L 1 U 627/19

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 9 U 667/17
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 627/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 8. April 2019 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung einer berufsbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) sowie einer berufsbedingten Erkrankung der Halswirbelsäule nach Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV.

Der 1960 geborene Kläger war von 1976 bis 1998 als Heizungsinstallateur und Schweißer und sodann bis zur Gewährung einer Erwerbsminderungsrente 2015 als Fließbandarbeiter tätig. Im Mai 2015 beantragte der Kläger die Anerkennung einer Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit (BK). Nach Einholung diverser Auskünfte, Unterlagen und medizinischen Befun-den stellte der Präventionsdienst der Beklagten in seinem Bericht vom 25. August 2015 fest, dass eine berufliche Exposition für die Erkrankung BK Nr. 2109 und BK Nr. 2110 nicht gegeben, allerdings eine entsprechende Exposition für die BK Nr. 2108 zumindest teilweise er-füllt sei. Der von der Beklagten beauftragte Gutachter M stellte mit seinem Gutachten vom 22. März 2016 fest, dass der Kläger unter einer chronisch rezidivierenden Lumboischialgie, einem chronisch rezidivierenden Halswirbelsäule(HWS)-Syndrom sowie unter anderem an einem multilokulären Schmerzsyndrom im Bereich der Gelenke leide. Die im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule (LWS) liegenden Befunde seien nach dem ICD-10 als band-scheibenbedingte Erkrankung zu verschlüsseln. In der Zusammenschau der damaligen Befunde und bildgebenden Materialien ließen es die ermittelten Indizien jedoch nicht zu, für den Zeitpunkt der Tätigkeitsaufgabe im Jahr 1998 das Vorhandensein einer bandscheibenbedingten Erkrankung im Vollbeweis zu erbringen. Eine solche Erkrankung sei nicht mal wahrscheinlich. Mit Bescheid vom 12. Mail 2016 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Erkrankung der Wirbelsäule des Klägers als BK nach den Nrn. 2108 und 2109 ab.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme des Präventionsdienstes sowie des Gutachters M ein und veranlasste ein Zusammenhangsgutachten durch Sch (Gutachten vom 3. Januar 2017). Dieser hielt zunächst fest, dass bezüglich der BK Nr. 2109 und 2110 die entsprechenden arbeitstechnischen Voraussetzungen fehlten. Zur BK 2108 führte der Gutachter aus, dass zum Zeitpunkt der Tätigkeitsaufgabe im Jahr 1998 den Befunden und bildgebenden Unterlagen keine relevanten Befunde für eine BK 2108 wie Sklerose, Chondrose der übrigen Lendenwirbelsegmente, Spondylose, Retrospondylose und Spondylarthrose zu entnehmen seien. Auch für die Folgejahre fehlten Nachweise für ein Fortschreiten der degenerativ entstandenen Veränderungen. Es fehle ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Arbeitsplatzwechsel und der Neuerkrankung der Lendenwirbelsäule ab den Jahren 2013/2014. Erst circa 15 Jahre nach Beendigung der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit bestünden bildgebend und klinisch Hinweise für einen von oben nach unten zunehmenden Verschleiß der Lendenwirbelsäule. Das sich im Bereich der HWS zeigende Krankenbild, welches in den Jahren 2009 bis 2014 führend sei, spreche weder für noch gegen eine BK Nr. 2108. Für einen Zusammenhang spreche vorliegend, der Nachweis einer wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit im Zeitraum von 1978 bis 1998, die gelegentliche Beschwerdesymptomatik in den 90iger Jahren mit der Diagnose Lumbago und Lumboischialgie mit kurzer Arbeitsunfähigkeitsdauer sowie die bildgebend nachgewiesene Bandscheibenschädigung im Segment L5/S1 im Jahr 1998. Gegen einen Zusammenhang sprächen die Feststellung einer monosegmentalen Erkrankung im Segment L5/S1 durch den Röntgenbefund von 1998 ohne Nachweis von typischen Verschleißerscheinungen einschließlich einer sogenannten Begleits-pondylose in mehreren Segmenten der LWS, die für die Anerkennung einer BK Nr. 2108 Voraussetzung seien, das Fehlen einer Dokumentation einer klinischen Symptomatik von 1998 bezüglich der notwendigen Arbeitsaufgabe als Installateur sowie das Fehlen eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen der Aufgabe der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit am 31. Dezember 1998 und der Erkrankung der LWS ab 2013/2014. Zu der 1998 festgestellten Bandscheibendegeneration im Segment L5/S1 führte Sch weiter aus, dass es sich hierbei um eine monosegmentale Erkrankung und nicht um ein Verschleiß der Bandscheiben an der gesamten Wirbelsäule, speziell der LWS handle. Vorliegend sei das Fehlen der pathologischen Veränderung an anderen Abschnitten der LWS als Indiz für eine arbeitsunabhängig entstandene Pathologie zu würdigen. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2017 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Bezüglich einer BK Nr. 2109 sei die erforderliche berufliche Einwirkung nicht nachgewiesen und hinsichtlich der Nr. 2108 lägen die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen nicht vor.

