L 2 AS 507/20 B

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 7 SF 306/18 E
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 AS 507/20 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Bei einer gemeinsamen Einigung in mehreren Rechtsstreitigkeiten derselben Beteiligten entsteht die Einigungsgebühr grundsätzlich in jedem Verfahren.

2. Die Einigungsgebühr entsteht daher in allen zur gleichen Terminsstunde verhandelten und durch einen gemeinsamen Vergleich erledigten Klageverfahren.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. September 2020 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der aus Prozesskostenhilfe festzusetzenden Rechtsanwaltsvergütung in Anwendung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG).

Im Ausgangsverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main (S 5 AS 1956/14) begehrte die Klägerin des Ausgangsverfahrens die Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) im Zeitraum vom 1. Oktober 2014 bis 31. März 2015. Streitgegenständlich war ein Bescheid über die Ablehnung der Leistungen vom 4. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2014. Die Klägerin erhob am 24. November 2014 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main. Sie beantragte mit der Klageerhebung die Gewährung von Prozesskostenhilfe und fügte die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei. Mit Beschluss vom 25. Mai 2016 gewährte das Sozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Beschwerdegegnerin. Am 15. August 2018 wurde der Rechtsstreit gemeinsam mit einem Parallelverfahren (S 5 AS 1445/14), in dem der vorhergehende Zeitraum vom 1. April 2014 bis 30. September 2014 streitig war, erörtert und durch Vergleich erledigt. Die Kosten des Gerichtsverfahrens wurden gegeneinander aufgehoben. Der Beigeladene des Ausgangsverfahrens verpflichtete sich, für ein durch diesen Vergleich erledigtes Widerspruchsverfahren die Hälfte der Kosten für dieses Widerspruchsverfahren zu übernehmen. Der Termin dauerte 75 Minuten.

Die Beschwerdegegnerin beantragte mit Schreiben vom 22. November 2018 die Festsetzung der Gebühren im Rahmen der Prozesskostenhilfe und machte folgende Gebühren geltend:

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV-RVG 170,00 EUR
Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV-RVG 170,00 EUR
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV-RVG 280,00 EUR
Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, Nr. 7002 VV-RVG 20,00 EUR
Zwischensumme 640,00 EUR
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV-RVG 121,60 EUR
Endsumme 761,60 EUR

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle setzte die Gebühren durch Beschluss vom 11. Dezember 2018 wie folgt fest:

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV-RVG 170,00 EUR
Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV-RVG 100,00 EUR
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV-RVG 280,00 EUR
Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, Nr. 7002 VV-RVG 20,00 EUR
Zwischensumme 570,00 EUR
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV-RVG 108,30 EUR
Endsumme 678,30 EUR

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass eine Einigungsgebühr zwar entstanden sei, jedoch durch den Vergleich zwei Klageverfahren erledigt worden seien, so dass die Gebühr zwischen beiden Verfahren anteilig aufzuteilen sei. Dabei werde die im Verfahren S 5 AS 1445/14 maßgebliche Verfahrensgebühr in Höhe von 200,00 EUR zugrunde gelegt.

Die Beschwerdegegnerin legte hiergegen am 18. Dezember 2018 Erinnerung ein, der die Urkundsbeamtin durch Verfügung vom 18. Dezember 2018 nicht abhalf. Die Beschwerdegegnerin führte aus, dass die Einigungsgebühr nicht nur einmal entstehe und verwies auf eine Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen vom 7. April 2016, L 7 AS 35/14 B.

Der Beschwerdeführer erachtete die Aufteilung der einmalig entstandenen Einigungsgebühr als zutreffend.

