L 1 SV 969/20 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 24 SB 991/20
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 SV 969/20 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
§ 73a SGG, § 127 ZPO, § 2 Abs. 2 PKHFV, § 44a SGB XII

Staatskasse, Beschwerde, PKH-Bewilligung, Prozesskostenhilfeformularverordnung, Absehen vom Ausfüllen der Abschnitte E-J des Prozesskostenhilfeformulars, vorläufige Bewilligung von laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII,


1. Die Staatskasse kann ihre Beschwerde nach §§ 73a SGG, 127 Abs. 3 ZPO auch in zulässiger Weise allein mit der Rüge begründen, dass die Partei möglicherweise Zahlungen auf die Prozesskosten zu leisten hat, wenn sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Hilfsbedürftigen - aus ihrer Sicht - nicht aus dem Beschluss und den Akten ergeben.


2. § 2 Abs. 2 PKHFV stellt auf den aktuellen Bewilligungsbescheid des Sozialamtes ab, ohne danach zu differenzieren, ob dieser vorläufig oder endgültig ist.
Die Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 28. August 2020 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein am 15. Juli 2020 anhängig gemachtes Klageverfahren, mit welchem der Kläger und Beschwerdegegner die Bewilligung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als des bisher bewilligten 50 GdB sowie der Merkzeichen G, B und H begehrt. Dem PKH-Antrag beigefügt war eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdegegners, unterzeichnet von dessen gesetzlicher Betreuerin vom 29. Juni 2020. Diese verneinte sowohl eine Kostentragung durch eine Rechtsschutzversicherung als auch die Mitgliedschaft in einem Verein/einer Organisation, die die Kosten der Prozessführung trägt. Das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs gegenüber einer anderen Person wurde ebenfalls verneint. Die Abschnitte E-J des Prozesskostenhilfeformulars füllte sie nicht aus. Stattdessen waren beigefügt ein Bewilligungsbescheid des Landratsamtes S-R vom 13. Mai 2020 über die Änderung der vorläufigen Gewährung von laufenden Leistungen nach dem SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) und die Berechnungsbögen der SGB XII-Bewilligung für die Monate Mai bis August 2020.

Durch Beschluss vom 28. August 2020 hat der Vorsitzende der Kammer dem Kläger und Beschwerdegegner ab dem 15. Juli 2020 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsbestimmung bewilligt unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten.

Gegen die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hat die Beschwerdeführerin, welcher der Beschluss des Sozialgerichts Meiningen ausweislich eines Eingangsstempels am 8. Oktober 2020 zur Kenntnis gelangt ist, am 13. Oktober 2020 Beschwerde eingelegt. Sie bitte um vollständige Ergänzung des Punktes G des Formulars über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers. Das Formular weise darauf hin, dass auf die Angabe der Punkte E-J verzichtet werden könne, sofern das Gericht nichts anderes anordne. Aus hiesiger Sicht könne das Beschwerde- und Prüfungsrecht der Staatskasse nur dann vollumfänglich und entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen ausgeübt werden, wenn die Angaben zu Punkt G vollständig abgegeben würden. In diesem Zusammenhang bitte sie auch um Einreichung der voll-ständigen und ungeschwärzten Kontoauszüge der Monate Juli 2020 bis einschließlich September 2020. Eine umfassende Prüfung der Bedürftigkeit sei erforderlich.

Der Beschwerdegegner hat sich bislang zum Verfahren nicht geäußert.

Der Vorsitzende der Kammer hat unter dem 27. Oktober 2020 der Beschwerde nicht abgeholfen. Die bloße Anforderung zusätzlicher Nachweise könne nicht im Wege der Beschwerde geltend gemacht werden. Die Anforderung weiterer Nachweise sei unbegründet. Für die Anforderung ungeschwärzter Kontoauszüge bestehe kein begründeter Anlass. Dem PKH-Antrag sei ein vollständiger SGB XII-Bescheid beigefügt gewesen. Daher sei ein Ausfüllen der Abschnitte E-J des Formulars nicht erforderlich gewesen. Abweichendes sei durch die Kammer nicht angeordnet worden.

II.

Die Beschwerde ist statthaft.

Gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) findet gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist. Eine derartige andere Bestimmung ist für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch die Kammervorsitzenden der Sozialgerichte geregelt. So findet gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V.m. § 127 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) die Beschwerde (nur) der Staatskasse gegen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe statt, wenn weder Monatsraten noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind. Danach ist aufgrund der Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Beschluss vom 28. August 2020 ohne Festsetzung von Zahlungen die Beschwerde statthaft. Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 3 Satz 2 ZPO kann die Beschwerde ferner nur darauf gestützt werden, dass der oder die Beteiligte nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen zu leisten hat. Auch dies ist vorliegend erfüllt, denn die Staatskasse als Beschwer-deführerin macht geltend, dass der Abschnitt G des PKH-Formulars vollständig auszufüllen und ungeschwärzte Kontoauszüge vorzulegen seien, um das Prüfungsrecht der Staatskasse effektiv ausüben zu können. Zielrichtung ist daher gegebenenfalls die Anordnung einer Ratenzahlung wegen einzusetzenden Einkommens oder Vermögens. Die Staatskasse kann ihre Beschwerde auch in zulässiger Weise allein mit der Rüge begründen, dass die Partei möglicherweise Zahlungen auf die Prozesskosten zu leisten hat, wenn sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Hilfsbedürftigen - aus ihrer Sicht - nicht aus dem Beschluss und den Akten ergeben. Andernfalls würde das Beschwerderecht der Staatskasse entwertet, weil sie selbst die Verhältnisse der Partei nicht ermitteln kann (Schultzky in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 127 ZPO Rn. 53). Die Beschwerde ist auch nicht nach § 73a Abs. 8 SGG ausgeschlossen, weil vorliegend nicht der Urkundsbeamte, sondern der Kammervorsitzende entschieden hat.