Hiergegen hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Meiningen erhoben. Im Klageverfahren hat er unter anderem umfassend zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen vorgetragen, die die Beklagte durch ihren Präventionsdienst erneut hat auswerten lassen. Nach einer persönlichen Unterredung mit dem Kläger hat der Präventionsdienst festgestellt, dass sich auch unter Berücksichtigung neuer und weiterer spezifizierter Belastungen der HWS eine Gesamtbelastungsdosis in Höhe von 35.300 kgh ergebe. Entsprechend der wissenschaftlichen Stellungnahme zur BK 2109 müsse jedoch eine Mindestbelastung von 44.000 kgh erreicht werden. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK 2109 lägen damit weiterhin nicht vor. Hiergegen hat der Kläger eingewandt, dass von einer Gesamtbelastungsdosis von über 50.000 kgh auszugehen sei und die Beklagte zum Beispiel die ständige Zwangshaltung als Schweißer und Fließbandarbeiter nicht in die Berechnung mit einbezogen habe.

Auf Antrag des Klägers hat das Sozialgericht ein Sachverständigengutachten nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) von Sch1 eingeholt. Dieser hat mit seinem Gutachten vom 23. Juli 2018 festgestellt, dass die Voraussetzung für die Annahme einer bandscheibenbedingten Segmenterkrankung im Jahr 1998 keinesfalls in der geforderten Ausprägung nachweisbar gewesen sei. Ein entscheidender Indikator für eine BK Nr. 2108 sei eine in den gesunden Be-wegungssegmenten entstehende, über das altersübliche Ausmaß deutlich hinausgehende, Begleitspondylose. Eine solche habe sich bei der Tätigkeitsaufgabe im Dezember 1998 aus den aktenkundigen Befunden nicht entnehmen lassen. Es müsse von der A1-Konstellation ausgegangen werden, bei der zwar eine ausreichende Exposition gesichert sei, jedoch keine band-scheibenbedingte Erkrankung vorliege. Hinsichtlich der bei dem Kläger festgestellten Erkrankung bezüglich des Achsorgans Wirbelsäule habe es sich 1998 um überwiegend endogen-schicksalhaft verursachte eigenständige degenerative Bandscheibenerkrankungen sowohl der LWS als auch der HWS gehandelt. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Beendigung der Tätigkeit im Dezember 1998 ohne dokumentierte ärztliche Entscheidung im Sinne eines erkrankungsbedingten Unterlassungszwangs, sondern durch den Kläger selbst erfolgt sei. Insgesamt habe bei dem Kläger im Dezember 1998 weder eine BK nach Nr. 2108 noch nach Nr. 2109 der Anlage 1 zur vorgelegen. Auf verschiedene Einwendungen des Klägers hin, hat der Sachverständige mit seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28. Februar 2019 an seiner Beurteilung festgehalten.

