L 8 BA 16/20 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 BA 41/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 BA 16/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 09.01.2020 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 12.986,04 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Aachen vom 9.1.2020 ist nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage (anhängig beim SG Aachen unter dem Aktenzeichen S 8 BA 49/19) gegen den Bescheid vom 8.7.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2019 zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese auf Antrag ganz oder teilweise anordnen bzw. gemäß § 86b Abs. 1 S. 2 SGG eine schon vorgenommene Vollziehung aufheben. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die - wie hier erfolgte - Entscheidung über Versicherungs- und Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen haben gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung.

Die Entscheidung, ob eine aufschiebende Wirkung ausnahmsweise gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsakts andererseits (st. Rspr des Senats, vgl. z.B. Beschl. v. 21.10.2020 - L 8 BA 143/19 B ER - juris Rn. 3). Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 S. 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (hierzu unter 1.) oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (hierzu unter 2.).

1. Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (st. Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschl. v. 21.10.2020 - L 8 BA 143/19 B ER - juris Rn. 4 m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die aufschiebende Wirkung der Klage nicht anzuordnen, da deren Erfolg nicht überwiegend wahrscheinlich ist. Es spricht nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung derzeit nicht mehr dafür als dagegen, dass sich der von der Antragsgegnerin nach § 28p Abs. 1 S. 5 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) erlassene Prüfbescheid vom 8.7.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2019, mit dem sie von der Antragstellerin Beiträge für den Prüfzeitraum vom 1.1.2013 bis 31.12.2016 in Höhe von 51.944,17 Euro nachfordert, im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen wird.

Rechtsgrundlage des aufgrund einer Betriebsprüfung ergangenen Bescheides vom 8.7.2019 und der darin festgesetzten Beitragsnachforderung ist § 28p Abs. 1 S. 1 und S. 5 SGB IV. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV). Im Rahmen der Prüfung werden gegenüber den Arbeitgebern Verwaltungsakte (sog. Prüfbescheide) zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide erlassen.

a) Der Prüfbescheid vom 8.7.2019 ist formell rechtmäßig. Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin insbesondere vor seinem Erlass mit Schreiben vom 02.11.2018 gemäß § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) angehört.

b) Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht sind Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung in einem die Anordnung der aufschiebenden Wirkung rechtfertigenden Umfang nicht gegeben. Es spricht derzeit mehr dafür als dagegen, dass die Antragstellerin die erhobenen Beiträge zu entrichten hat.

aa) Gemäß § 28e Abs. 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die bei ihm Beschäftigten, d.h. die für einen versicherungspflichtigen Beschäftigten zu zahlenden Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung (§ 28d S. 1 und 2 SGB IV), zu entrichten. Der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V], § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB XI], § 1 S. 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI], § 25 Abs. 1 S. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch [SGB III]).

Nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV). Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (st. Rspr. des BSG, vgl. z. B. Urt. v. 4.6.2019 - B 12 R 11/18 R - juris Rn. 14 m.w.N.; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung vgl. BVerfG Beschl. v. 20.5.1996 - 1 BvR 21/96 - juris Rn. 6 ff.).

Nach diesen Maßstäben ist bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass die im Hauptsacheverfahren beizuladende (s. zur fehlenden Beiladungspflicht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Senatsbeschl. v. 3.7.2015 - L 8 R 672/14 B ER - juris Rn. 29 f.) Frau L S (im Folgenden: S) im streitigen Zeitraum bei der Antragstellerin gegen Arbeitsentgelt (§ 14 SGB IV) abhängig beschäftigt war und Beiträge in der festgesetzten Höhe zu entrichten sind. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden und ausführlichen Gründe der angefochtenen Entscheidung des SG Aachen Bezug, denen er sich inhaltlich vollumfänglich anschließt (vgl. § 142 Abs. 2 S. 3 SGG).

Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

Soweit sie wesentlich geltend macht, aus dem Umstand ihrer Gründung im Jahr 2013 und den damaligen Einkünften der S bei anderen Auftraggebern mit über 75% ihres Umsatzes müsse zumindest zur Aufnahme deren Tätigkeit von einer Selbstständigkeit ausgegangen werden, genügt dieser Vortrag nicht, um den Bescheid im Eilverfahren als wahrscheinlich (teilweise) rechtswidrig anzusehen. Eine Selbstständigkeit wird nicht allein durch die Tätigkeit für mehrere Auftraggeber begründet. Vielmehr erhält dieses Kriterium erst in der Zusammenschau mit weiteren - hier weder vorgetragenen noch ersichtlichen - typischen Merkmalen einer selbstständigen Tätigkeit, wie z.B. einem werbenden Auftreten am Markt für die angebotene Leistung, an Gewicht (vgl. z.B. BSG Urt. v. 7.6.2019 - B 12 R 6/18 R - juris Rn. 33; Senatsurt. v. 22.6.2020 - L 8 BA 78/18 - juris Rn. 63 m.w.N.; Senatsbeschl. v. 12.2.2020 - L 8 BA 157/19 B ER - juris Rn. 19 m.w.N.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn die bei den anderen Auftraggebern erzielten Einkünfte - wie bei S im Jahr 2013 - diejenigen der zu beurteilenden Tätigkeit übersteigen. Für die Abgrenzung zwischen einer abhängigen und einer selbstständigen Tätigkeit ist es nicht von Bedeutung, ob die Tätigkeit als Haupterwerbsquelle oder im Nebenerwerb ausgeübt wird und ob es sich um kurzfristige und seltene Arbeitseinsätze oder um eine verstetigte Geschäftsbeziehung handelt. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber ist keine Voraussetzung für das Vorliegen einer Beschäftigung (vgl. z.B. BSG Urt. v. 7.6.2019 - B 12 R 6/18 R - juris Rn. 32 m.w.N.).

