S 14 KR 667/20 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 14 KR 667/20 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Gesetzlich Krankenversicherte haben bei chronischem Clusterkopfschmerz derzeit keinen Anspruch auf die Behandlung mit Galcanezumab.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes darüber, ob die Antragsgegnerin die Antragstellerin mit dem Arzneimittel Galcanezumab (Emgality) versorgen muss.

Die 1988 geborene Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversichert. Sie war früher als Flugbegleiterin tätig, studiert derzeit und bezieht BAföG-Leistungen und hat einen Nebenjob bei der C. der TU A-Stadt. Bei der Antragstellerin ist seit Langem ein chronischer Clusterkopfschmerz links [ICD-10-FM: G44.0] diagnostiziert. Zudem leidet sie an einer Hashimoto-Thyreoiditis [E06.3], leichter depressiven Episode [F32.0], einem Lipödem Stadium II [E 88.21, von Dr. D. wird dies unter Lipödem, nicht näher bezeichnet nach R60.9 klassifiziert] und es besteht der Verdacht einer allergischen Rhinopathie durch Pollen [J30.1]. Von 2017 bis Mai 2020 nahm die Klägerin an einer Studie teil, in der das Arzneimittel sie das von ihr begehrte Arzneimittel mit einer Dosis von 300mg testen konnte. Die Klägerin und der sie behandelnde Arzt PD Dr. D. berichteten ausweislich der Arztbriefe vom 14.04.2020 und 01.09.2020 über eine erhebliche Besserung der Clusterkopfschmerzsymptomatik während der Studie. Der Verbrauch an Akutmedikamentation sei gänzlich zurückgegangen und die Lebensqualität habe sich deutlich verbessert, die psychische Beeinträchtigung sei deutlich zurückgegangen. Es sei eine Behandlung "off-label" mit 2x120mg beabsichtigt.

Emgality (Wirkstoff: Galcanezumab) ist seit November 2018 in der EU zur Prophylaxe von Migräne zugelassen. Der Hersteller E. EX. B.V beantragte die Änderung der Zulassung auch auf Personen mit episodischen Clusterkopfschmerzen. Der Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) gab im Februar 2020 eine negative Stellungnahme zur Erweiterung der Indikation für Emgality (Galcanezumab) um die Prävention von Attacken bei Erwachsenen, die an episodischem Clusterkopfschmerz leiden, ab. Mit Beschluss vom 20.05.2020 versagte die EMA ausweislich des "Verzeichnis der Beschlüsse der Europäischen Union über die Zulassung von Arzneimitteln vom 1. Mai 2020 bis 31. Mai 2020 (Veröffentlichung gemäß Artikel 13 bzw. Artikel 38 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates)" die Änderung/Erweiterung der Zulassung von Emgality.

Die Antragstellerin beantragte am 17.04.2020 bei der Antragsgegnerin die Weiterbehandlung mit Emgality zur Prophylaxe ihres chronischen Clusterkopfschmerzes. Die Antragsgegnerin bat den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) um eine Stellungnahme. Der Allgemein- und Sozialmediziner sowie Apotheker Dr. F. kam in seinem Gutachten vom 04.05.2020 zu der Auffassung, dass eine schwerwiegende, die Lebensqualität erheblich beeinträchtigende, nicht singuläre, nicht notstandsähnliche Erkrankung bei der Antragstellerin vorliege. Es seien Alternativen denkbar, teilweise seien sie schon versucht worden. Wegen der abgelehnten Zulassungserweiterung durch die EMA sei die Kostenübernahme durch die GKV grundsätzlich nicht mehr möglich. Die Versagung der erforderlichen Zulassung zum Verkehr wirke sich dahin aus, dass das Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der Krankenkasse verordnet werden dürfe. Mit Bescheid vom 11.05.2020 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Die Antragstellerin widersprach der Ablehnung, da die Alternativen nicht verträglich seien oder wegen anderer Erkrankungen nicht in Betracht kämen oder einen teuren und invasiven Eingriff darstellen bzw. eine Akutmedikamentation. Mit weiterer Stellungnahme vom 21.09.2020 teilt Dr. F. vom MDK mit, dass der Therapieerfolg im Einzelfall kein Kriterium für die Kostenübernahme darstelle. Alternativen stünden nicht mehr zur Verfügung, dennoch sei die Kostenübernahme bei abgelehnter Zulassungserweiterung grundsätzlich nicht möglich. Ein Anspruch aus § 3 Abs. 1a SGB V scheitere an der Unvereinbarkeit mit den Wertungen des Arzneimittelrechts. Diskrepante Entscheidungen der Zulassungsbehörden EMA und FD kämen immer wieder vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.2020 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Dagegen hat die Antragstellerin Klage vor dem Sozialgericht in Darmstadt (Aktenzeichen S 14 KR 653/20) erhoben.