Mit Urteil vom 8. April 2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Bezüglich der BK Nr. 2108 sei keine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen Kausalzusammenhangs zwischen der Tätigkeit und der Erkrankung gegeben. Die beim Kläger aktuell vorliegenden segmentalen Veränderungen seien zum Zeitpunkt der Tätigkeitsaufgabe als Heizungsbau-er/Schweißer nicht nachzuweisen. Entsprechende medizinische Unterlagen lägen nicht vor. Hinsichtlich der BK Nr. 2109 seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung nicht gegeben. Mit seiner Arbeitsplatzexposition vom 25. August 2015 und ergänzenden Stellungnahme vom 25. Mai 2016 habe der TAD festgestellt, dass die nach der BK Nr. 2109 geforderte Tragebelastung nicht gegeben sei. Im Ergebnis sei davon auszugehen, dass der Kläger in keinem Zeitraum von mehr als 5% seiner täglichen Arbeitszeit Lasten von 50 Kilogramm oder mehr auf der Schulter getragen habe. Zudem spreche gegen eine BK Nr. 2109 auch, dass entsprechende typische medizinische Befunde fehlten. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er eine unzutreffende arbeitstechnische und arbeitsmedizinische Würdigung geltend macht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 8. April 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 22. März 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Vorliegen einer Berufskrankheit nach den Nr. 2108 sowie Nr. 2109 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen und hieraus Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält ihre Entscheidungen und die des Sozialgerichts für zutreffend.

Der Senat hat Befundberichte von dem behandelnden Orthopäden S sowie dem Chefarzt der Klinik für Wirbelsäulenerkrankungen und Neurotraumatologie des Z S, Sch2, eingeholt sowie den Präventivdienst der Beklagten um eine erneute Auswertung der klägerischen Angaben gebeten. Anschließend hat der Senat den Sachverständigen Sch1 mit der Erstellung einer ergänzenden Stellungnahme beauftragt. Der Präventionsdienst gelangte nach erneuter Anhörung des Klägers und unter Zugrundelegung seiner Angaben im schriftlichen Verfahren zu der Einschätzung, dass die vom Kläger vorgebrachten Beweise wenig nachvollziehbar und nicht hinreichend konkret seien. Insbesondere seien die bei den Spitzenbelastungen (über 100 Kilogramm bei Wegstrecken von deutlich über 50 Meter) angegebenen Gewichte nicht untersetzt mit den glaubhaften Wegstrecken und den Personen, die die schweren Gewichte getragen haben sollen. Zeugen habe der Kläger nicht benannt. Mit seiner ergänzenden Stellungnahme vom 31. März 2020 hat sich der Sachverständige Sch1 mit dem vom Kläger behaupteten nicht oder fälschlicherweise berücksichtigten medizinischen Unterlagen auseinandergesetzt. Nach seinen Feststellungen ergebe sich an seiner Beurteilung keine Änderung. Die entsprechenden medizinischen Unterlagen seien entweder bereits berücksichtigt worden, oder es ergebe sich hieraus keine andere Würdigung beziehungsweise keine Relevanz für das vorliegende BK-Verfahren. Mit weiterer ergänzender Stellungnahme vom 31. Oktober 2020 hat Sch1 zur BK Nr. 2109 ausgeführt, dass es sich beim Kläger um eine überwiegend endogen-schicksalshaft verursachte eigenständige degenerative Bandscheibenerkrankung der HWS handle und nicht um eine BK.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Der Kläger wendet sich zulässig gegen das Urteil des Sozialgerichts mit der Anfechtungs- und Feststellungsklage im Sinne der §§ 54 und 55 SGG. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der Bescheid vom 12. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Zutreffend hat die Beklagte festgestellt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung der BK 2108 (hierzu 1.) und BK 2109 (hierzu 2.) hat.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach § 1 der BKV sind Berufskrankheiten die in der Anlage 1 bezeichneten Krankheiten (sogenanntes Listenprinzip).

