sei von vorsätzlichem Verhalten auszugehen. Hinsichtlich des Verstoßes gegen § 32 Abs. 4 Ärzte-ZV gehe der Ausschuss von einem grob fahrlässigen Verhalten aus. Als Maßnahme nach § 18 der Satzung der Beklagten könne der Ausschuss eine Verwarnung, einen Verweis, eine Geldbuße bis zu 50.000 EUR oder das Ruhen der Zulassung bis zu einer Dauer von zwei Jahren anordnen. Entscheidend sei die schwere Verfehlung. Negativ falle ins Gewicht, dass sich die Klägerin bereits dem dritten Disziplinarverfahren ausgesetzt sehe. Zulasten der Klägerin werde auch gewertet, dass sie keinerlei Einsicht in ihr Fehlverhalten zeige. Um sie für die Zukunft zur Erfüllung ihrer vertragsärztlichen Pflichten anzuhalten, könne auf die Verhängung einer Maßnahme nicht verzichtet werden. Der Vertragsärztin müsse deutlich vor Augen geführt werden, dass sie sich an die gültigen Regeln in der vertragsärztlichen Versorgung halten müsse. Im Hinblick auf die verschiedenen Pflichtverstöße und weil es sich bereits um das dritte Disziplinarverfahren handele, habe der Ausschuss erwogen, das Ruhen der Zulassung zu verhängen. Er sei schließlich zu der Auffassung gelangt, trotz Bedenken, weil die Klägerin offenbar nicht wirklich willens oder nicht in der Lage sei, ihre Praxis entsprechend den Vorgaben des Vertragsarztrechts zu führen, ein letztes Mal eine Geldbuße zu verhängen. Diese müsse allerdings eine empfindliche Höhe haben, um sie überhaupt noch beeindrucken zu können. Zwei vorangegangene Geldbußen über 3.000 EUR und 5.000 EUR hätten nicht dazu geführt, dass sie nicht mehr disziplinarisch auffällig werde. Somit halte der Ausschuss eine Geldbuße im mittleren Bereich für die angemessene und verhältnismäßige Maßnahme. Er weise ausdrücklich darauf hin, dass bei einem erneuten Verstoß nur noch das Ruhen der Zulassung in Betracht käme. Eine Geldbuße in Höhe von 20.000 EUR sei erforderlich, aber auch ausreichend, um die Klägerin in Zukunft dazu anzuhalten, ihre vertragsärztlichen Pflichten ausreichend ernst zu nehmen und insbesondere sie selbst einzuhalten.
Die Klägerin hat am 24.7.2018 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Zur Klagebegründung hat die Klägerin u.a. ausgeführt, dass ihr Ehemann, weil höchste Eile geboten gewesen sei, aufgrund der Einsatzmeldung die am Fahrersitz befestigte Signalleuchte MOVIA-D genommen und sie mit einem einfachen Griff aus dem Fenster auf dem dafür vorgesehenen Bereich auf dem Magnet fixiert habe. Er sei sodann mit der Klägerin zu der ca. 2 km entfernten Unfallstelle gefahren. Ein gefahrloser Fahrerwechsel sei, weil zu dem Zeitpunkt viel Verkehr auf der B X geherrscht habe, nicht möglich gewesen. Zudem hätte er zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung (wegen Sitz- und Spiegeleinstellung) sowie zu einer Gefährdung der Ehegatten A. sowie fremder Verkehrsteilnehmer geführt. Zum Zeitpunkt der Alarmierung durch die Rettungsleitstelle sei Herr Dr. A. nicht im Dienst gewesen; er habe keine Tätigkeit als Sicherstellungsassistent ausgeübt. Vielmehr habe er ausschließlich als Privatperson und als Ehemann der Klägerin gehandelt. Auf dem PKW der Klägerin sei kein Signalbalken angebracht; es sei auch noch nie einer angebracht gewesen. Die Klägerin habe ihre Einsatzbereitschaft an diesem Tag vollkommen gewährleistet. Bei Fahrtantritt sei noch nicht absehbar gewesen, dass eine Einsatzmeldung eintreffe, weshalb zu Beginn der Fahrt keine Notwendigkeit der Klägerin bestanden habe, den PKW von ihrem Ehemann zu übernehmen. Selbst wenn ein Pflichtenverstoß angenommen werden sollte, habe sich die Klägerin in einer gerechtfertigten Notstandssituation befunden. Zumindest ein Erlaubnistatbestandsirrtum habe vorgelegen. Sie habe davon ausgehen dürfen, von den Auflagen im Bescheid vom 26.3.2012 abweichen zu dürfen. Im Übrigen habe die Klägerin auch keine Auskunftspflicht gegenüber der Beklagten gehabt, da ihr wie jedem Beschuldigten das Recht obliege, zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen zu schweigen. Zur Höhe der Geldstrafe hat die Klägerin ausgeführt, dass diese vollkommen überzogen sei. Es sei nicht korrekt, dass es sich um das dritte Disziplinarverfahren gegen die Klägerin handele. Lediglich eine Disziplinarmaßnahme gegen sie sei bisher bestandskräftig. Es sei rechtswidrig, das zweite nicht bestandskräftige Disziplinarverfahren in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. Hinsichtlich der Höhe müsse eine Differenzierung zwischen der Tätigkeit der Klägerin als Vertragsärztin und der als Notärztin vorgenommen werden.
Die Klägerin beantragt:
Der Disziplinarbescheid der Beklagten vom 25.6.2018 wird aufgehoben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte weist darauf hin, dass die Klägerin beim Abholen durch ihren Ehemann noch im Dienst gewesen sei. Folglich habe sie jederzeit mit einem weiteren Einsatz rechnen müssen. Richtig wäre es also gewesen, direkt bei Ankunft ihres Mannes nicht auf dem Beifahrersitz, sondern auf dem Fahrersitz Platz zu nehmen. Bei direkter Fahrzeugsteuerung durch die Klägerin selbst hätte sie ihre jederzeitige ordnungsgemäße Einsatzbereitschaft und Erreichbarkeit sichergestellt, § 10 Abs. 4 Satz 2 NADO-KVB. Im Übrigen habe es die Klägerin unterlassen, ihren Ehemann davon abzuhalten, die Einsatzfahrt zum Einsatzort unter Einsatz der Sonderwarneinrichtung vorzunehmen. Der rechtfertigende Notstand nach § 16 OWiG könnte, bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen (was hier nicht der Fall sei), nur den Verstoß gegen § 35 Abs. 5a StVO in Verbindung mit § 8 OWiG rechtfertigen, nicht aber den Pflichtverstoß durch Nichtbeachtung der Ausnahmegenehmigung nach § 10 Abs. 4 Satz 2 NADO-KVB. Ein Erlaubnistatbestandsirrtum liege nicht vor. Zur Höhe des Disziplinarbescheids führt die Beklagte aus, dass die Klägerin durch vorhergegangenes Verhalten gezeigt habe, dass sie nicht über die notwendige Verlässlichkeit und Sorgfalt insbesondere im Hinblick auf gesetzliche, vertragliche und satzungsmäßige Bestimmungen verfüge, die mit der Tätigkeit einer Ärztin als solcher, die an dem solidarischen System der gesetzlichen Krankenfürsorge und dem öffentlich-rechtlich Notarztdienst teilnehme, gefordert werde. Der Grundsatz "nemot tenetur se ipsum accusare" gelte nicht. Dieser Grundsatz finde vornehmlich im Strafrecht Anwendung. Dazu im Spannungsverhältnis stünde eine Vielzahl von Auskunfts- und Mitwirkungsansprüchen im außerstrafrechtlichen Bereich, welche Kontrollmöglichkeiten vorsähen, um zum Beispiel auch als Aufsichtsbehörde die eigenen Aufgaben wahrnehmen zu können.
Das Gericht hat eine telefonische Auskunft bei der Fa. H., Herstellerin der MOVIA-D Leuchte, eingeholt. Danach gebe es von Seiten der Herstellerin keine Vorgaben dazu, ob die Leuchte während der Fahrt oder nur bei Stillstand angebracht werden könne. Dies stehe im Ermessensspielraum des Anwenders. Vorgegeben sei nur die Befestigung auf einer ebenen Fläche und ein "vernünftiger Aufsatzpunkt".