Das Sozialgericht setzte durch Beschluss vom 29. September 2020 die Vergütung der Beschwerdegegnerin auf insgesamt 761,60 EUR fest. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass in beiden durch Vergleich erledigten Klageverfahren eine Einigungsgebühr entstanden sei. Daran ändere eine gemeinsame Verhandlung und Protokollierung nichts. Etwas Anderes ergebe sich nur, wenn es sich um dieselbe Angelegenheit gemäß § 16 RVG gehandelt hätte oder die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 113 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verbunden worden wären. Beides sei jedoch nicht der Fall gewesen. Hiergegen wurde die Beschwerde zugelassen.

Der Beschwerdeführer hat gegen den ihm am 30. September 2020 zugestellten Beschluss am 2. Oktober 2020 Beschwerde beim Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. Das Sozialgericht hat am 5. Oktober 2020 der Beschwerde nicht abgeholfen.

Der Beschwerdeführer verweist auf die Entscheidung des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. Oktober 2016, L 19 AS 646/17 B. Der Abschluss eines einheitlichen außergerichtlichen oder gerichtlichen Vergleichs bringe den übereinstimmenden Willen des Gerichts, der Beteiligten und ihrer Bevollmächtigten zum Ausdruck, die Sachen als für die Einigung miteinander verbunden zu behandeln. Im vorliegenden Vergleich seien die Streitgegenstände derart miteinander verwoben, dass nicht ohne weiteres erkennbar sei, ob in jedem Verfahren ein gegenseitiges Nachgeben stattgefunden habe, so dass möglicherweise nur eine Einigung in einem Verfahren vorliege und in dem anderen Verfahren das Rechtsschutzbedürfnis weggefallen sei. Der Wortlaut der Einigung bzw. des Vergleichs müsse eindeutig eine Einigungsgebühr auslösen.

Der Beschwerdeführer beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. September 2020, S 7 SF 306/18 E, aufzuheben und die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf 678,30 EUR festzusetzen.

Die Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beschwerdegegnerin ist der Ansicht, dass die Streitgegenstände keineswegs besonders verwoben gewesen seien. Im Verfahren S 5 AS 1445/14 sei der Leistungszeitraum vom 1. April bis 30. September 2014 und im Verfahren S 5 AS 1956/14 der Zeitraum vom 1. Oktober 2014 bis 31. März 2015 streitig gewesen. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens habe für einzelne Zeiträume aufgrund einstweiliger Rechtsschutzverfahren schon Leistungen erhalten gehabt, weshalb in beiden Klageverfahren jeweils ein Nachgeben von Beklagtem und Klägerin des Ausgangsverfahrens vorgelegen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Akten des Erinnerungs- und Beschwerdeverfahrens sowie des Ausgangsverfahrens - einschließlich des PKH-Hefts -, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.

II.

Über die Beschwerde des Beschwerdeführers entscheidet der Senat nach Übertragung durch den Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG) in seiner Besetzung mit drei Berufsrichtern ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).

Die Beschwerde ist zulässig, da das Sozialgericht sie zugelassen hat, § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG. Die Beschwerde ist zudem innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG erhoben worden, da der Beschluss vom 28. September 2020 dem Beschwerdeführer am 30. September 2020 zugestellt worden und die Beschwerde am 2. Oktober 2020 eingegangen ist.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Der Beschwerdegegnerin steht ein Vergütungsanspruch von insgesamt 761,60 EUR zu.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Das Sozialgericht gewährte der Klägerin des Ausgangsverfahrens mit Beschluss vom 25. Mai 2016 Prozesskostenhilfe und die Klägerin des Ausgangsverfahrens war kostenprivilegierte Beteiligte i. S. d. § 183 Satz 1 SGG. Damit scheidet die Anwendung des GKG aus (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1). Bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm ein Spielraum bzw. eine Toleranzgrenze von 20 % zusteht (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R, BSGE 104, 30-41). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet. Im Fall einer nicht verbindlichen, d.h. nicht der Billigkeit entsprechenden Bestimmung der Gebühr durch den Rechtsanwalt, wird die Gebühr im Kostenfestsetzungsverfahren bestimmt. Der gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (Kostenbeamter), im Fall der Erinnerung das gemäß § 56 Abs. 1 RVG zuständige Gericht und im Fall der Beschwerde das Beschwerdegericht gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG sind befugt und verpflichtet, die von dem Rechtsanwalt bestimmten Gebühren auf ihre Billigkeit hin zu überprüfen und bei Feststellung der Unbilligkeit die Gebühr selbst festzusetzen.