Im September stellte die Klägerin einen weiteren Antrag – gerichtet auf die Versorgung mit Galcanezumab (Emgality) – bei der Antragsgegnerin. Mit Bescheid vom 29.09.2020 lehnte die Antragsgegnerin auch diesen Antrag ab.

Am 17.12.2020 hat die Klägerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.

Hinsichtlich des Vortrags der Antragstellerin wird auf den Antrag vom 17.12.2020, ihr Schreiben vom 21.12.2020, das Schreiben vom 05.01.2021 und ihr Schreiben vom 10.01.2021 Bezug genommen.

Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, für die Antragstellerin eine Therapie mit dem Medikament Galcanezumab (Emgality) zu gewähren und die Kosten dafür zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, ein Anordnungsanspruch liege nicht vor. Das Arzneimittel sei zur Behandlung von chronischen Clusterkopfschmerzen nicht zugelassen. Für Emgality sei die Zulassung durch die EMA abgelehnt, es fehle an der Verkehrsfähigkeit. Eine notstandsähnliche oder singuläre Situation bestehe nicht, so dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a SGB V nicht erfüllt seien. Aufgrund der Studienergebnisse sei ein hinreichender Wirksamkeitsnachweis nicht gegeben. Wegen abgelehnter Zulassungserweiterung sei grundsätzlich keine Kostenübernahme möglich.

Die Antragstellerin hat noch eine Stellungahme des sie behandelnden Arztes Dr. D. vom 27.12.2021 und dessen Bericht vom 01.04.2020 und 01.09.2020 zur Akte gereicht, auf diese (Bl.69-76) wird Bezug genommen. Zudem sind weitere Aufsätze und Bericht über Studien zur Akte gereicht worden (Anlage zum Schreiben vom 05.01.2020). Zudem hat die Antragstellerin noch Kontoauszüge zur Akte gereicht. Sie verfügte am 19.12.2020 noch über 1.897,52 Euro, beschaffte sich am 07.01.2021 das Arzneimittel (120mg) dann aber selber und zahlte dafür 980,42 Euro.

Wegen der weiteren Einzelheiten und Unterlagen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

II.

Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – statthaft. In der Sache bleibt der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aber ohne Erfolg. Die Antragstellerin kann eine Behandlung ihres chronischen Clusterkopfschmerzes mit Galcanezumab (Emgality) als Sachleistung im Wege einer einstweiligen Anordnung nicht beanspruchen und hat auch keinen Anspruch auf vorläufige Erstattung von 980,42 Euro.

1. Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).

Vorliegend kommt eine Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht, da die vorläufige Begründung einer Rechtsposition begehrt wird. Eine solche Regelungsanordnung ist nur dann begründet, wenn ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund vorliegen und eine Abwägung der betroffenen Interessen zugunsten des Antragstellers ausfällt. Ein Anordnungsanspruch ist dabei gegeben, wenn der zu sichernde Anspruch dem Antragsteller mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht. Ein Anordnungsgrund liegt bei der Regelungsanordnung vor, wenn eine Regelung entsprechend § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG zur Abwendung eines wesentlichen Nachteils nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung.

2. Zur Überzeugung der Kammer ist ein Anordnungsanspruch auf die Behandlung mit Galcanezumab (Emgality) nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

a) Das Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung sieht vor, dass Versicherte gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann Anspruch auf Krankenbehandlung haben, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 SGB V insbesondere die ärztliche Behandlung und die Versorgung mit Arzneimitteln. § 31 Abs. 1 SGB V regelt als Rahmenrecht, dass Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln haben, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuss nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Begrenzt wird der Anspruch auf Krankenbehandlung durch das sog. Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V. Danach gilt, dass die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Konkretisiert wird das Wirtschaftlichkeitsgebot dabei durch die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuss, hier insbesondere durch die Richtlinie über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittelrichtlinie).

Versicherte können dabei nach der Rechtsprechung des BSG eine Versorgung mit einem verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung im Grundsatz nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem es angewendet werden soll. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3, § 12 Abs. 1 SGB V) dagegen nicht von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 SGB V, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (vgl. BSG, Urteil vom 11. September 2019, B 1 KR 36/17 R, juris Rn. 12f. m.w.N.). Grundsätzlich kann ein Arzneimittel auch dann, wenn es wie hier zum Verkehr zugelassen ist, nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt.