Der schriftlich befragte Zeuge, PHM F., hat u.a. erklärt, dass er am 10.5.2016 mit seiner Kollegin zu einem Verkehrsunfall mit Personenschaden in F-Stadt, B X/Abfahrt Autohof F-Stadt gerufen worden sei. Er habe am Straßenverlauf der B X gestanden und erkennen können, dass sich aus südlicher Richtung ein Einsatzfahrzeug mit hoher Geschwindigkeit unter Einsatz von Sonder- und Wegerechten näherte. Bei diesem Fahrzeug habe es sich um ein ziviles Fahrzeug der Marke BMW gehandelt, auf welchem ein Signalbalken auf dem Fahrzeugdach verbaut gewesen sei. Nachdem er den Fahrer durch Handzeichen auf sich aufmerksam gemacht habe, habe dieser auf der B X gewendet und sei zurückgekehrt. Der Pkw sei zu dieser Zeit von einer männlichen Person geführt worden, bei der Beifahrerin habe es sich um eine Frau gehandelt. Beide hätten sich anschließend zum vor Ort befindlichen Rettungswagen begeben, um sich um die leichtverletzte Sozia zu kümmern. Ob sich der Fahrer und die Beifahrerin des Notarztwagens bei ihm namentlich vorstellten, sei ihm heute nicht mehr erinnerlich. Aus zurückliegenden Einsätzen sei ihm jedoch bekannt, dass dieses Notarztfahrzeug der Arztpraxis Dr. A. gehöre.
Weiter hat das Gericht den Ehemann und den Sohn der Klägerin als Zeugen vernommen. Der Ehemann der Klägerin hat u.a. ausgeführt, dass am 10.5.2016 auf der Rückfahrt vom Krankenhaus F-Stadt der Einsatzruf wegen eines schwer verletzten Motorradfahrers mit Kopfverletzungen gekommen sei, ungefähr 800m von ihrem damaligen Standort. Es sei früh morgens gewesen und die Straße vielbefahren. Er sei gefahren, seine Frau sei Beifahrerin gewesen. Sie hätten sich kurz abgesprochen und wegen der akuten Lebensgefahr innerhalb von Sekunden entschieden, dass er weiterfahre bis zum Einsatzort. Das Blaulicht sei unter dem Sitz in der Halterung. Sie hätten anhalten müssen und den Sitz umstellen müssen, damit seine Frau hätte fahren können. Er habe deshalb die Scheibe heruntergelassen und das Blaulicht oben aufgesetzt. Ein Fahrerwechsel hätte länger gedauert als nur wenige Sekunden, wegen der Größenunterschiede von ihm und seiner Frau müsse der Sitz ganz umgestellt werden, von der untersten in die oberste Position und auch die Spiegel neu eingestellt werden. Auf die Frage, ob nicht die durch einen Fahrerwechsel verursachte Zeitverzögerung hätte in Kauf genommen werden können, hat der Zeuge erklärt, dass sie da einen Fehler gemacht hätten. Sie seien zu sehr ärztlich gepolt gewesen und wollten gerade wegen der Kopfverletzungen möglichst schnell helfen. Die Klägerin habe immer nur diese eine MOVIA-D-Leuchte für das Fahrzeug gehabt, bis 2017. Bei der MOVIA-D-Leuchte handele es sich um die Standardausstattung für verdeckte Einsatzfahrzeuge. Diese werde schon im Werk standardmäßig eingebaut. Es sei möglich, die Kennleuchte während der Fahrt bei nicht zu schneller Geschwindigkeit auf das Dach zu setzen.
Der Sohn der Klägerin hat erklärt, dass am Kfz der Klägerin immer nur die Standard-Leuchte MOVIA-D eingesetzt worden sei. Eine Änderung bei dem Blaulicht habe es nicht gegeben.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Disziplinarbescheid vom 25.6.2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtungsklage liegen vor. Ein Vorverfahren war nicht durchzuführen (§ 81 Abs. 5 Satz 4 SGB V).
Die Klage ist auch begründet. Der Disziplinarbescheid vom 25.6.2018 ist rechtswidrig. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Aufhebung des Bescheids.
Hinsichtlich des gerichtlichen Prüfmaßstabs gilt folgendes:
"Die gerichtliche Nachprüfung von Disziplinarmaßnahmen erfolgt in zwei Schritten. Das Vorliegen des schuldhaften Pflichtenverstoßes als tatbestandliche Voraussetzung ist uneingeschränkt nachprüfbar. Bei der Auswahl der Maßnahme steht den Disziplinarorganen ein Ermessensspielraum zu. Ergibt sich bei der gerichtlichen Nachprüfung von Pflichtverstößen, dass einige der bei der Verhängung der Maßnahme zugrunde gelegten Vorwürfe entfallen, so ist der Bescheid nicht rechtswidrig, wenn die übrigen Vorwürfe die ausgesprochene Maßnahme nach Art und Höhe und Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes rechtfertigen und vom Disziplinarorgan dargelegte Ermessenserwägungen nicht entgegenstehen" (Steinmann-Munzinger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl. (Stand: 15.06.2020), § 81 Rn. 98 m.w.N.).
Nach § 1 Satz 1 Notarztdienstordnung der KVB (NADO-KVB) (i.d.F. v. 19.3.2016; im Folgenden "a.F.") ist der Notarztdienst gem. § 75 Abs. 1b Satz 1 2. HS SGB V i.V.m. Art. 14 Abs. 1 BayRDG Teil der vertragsärztlichen Versorgung von Notfallpatienten in Bayern, soweit diese nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V Anspruch auf ärztliche Behandlung haben. § 17 Abs. 2 NADO-KVB a.F. verweist hinsichtlich der Verletzung von Pflichten im Rahmen der Tätigkeit als Notarzt auf § 18 der Satzung der Beklagten (Verfahren bei Pflichtverletzungen durch Mitglieder).
In formellrechtlicher Hinsicht ist der Disziplinarbescheid nicht zu beanstanden.
Nach Überzeugung der Kammer liegen jedoch keine schuldhaften Pflichtenverstöße der Klägerin vor.
Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass das Fahrzeug der Klägerin zum Zeitpunkt der Einsatzfahrt am 10.5.2016 mit einer MOVIA-D-Leuchte ausgestattet war. Der Ehemann sowie der Sohn der Klägerin haben glaubwürdig erklärt, dass an dem Fahrzeug der Klägerin immer nur die Standard-Leuchte MOVIA-D eingesetzt worden sei. Dies entspricht auch dem von der Klägerin vorgelegten Fahrzeugschein sowie den Papieren zur Fahrzeugbestellung im Jahr 2012. Zwar hat der schriftlich befragte Zeuge PHM F. ausgesagt, dass auf dem Fahrzeugdach des klägerischen Pkw ein Signalbalken verbaut gewesen sei. Die Kammer geht jedoch davon aus, dass hier ein Irrtum des PHM F. vorliegt; es gibt außer der Aussage des Zeugen F. keine weiteren Anhaltspunkte für die Kammer dafür, dass die Klägerin einen solchen Signalbalken bei der Fahrt am 10.5.2016 verwendet haben könnte.
Es kann somit nicht - anders als im streitgegenständlichen Bescheid - von einem Pflichtverstoß der Klägerin gegen § 10 Abs. 1 NADO-KVB a.F. aufgrund des Fahrens ihres Ehemannes mit einem aufgesetzten Signalbalken ausgegangen werden.
Auch im Übrigen ist aufgrund des Sachverhalts, wie er sich nach der Beweisaufnahme für die Kammer ergibt, kein vorwerfbarer Verstoß der Klägerin gegen § 10 Abs. 1 NADO-KVB a. F. zu erkennen.
Indem der Ehemann der Klägerin bei der Fahrt zum Einsatzort am 10.5.2016 auf der B X das Fahrzeug der Klägerin mit eingeschaltetem Blaulicht gesteuert hat, hat die Klägerin zwar gegen die Auflagen Nr. 5g) und 5l) des Bescheids vom 26.3.2012 und damit grundsätzlich auch gegen ihre Pflicht gemäß § 10 Abs. 1 NADO-KVB a. F. verstoßen, wonach sie als Notärztin verpflichtet ist, ihren Dienst ordnungsgemäß durchzuführen. Nach Einschätzung der Kammer lag hier jedoch ein unvermeidbarer Erlaubnistatbestandsirrtum der Klägerin vor, so dass der Verstoß der Klägerin nicht vorwerfbar ist.
Grundsätzlich gilt, dass Erkenntnisse aus den beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren dazu benutzt werden können, Lücken im vertragsärztlichen Disziplinarverfahren zu schließen (Clemens in: Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, 4. Auflage 2018, § 24 Rn. 43 m.w.N.). Dies gilt nach Überzeugung des Gerichts sowohl für allgemein anerkannte Rechtfertigungsgründe wie auch für den Irrtum darüber, ob Umstände vorliegen, die einen rechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrund erfüllen (Erlaubnistatbestandsirrtum). Rechtfertigungsgründe wie der allgemeine Notstand und auch der Erlaubnistatbestandsirrtum diesbezüglich sind im Disziplinarrecht der Beamten anerkannt (vgl. Gansen in: ders., Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand November 2020, Nr. 2.9.3 sowie Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Stand August 2020, MatR/I Rn. 36; zum Erlaubnistatbestandsirrtum vgl. BVerwG, Urteil vom 21.12.2006, Az. 2 WD 19.05, Rn.111).