Gegenstand des Erinnerungs- und des Beschwerdeverfahrens nach § 56 RVG ist die gesamte Kostenfestsetzung, nicht nur die einzelne Gebühr, gegen deren Versagung sich die Beschwerde richtet. Begrenzt wird die Überprüfung allerdings ggf. durch den Antrag des Rechtsanwalts und das Verbot der reformatio in peius (Thüringer LSG, Beschluss vom 15. April 2015, L 6 SF 331/15 B, juris). Streitig ist ausweislich der Beschwerdeschrift die Höhe der Einigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG.

Zunächst ergibt sich eine Absetzung der Einigungsgebühr nicht daraus, dass für das vorliegende Verfahren wegen der Vergütung des Parallelverfahrens überhaupt keine Gebühren festzusetzen wären. Die beiden zeitgleich verhandelten Rechtsstreite stellen im gebührenrechtlichen Sinne nicht eine Angelegenheit dar, so dass auch in beiden Verfahren Gebühren festzusetzen sind. Wann dieselbe Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne vorliegt, ist im RVG nicht abschließend geregelt. Die anwaltlichen Tätigkeitskataloge des § 16 RVG ("dieselbe Angelegenheit") und des § 17 RVG ("verschiedene Angelegenheiten") benennen nur Regelbeispiele. Es handelt sich um einen gebührenrechtlichen Begriff, der sich mit dem prozessrechtlichen Begriff des (Verfahrens )Gegenstandes decken kann, aber nicht muss. Leistungen sind in einem Mandatsverhältnis zum Anwalt einer Angelegenheit zuzuordnen und deshalb gemäß § 15 Abs. 2 RVG nur einmal abrechenbar, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit gesprochen werden kann (BGH, Urteil vom 27. Juli 2010, VI ZR 261/09, NJW 2010, 3035, 3036; BSG, Urteil vom 9. März 2016, B 14 AS 5/15 R, BSGE 121, 49-55). Eine Angelegenheit liegt hiernach vor, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: ein Auftrag, ein Rahmen der Tätigkeit sowie ein innerer Zusammenhang. Ein einheitlicher Auftrag liegt, wenn der Rechtsanwalt zu verschiedenen Zeiten beauftragt worden ist, auch dann vor, wenn Einigkeit besteht, dass die Ansprüche gemeinsam behandelt werden sollen. Zudem muss sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts in dem gleichen Rahmen abspielen. Anhaltspunkte für denselben Rahmen bieten z. B. die Gerichtszuständigkeiten für das Geltendmachen unterschiedlicher Ansprüche. Die Annahme einer Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne setzt hingegen nicht voraus, dass der Anwalt nur eine Prüfungsaufgabe zu erfüllen hat. Für die Annahme eines einheitlichen Rahmens der anwaltlichen Tätigkeit ist es grds. ausreichend, wenn die verschiedenen Gegenstände als in dem Sinne einheitlich vom Anwalt bearbeitet werden können, dass sie verfahrensrechtlich zusammengefasst bzw. in einem einheitlichen Vorgehen geltend gemacht werden können. Ein einheitlicher Auftrag kann auch dann vorliegen, wenn der Anwalt von mehreren Mandanten beauftragt wird, wobei ggf. durch Auslegung ermittelt werden muss, ob er für die verschiedenen Auftraggeber gemeinsam oder für jeden von ihnen gesondert tätig werden soll. Auch wenn zwei verschiedene Prozessaufträge an verschiedenen Tagen erteilt werden und formal zwei Aufträge vorliegen, kann es sich im gebührenrechtlichen Sinne um ein gemeinsames Vorgehen handeln mit der Folge, dass nur eine Angelegenheit vorliegt. Schließlich ist Voraussetzung für das Vorliegen einer gebührenrechtlichen Angelegenheit, dass die verschiedenen Gegenstände innerlich zusammengehören (Gerold/Schmidt/Mayer, 24. Aufl. 2019, RVG § 15 Rn. 8-12). Dieser innere Zusammenhang liegt bei einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II hinsichtlich der Einzelansprüche ihrer Mitglieder in der Regel vor, weil diese unmittelbar voneinander abhängen, wie aus dem "Konstrukt" Bedarfsgemeinschaft und der Anrechnung von Einkommen und Vermögen innerhalb dieser folgt. Bei mehreren Auftraggebern einer Bedarfsgemeinschaft kann "dieselbe" Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände auch dann vorliegen, wenn die Aufhebung und Erstattung der individuellen Ansprüche in getrennten Bescheiden geregelt wird und mit jeweils gesonderten Vollmachten selbstständige Widersprüche eingelegt werden (BSG, Urteil vom 2. April 2014, B 4 AS 27/13 R, SozR 4-1935 § 15 Nr. 1). Die Konstellation einer Bedarfsgemeinschaft löst dann lediglich eine Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG aus (vgl. BSG, Urteile vom 2. April 2014, B 4 AS 27/13 R; 21. Dezember 2009, B 14 AS 83/08 R; 27. September 2011, B 4 AS 155/10 R, juris). Auch bei getrennten Klageverfahren kann "dieselbe Angelegenheit" vorliegen, § 15 Abs. 2 RVG ist nicht auf Verwaltungsverfahren beschränkt (vgl. Thüringer LSG, Beschlüsse vom 15. April 2015, L 6 SF 331/15 B; 6. Januar 2015, L 6 SF 1221/14 B; 6. November 2014, L 6 SF 1022/14 B; siehe auch FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. Juni 2014, 8 KO 1022/12, juris). Maßgeblich ist hierbei, ob anhand dieser Grundsätze ein einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit bejaht werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 2. April 2014, B 4 AS 27/13 R; Thüringer LSG, Beschluss vom 6. November 2014, L 6 SF 1022/14 B, juris) oder ob in den Klageverfahren eine individuelle Prüfung z. B. der verfahrensrechtlichen (z.B. Anhörung nach § 24 SGB X) oder subjektiven Voraussetzungen (Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit) bezüglich der einzelnen Kläger erforderlich war (vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 14. März 2017, L 6 SF 1185/15 B, juris).