Weder in Deutschland noch EU-weit liegt die erforderliche Arzneimittelzulassung für die Behandlung eines chronischen Clusterkopfschmerzes (ICD-10-GM: G44.0) oder ein übergeordnetes Indikationsgebiet mit Galcanezumab (Emgality) vor. Das Arzneimittel Emgality mit dem Wirkstoff Galcanezumab ist für die Migräne-Prophylaxe zugelassen (https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/emgality-epar-product-information de.pdf, Zugriff: 20.01.2021). Ausweislich des "Verzeichnis der Beschlüsse der Europäischen Union über die Zulassung von Arzneimitteln vom 1. Mai 2020 bis 31. Mai 2020 (Veröffentlichung gemäß Artikel 13 bzw. Artikel 38 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates)" hat die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) mit Beschluss vom 20.05.2020 die von dem Pharmahersteller beantragte Änderung der Zulassung (beantragt war die Zulassung bei episodischen Clusterkopfschmerzen) versagt.

b) Von dem Grundsatz des Erfordernisses einer arzneimittelrechtlichen Zulassung kann in Ausnahmefällen abgewichen werden. Eine solche Ausnahmesituation liegt indessen nicht vor.

aa) Die Verordnung von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten ist gemäß § 30 der Arzneimittelrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss zulässig, wenn 1. die Expertengruppen nach § 35c Abs. 1 SGB V mit Zustimmung des pharmazeutischen Unternehmers eine positive Bewertung zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Anwendung dieser Arzneimittel in den nicht zugelassenen Indikationen oder Indikationsbereichen als Empfehlung abgegeben haben und 2. der Gemeinsame Bundesausschuss die Empfehlung in diese Richtlinie übernommen hat (Anlage VI Teil A). In der Anlage VI ist Galcanezumab (Emgality) für die Behandlung des chronischen Clusterkopfschmerzes nicht aufgeführt. Dort ist lediglich Verapamil zur Prophylaxe des Clusterkopfschmerzes angegeben. Ein Therapieversuch damit ist (wie aus dem Schreiben von PD Dr. D. vom 27.12.2020 ersichtlich "bis zur Verträglichkeitsgrenze") bereits erfolgt.

bb) Es liegt auch kein Fall von § 35 c Abs. 2 SGB V vor. Danach haben Versicherte auch außerhalb des Zulassungsbereichs Anspruch auf Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln in klinischen Studien, sofern hierdurch eine therapierelevante Verbesserung der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung im Vergleich zu bestehenden Behandlungsmöglichkeiten zu erwarten ist, damit verbundene Mehrkosten in einem angemessenen Verhältnis zum erwarteten medizinischen Zusatznutzen stehen, die Behandlung durch einen Arzt erfolgt, der an der vertragsärztlichen Versorgung oder an der ambulanten Versorgung nach den §§ 116b und 117 SGB V teilnimmt, und der Gemeinsame Bundesausschuss der Arzneimittelverordnung nicht widerspricht. Die Antragstellerin beansprucht die Versorgung nicht im Rahmen einer klinischen Studie.

cc) Vorliegend ist auch nicht glaubhaft gemacht oder sonst ersichtlich, dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 a SGB V erfüllt sind. Diese Vorschrift basiert auf der vom Bundesverfassungsgericht – für Ausnahmefälle – aufgestellten Anforderung, einen Anspruch auf Fertigarzneimittel zu begründen, die außerhalb des zugelassenen Indikationsgebietes eingesetzt werden sollen, die auf einer grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts basiert. Nach § 2 Abs. 1a SGB V können Versicherte auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn

1. bei dem Versicherten eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vorliegt,
2. für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht,
3. wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