Nach Überzeugung der Kammer befand sich die Klägerin in einem Erlaubnistatbestandsirrtum, als sie sich am 10.5.2016 nach Erhalt der Einsatzmeldung mit ihrem Ehemann kurz absprach und sie innerhalb von Sekunden gemeinsam entschieden, keinen Fahrerwechsel vorzunehmen und er bis zum Einsatzort weiterfahre. Hierbei irrte sie über das Vorliegen einer - aufgrund der gemeldeten Kopfverletzungen - akuten Lebensgefahr des verunfallten Motorradfahrers. Hätte tatsächlich eine gegenwärtige Gefahr für das Leben des Motorradfahrers bestanden, hätten nach Auffassung der Kammer alle Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands vorgelegen, insbesondere auch eine Interessenkollision, bei der das geschützte Interesse das beeinträchtigte - die Nichteinhaltung der Auflagen Nr. 5g) und 5l) des Bescheids vom 26.3.2012 - wesentlich überwogen hätte.
Aus Sicht der Kammer beruhte der Erlaubnistatbestandsirrtum auch nicht auf sorgfaltswidrigem Handeln der Klägerin und war damit nicht fahrlässig. Die Annahme der Klägerin, dass der am Kopf verletzte verunfallte Motorradfahrer in Lebensgefahr schwebe bzw. schweben könnte, kann aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung nicht als fahrlässig fehlerhaft gewertet werden. Ebenso wenig kann aus Sicht der Kammer aus der Aussage des Zeugen Dr. A., wonach sie einen Fehler gemacht hätten, indem sie meinten, die durch den Fahrerwechsel verursachte Zeitverzögerung nicht in Kauf nehmen zu können und dass sie zu sehr ärztlich gepolt gewesen seien und wegen der Kopfverletzungen möglichst schnell helfen wollten, ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu Lasten der Klägerin gefolgert werden. Unter Berücksichtigung aller vorliegenden Umstände, insbesondere der Entfernung zum Einsatzort, die nach Aussage des Zeugen Dr. A. lediglich 800 m betragen haben soll, und der früheren Teilnahme des Ehemannes der Klägerin am vertragsärztlichen Notarztdienst (mit eigenem privaten Kfz als anerkanntes Einsatz- und Kommando-Kraftfahrzeug des Rettungsdienstes), sowie der Hinweise unter Nr. 5j) des Bescheids vom 26.3.2012 erscheint das Unterlassen des Fahrerwechsels jedenfalls noch angemessen.
Auch ein Verstoß der Klägerin gegen ihre Pflicht, ihre jederzeitige Einsatzbereitschaft und Erreichbarkeit als Notärztin sicherzustellen (§ 10 Abs. 4 Satz 2 NADO-KVB a.F.), liegt nicht vor.
Die Beklagte hält der Klägerin vor, dass sie während ihres Notarztdienstes nicht auf dem Beifahrersitz hätte Platz nehmen und sich nicht von ihrem Ehemann hätte fahren lassen dürfen. Nur bei eigener Fahrzeugsteuerung hätte die Klägerin selbst ihre jederzeitige (ordnungsgemäße) Einsatzbereitschaft und Erreichbarkeit sicherstellen können.
Die Kammer verkennt nicht, dass - je nach Standort - auftretende Widrigkeiten und Verzögerungen aufgrund eines notwendigen Fahrerwechsels infolge einer Einsatzmeldung vermieden werden können, wenn der Notarzt während seiner Dienstzeit selbst das (private) Fahrzeug steuert. Auf der anderen Seite gibt die Möglichkeit, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen, dem diensthabenden Notarzt die wertvolle Gelegenheit, kurzfristig von seinem anspruchsvollen Dienst auszuruhen. Wie die Fachabteilung der Beklagten in ihrer internen Stellungnahme vom 30.4.2018 ausführt, existiert keine in der NADO-KVB normierte Pflicht für den Notarzt, sein Fahrzeug während des Dienstes permanent selbst zu fahren. Eine solche ausdrückliche Pflicht ist auch nicht dem Bescheid der Regierung von Mittelfranken vom 26.3.2012 zu entnehmen. Dieser bestimmt nur, dass die Klägerin, die während des Dienstes ihren Privatwagen nutzt, auch selbst fahren muss, sobald die Sonderwarneinrichtung angebracht ist. Eine Pflicht, das eigene Fahrzeug im Dienst selbst zu steuern, wenn keine Sonderwarneinrichtung angebracht ist, enthält der Bescheid hingegen nicht. Die Annahme einer solchen Pflicht wäre auch fragwürdig im Verhältnis zu denjenigen Notärzten, die (das Notarzteinsatzfahrzeug gem. § 11 Abs. 1 NADO-KVB a.F.) nicht selbst fahren. Nach Einschätzung der Kammer ändert auch der Umstand, dass die Klägerin nach ihrem am Krankenhaus F-Stadt beendeten Einsatz vermutlich wieder den "Status 1" gedrückt hatte, nichts an dieser Bewertung. Damit hatte sie gegenüber der Rettungsleitstelle/integrierten Leitstelle lediglich ihre erneute grundsätzliche Einsatzbereitschaft aufgrund Beendigung des vorhergehenden Einsatzes bekundet.
Ebenso wenig hat die Klägerin gegen ihre Auskunftspflicht aus § 4 Abs. 5 der Satzung der Beklagten verstoßen.
§ 4 Abs. 5 der Satzung der Beklagten lautet: "Jedes Mitglied ist verpflichtet, der KVB alle Auskünfte zu erteilen und die erforderlichen Unterlagen vorzulegen, die zur Nachprüfung der vertragsärztlichen, psychotherapeutischen oder sonstigen von der KVB sichergestellten und gewährleisteten Tätigkeit der Ärzte und Psychotherapeuten erforderlich sind."
Die Auskunftspflicht des Vertragsarztes korrespondiert mit dem der Beklagten obliegenden Sicherstellungsauftrag aus § 75 Abs. 1 SGB V und der damit in Zusammenhang stehenden Überwachungspflicht nach § 75 Abs. 2 Satz 2 SGB V. (BayLSG, Urteil vom 22.11.2017, Az. L 12 KA 166/15). Die Auskunftspflicht erfordert es nicht, dass die aus Sicht der Beklagten aufklärungsbedürftigen Sachverhalte im juristischen Sinne "einlassungsfähig" dargestellt werden. Ausreichend ist eine Benennung derjenigen Umstände, welche die Beklagte einer näheren Überprüfung unterziehen möchte (BayLSG, ebenda).
Aus Sicht der Kammer hätte eine weitere Beantwortung der Schreiben der Beklagten vom 19.7.2016 und 4.8.2016 sowie der E-Mail der Beklagten vom 8.8.2016 zu einer "Einlassung" der Klägerin geführt, zu der sie aufgrund der Reichweite der Auskunftspflicht nach § 4 Abs. 5 der Satzung der Beklagten wie auch aufgrund ihres Schweigerechts nicht verpflichtet war. Die Beklagte kannte, wie ihrem Schreiben vom 19.7.2016 zu entnehmen ist, bereits die wesentlichen Umstände der Einsatzfahrt vom 10.5.2016, insbesondere dass der Pkw unter Nutzung der Sonderwarneinrichtung vom Ehemann der Klägerin gefahren wurde und eine weitere Person mit im Auto saß. Die Klägerin konnte daneben von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen. Auch hinsichtlich der Frage eines Schweigerechtes des Vertragsarztes sind zur "Lückenschließung" Anleihen im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren zu nehmen. Dort ist das Schweigerecht des Beamten anerkannt (vgl. Zängl in: ders. Bayerisches Disziplinarrecht, Stand August 2020, Art. 27 Rn. 24 und MatR/II Rn. 276). Nach der Rechtsprechung des BVerwG dient es "jedenfalls der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung, an die Wahrnehmung des Rechts auf Verteidigung auch außerhalb des Strafverfahrens keine staatlichen Sanktionen zu knüpfen" (BVerwG, Urteil vom 20.11.2012, Az. 2 B 56/12, Rn. 8). Nach Auffassung der Kammer besaß die Klägerin, um sich nicht ggf. selbst zu belasten, vorliegend ein Schweigerecht, von dem sie Gebrauch machen durfte, ohne dafür sanktioniert zu werden. Die Kammer weist vorsorglich darauf hin, dass die Beklagte nicht die Aushändigung des Fahrtenbuches (vgl. Nr. 5i) des Bescheids vom 26.3.2012) verlangt hat; hierauf hätte nach Einschätzung der Kammer ein Anspruch bestanden.
