S 9 SB 261/13

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Magdeburg (SAN)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
9
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 9 SB 261/13
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SB 83/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 SB 29/20 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe des Grades der Behinderung (GdB), und zwar rückwirkend ab 1996.

Den entsprechenden Antrag stellte der 1970 geborene Kläger im Mai 2012.

Der Kläger war 1996 im Polizeidienst des Landes Sachsen-Anhalt. Er wurde nicht auf Lebenszeit übernommen sondern aus dem Polizeidienst entlassen, nachdem bei ihm im Rahmen einer polizeiärztlichen Untersuchung die Krankheit Morbus Crohn diagnostiziert worden war.

Es sei - bei einem Einsatz im Polizeivollzugsdienst (für eine Tätigkeit im allgemeinen Verwaltungsdienst mit geregeltem Tagesablauf und normaler Arbeitszeit sei er geeignet) - künftig mit häufigeren Dienstausfällen sowie mit vorzeitiger Zur-Ruhe-Setzung zu rechnen.

Mit Bescheid vom 17.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.6.2013 lehnte der Beklagte den Antrag ab, da kein GdB von mindestens 20 festgestellt werden könne.

Da der Kläger keine aktuellen Behandlungen angegeben hatte und sich ausschließlich auf das polizeiärztliche Gutachten von April 1996 bezogen hatte, war Grundlage der Entscheidung die vom polizeiärztlichen Zentrum / Ärztlicher Gutachterdienst der Landesverwaltung übersandten Unterlagen.

Am 31.7.2013 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

Zuletzt in ärztlicher Behandlung war der Kläger nach seinen Angaben im gerichtlichen Fragebogen im Jahr 2001.

Der Kläger hat angeregt, die Polizeiärztin, die das Gutachten vom April 1996 und weitere Stellungnahmen angefertigt hatte, zu befragen, wie sie die Erkrankung Morbus Crohn überhaupt festgestellt habe und wie schlimm diese Erkrankung gewesen sei und ist.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 17.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.6.2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm ab 1996 einen GdB um mindestens 30 festzustellen.

Der Beklagte beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

die Klage abzuweisen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Rechtsgrundlage für die Feststellung des GdB ist § 69 SGB IX. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Gemäß § 159 Abs. 7 SGB IX (bis zum 14.1.2015: § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX a.F.) gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend.

Diese Maßstäbe waren bis 2008 niedergelegt in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP). Seit 2009 sind sie in den - im Wesentlichen gleichlautenden - "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen" (VG) (= Anlage 1 zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung) dargestellt.

Beim Kläger wurde 1996 von der Polizeiärztin eine entzündliche Darmerkrankung (Crohn-Krankheit [enteritis regionalis]) diagnostiziert.

Diese Erkrankung ist nach Nummer 26.10 der AHP bzw. Teil B Nr. 10.2.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) in Abhängigkeit von ihren Auswirkungen zu bewerten.

Geringe Auswirkungen (geringe Beschwerden, keine oder geringe Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, selten Durchfälle) führen zu einem GdB von 10 bis 20.

Bei mittelschweren Auswirkungen (häufig rezidivierende oder länger anhaltende Beschwerden, geringe bis mittelschwere Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufiger Durchfälle) beträgt der GdB 30 bis 40.

Schwere Auswirkungen (anhaltende oder häufig rezidivierende erhebliche Beschwerden, erhebliche Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufige, tägliche, auch nächtliche Durchfälle) rechtfertigen einen GdB von 50 bis 60.

Beim Kläger, der zuletzt 2001 ärztlich behandelt wurde, bestehen keine Beschwerden. In der mündlichen Verhandlung konnte das Gericht keine Beeinträchtigung des Kräfte- und/oder Ernährungszustandes erkennen. Daher ist kein GdB von mindestens 20 zu vergeben.

Auch für die Vergangenheit (insbesondere ab 1996) sind keine mindestens mittelschweren Auswirkungen festzustellen.

Im polizeiärztlichen Gutachten vom April 1996 wird ein Gewicht von 73,5 kg bei einer Größe von 1,75 m angegeben. Allgemein- und Ernährungszustand werden als ausreichend bezeichnet. Ein Arztbrief vom März 1995 wird mit der Angabe des Klägers zitiert, er habe bei Abschluss der Konsultationen Beschwerdefreiheit angegeben. Im Dezember 1995 habe der Kläger der Polizeiärztin erklärt, dass es ihm gut gehe. Er habe keine Beschwerden.

Trotz der für den beruflichen Werdegang des Klägers dramatischen Folgen des Gutachtens und der weiteren Stellungnahmen der Polizeiärztin ergeben sich auch aus diesen Unterlagen keine zur damaligen Zeit festgestellten mindestens mittelschweren Auswirkungen im Sinne der AHP bzw. der VG. Es wird lediglich in sofern eine negative Prognose gestellt, als bei einer Tätigkeit im Polizeivollzugsdienst mit häufigen vorübergehenden Dienstunfähigkeitszeiten und einer vorzeitigen dauernden Dienstunfähigkeit zu rechnen sei.

Prognosen sind im Rahmen des Schwerbehindertenrechts nicht zu berücksichtigen.

Die vom Kläger angeregte Befragung der Polizeiärztin war entbehrlich. Das Gericht geht zugunsten des Klägers vom Vorliegen der Erkrankung Morbus Crohn aus. Wie schlimm die Auswirkungen der Erkrankung damals waren, ergibt sich aus den vorliegenden Unterlagen, die der Beklagte beigezogen hat. Wie schlimm die Auswirkungen der Erkrankung heute sind, kann die Polizeiärztin, die den Kläger 1996 untersucht hat, nicht wissen.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung basiert auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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