Bei der Antragstellerin liegt keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vor. Die Antragstellerin leidet an einem chronischen Clusterkopfschmerz und damit an einer schweren und beeinträchtigenden Erkrankung (siehe auch unter dd)), die Kammer kann sich aber nicht davon überzeugen, dass diese lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verläuft oder mit einer tödlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung wertungsmäßig vergleichbar ist. "Lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich" beschreibt eine extreme Situation, wobei eine notstandsähnliche Lage mit einer sehr begrenzten Lebensdauer gemeint ist, z.B. bei palliativmedikamentöser Behandlung eine statistisch verbleibende Lebenserwartung von neun bis 15 Monaten (Plagemann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 2 SGB V (Stand: 15.06.2020), Rn. 55). Der chronische Clusterkopfschmerz stellt keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung dar. Nach Auffassung der Kammer ist er auch nicht wertungsmäßig mit einer solchen Erkrankung vergleichbar. Wertungsmäßig damit vergleichbar ist der wahrscheinlich drohende Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen körperlichen Funktion innerhalb eines kürzeren überschaubaren Zeitraums (Plagemann, ebenda). Ein solcher Verlust einer herausgehobenen körperlichen Funktion, der eine Irreversibilität voraussetzt, liegt bei einem chronischen Clusterkopfschmerz nicht vor. Sofern von der Antragstellerin auf eine erhöhte Suizidrate bei Menschen mit Clusterkopfschmerz hingewiesen wird (vgl. Schreiben vom 21.12.2020, zudem Evers u.a.:, Idiopathische und symptomatische Kopfschmerzen, Nervenheilkunde 4/2010, S. 229, 235; Jürgens u.a., Impairment in episodic and chronic cluster headache, in: Cephalalgia, 31(6), 671), werden von der Klägerin keine suizidalen Tendenzen vorgetragen und solche werden auch in den medizinischen Unterlagen betreffend die Antragstellerin nicht geschildert. Der Arztbrief von Dr. D. vom 01.09.2020 nennt eine leichte depressive Episode. Die Antragstellerin trägt in dem Schreiben vor, dass sie durch die Schmerzattacken und deren Folgen (Schlafmangel, starke Müdigkeit, Apathie sowie depressive Zustände, welche durch die Nebenwirkungen der Akutmedikation noch einmal verstärkt werden) kaum in der Lage sei, den Alltag zu bewältigen. Diese sicherlich sehr schmerzhafte körperliche Situation führt aber nicht dazu, dass der strenge Maßstab des § 2 Abs. 1a SGB V (lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung) erfüllt ist.

dd) Soweit von der Rechtsprechung neben § 2 Abs. 1a SGB V auch noch ein Anspruch aus den vom Bundessozialgericht entwickelten allgemeinen Grundsätzen für einen Off-Label-Use zu prüfen ist (vgl. nur BSG, Urteil vom 8. November 2011, Az: B 1 KR 19/10, juris Rn. 18; Urteil vom 13. Dezember 2016, Az.: B 1 KR 10/16 R – juris Rn. 16), ist nicht glaubhaft gemacht, dass insoweit ein Anordnungsanspruch vorliegt. Dieser setzt kumulativ voraus: 1. Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung, 2. es ist keine andere Therapie verfügbar und 3. aufgrund der Datenlage besteht die begründete Aussicht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.

Bei der Antragstellerin liegt zwar eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne dieser vom BSG entwickelten und weiterhin angewendeten Grundsätze vor (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 20. Februar 2018, Az: L 8 KR 445/17 B ER, juris Rn. 13 zu § 31 Abs. 6 SGB V). Es kann dahingestellt bleiben, ob andere Therapien nicht mehr zur Verfügung stehen. Denn es ist weder glaubhaft gemacht noch ersichtlich, dass aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit Galcanezumab (Emgality) ein kurativer oder palliativer Behandlungserfolg erzielt werden kann.

Von hinreichenden Erfolgsaussichten ist nur dann auszugehen (vgl. dazu insgesamt BSG, Urteil vom 8. November 2011, Az: B 1 KR 19/10 R, juris Rn. 17; BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016, Az: B 1 KR 10/16 R, juris Rn. 17), wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das (konkrete) Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies kann nur angenommen werden, wenn entweder (a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder (b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse von gleicher Qualität veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (zu den einzelnen Phasen und der Begründung des Erfordernis einer Phase III-Studie oder gewonnener Erkenntnisse vergleichbarer Qualität: BSG, Urteil vom 26. September 2006, Az: B 1 KR 1/06 R, juris, Rn. 20 ff.). Außerhalb und während eines Zulassungsverfahrens muss die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der GKV nachgewiesen sein muss, derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels im betroffenen Indikationsbereich entsprechen. Der Schutzbedarf der Patienten, der dem gesamten Arzneimittelrecht zugrunde liegt und in das Leistungsrecht der GKV einstrahlt, unterscheidet sich in beiden Situationen nicht. Dies bedeutet, dass der während und außerhalb eines Zulassungsverfahrens zu erbringende wissenschaftliche Nachweis durch Studien erbracht werden muss, die die an eine Phase III-Studie zu stellenden qualitativen Anforderungen erfüllen.