Eine selbstständige Tätigkeit der S kann - entgegen der erneut im Beschwerdeverfahren von der Antragstellerin vorgetragenen Argumentation - auch nicht darauf gestützt werden, die Vertragsbeteiligten hätten, wie u.a. aus dem überdurchschnittlichen Stundenlohn erkennbar, eine solche Gestaltung gewünscht. Dem Willen der Beteiligten, der sich auch in der Honorarhöhe ausdrücken kann, kommt generell nur dann eine indizielle Bedeutung zu, wenn dieser Wille den festgestellten sonstigen tatsächlichen Verhältnissen nicht offensichtlich widerspricht und er durch weitere Aspekte gestützt wird bzw. die übrigen Umstände gleichermaßen für Selbständigkeit wie für eine Beschäftigung sprechen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 7.6.2019 - B 12 R 6/18 R - juris Rn. 34 m.w.N.). Dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat bereits das SG zutreffend ausgeführt.

Soweit sich die Antragstellerin (ebenfalls wiederholend) darauf beruft, S sei nicht in ihre Arbeitsorganisation eingebunden gewesen, sondern habe insbesondere in den ersten Jahren ihrer Tätigkeit Dienstleistungen erbracht, die ganz regelmäßig auch in anderen Unternehmen von externen Mitarbeitern geleistet würden, vermag dies gleichfalls nicht zu überzeugen. Unzweifelhaft ist es grundsätzlich möglich, einzelne der von S erbrachten Tätigkeiten wie z.B. die Einführung in ein Computersystem durch externe, selbstständige Dienstleister erbringen zu lassen. Dass die hier konkret zu beurteilende Tätigkeit der S aber in der Gesamtschau der Ausgestaltung aller ermittelten Einzelumstände die Kriterien für eine selbstständige Tätigkeit gerade nicht erfüllt, sondern vielmehr in der Wertung einem Beschäftigungsverhältnis entspricht, hat das SG ausführlich und zutreffend dargestellt.

bb) Tatbestände, die eine Versicherungsfreiheit der S in einzelnen Versicherungszweigen über die berücksichtigten Jahre 2015 und 2016 hinaus begründen, sind im Rahmen der summarischen Prüfung nicht hinreichend erkennbar. Dies gilt auch bezüglich der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung im Jahr 2013. Ob aufgrund der Tätigkeit der S für ihre anderen Auftraggeber in diesem Jahr Versicherungsfreiheit gem. § 5 Abs. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) (allein) bezogen auf die Zweige der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung - und damit in einem in Relation zur gesamten Nachforderung nur geringem Umfang - in Betracht kommen könnte, ist im Verfahren der Hauptsache zu klären. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob die von ihr mit einem zeitlichen Anteil von 55% angegebene Tätigkeit für die Gartenhof Küsters GmbH als hauptberufliche (vgl. hierzu BSG Urt. v. 29.4.1997 - 10/4 RK 3/96 - juris Rn. 18) und selbstständige Erwerbstätigkeit i.S.v. § 5 Abs. 5 SGB V zu werten ist. Der bisherige Vortrag der Antragstellerin genügt als Grundlage für eine solche Feststellung zu ihren Gunsten im Eilverfahren nicht.

cc) Bedenken gegen die Höhe der Beitragsforderung sind nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht ersichtlich.

2. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die sofortige Vollziehung des Beitragsbescheides für die Antragstellerin eine unbillige Härte bedeuten würde, bestehen gleichfalls nicht. Allein die mit der Zahlung auf eine Beitragsforderung für sie verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen führen nicht zu einer solchen Härte, da sie lediglich Ausfluss der Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten sind (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 22.4.2020 - L 8 BA 266/19 B ER - juris Rn. 26 ff.). Darüber hinausgehende, nicht oder nur schwer wiedergutzumachende Nachteile sind nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 52, 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz und berücksichtigt, dass in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes, die Beitragsangelegenheiten betreffen, regelmäßig nur ein Viertel des Wertes der Hauptsache einschließlich etwaiger Säumniszuschläge als Streitwert anzusetzen ist (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 22.4.2020 - L 8 BA 266/19 B ER - juris Rn. 30 m.w.N.).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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