Schließlich hat die Klägerin auch nicht gegen § 32 Abs. 4 Ärzte-ZV verstoßen. Danach hat der Vertragsarzt Vertreter und Assistenten zur Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten anzuhalten. Aus Sicht der Kammer spricht vorliegend mehr dafür, dass der Ehemann der Klägerin am 10.5.2016 privat das Fahrzeug führte und nicht als Sicherstellungsassistent. Aus diesem Grund sieht die Kammer von einer weitergehenden Prüfung des § 32 Abs. 4 Ärzte-ZV ab.
Aus alledem ergibt sich, dass keine disziplinarrechtlich relevanten Verstöße von Seiten der Klägerin vorliegen. Der Disziplinarbescheid vom 25.6.2018 ist deshalb rechtswidrig und war aufzuheben.
Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit einer Disziplinarmaßnahme streitig.
Die Klägerin ist als Praktische Ärztin seit 01.04.1995 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und in A-Stadt niedergelassen. Bis zum 23.03.2011 war die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann in Gemeinschaftspraxis tätig; seit der bestandskräftigen Entziehung der Zulassung ihres Ehemannes praktiziert sie in Einzelpraxis.
Die Klägerin besitzt u.a. den Fachkundenachweis Rettungsdienst gem. RettDGes der Länder und die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin. Am 24.10.2005 erteilte ihr die Beklagte die Genehmigung zur Teilnahme am vertragsärztlichen Notarztdienst am Notarztwagenstandort C-Stadt; an diesem wurde bis zum Jahr 2017 kein Notarzteinsatzfahrzeug vorgehalten. Mit Bescheid vom 26.3.2012 erkannte die Regierung von Mittelfranken das Privat-Kfz der Klägerin als Einsatz- und Kommando-Kraftfahrzeug des Rettungsdienstes für die Ausrüstung mit Sonderwarneinrichtungen (blaues Blinklicht und Einsatzhorn) an. Die Anerkennung gelte für alle Einsatzfahrten als dienstplanmäßige Notärztin am anerkannten Notarztstandort C-Stadt, solange und soweit der Notarztdienstgruppe kein Notarzteinsatzfahrzeug oder Notarztwagen zur Verfügung stehe. Die Anerkennung umfasste unter Nr. 5 u.a. folgende Auflagen:
"a) Die Ausrüstung mit Sonderwarneinrichtungen (blaues Blinklicht und Einsatzhorn) hat nach Maßgabe der Vorschriften der StVZO zu erfolgen. ( ...)
b) Als Kennleuchten für blaues Blinklicht können schnell abnehmbare Leuchten, welche mit dem Fahrzeug fest (formschlüssig) oder magnethaftend (kraftschlüssig) verbunden werden, verwendet werden. Empfohlen werden Kennleuchten für blaues Blinklicht, welche mit dem Fahrzeug fest (formschlüssig) verbunden werden. ( ...) Magnethaftende (kraftschlüssige) Kennleuchten müssen zum Erreichen des optimalen Kraftschlusses besonders sorgfältig aufgesetzt werden; ein Aufsetzen während der Fahrt ist daher in der Regel bereits durch die Aufsatzanweisungen des Herstellers untersagt.
d) Der ordnungsgemäße Einbau und Anschluss sowie die besondere Schaltung der Sonderwarneinrichtungen (blaues Blinklicht und Einsatzhorn) sind von einem amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer unter Beachtung insbesondere der Ziffern 5a) bis c) abzunehmen und zu bescheinigen. Die Zulässigkeit der Ausstattung mit Sonderwarneinrichtungen ist durch die Zulassungsbehörde gebührenfrei in Fahrzeugbrief und Fahrzeugschein bzw. in der Zulassungsbescheinigung Teil I und II einzutragen (vgl. §§ 11, 12 FZV).
g) Die Kennleuchte für blaues Blinklicht darf am privaten Kfz nur dann angebracht sein, wenn Sie es als Einsatz-und Kommando-Kraftfahrzeug einsetzen. Bei Privatfahrten Ihrerseits oder Dritter darf die Kennleuchte nicht erkennbar oder angebracht sein.
i)Sie haben ein Fahrtenbuch zu führen, ständig im Fahrzeug mitzuführen und alle Einsatzfahrten unverzüglich (nach dem Einsatz) einzutragen, bei denen die Kennleuchte für blaues Blinklicht am privaten Kraftfahrzeug angebracht ist. Das Fahrtenbuch ist auf Verlangen berechtigten Personen zur Prüfung auszuhändigen und bis mindestens sechs Monate nach Ablauf der Anerkennung aufzubewahren.
j) Bei der Entscheidung, ob eine Einsatzstelle zeitnah erreicht werden kann, ist vor Antritt der Einsatzfahrt eigenverantwortlich der mögliche Zeitgewinn durch die Verwendung der Sonderwarneinrichtungen mit den daraus resultierenden möglichen Nachteilen für Sie und die übrigen Verkehrsteilnehmer abzuwägen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass mit zunehmender Entfernung des jeweiligen Standorts zum anzufahrenden Schadensort aus einsatztaktischen und verkehrstechnischen Gründen auf die Nutzung von Sonderwarneinrichtungen verzichtet werden sollte, da ein zeitgerechtes Eintreffen am Schadensort nicht mehr möglich ist. ( ...)
l) Bei Betrieb der Sonderwarneinrichtungen und auch wenn die Blaulichtleuchte sichtbar im Fahrzeug mitgeführt wird, darf das Kraftfahrzeug nur durch Sie selbst als Berechtigten gesteuert werden."
Der Ehemann der Klägerin war lt. Genehmigung vom 4.9.2014 vom 1.10.2014 bis 30.9.2017 Sicherstellungsassistent in der klägerischen Praxis (ganztags).
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 12.9.2012 verhängte die Beklagte gegen die Klägerin eine Geldbuße i.H.v. 3.000,00 EUR wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung in den Quartalen 2/2005 bis 1/2009.
Die Beklagte verhängte gegen die Klägerin mit Bescheid vom 14.2.2017, reduziert durch gerichtlichen Vergleich am 27.9.2019, eine Geldbuße i.H.v. 2.500,00 EUR wegen erneuten Verstoßes gegen die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung in den Quartalen 2/2009 bis 4/2009.
Mit Schreiben vom 22.8.2017 stellte der Vorstand der Beklagten einen weiteren Antrag auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen die Klägerin. Die Beklagte habe die Information erhalten, dass der Ehemann der Klägerin den privaten Pkw der Klägerin unter Betrieb der Sonderwarneinrichtung bei einem Verkehrsunfall auf der B X gefahren habe. Der von der Beklagten kontaktierte Polizeihauptmeister (PHM), Herr F., habe per E-Mail mitgeteilt, dass am 10.5.2016 ein Verkehrsunfall auf der B X stattgefunden habe. Er habe sich beim Bayerischen Roten Kreuz erkundigt, ob auch ein Notarzt zur Unfallstelle kommen würde. Er habe dann ein Martinshorn von F-Stadt kommend wahrnehmen können. Das Notarzteinsatzfahrzeug, ein blauer BMW mit Signalbalken, sei in die Richtung B-Stadt gefahren und dann in Richtung F-Stadt unter dem Einsatz von Sondersignalen umgekehrt. Er habe den Gegenverkehr angehalten, um dem Fahrzeug das Abbiegen zu ermöglichen, wobei er erkannt habe, dass eine männliche Person das Fahrzeug geführt habe und eine weitere weibliche Person auf dem Beifahrersitz gesessen sei. Nach Abschluss der Erstversorgung habe sich herausgestellt, dass es sich bei diesen beiden Personen um das Ehepaar Dres. A. gehandelt habe. Mit Schreiben vom 19.7.2016 und Erinnerungsschreiben vom 4.8.2016 habe die Beklagte die Klägerin um Stellungnahme gebeten. Die Klägerin teilte mit E-Mail vom 7.8.2016 mit, dass sie die Vorwürfe nicht nachvollziehen könne. Herr Dr. A. habe das Einsatzfahrzeug zum Krankenhaus nachgeführt, wobei er die Sonderwarneinrichtung nicht genutzt habe, da sie selbst den Patienten im Rettungswagen begleitet habe. Da die Auskunft der Klägerin aus Sicht der Beklagten nicht ausreichend auf den betreffenden Sachverhalt eingegangen sei, habe die Beklagte die Klägerin per E-Mail erneut um eine detaillierte Stellungnahme zur Situation während der Fahrt zum Einsatzort gebeten. Hierauf antwortete die Klägerin nicht. Die Klägerin habe nach alledem gegen die Auflagen zur Nutzung der Sonderwarneinrichtung, gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Durchführung des Notarztdienstes sowie gegen die Pflicht zur Mitwirkung verstoßen. Daneben hafte sie auch für das Verhalten ihres Sicherstellungsassistenten. Im Übrigen verwies der Vorstand der Beklagten noch auf einen weiteren Vorfall, wonach lt. einer anonymen Beschwerde Herr Dr. A. am 20.6.2016 das Einsatzfahrzeug "allein und mit Blaulicht mit extrem hoher Geschwindigkeit" gefahren habe. Dieser Sachverhalt habe aber von der Beklagten nicht näher nachgeprüft werden können.