Das Sozialgericht und auch die Beteiligten haben die beiden hier maßgeblichen Klageverfahren parallel, aber nicht mit identischem Inhalt betrieben und behandelt. Zwar wurden beide Rechtsstreite durch einen gerichtlichen Vergleich erledigt, jedoch verlieb es dabei, dass teilweise der Beklagte und teilweise die Beigeladene des Ausgangsverfahrens zur Leistungsgewährung verpflichtet war. Ausgangspunkt der beiden Rechtsstreite waren nämlich unterschiedliche Leistungszeiträume und Ablehnungsbescheide. So bestand zwischen den Verfahren zwar ein sachlicher Zusammenhang, aber dessen Intensität genügte nicht den dargelegten Maßstäben. Allein die Tatsache, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens in beiden Rechtsstreiten um existenzsichernde Leistungen stritt, reicht für den geforderten inneren Zusammenhang nicht aus. Auch lag den Beauftragungen der Beschwerdegegnerin zur Vertretung in den Klageverfahren kein einheitlicher Auftrag zugrunde. Vielmehr entschied die Klägerin der Ausgangsverfahren für beide Verfahren nach Erlass der ablehnenden Bescheide jeweils gesondert, ob sie ihre Rechte im Klagewege durchsetzen wollte. Gebührenrechtlich handelt es somit um verschiedene Angelegenheiten.