Für die Feststellung einer Listen-BK ist erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (vgl. Bundessozialgericht ( BSG ), Urteil vom 17. Dezember 2015 - B 2 U 11/14 R, nach juris). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen so stark überwiegen, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R, nach juris). Sofern die notwendigen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht von demjenigen, der sie geltend macht, mit dem von der Rechtsprechung geforderten Grad nachgewiesen werden, hat er die Folgen der Beweislast dergestalt zu tragen, dass dann der entsprechende Anspruch entfällt.

1. Eine BK nach Nr. 2108 ist beim Kläger nicht gegeben. Insoweit fehlt es an den hierfür erforderlichen arbeitsmedizinischen Voraussetzungen.

In der Anlage 1 zur BKV ist unter Nr. 2108 bezeichnet: "Bandscheibenbedingte Erkrankun-gen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können."

Vorliegend ist davon auszugehen, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen, also entsprechende tätigkeitsbezogene Expositionen im schädigenden Maß vorhanden waren. Die Intensität war dabei derart, dass die Voraussetzungen für die Entstehung einer BK nach Nr. 2108 entsprechend grundsätzlich denkbar ist. Gleichwohl kann zum für die Beurteilung einer BK Nr. 2018 entscheidenden Zeitpunkt der Aufgabe der Tätigkeit - hier im Jahr 1998, da der Kläger zu diesem Zeitpunkt die gefährdende Tätigkeit beendete und anschließend als Fließbandarbeiter keiner entsprechenden Exposition mehr ausgesetzt war - eine entsprechende bandscheibenbedingte Erkrankung nicht ausgemacht werden.

Während die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK zum einen das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen und zum anderen die Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung beinhalten, betreffen die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen ebenfalls zwei Aspekte der Anerkennungsvo-raussetzungen, nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit und zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht (BSG, Urteil vom 23. April 2015 – B 2 U 10/14 R, nach juris).