Die Klägerin wies in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass der von der Beklagten wiedergegebene Sachverhalt unzutreffend sei. Sie sei damals vom Klinikum F-Stadt von ihrem Ehemann im Privatfahrzeug abgeholt worden. Zuvor habe sie einen Noteinsatz gehabt, bei dem sie mit den Rettungskräften im RTW mitgefahren sei. Herr Dr. A. habe sie privat abgeholt, auf dem Rücksitz habe sich der zwanzigjährige Sohn, der im Rahmen eines Betriebspraktikums zugegen gewesen sei, befunden. Kurz nachdem sie F-Stadt verlassen und sich auf der B X Richtung B-Stadt befunden hätten, sei die Einsatzmeldung gekommen, dass ein Unfall auf der Bundesautobahn A Y Höhe G-Stadt geschehen sei. Da zu diesem Zeitpunkt lediglich bekannt gewesen sei, dass ein Motorradfahrer Kopfverletzungen erlitten habe, habe die Klägerin von einer lebensbedrohlichen Verletzung ausgehen müssen. Ein Fahrerwechsel sei nicht möglich gewesen, da zu dem Zeitpunkt viel Verkehr auf der B X geherrscht habe. Es habe sich um einen sehr kurzen Streckenabschnitt gehandelt, den Herr Dr. A. unter Betrieb der Sonderwarneinrichtung und des Blaulichts zurückgelegt habe. Hierin sei kein Pflichtverstoß zu sehen.
Die Beklagte holte daraufhin eine Stellungnahme der Fachabteilung ein, die ausführte, dass die Klägerin laut Dienstplan am 10.5.2016 von 7.00 Uhr bis 20.00 Uhr zum Notarztdienst eingeteilt gewesen sei. Relevant sei die Aussage des Polizeibeamten, dass das von der Klägerin und ihrem Ehemann benutzte Einsatzfahrzeug einen Signalbalken getragen habe. Der Begriff des Signalbalkens beschreibe eine lang gestreckte Bauweise eines blauen Blinklichts, die in äußerer Gestalt einem Balken ähnele. Wenn es sich, wie vom Polizeibeamten beschrieben, um einen Leuchtbalken gehandelt habe, bestünden nur zwei Möglichkeiten: Entweder sei dieser bereits vor der Fahrt angebracht worden oder das Fahrzeug hätte für eine nachträgliche Einrichtung angehalten werden müssen. In beiden Fällen könne das Steuern des Fahrzeugs durch eine andere Person als die Klägerin vermieden werden. Theoretisch hätte auch während der Fahrt eine relativ kleine, per Hand aufsetzbare, magnethaftende Blaulichtleute angebracht werden können; dies widerspreche jedoch der Aussage des Polizeibeamten.
Die Klägerin erwiderte, dass sich an ihrem Pkw lediglich eine magnethaftende Blaulichtleuchte, eine MOVIA-D-Leuchte, befinde, welche jederzeit während der Fahrt durch einen einfachen Griff aus dem Fenster angebracht werden könne. Die Signalleuchte sei grundsätzlich während der Fahrt unter dem Fahrersitz verstaut.
Mit Bescheid vom 25.6.2018 verhängte die Beklagte gegen die Klägerin wegen Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten eine Geldbuße in Höhe von 20.000,00 EUR. Die Klägerin habe gegen ihre Pflicht, den Notarztdienst ordnungsgemäß nach § 10 Abs. 1 NADO-KVB durchzuführen sowie gegen ihre Pflicht, für ihre jederzeitige Einsatzbereitschaft nach § 10 Abs. 4 Satz 2 NADO-KVB zu sorgen, verstoßen. Dass Herr Dr. A. am Steuer des Fahrzeugs gesessen sei, werde von der Klägerin nicht bestritten. Dadurch habe sie gegen die in Ziffern 5g) und 5l) des Bescheids vom 26.3.2012 erteilten Auflagen verstoßen. Die Nichtbeachtung dieser Auflagen sei als vertragsärztlicher Pflichtverstoß zu werten, weil der Notarztdienst Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sei, § 1 Abs. 1 NADO-KVB. Wegen ihrer Einteilung im Notarztdienstplan habe die Klägerin jederzeit mit einer Alarmierung rechnen und daher für ihre jederzeitige Einsatzbereitschaft sorgen müssen. Sie hätte schon deshalb ihren Ehemann überhaupt nicht mit ihrem PKW fahren lassen dürfen, weil sich an diesem der von dem Zeugen F. beschriebene Signalbalken, also eine Sonderwarneinrichtung befunden habe und das Martinshorn eingeschaltet gewesen sei. An der Aussage des Zeugen bestünde für den Ausschuss, da er wohl täglich mit dem Anblick solcher Einrichtungen zu tun habe, keinerlei Zweifel. Die Klägerin habe zudem gegen § 32 Abs. 4 Ärzte-ZV verstoßen, wonach der Vertragsarzt Vertreter und Assistenten zur Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten anzuhalten habe. Ihr Ehemann habe gegen Vorschriften der StVO (§ 35 Abs. 5a, § 18 Abs. 7) verstoßen; dieser Pflichtverstoß sei ihr zuzurechnen (§ 14 Abs. 2 Satz 1 BMV-Ä). Schließlich habe die Klägerin gegen ihre Auskunftspflicht aus § 4 Abs. 5 der Satzung der Beklagten verstoßen. Sie habe der Beklagten nicht alle Auskünfte erteilt, die zur Nachprüfung der vertragsärztlichen Tätigkeit, nämlich ihrer von der Beklagten gem. § 5 NADO-KVB genehmigten Notarzttätigkeit erforderlich gewesen seien. Denn sie habe sich zu der Fahrt zum Einsatzort auf der B X überhaupt nicht geäußert. Schließlich habe sie auch schuldhaft gehandelt. Bezüglich des Verstoßes gegen ihre Pflicht, den Notarztdienst ordnungsgemäß nach § 10 Abs. 1 NADO-KVB durchzuführen sowie gegen ihre Pflicht, für ihre jederzeitige Einsatzbereitschaft nach § 10 Abs. 4 Satz 2 NADO-KVB zu sorgen, sei der Ausschuss vom vorsätzlichem Handeln der Klägerin überzeugt. Sie habe die Auflagen aus dem Bescheid vom 26.3.2012 gekannt. Auch bezüglich des Verstoßes gegen ihre Auskunftspflicht sei von vorsätzlichem Verhalten auszugehen. Hinsichtlich des Verstoßes gegen § 32 Abs. 4 Ärzte-ZV gehe der Ausschuss von einem grob fahrlässigen Verhalten aus. Als Maßnahme nach § 18 der Satzung der Beklagten könne der Ausschuss eine Verwarnung, einen Verweis, eine Geldbuße bis zu 50.000 EUR oder das Ruhen der Zulassung bis zu einer Dauer von zwei Jahren anordnen. Entscheidend sei die schwere Verfehlung. Negativ falle ins Gewicht, dass sich die Klägerin bereits dem dritten Disziplinarverfahren ausgesetzt sehe. Zulasten der Klägerin werde auch gewertet, dass sie keinerlei Einsicht in ihr Fehlverhalten zeige. Um sie für die Zukunft zur Erfüllung ihrer vertragsärztlichen Pflichten anzuhalten, könne auf die Verhängung einer Maßnahme nicht verzichtet werden. Der Vertragsärztin müsse deutlich vor Augen geführt werden, dass sie sich an die gültigen Regeln in der vertragsärztlichen Versorgung halten müsse. Im Hinblick auf die verschiedenen Pflichtverstöße und weil es sich bereits um das dritte Disziplinarverfahren handele, habe der Ausschuss erwogen, das Ruhen der Zulassung zu verhängen. Er sei schließlich zu der Auffassung gelangt, trotz Bedenken, weil die Klägerin offenbar nicht wirklich willens oder nicht in der Lage sei, ihre Praxis entsprechend den Vorgaben des Vertragsarztrechts zu führen, ein letztes Mal eine Geldbuße zu verhängen. Diese müsse allerdings eine empfindliche Höhe haben, um sie überhaupt noch beeindrucken zu können. Zwei vorangegangene Geldbußen über 3.000 EUR und 5.000 EUR hätten nicht dazu geführt, dass sie nicht mehr disziplinarisch auffällig werde. Somit halte der Ausschuss eine Geldbuße im mittleren Bereich für die angemessene und verhältnismäßige Maßnahme. Er weise ausdrücklich darauf hin, dass bei einem erneuten Verstoß nur noch das Ruhen der Zulassung in Betracht käme. Eine Geldbuße in Höhe von 20.000 EUR sei erforderlich, aber auch ausreichend, um die Klägerin in Zukunft dazu anzuhalten, ihre vertragsärztlichen Pflichten ausreichend ernst zu nehmen und insbesondere sie selbst einzuhalten.