Davon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass sich die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV-RVG richtet, so dass sich der Gebührenrahmen damit auf 50,00 EUR bis 550,00 EUR beläuft. Der Kostenansatz in Höhe von 170,00 EUR ist angemessen und damit verbindlich. Nach Auffassung des Senats wird eine Verfahrensgebühr in Höhe von 170,00 EUR dem anwaltlichen Aufwand für das Betreiben des Verfahrens S 5 AS 1956/14 gerecht.

Zu den Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG im Einzelnen:

Beide parallelen Rechtsstreite hatten eine überdurchschnittliche Bedeutung für die Klägerin des Ausgangsverfahrens, da existenzsichernde Leistungen des SGB II bzw. des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch (SGB XII) im Streit standen. Inhaltlich standen dabei neben der Klärung tatsächlicher Umstände schwierige und nicht vollständig höchstrichterlich geklärte rechtlichen Fragestellungen im Vordergrund. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit bestimmt sich aus der relativ langen Dauer des Klageverfahrens mit vier Jahren und der Tatsache, dass auch eine Beigeladene beteiligt war. Zu berücksichtigen sind hinsichtlich des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit allerdings auch Synergieeffekte durch die Tätigkeit in den beiden Parallelverfahren. Solche Synergieeffekte wirken sich gebührenmindernd aus (siehe hierzu Beschluss des Senats vom 17. Januar 2019, L 2 AS 368/18; so auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 15. Juni 2016, L 15 SF 92/14 E; Thüringer LSG, Beschluss vom 9. Mai 2012, L 6 SF 467/12 B; Sächsisches LSG vom 11. September 2013, L 8 AS 858/12 B; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 15. Januar 2014, L 5 SF 12/13 E, alle juris). Maßgebend für den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit als wesentlichen Bestimmungsfaktor der Gebühr ist nämlich der zeitliche Aufwand, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben hatte und den er davon objektiv auf die Sache verwenden musste (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R, BSGE 104, 30-41). Angesichts der ausgeführten Bewertung der Kriterien des § 14 RVG erachtet es der erkennende Senat als angemessen, die Verfahrensgebühren in den beiden Rechtsstreiten wegen der Synergieeffekte herab zu bemessen. Dem wird die Beschwerdegegnerin gerecht, wenn sie im vorliegenden Verfahren eine Verfahrensgebühr in Höhe von 170,00 EUR und im Parallelverfahren in Höhe von 200,00 EUR fordert.

Im Hinblick auf die anzusetzende Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG vertritt der Senat in Übereinstimmung mit der Bestimmung durch die Beschwerdegegnerin und der Festsetzung des Sozialgerichts die Auffassung, dass ein Betrag von 280,00 EUR dem entstandenen anwaltlichen Aufwand gerecht wird. Bei der Bewertung der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG i.V.m. § 14 RVG ist die Dauer des Termins das wesentliche Kriterium, denn damit wird der Aufwand des Rechtsanwalts in zeitlicher Hinsicht unmittelbar erfasst, den er für seine Anwesenheit bei dem Termin hat. Daneben sind alle anderen Kriterien des § 14 RVG ebenfalls zu berücksichtigen (mit ausführlicher Darstellung: Beschluss des Senats vom 28. April 2014, L 2 AS 708/13 B, juris). Vor diesem Hintergrund ist die angemessene Höhe der Terminsgebühr im vorliegenden Verfahren anhand einer Terminsdauer von 75 Minuten zu bemessen, die jedoch auf zwei Klageverfahren entfällt, mithin mangels anderweitiger Feststellungen 37,50 Minuten pro Verfahren. Ausgehend von einer durchschnittliche Terminsdauer von 30 Minuten war die Terminsgebühr daher auf die Mittelgebühr in Höhe von 280,00 EUR festzusetzen. Anhaltspunkte für eine weitergehende Anpassung nach den Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG sind nicht ersichtlich.