Unter dem Begriff der bandscheibenbedingten Erkrankung sind solche Erkrankungen der Bewegungssegmente der Lendenwirbelsäule zu verstehen, die ursächlich auf eine Bandscheibenschädigung zurückzuführen sind oder mit einer solchen in einer kausalen Wechselbeziehung stehen (vgl. Mehrtens/Brandenburg, die Berufskrankheitenverordnung (BKV), M 2108 Seite 22). Insoweit kommen als knöcherne Veränderungen in Betracht eine Osteochondrose, eine Spondylarthrose bzw. Spondylose. Keine dieser Erkrankungen wurde bei dem Kläger im Jahr 1998 festgestellt. Dies hat der Sachverständige Sch1 - wie zuvor auch schon die Gutachter M und Sch - im Rahmen seines Gutachtens sowie in der ergänzenden Stellungnahme aus-führlich dargelegt. Insbesondere wurde bei dem Kläger im Jahr 1998 keine Spondylose festgestellt. Eine solche wäre jedoch als Begleiterkrankung hinsichtlich einer BK Nr. 2108 zur erwarten gewesen. Hinsichtlich der bandscheibenbedingten Segmenterkrankung bedarf es nach Sch1eines klinischen Nachweises. Ein solcher Nachweis ergibt sich durch eine Höhen-minderung des Bandscheibenraumes, eines klinischen Segmentbefundes also provozierbarem-Schmerz, eines vermehrten Muskeltonus (Verspannung), subjektiver Schmerzen durch Bewegen ("Hexenschuss"), einer fakultativen Entfaltungsstörung der LWS sowie einer Nervenwurzelreizung bzw. Schädigung im gleichen Segment. Bezüglich dieser Kriterien kann bei dem Kläger für das Jahr 1998 lediglich in Sachen Höhenminderung des Bandscheibenraumes aufgrund einer aktenkundigen Kurzbeschreibung im Bereich L5/S1 eine entsprechende Annahme positiv erfolgen. Im Übrigen aber wurde ein provozierbarer Schmerz ebenso wenig dokumentiert wie eine Muskelverspannung. Auch für subjektive Schmerzen durch Bewegung im Sinne eines Hexenschusses finden sich in den beigezogenen Behandlungsunterlagen keine Angaben. Hinsichtlich der Entfaltungsstörung der Lendenwirbelsäule ist festzustellen, dass Bewegungsausmaße im Jahr 1998 offenbar nicht gemessen wurden. Schließlich sind auch keine Hinweise auf gegebenenfalls einem Dermatom zuordenbare neurologische Defizite oder Ausfallerscheinungen für den Lumbalbereich im Jahr 1998 zu finden. Insofern folgt der Senat den nachvollziehbaren und schlüssigen Ausführungen des Sch1, die sich mit den Ausführungen des Gutachters Sch decken. Auch er wies darauf hin, dass sich für das Jahr 1998 nicht die Voraussetzungen für eine Anerkennung einer BK 2108 sichern lassen. Folgen einer entsprechenden BK wären nach den Konsensempfehlungen neben der Chondrose auch eine Osteochondrose, Spondylose, Retrospondylose, Spondylarthrose und Bandscheibenkontusionen mit Flüssigkeitsverlust. All dies ist im Jahr 1998 in keinem Befund nachgewiesen. Im Ergebnis gehen daher die Sch1 und Sch übereinstimmend von einer Konstellation A1 entsprechend der Konsensempfehlung (abgedruckt in Trauma und Berufskrankheit 3/2005, S. 211 ff.) aus. Bei dem Kläger liegen mit anzunehmender ausreichender Exposition zwar die arbeitstechnischen Vo-raussetzungen vor, es findet sich aber im Jahr 1998 keine gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung. Unerheblich ist, dass mit den Befunden aus den Jahren 2014/2015 eine bandscheibenbedingte Erkrankung grundsätzlich anzunehmen ist. Für die Beurteilung des Vorliegens einer BK ist, wie bereits ausgeführt, entscheidend auf den Zeitpunkt der Tätigkeitsaufgabe abzustellen. Dabei sollen die Röntgenbefunde nicht älter als ein Jahr sein; bei einer bereits länger zurückliegenden Aufgabe der Tätigkeit ist der Befund zum Zeitpunkt der Aufgabe entscheidend (vgl. Konsensempfehlung Ziff. 1.2). Hierauf hat bereits Sch hingewiesen und ergänzt, dass die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der beruflichen Exposition und einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS mit der Länge des Zeitraums zwischen dem Ende der Exposition und der erstmaligen Diagnose der Erkrankung abnimmt.

Der Senat konnte sich daher von dem Vorliegen einer entsprechenden Berufskrankheit mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht überzeugen. Ein Schadensbild, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung der Bandscheibenerkrankung durch die beruflichen Einwir-kungen zumindest im Einklang steht, ist im hier entscheidenden Jahr 1998 nicht auszumachen. Weitere und tiefergehenden Befunde und bildgebende Materialien zum Zeitpunkt der Tätig-keitsaufgabe stehen nicht zur Verfügung. Da der Kläger vorliegend die Anerkennung einer BK nach Nr. 2108 geltend macht, hat er hierfür auch die Beweislast zu tragen.

Gegen das Vorliegen einer BK Nr. 2108 spricht - worauf es aber nicht mehr ankommt - zudem, dass der Kläger seine Tätigkeit ganz offenbar aus eigener Veranlassung heraus aufgegeben hat. Ein berufskrankheitenbedingter Zwang zur Tätigkeitsaufgabe ist vorliegend nicht auszumachen.

2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung einer BK nach Nr. 2109.