Daran fehlt es hier. Die Phase III - Studie von Dodick u.a. aus dem Jahr 2020 (Phase 3 randomized, placebo-controlled study of galcanezumab in patients with chronic cluster headache: Results from 3-month double-blind treatment in: Cephalalgia, 0(0) 1–14 vgl. elektronische Anlage zu Bl. 67 der Gerichtsakte) zeigt hingegen, dass der primäre Endpunkt (die mittlere Veränderung der wöchentlichen in der wöchentlichen Attackenhäufigkeit unter Galcanezumab im Vergleich zu Placebo) nicht erreicht wurde (siehe auch Gaul, Clusterkopfschmerzen – Bewährtes und Neues, in: Der Schmerz, veröffentlicht am 06.11.2020, vgl. elektronische Anlage zu Bl. 67 der Gerichtsakte). Die Studie von Goadsby u.a. (NEJW 2019), auf deren Grundlage die FDA Galcanezumab bei episodischen Kopfschmerz zuließ, behandelte Personen mit episodischen Kopfschmerz, nicht aber chronischen Kopfschmerz (vgl. auch Gaul, Clusterkopfschmerzen – Bewährtes und Neues, in: Der Schmerz, veröffentlicht am 06.11.2020,). Die Einschätzung Ruscheweyhs u.a. (Effect of calcitonin gene-related peptide(-receptor) antibodies in chronic cluster headache: Results from a retrospective case series support individual treatment attemptsin: Cephalalgia 2020, Vol. 40(14) 1574–1584), dass individuelle Behandlungsversuche mit Galcanezumab bei chronischen Clusterkopfschmerzen erfolgen sollten basiert nicht auf einer Phase III-Studie, sondern auf einer Auswertung individueller Behandlungen.

Die Kammer weist noch auf folgendes hin: Soweit die Antragstellerin und der sie behandelnde Arzt vortragen, dass es im Rahmen der Studie nach Gabe des begehrten Arzneimittels zu einer erheblichen Besserung der Clusterkopfschmerzsymptomatik gekommen sei (vgl. Arztbericht vom 01.09.2020) ist zu berücksichtigen, dass das subjektive Empfinden des Versicherten, auch gestützt durch die gleichlautende Einschätzung oder Empfehlung des behandelnden Arztes, oder das Befürworten der Therapie durch einzelne Ärzte allein – ebenso wie der positive Verlauf einer Erkrankung im konkreten Fall der Antragstellerin – als Indizien im Sinne des § 2 Abs. 1 a SGB V (3. Voraussetzung) grundsätzlich nicht ausreichen (vgl. BSG, Urteil vom 07. November 2006, Az.: B 1 KR 24/06 R, juris Rn. 32 f.; Bayerisches LSG, Urteil vom 01. Oktober 2018, L 4 KR 49/13, juris Rn. 78).

ee) Der Umstand, dass die Antragsgegnerin andere Versicherte (so der Vortrag der Antragstellerin unter Übersendung eines Kostenübernahmebescheides, Bl. 43 der Gerichtsakte) mit dem Medikament versorgt, begründet keinen Anspruch der Klägerin. Die Erkrankung selber und die mit der Erkrankung zusammenhängenden individuellen Beeinträchtigungen der anderen Versicherten können vom Gericht nicht überprüft werden. Zudem sind das Gericht und die Antragsgegnerin an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Sofern die Antragsgegnerin bei anderen Versicherten möglicherweise rechtswidrig und aufgrund einer fehlerhaften Rechtsauffassung Leistungen gewährt, bindet sie diese Entscheidung nicht im hiesigen Verfahren.

ff) Auf die Frage, ob die Ablehnung der EMA das Arzneimittel Emgality auch für episodischen Clusterkopfschmerz zuzulassen dazu führt, dass Emgality auch bei chronischen Clusterkopfschmerzen nicht (auch nicht off-label) angewendet werden darf, kommt es mithin nicht an (vgl. hingegen BSG, Urteil vom 11. September 2018, Az: B 1 KR 36/17 R, juris Rn. 18).

3. Darauf, ob eine Anordnungsgrund vorliegt bzw. glaubhaft gemacht ist, kommt es mangels Anordnungsanspruch nicht an. Ein solcher Anordnungsgrund bestünde jedenfalls nicht hinsichtlich der vorläufigen Übernahme der Kosten für die am 07.01.2021 selbst beschaffte Leistung (980,42 Euro). Diese hat die Antragstellerin ausweislich Ihrer Angaben aus eigenen Mitteln finanziert.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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