S 18 P 206/20 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 18 P 206/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für einen Einlegerahmen im Sondermaß.

Die 1978 geborene Antragstellerin ist bei der Beigeladenen krankenversichert und bei der Antragsgegnerin pflegeversichert und leidet unter einer amyotrophen Lateralsklerose, die 2017 diagnostiziert wurde. Symptome sind bereits eher aufgetreten und seither kam es wiederholt zu Verschlechterungen im Gesundheitszustand der Antragstellerin. Im Jahr 2020 war die Verschlechterung rasant; seit März 2020 ist sie auf einen Rollstuhl angewiesen. Im Mai und Juni erhielt die Antragstellerin Leistungen des Pflegegrades 2, seit Juli 2020 nach Pflegegrades 3.

Im Februar 2020 wurde die Tochter der seither alleinerziehenden Antragstellerin geboren. Die Mutter der Antragstellerin übernimmt die Pflege der Antragstellerin und die Versorgung der Tochter der Antragstellerin tagsüber, soweit die Versorgung nicht durch die Antragstellerin selbst erfolgen kann.

Die Neurologin der Antragstellerin verordnete ihr einen Einlegerahmen im Sondermaß 140x200 cm am 19.08.2020. Als Kostenträger wurde die Krankenkasse eingetragen. Es wurde ein Kostenvoranschlag für das Sondermaß i.H.v. 4481,08 EUR eingereicht.

Die Beigeladene informierte die Antragstellerin mit Schreiben vom 02.09.2020 darüber, dass sie den MDK beauftrage, um die Notwendigkeit der Versorgung zu überprüfen. Der MDK verfasste am 07.09.2020 eine Kurzstellungnahme, wonach ein Eilegerahmen im Sondermaß nicht ableitbar sei. Ein Standard-Rahmen sei ausreichend.

Mit Bescheid vom 09.09.2020 lehnte die Beigeladene den Antrag ab. Hiergegen richtet sich der von der Bevollmächtigten gegenüber der Beigeladenen erhobene Widerspruch

Am 26.11.2020 stellte die Bevollmächtigte den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegenüber der Antragsgegnerin.

Die Bevollmächtigte der Antragstellerin hält die Antragsgegnerin im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes für zuständig und einstandspflichtig, da "der pflegerische Zweck[ ] im Vordergrund" stehe. Ferner sei der Antrag bei der Antragsgegnerin gestellt worden.

Die Antragstellerin trägt ferner vor, die Versorgung der Tochter sei durch die rasante Verschlechterung im Gesundheitszustand der Antragstellerin massiv erschwert worden. Die Antragstellerin sei kaum noch in der Lage ihre Tochter außerhalb ihres Bettes zu versorgen. Der Einlegerahmen diene der Versorgung der Tochter der Antragstellerin. Die Bevollmächtigte der Antragstellerin meint, dass, soweit auf das SGB V ankommt, "unstreitig" ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen sei, da die selbstständige Versorgung des eigenen Kindes ein solches Grundbedürfnis darstelle. Das Wirtschaftlichkeitsgebot sei nicht einschlägig, da kein gleich geeignetes Hilfsmittel von Kranken- und Pflegeversicherung zur Verfügung gestellt werde, um der Antragstellerin eine selbstständige Versorgung ihrer Tochter zu ermöglichen.

Das bewilligte Standardmaß werde den "besonderen pflegerischen bzw. behinderungsbedingten Anforderungen" der Antragstellerin "in der Erziehung ihres Kindes nicht gerecht". Das Bett ermögliche eine selbstständigere Lebensführung.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Antragstellerin bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache mit einem Einlegerahmen Lippe im Sondermaß 140x200 cm entsprechend dem Kostenvoranschlag des Sanitätshauses medi-pharm GmbH vom 31.08.2020 zu versorgen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Die Antragsgegnerin hält sich für unzuständig.

Die Beigeladene stellt keinen ausdrücklichen Antrag.

Sie ist jedoch der Meinung, dass kein Anordnungsgrund bestehe. Sie beruft sich insoweit auf das Wirtschaftlichkeitsgebot. Der MDK habe festgestellt, dass eine Versorgung mit dem begehrten Rahmen nicht indiziert sei.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Leistungsakte Bezug genommen.

II.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Anordnungsanspruch) treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)).

Es besteht kein Anordnungsgrund. Die Antragstellerin hat zwar einen Anspruch gegen die Beigeladene nach § 33 Abs. 1 SGB V bzw. § 40 Abs. 1 SGB XI auf die Ausstattung mit einem Bett im Standard-Maß glaubhaft gemacht. Auf das begehrte Sondermaß besteht hingegen kein Anspruch.

Es besteht kein Anspruch gegenüber der Antragsgegnerin. Die Zuständigkeit liegt bei der Beigeladenen, da bei ihr der Antrag gestellt worden ist und das Bett grundsätzlich sowohl nach Pflegehilfsmittel nach § 40 SGB XI als auch nach § 33 SGB V in Betracht kommt, vgl. § 40 Abs. 5 SGB XI. Diese prüft in eigener Zuständigkeit nach SGB XI und SGB V.