Die Klägerin hat am 24.7.2018 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Zur Klagebegründung hat die Klägerin u.a. ausgeführt, dass ihr Ehemann, weil höchste Eile geboten gewesen sei, aufgrund der Einsatzmeldung die am Fahrersitz befestigte Signalleuchte MOVIA-D genommen und sie mit einem einfachen Griff aus dem Fenster auf dem dafür vorgesehenen Bereich auf dem Magnet fixiert habe. Er sei sodann mit der Klägerin zu der ca. 2 km entfernten Unfallstelle gefahren. Ein gefahrloser Fahrerwechsel sei, weil zu dem Zeitpunkt viel Verkehr auf der B X geherrscht habe, nicht möglich gewesen. Zudem hätte er zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung (wegen Sitz- und Spiegeleinstellung) sowie zu einer Gefährdung der Ehegatten A. sowie fremder Verkehrsteilnehmer geführt. Zum Zeitpunkt der Alarmierung durch die Rettungsleitstelle sei Herr Dr. A. nicht im Dienst gewesen; er habe keine Tätigkeit als Sicherstellungsassistent ausgeübt. Vielmehr habe er ausschließlich als Privatperson und als Ehemann der Klägerin gehandelt. Auf dem PKW der Klägerin sei kein Signalbalken angebracht; es sei auch noch nie einer angebracht gewesen. Die Klägerin habe ihre Einsatzbereitschaft an diesem Tag vollkommen gewährleistet. Bei Fahrtantritt sei noch nicht absehbar gewesen, dass eine Einsatzmeldung eintreffe, weshalb zu Beginn der Fahrt keine Notwendigkeit der Klägerin bestanden habe, den PKW von ihrem Ehemann zu übernehmen. Selbst wenn ein Pflichtenverstoß angenommen werden sollte, habe sich die Klägerin in einer gerechtfertigten Notstandssituation befunden. Zumindest ein Erlaubnistatbestandsirrtum habe vorgelegen. Sie habe davon ausgehen dürfen, von den Auflagen im Bescheid vom 26.3.2012 abweichen zu dürfen. Im Übrigen habe die Klägerin auch keine Auskunftspflicht gegenüber der Beklagten gehabt, da ihr wie jedem Beschuldigten das Recht obliege, zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen zu schweigen. Zur Höhe der Geldstrafe hat die Klägerin ausgeführt, dass diese vollkommen überzogen sei. Es sei nicht korrekt, dass es sich um das dritte Disziplinarverfahren gegen die Klägerin handele. Lediglich eine Disziplinarmaßnahme gegen sie sei bisher bestandskräftig. Es sei rechtswidrig, das zweite nicht bestandskräftige Disziplinarverfahren in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. Hinsichtlich der Höhe müsse eine Differenzierung zwischen der Tätigkeit der Klägerin als Vertragsärztin und der als Notärztin vorgenommen werden.
Die Klägerin beantragt:
Der Disziplinarbescheid der Beklagten vom 25.6.2018 wird aufgehoben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte weist darauf hin, dass die Klägerin beim Abholen durch ihren Ehemann noch im Dienst gewesen sei. Folglich habe sie jederzeit mit einem weiteren Einsatz rechnen müssen. Richtig wäre es also gewesen, direkt bei Ankunft ihres Mannes nicht auf dem Beifahrersitz, sondern auf dem Fahrersitz Platz zu nehmen. Bei direkter Fahrzeugsteuerung durch die Klägerin selbst hätte sie ihre jederzeitige ordnungsgemäße Einsatzbereitschaft und Erreichbarkeit sichergestellt, § 10 Abs. 4 Satz 2 NADO-KVB. Im Übrigen habe es die Klägerin unterlassen, ihren Ehemann davon abzuhalten, die Einsatzfahrt zum Einsatzort unter Einsatz der Sonderwarneinrichtung vorzunehmen. Der rechtfertigende Notstand nach § 16 OWiG könnte, bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen (was hier nicht der Fall sei), nur den Verstoß gegen § 35 Abs. 5a StVO in Verbindung mit § 8 OWiG rechtfertigen, nicht aber den Pflichtverstoß durch Nichtbeachtung der Ausnahmegenehmigung nach § 10 Abs. 4 Satz 2 NADO-KVB. Ein Erlaubnistatbestandsirrtum liege nicht vor. Zur Höhe des Disziplinarbescheids führt die Beklagte aus, dass die Klägerin durch vorhergegangenes Verhalten gezeigt habe, dass sie nicht über die notwendige Verlässlichkeit und Sorgfalt insbesondere im Hinblick auf gesetzliche, vertragliche und satzungsmäßige Bestimmungen verfüge, die mit der Tätigkeit einer Ärztin als solcher, die an dem solidarischen System der gesetzlichen Krankenfürsorge und dem öffentlich-rechtlich Notarztdienst teilnehme, gefordert werde. Der Grundsatz "nemot tenetur se ipsum accusare" gelte nicht. Dieser Grundsatz finde vornehmlich im Strafrecht Anwendung. Dazu im Spannungsverhältnis stünde eine Vielzahl von Auskunfts- und Mitwirkungsansprüchen im außerstrafrechtlichen Bereich, welche Kontrollmöglichkeiten vorsähen, um zum Beispiel auch als Aufsichtsbehörde die eigenen Aufgaben wahrnehmen zu können.
Das Gericht hat eine telefonische Auskunft bei der Fa. H., Herstellerin der MOVIA-D Leuchte, eingeholt. Danach gebe es von Seiten der Herstellerin keine Vorgaben dazu, ob die Leuchte während der Fahrt oder nur bei Stillstand angebracht werden könne. Dies stehe im Ermessensspielraum des Anwenders. Vorgegeben sei nur die Befestigung auf einer ebenen Fläche und ein "vernünftiger Aufsatzpunkt".
Der schriftlich befragte Zeuge, PHM F., hat u.a. erklärt, dass er am 10.5.2016 mit seiner Kollegin zu einem Verkehrsunfall mit Personenschaden in F-Stadt, B X/Abfahrt Autohof F-Stadt gerufen worden sei. Er habe am Straßenverlauf der B X gestanden und erkennen können, dass sich aus südlicher Richtung ein Einsatzfahrzeug mit hoher Geschwindigkeit unter Einsatz von Sonder- und Wegerechten näherte. Bei diesem Fahrzeug habe es sich um ein ziviles Fahrzeug der Marke BMW gehandelt, auf welchem ein Signalbalken auf dem Fahrzeugdach verbaut gewesen sei. Nachdem er den Fahrer durch Handzeichen auf sich aufmerksam gemacht habe, habe dieser auf der B X gewendet und sei zurückgekehrt. Der Pkw sei zu dieser Zeit von einer männlichen Person geführt worden, bei der Beifahrerin habe es sich um eine Frau gehandelt. Beide hätten sich anschließend zum vor Ort befindlichen Rettungswagen begeben, um sich um die leichtverletzte Sozia zu kümmern. Ob sich der Fahrer und die Beifahrerin des Notarztwagens bei ihm namentlich vorstellten, sei ihm heute nicht mehr erinnerlich. Aus zurückliegenden Einsätzen sei ihm jedoch bekannt, dass dieses Notarztfahrzeug der Arztpraxis Dr. A. gehöre.