In der Anlage 1 zur BKV ist unter Nr. 2109 bezeichnet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können." Für die Anerkennung einer BK Nr. 2109 müssen arbeitstechnischerseits drei Kriterien vorliegen (vgl. Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung (BKV), M 2109 Seite 9):

1. Der Versicherte hat Lasten mit einem Lastengewicht von 40 Kilogramm oder mehr auf der Schulter oder über der Schulter mit Beteiligung des Rückens während eines Schichtanteils von etwa einer halben Stunde oder mehr getragen. 2. Der Tragevorgang hat zu einer Kopfbeugehaltung nach vorne oder seitwärts oder zu einer Verdrehung der Halswirbelsäule geführt. Dies ist beim Tragen von Tierkörperteilen und Säcken sowie Balken, Rohren, Baumstämmen, Schläuchen, Kabeln oder ähnlichen Lasten auf der Schulter oder über der Schulter mit Beteiligung des Rückens der Fall. 3. Die arbeitsbedingte Einwirkung im Sinne von Ziff. 1 und 2 geht mit einer kumulativen Gesamtbelastung in Höhe von mindestens 4,4 x 104 (kg x h) einher.

Insoweit ist auf die detaillierten Messungen und Ausführungen des Präventionsdienstes der Beklagten zu verweisen. Dieser hat sich umfassend und eindringlich mit den Angaben des Klägers befasst und nach den zuvor genannten Kriterien ausgewertet. Es erfolgten die Auswertung diverser schriftlicher Angaben ebenso wie persönliche Gespräche mit dem Kläger. Im Ergebnis gelangte der Präventionsdienst zu der Feststellung, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Die Ausführungen hierzu sind überzeugend. Soweit der Kläger im Verfahren vorträgt, es sei nicht berücksichtigt worden, dass er Heizkörper mit 100 Kilogramm Gewicht getragen habe, weist der Präventionsdienst zutreffend darauf hin, dass diese Angaben nicht schlüssig sind. Zum einem ist - worauf auch der Präventionsdienst hinweist - erfahrungsgemäß davon auszugehen, dass derart schwere Heizkörper nicht alleine getragen wurden und zum anderen ist mit den Erfahrungswerten des Präventionsdienstes davon auszugehen, dass derartige Heizkörper in der Regel ein Gewicht von 80 Kilogramm hatten. Darüber hinaus weist der Senat darauf hin, dass nicht anzunehmen ist, dass ein Tragen derart schwerer Heizkörper auf der Schulter stattgefunden hat. Es entspricht nicht der Lebenserfahrung, dass gusseiserne 100 kg schwere Heizkörper auf der Schulter getragen werden können.

Unerheblich für eine BK Nr. 2109 sind im Übrigen die ständigen Zwangshaltungen als Schweißer und Fließbandarbeiter. Hierbei handelt es sich nicht um ein fortgesetztes Tragen schwerer Lasten auf der Schulter und damit nicht um das Belastungsprofil der BK 2109.

Unabhängig des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen sind darüber hinaus auch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen nicht gegeben. Insoweit ist auf die Einschätzung des Sachverständigen Sch1 zu verweisen, der das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Halswirbelsäule für das Jahr 1998 ausschließt. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung ist, wie schon bei der BK 2108, zum Zeitpunkt der Tätigkeitsaufgabe im Jahr 1998 nicht auszumachen. Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen zur BK 2108. Auch bzgl. der BK 2109 betreffen die entsprechenden Befunde bzw. Diagnosen vielmehr die Zeit nach der Tätigkeitsaufgabe. Zudem ergibt sich auch kein belastungskonformes Schadensbild. Denn, statt - was für die Annahme einer BK 2109 sprechen würde - einer Betroffenheit vor allem der mittleren HWS, sind beim Kläger die Segmente C5/C6 und C6/C7, mithin die untere HWS betroffen. Insgesamt, und das hat Sch1 noch einmal ausdrücklich bestätigt, scheidet eine BK 2109 damit auch mangels der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen aus. Bei der Erkrankung der HWS, an der der Kläger leidet, handelt es sich um eine endogen-schicksalshaft verursachte eigenständige degenerative Bandscheibenerkrankung der HWS und nicht um eine BK.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus §§ 183, 193 SGG.

Gründe die Revision zuzulassen nach § 160 SGG lagen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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