Darauf, ob der pflegerische Zweck im Vordergrund steht, kommt es dabei nicht an, da der erstangegangene Träger sowohl nach SGB V als auch nach SGB XI in eigener Verantwortung prüft. Der Vortrag der Bevollmächtigten, dass der Antrag bei der Pflegeversicherung gestellt worden sei, ist falsch. Im Übrigen hat die Bevollmächtigte gegen den Bescheid der Beigeladenen gegenüber der Beigeladenen ihren Widerspruch eingelegt. Die Ausführungen zu einem Anspruch gegen die Antragsgegnerin sind vor diesem Hintergrund nicht nachzuvollziehen und sind nicht vereinbar mit § 40 Abs. 5 SGB XI.

Es besteht auch kein Anordnungsanspruch gegenüber der Beigeladenen auf die Versorgung mit einem Rahmen im Sondermaß nach § 33 SGB V und § 40 SGB XI. Nach § 40 Abs. 1 SGB XI haben Pflegebedürftige Anspruch auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, die zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung der Beschwerden des Pflegebedürftigen beitragen oder ihm eine selbständigere Lebensführung ermöglichen, soweit die Hilfsmittel nicht wegen Krankheit oder Behinderung von der Krankenversicherung oder anderen zuständigen Leistungsträgern zu leisten sind. 2Die Pflegekasse überprüft die Notwendigkeit der Versorgung mit den beantragten Pflegehilfsmitteln unter Beteiligung einer Pflegefachkraft oder des Medizinischen Dienstes. 3Entscheiden sich Versicherte für eine Ausstattung des Pflegehilfsmittels, die über das Maß des Notwendigen hinausgeht, haben sie die Mehrkosten und die dadurch bedingten Folgekosten selbst zu tragen. Nach § 33 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind.

Im vorliegenden Fall übersteigt die begehrte Versorgung mit einem Bett im Sondermaß das Maß des Notwendigen im Rahmen des SGB XI und des Angemessenen n im Rahmen des SGB V.

Im Rahmen der Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB V käme ein Anspruch lediglich hinsichtlich eines mittelbaren Behinderungsausgleichs in Betracht, da das Bett die ausgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktion weder ganz noch weitestgehend ersetzen kann. Daher käme nach allgemeiner Ansicht ein Leistungsanspruch nur in Betracht, soweit es um einen angemessenen Ausgleich geht, der hinsichtlich der Aufgabe der Beigeladenen im sozialen Sicherungssystem auf die Erfüllung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens zu beschränken ist (vgl. Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 33 SGB V (Stand: 05.11.2020), Rn. 33f. mwNw.) Zu diesen elementaren Grundbedürfnissen gehört das Bedürfnis der Antragstellerin auf Versorgung der Tochter in ihrem Bett nicht. Elementare Grundbedürfnisse des täglichen Lebens sind: Wahrnehmung (Sehen, Hören), körperliche Grundaufgaben (Stehen, Gehen, Sitzen, Liegen), Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Körperpflege, selbständige Haushaltsführung und Mobilität in einem gewissen Rahmen. (Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 33 SGB V (Stand: 05.11.2020), Rn. 35) Ein Bett erfüllt das elementare Grundbedürfnis nach Liegen im Sondermaß ebenso gut wie im Standardmaß. Ein über das Standardmaß hinausgehende Versorgung kann folglich nicht mit dem elementaren Grundbedürfnis nach Liegen begründet werden. Der Wunsch der Antragstellerin, ihre Tochter in einem größeren Bett versorgen und dort auch mit ihr spielen zu können, ist zwar ein nachvollziehbares Bedürfnis. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass es in einer Reihe zu nennen wäre mit den elementaren Grundbedürfnissen. Zwar mag es sein, dass die Versorgung mit dem Sondermaß den elementaren Grundbedürfnissen der Tochter dient, indem z.B. dem Grundbedürfnis der Nahrungsaufnahme gedient wird. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um ein Grundbedürfnis der Antragstellerin. Die Versorgung der Tochter ist auch dann möglich, wenn sie nicht in einem Pflegebett mit Sondermaß erfolgt. Zu trennen ist insoweit auch das Bedürfnis der Tochter nach Versorgung und das Bedürfnis der Antragstellerin, dass diese Versorgung gerade durch sie sichergestellt wird.

Das Sondermaß ist auch nicht notwendig i.S.d. § 40 Abs. 1 S. 2 SGB XI. Es ist nicht die Aufgabe der Pflegekasse eines Versicherten jene Pflege und Versorgung zu leisten, zu der der Pflegebedürftige Anderen gegenüber verpflichtet ist. Die Orientierung hat vielmehr immer streng individuell am Versicherten anzusetzen. Dies verdeutlicht bereits, dass ein höherer nächtlicher Hilfebedarf der Antragstellerin, der durch die Versorgung ihrer Tochter entsteht, nicht im Rahmen der Bewertung des Moduls 3 zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit zu berücksichtigen ist. Andernfalls wären Fälle denkbar, in denen sich die Pflegebedürftigkeit einer Mutter oder eines Vater konstitutiv aus der Summe der sich aus persönlichen Gründen ergebenen Hilfebedarfe und jenen des Neugeborenen ergibt. Der Gedanke ist auf die Hilfsmittelversorgung zur Vermeidung von Systembrüchen zu übertragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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