Weiter hat das Gericht den Ehemann und den Sohn der Klägerin als Zeugen vernommen. Der Ehemann der Klägerin hat u.a. ausgeführt, dass am 10.5.2016 auf der Rückfahrt vom Krankenhaus F-Stadt der Einsatzruf wegen eines schwer verletzten Motorradfahrers mit Kopfverletzungen gekommen sei, ungefähr 800m von ihrem damaligen Standort. Es sei früh morgens gewesen und die Straße vielbefahren. Er sei gefahren, seine Frau sei Beifahrerin gewesen. Sie hätten sich kurz abgesprochen und wegen der akuten Lebensgefahr innerhalb von Sekunden entschieden, dass er weiterfahre bis zum Einsatzort. Das Blaulicht sei unter dem Sitz in der Halterung. Sie hätten anhalten müssen und den Sitz umstellen müssen, damit seine Frau hätte fahren können. Er habe deshalb die Scheibe heruntergelassen und das Blaulicht oben aufgesetzt. Ein Fahrerwechsel hätte länger gedauert als nur wenige Sekunden, wegen der Größenunterschiede von ihm und seiner Frau müsse der Sitz ganz umgestellt werden, von der untersten in die oberste Position und auch die Spiegel neu eingestellt werden. Auf die Frage, ob nicht die durch einen Fahrerwechsel verursachte Zeitverzögerung hätte in Kauf genommen werden können, hat der Zeuge erklärt, dass sie da einen Fehler gemacht hätten. Sie seien zu sehr ärztlich gepolt gewesen und wollten gerade wegen der Kopfverletzungen möglichst schnell helfen. Die Klägerin habe immer nur diese eine MOVIA-D-Leuchte für das Fahrzeug gehabt, bis 2017. Bei der MOVIA-D-Leuchte handele es sich um die Standardausstattung für verdeckte Einsatzfahrzeuge. Diese werde schon im Werk standardmäßig eingebaut. Es sei möglich, die Kennleuchte während der Fahrt bei nicht zu schneller Geschwindigkeit auf das Dach zu setzen.
Der Sohn der Klägerin hat erklärt, dass am Kfz der Klägerin immer nur die Standard-Leuchte MOVIA-D eingesetzt worden sei. Eine Änderung bei dem Blaulicht habe es nicht gegeben.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Disziplinarbescheid vom 25.6.2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtungsklage liegen vor. Ein Vorverfahren war nicht durchzuführen (§ 81 Abs. 5 Satz 4 SGB V).
Die Klage ist auch begründet. Der Disziplinarbescheid vom 25.6.2018 ist rechtswidrig. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Aufhebung des Bescheids.
Hinsichtlich des gerichtlichen Prüfmaßstabs gilt folgendes:
"Die gerichtliche Nachprüfung von Disziplinarmaßnahmen erfolgt in zwei Schritten. Das Vorliegen des schuldhaften Pflichtenverstoßes als tatbestandliche Voraussetzung ist uneingeschränkt nachprüfbar. Bei der Auswahl der Maßnahme steht den Disziplinarorganen ein Ermessensspielraum zu. Ergibt sich bei der gerichtlichen Nachprüfung von Pflichtverstößen, dass einige der bei der Verhängung der Maßnahme zugrunde gelegten Vorwürfe entfallen, so ist der Bescheid nicht rechtswidrig, wenn die übrigen Vorwürfe die ausgesprochene Maßnahme nach Art und Höhe und Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes rechtfertigen und vom Disziplinarorgan dargelegte Ermessenserwägungen nicht entgegenstehen" (Steinmann-Munzinger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl. (Stand: 15.06.2020), § 81 Rn. 98 m.w.N.).
Nach § 1 Satz 1 Notarztdienstordnung der KVB (NADO-KVB) (i.d.F. v. 19.3.2016; im Folgenden "a.F.") ist der Notarztdienst gem. § 75 Abs. 1b Satz 1 2. HS SGB V i.V.m. Art. 14 Abs. 1 BayRDG Teil der vertragsärztlichen Versorgung von Notfallpatienten in Bayern, soweit diese nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V Anspruch auf ärztliche Behandlung haben. § 17 Abs. 2 NADO-KVB a.F. verweist hinsichtlich der Verletzung von Pflichten im Rahmen der Tätigkeit als Notarzt auf § 18 der Satzung der Beklagten (Verfahren bei Pflichtverletzungen durch Mitglieder).
In formellrechtlicher Hinsicht ist der Disziplinarbescheid nicht zu beanstanden.
Nach Überzeugung der Kammer liegen jedoch keine schuldhaften Pflichtenverstöße der Klägerin vor.
Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass das Fahrzeug der Klägerin zum Zeitpunkt der Einsatzfahrt am 10.5.2016 mit einer MOVIA-D-Leuchte ausgestattet war. Der Ehemann sowie der Sohn der Klägerin haben glaubwürdig erklärt, dass an dem Fahrzeug der Klägerin immer nur die Standard-Leuchte MOVIA-D eingesetzt worden sei. Dies entspricht auch dem von der Klägerin vorgelegten Fahrzeugschein sowie den Papieren zur Fahrzeugbestellung im Jahr 2012. Zwar hat der schriftlich befragte Zeuge PHM F. ausgesagt, dass auf dem Fahrzeugdach des klägerischen Pkw ein Signalbalken verbaut gewesen sei. Die Kammer geht jedoch davon aus, dass hier ein Irrtum des PHM F. vorliegt; es gibt außer der Aussage des Zeugen F. keine weiteren Anhaltspunkte für die Kammer dafür, dass die Klägerin einen solchen Signalbalken bei der Fahrt am 10.5.2016 verwendet haben könnte.
Es kann somit nicht - anders als im streitgegenständlichen Bescheid - von einem Pflichtverstoß der Klägerin gegen § 10 Abs. 1 NADO-KVB a.F. aufgrund des Fahrens ihres Ehemannes mit einem aufgesetzten Signalbalken ausgegangen werden.
Auch im Übrigen ist aufgrund des Sachverhalts, wie er sich nach der Beweisaufnahme für die Kammer ergibt, kein vorwerfbarer Verstoß der Klägerin gegen § 10 Abs. 1 NADO-KVB a. F. zu erkennen.
Indem der Ehemann der Klägerin bei der Fahrt zum Einsatzort am 10.5.2016 auf der B X das Fahrzeug der Klägerin mit eingeschaltetem Blaulicht gesteuert hat, hat die Klägerin zwar gegen die Auflagen Nr. 5g) und 5l) des Bescheids vom 26.3.2012 und damit grundsätzlich auch gegen ihre Pflicht gemäß § 10 Abs. 1 NADO-KVB a. F. verstoßen, wonach sie als Notärztin verpflichtet ist, ihren Dienst ordnungsgemäß durchzuführen. Nach Einschätzung der Kammer lag hier jedoch ein unvermeidbarer Erlaubnistatbestandsirrtum der Klägerin vor, so dass der Verstoß der Klägerin nicht vorwerfbar ist.
Grundsätzlich gilt, dass Erkenntnisse aus den beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren dazu benutzt werden können, Lücken im vertragsärztlichen Disziplinarverfahren zu schließen (Clemens in: Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, 4. Auflage 2018, § 24 Rn. 43 m.w.N.). Dies gilt nach Überzeugung des Gerichts sowohl für allgemein anerkannte Rechtfertigungsgründe wie auch für den Irrtum darüber, ob Umstände vorliegen, die einen rechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrund erfüllen (Erlaubnistatbestandsirrtum). Rechtfertigungsgründe wie der allgemeine Notstand und auch der Erlaubnistatbestandsirrtum diesbezüglich sind im Disziplinarrecht der Beamten anerkannt (vgl. Gansen in: ders., Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand November 2020, Nr. 2.9.3 sowie Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Stand August 2020, MatR/I Rn. 36; zum Erlaubnistatbestandsirrtum vgl. BVerwG, Urteil vom 21.12.2006, Az. 2 WD 19.05, Rn.111).
Nach Überzeugung der Kammer befand sich die Klägerin in einem Erlaubnistatbestandsirrtum, als sie sich am 10.5.2016 nach Erhalt der Einsatzmeldung mit ihrem Ehemann kurz absprach und sie innerhalb von Sekunden gemeinsam entschieden, keinen Fahrerwechsel vorzunehmen und er bis zum Einsatzort weiterfahre. Hierbei irrte sie über das Vorliegen einer - aufgrund der gemeldeten Kopfverletzungen - akuten Lebensgefahr des verunfallten Motorradfahrers. Hätte tatsächlich eine gegenwärtige Gefahr für das Leben des Motorradfahrers bestanden, hätten nach Auffassung der Kammer alle Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands vorgelegen, insbesondere auch eine Interessenkollision, bei der das geschützte Interesse das beeinträchtigte - die Nichteinhaltung der Auflagen Nr. 5g) und 5l) des Bescheids vom 26.3.2012 - wesentlich überwogen hätte.