Zudem steht der Beschwerdegegnerin eine Einigungsgebühr zu.

Nach Nrn. 1000, 1005, 1006 VV-RVG entsteht die Gebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. Die Gebühr entsteht nicht, wenn sich der Vertrag ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht beschränkt. Die Gebühr Nr. 1000 VV-RVG entsteht im sozialgerichtlichen Verfahren in Höhe der Verfahrensgebühr. Sie beträgt mithin im vorliegenden Fall, welches durch materiell-rechtlichen Vergleich endete, 170,00 EUR. Im vorliegenden Rechtsstreit wurde auch eine Einigung in der Sache erzielt. Anhaltspunkte für eine verdeckte Klagerücknahme oder ein Anerkenntnis bestehen nicht. Ausweislich des protokollierten Vergleichs haben sich die Beteiligten zur endgültigen Beilegung aller Streitigkeiten für beide streitigen Zeiträume geeinigt, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens keine weiteren Leistungen mehr erhält, aber auch keine erstatten muss. Es verblieb damit bei den durch den Beklagten und die Beigeladene in den streitigen Zeiträumen erbrachten Leistungen und einer Leistungslücke von Dezember 2014 bis 9. Februar 2015.

Die Einigungsgebühr entsteht – ebenso wie die Verfahrens- und Terminsgebühr – in beiden der lediglich zur gleichen Terminsstunde verhandelten Klageverfahren. Keinesfalls werden beide prozessrechtlich nicht miteinander verbundenen und auch nicht dieselbe Angelegenheit gemäß § 16 RVG darstellenden Klageverfahren bei der Einigungsgebühr so behandelt, als wären sie miteinander verbunden worden. Diese Rechtsansicht findet eine gesetzliche Stütze weder im SGG noch im RVG. Der Senat lehnt die gegenteilige Ansicht ab (siehe LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. Oktober 2016, L 19 AS 646/16 B, juris). Im vorliegenden Fall wurden zwei verschiedene Klageverfahren in einem Termin behandelt und äußerlich in einem Prozessvergleich erledigt. Inhaltlich erledigte der Vergleich beide Klageverfahren dergestalt, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens in beiden Klageverfahren auf die endgültige Durchsetzung noch möglicher Leistungsansprüche verzichtete und es bei den in den beiden streitigen Bewilligungsabschnitten gewährten Leistungen beließ, während Beklagter und Beigeladene der Ausgangsverfahren von der Geltendmachung möglicher Erstattungsansprüche gegen die Klägerin absahen. Bei einer gemeinsamen Einigung in mehreren Rechtsstreitigkeiten derselben Beteiligten entsteht die Einigungsgebühr grundsätzlich in jedem Verfahren (Thüringer LSG, Beschluss vom 22. Januar 2019, L 1 SF 1300/17 B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 7. April 2016, L 7/14 AS 35/14 B; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Juni 2019, L 10 SF 4412/18 E-B; alle juris).

Dass in verschiedenen Angelegenheiten jeweils gesondert Gebühren entstehen, ergibt sich schon aus der Regelung des § 15 Abs. 2 RVG, wonach Gegenteiliges gerade nur für Gebühren in derselben Angelegenheit gilt.

Normative Anknüpfungspunkte, dass hinsichtlich der Einigungsgebühr etwas Anderes gelten sollte, ergeben sich für den Senat nicht. Eine Beschränkung auf das Entstehen nur einer Einigungsgebühr lässt sich dem Wortlaut der einschlägigen Gebührenziffer nicht entnehmen. Eine solche ergibt sich insbesondere nicht aus Nr. 1006 Abs. 1 Satz 1 und 2 VV-RVG. Hiernach bestimmt sich die Gebühr auch dann einheitlich nach dieser Vorschrift, wenn in die Einigung Ansprüche einbezogen werden, die nicht in diesem Verfahren rechtshängig sind. Maßgebend für die Höhe der Gebühr ist die im Einzelfall bestimmte Verfahrensgebühr in der Angelegenheit, in der die Einigung erfolgt. Jedoch erfasst dieser sog. "Mehrvergleich" nur die Konstellation, dass über das anhängige Verfahren hinaus weitere Ansprüche in die Einigung einbezogen werden, die nicht streitgegenständlich im erledigten Verfahren sind. An einer solchen Einbeziehung fehlt es aber, wenn mehrere Verfahren parallel verhandelt und durch Abschluss eines Vergleichs beendet werden. So auch hier: Alle im hier relevanten Vergleich erledigten Ansprüche waren in den beiden Klageverfahren, die verhandelt wurden, streitgegenständlich. Dass die Vorschrift nicht den Fall parallel verhandelter und verglichener Verfahren erfasst, zeigt sich bereits daran, dass für die Höhe der Gebühr die im Einzelfall bestimmte Verfahrensgebühr in der Angelegenheit, in der die Einigung erfolgt, maßgebend ist. Welche Angelegenheit dies bei parallel verhandelten und verglichenen Verfahren sein sollte, lässt sich der Gebührenziffer nicht entnehmen. Die vorliegende Konstellation entspricht damit prozessual der Vorgehensweise, bei der einzelne Verfahren zeitlich nacheinander verhandelt und durch Abschluss eines Vergleichs unter Fertigung separater Protokolle beendet werden. Für eine Auslegung der Nr. 1006 Abs. 1 Satz 1 VV RVG als Erweiterung des § 15 Abs. 2 RVG dergestalt, dass die Einigungsgebühr trotz verschiedener Angelegenheiten nur einmal anfällt, ergeben sich für den Senat keine Anhaltspunkte.

Nach Absicht des Senats hat nur eine förmliche Verbindung der Verfahren nach § 113 SGG vor Abschluss des Vergleichs zur Folge, dass nur noch ein Verfahren anhängig ist und alle weiteren nach Verbindung entstehenden Gebühren alleine in diesem Verfahren anfallen. Denn § 113 Abs. 1 SGG ermöglicht dem Gericht eine Verbindung von Verfahren derselben Beteiligten durch Beschluss, sofern ein im Gesetz näher bezeichneter Zusammenhang zwischen diesen vorliegt. Die nach der Verbindung entstandenen Vergütungsansprüche des Rechtsanwalts fallen sodann nur noch in diesem führenden Verfahren an. Wird ein Beschluss in einem Termin gefasst, so ist er zu verkünden und dies im Protokoll festzuhalten. Mit diesen Vorgaben ist die Annahme einer konkludenten Verbindung nicht vereinbar. Das Protokoll wurde vorliegend für beide Verfahren erstellt und enthält keinen Hinweis auf eine Verbindung der Verfahren. Eine solche liegt damit nicht vor.

Wenn damit in beiden parallel verhandelten und erledigten Verfahren eine Einigungsgebühr anfällt, so entspricht dieses Ergebnis auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Bei der Einigungs- oder Erledigungsgebühr soll der Beitrag des Anwalts an der Herbeiführung der Einigung oder Erledigung honoriert werden (BT-Drs. 17/11471 S. 272). Ohne prozessuale Verbindung nach § 113 SGG bezieht sich dieser Beitrag aber auf jedes durch Vergleich beendete Verfahren.

Im Ergebnis stehen der Beschwerdeführerin folgende Gebühren zu:
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV-RVG 170,00 EUR
Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV-RVG 170,00 EUR
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV-RVG 280,00 EUR
Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, Nr. 7002 VV-RVG 20,00 EUR
Zwischensumme 640,00 EUR
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV-RVG 121,60 EUR
Endsumme 761,60 EUR

Die Beschwerde war zurückzuweisen.

Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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