Aus Sicht der Kammer beruhte der Erlaubnistatbestandsirrtum auch nicht auf sorgfaltswidrigem Handeln der Klägerin und war damit nicht fahrlässig. Die Annahme der Klägerin, dass der am Kopf verletzte verunfallte Motorradfahrer in Lebensgefahr schwebe bzw. schweben könnte, kann aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung nicht als fahrlässig fehlerhaft gewertet werden. Ebenso wenig kann aus Sicht der Kammer aus der Aussage des Zeugen Dr. A., wonach sie einen Fehler gemacht hätten, indem sie meinten, die durch den Fahrerwechsel verursachte Zeitverzögerung nicht in Kauf nehmen zu können und dass sie zu sehr ärztlich gepolt gewesen seien und wegen der Kopfverletzungen möglichst schnell helfen wollten, ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu Lasten der Klägerin gefolgert werden. Unter Berücksichtigung aller vorliegenden Umstände, insbesondere der Entfernung zum Einsatzort, die nach Aussage des Zeugen Dr. A. lediglich 800 m betragen haben soll, und der früheren Teilnahme des Ehemannes der Klägerin am vertragsärztlichen Notarztdienst (mit eigenem privaten Kfz als anerkanntes Einsatz- und Kommando-Kraftfahrzeug des Rettungsdienstes), sowie der Hinweise unter Nr. 5j) des Bescheids vom 26.3.2012 erscheint das Unterlassen des Fahrerwechsels jedenfalls noch angemessen.
Auch ein Verstoß der Klägerin gegen ihre Pflicht, ihre jederzeitige Einsatzbereitschaft und Erreichbarkeit als Notärztin sicherzustellen (§ 10 Abs. 4 Satz 2 NADO-KVB a.F.), liegt nicht vor.
Die Beklagte hält der Klägerin vor, dass sie während ihres Notarztdienstes nicht auf dem Beifahrersitz hätte Platz nehmen und sich nicht von ihrem Ehemann hätte fahren lassen dürfen. Nur bei eigener Fahrzeugsteuerung hätte die Klägerin selbst ihre jederzeitige (ordnungsgemäße) Einsatzbereitschaft und Erreichbarkeit sicherstellen können.
Die Kammer verkennt nicht, dass - je nach Standort - auftretende Widrigkeiten und Verzögerungen aufgrund eines notwendigen Fahrerwechsels infolge einer Einsatzmeldung vermieden werden können, wenn der Notarzt während seiner Dienstzeit selbst das (private) Fahrzeug steuert. Auf der anderen Seite gibt die Möglichkeit, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen, dem diensthabenden Notarzt die wertvolle Gelegenheit, kurzfristig von seinem anspruchsvollen Dienst auszuruhen. Wie die Fachabteilung der Beklagten in ihrer internen Stellungnahme vom 30.4.2018 ausführt, existiert keine in der NADO-KVB normierte Pflicht für den Notarzt, sein Fahrzeug während des Dienstes permanent selbst zu fahren. Eine solche ausdrückliche Pflicht ist auch nicht dem Bescheid der Regierung von Mittelfranken vom 26.3.2012 zu entnehmen. Dieser bestimmt nur, dass die Klägerin, die während des Dienstes ihren Privatwagen nutzt, auch selbst fahren muss, sobald die Sonderwarneinrichtung angebracht ist. Eine Pflicht, das eigene Fahrzeug im Dienst selbst zu steuern, wenn keine Sonderwarneinrichtung angebracht ist, enthält der Bescheid hingegen nicht. Die Annahme einer solchen Pflicht wäre auch fragwürdig im Verhältnis zu denjenigen Notärzten, die (das Notarzteinsatzfahrzeug gem. § 11 Abs. 1 NADO-KVB a.F.) nicht selbst fahren. Nach Einschätzung der Kammer ändert auch der Umstand, dass die Klägerin nach ihrem am Krankenhaus F-Stadt beendeten Einsatz vermutlich wieder den "Status 1" gedrückt hatte, nichts an dieser Bewertung. Damit hatte sie gegenüber der Rettungsleitstelle/integrierten Leitstelle lediglich ihre erneute grundsätzliche Einsatzbereitschaft aufgrund Beendigung des vorhergehenden Einsatzes bekundet.
Ebenso wenig hat die Klägerin gegen ihre Auskunftspflicht aus § 4 Abs. 5 der Satzung der Beklagten verstoßen.
§ 4 Abs. 5 der Satzung der Beklagten lautet: "Jedes Mitglied ist verpflichtet, der KVB alle Auskünfte zu erteilen und die erforderlichen Unterlagen vorzulegen, die zur Nachprüfung der vertragsärztlichen, psychotherapeutischen oder sonstigen von der KVB sichergestellten und gewährleisteten Tätigkeit der Ärzte und Psychotherapeuten erforderlich sind."
Die Auskunftspflicht des Vertragsarztes korrespondiert mit dem der Beklagten obliegenden Sicherstellungsauftrag aus § 75 Abs. 1 SGB V und der damit in Zusammenhang stehenden Überwachungspflicht nach § 75 Abs. 2 Satz 2 SGB V. (BayLSG, Urteil vom 22.11.2017, Az. L 12 KA 166/15). Die Auskunftspflicht erfordert es nicht, dass die aus Sicht der Beklagten aufklärungsbedürftigen Sachverhalte im juristischen Sinne "einlassungsfähig" dargestellt werden. Ausreichend ist eine Benennung derjenigen Umstände, welche die Beklagte einer näheren Überprüfung unterziehen möchte (BayLSG, ebenda).
Aus Sicht der Kammer hätte eine weitere Beantwortung der Schreiben der Beklagten vom 19.7.2016 und 4.8.2016 sowie der E-Mail der Beklagten vom 8.8.2016 zu einer "Einlassung" der Klägerin geführt, zu der sie aufgrund der Reichweite der Auskunftspflicht nach § 4 Abs. 5 der Satzung der Beklagten wie auch aufgrund ihres Schweigerechts nicht verpflichtet war. Die Beklagte kannte, wie ihrem Schreiben vom 19.7.2016 zu entnehmen ist, bereits die wesentlichen Umstände der Einsatzfahrt vom 10.5.2016, insbesondere dass der Pkw unter Nutzung der Sonderwarneinrichtung vom Ehemann der Klägerin gefahren wurde und eine weitere Person mit im Auto saß. Die Klägerin konnte daneben von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen. Auch hinsichtlich der Frage eines Schweigerechtes des Vertragsarztes sind zur "Lückenschließung" Anleihen im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren zu nehmen. Dort ist das Schweigerecht des Beamten anerkannt (vgl. Zängl in: ders. Bayerisches Disziplinarrecht, Stand August 2020, Art. 27 Rn. 24 und MatR/II Rn. 276). Nach der Rechtsprechung des BVerwG dient es "jedenfalls der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung, an die Wahrnehmung des Rechts auf Verteidigung auch außerhalb des Strafverfahrens keine staatlichen Sanktionen zu knüpfen" (BVerwG, Urteil vom 20.11.2012, Az. 2 B 56/12, Rn. 8). Nach Auffassung der Kammer besaß die Klägerin, um sich nicht ggf. selbst zu belasten, vorliegend ein Schweigerecht, von dem sie Gebrauch machen durfte, ohne dafür sanktioniert zu werden. Die Kammer weist vorsorglich darauf hin, dass die Beklagte nicht die Aushändigung des Fahrtenbuches (vgl. Nr. 5i) des Bescheids vom 26.3.2012) verlangt hat; hierauf hätte nach Einschätzung der Kammer ein Anspruch bestanden.
Schließlich hat die Klägerin auch nicht gegen § 32 Abs. 4 Ärzte-ZV verstoßen. Danach hat der Vertragsarzt Vertreter und Assistenten zur Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten anzuhalten. Aus Sicht der Kammer spricht vorliegend mehr dafür, dass der Ehemann der Klägerin am 10.5.2016 privat das Fahrzeug führte und nicht als Sicherstellungsassistent. Aus diesem Grund sieht die Kammer von einer weitergehenden Prüfung des § 32 Abs. 4 Ärzte-ZV ab.
Aus alledem ergibt sich, dass keine disziplinarrechtlich relevanten Verstöße von Seiten der Klägerin vorliegen. Der Disziplinarbescheid vom 25.6.2018 ist deshalb rechtswidrig und war aufzuheben.
Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
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