Die Beschwerde ist durch die Beschwerdeführerin, die Bezirksrevisorin als Vertreter der Staatskasse, auch fristgerecht am 13. Oktober 2020 beim Sozialgericht Meiningen eingelegt worden. Die Frist hierzu beträgt gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 3 Satz 3, 6 ZPO einen Monat ab Kenntnisnahme durch den Bezirksrevisor. Es liegt auch keine Unstatt-haftigkeit der Beschwerde gemäß § 127 Abs. 3 Satz 4 ZPO wegen Ablaufs von drei Monaten seit Erlass des Bewilligungsbeschlusses vor.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet und daher zurückzuweisen.

Das Sozialgericht hat dem Beschwerdegegner zu Recht Prozesskostenhilfe ohne Anordnung von Zahlungen bewilligt. Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Unrecht, dass die Abschnitte E-J des PKH-Formulars nicht ausgefüllt worden sind. Denn nach § 2 Abs. 2 der Verordnung zur Verwendung eines Formulars für die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- und Verfahrenskostenhilfe (Prozesskostenhilfeformularverordnung - PKHFV - vom 22. Januar 2014, BGBl. I 2014, S. 34) muss eine Partei, die nach dem SGB XII laufende Leistungen zum Lebensunterhalt bezieht, die Abschnitte E-J des in der Anlage bestimmten Formulars nicht ausfüllen, wenn sie der Erklärung den zum Zeitpunkt der Antragstellung aktuellen Bewilligungsbescheid des Sozialamtes beifügt, es sei denn, das Gericht ordnet dies ausdrücklich an. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift für ein Absehen des Ausfüllens der Abschnitte E-J des Prozesskostenhilfeformulars sind erfüllt. Denn der Kläger und Beschwerdegegner hat seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse den aktuellen Bewilligungsbescheid des Landratsamtes S-R vom 13. Mai 2020 einschließlich der Berechnungsbögen für die Monate Mai bis August 2020 beigefügt. Unerheblich ist, dass der Bescheid vom 13. Mai 2020 vorläufig ist. § 2 Abs. 2 PKHFV stellt auf den aktuellen Bewilligungsbescheid des Sozialamtes ab, ohne danach zu differenzieren, ob dieser vorläufig oder endgültig ist. Zwar wurde die gesetzliche Grundlage für eine vorläufige Bewilligung erst durch die Einfügung des § 44a SGB XII durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 2016 mit Wirkung vom 1. Juli 2017 (BGBl. 2016, 3159) geschaffen. § 2 Abs. 2 PKHFV enthält jedoch eine dynamische Verweisung auf den Bezug von laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in seiner jeweils geltenden Fassung. Dafür sprechen der Wortlaut und Sinn und Zweck der Verweisung. Dieser besteht darin, überflüssige Doppelprüfungen zu vermeiden, wenn bereits an anderer Stelle die Einkommens- und Vermögensverhältnisse eingehend geprüft worden sind. Dieser Gedanke gilt jedoch unabhängig davon, ob die SGB XII Bewilligung vorläufig oder endgültig ist. Zudem hat der Verordnungsgeber die Einführung der Möglichkeit einer vorläufigen Bewilligung von Leistungen zum Lebensunterhalt nicht zum Anlass genommen, die PKHFV anzupassen.

Der Vorsitzende der Kammer hat auch nicht das Ausfüllen der Abschnitte E-J angeordnet. Hierfür bestand - auch unter Berücksichtigung der nur vorläufigen Bewilligung von laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII - keine Veranlassung. Denn aus den Berechnungsbögen ergibt sich hinreichend, dass der Kläger und Beschwerdegegner nur über ein Einkommen aus einer Tätigkeit in einer Behindertenwerkstatt i. H. v. monatlich 224 Euro verfügt. Daraus hat der Sozialhilfeträger unter Berücksichtigung von Abzügen und Freibeträgen ein anrechenbares Gesamteinkommen i. H. v. monatlich 53 Euro errechnet. Ausgehend von einem ermittelten Grundsicherungsbedarf i. H. v. 848,04 Euro ergab sich somit ein Betrag der Grundsicherungsleistung i. H. v. 795,04 Euro für die Monate Juni bis August 2020. Bei dieser Sachlage ist eine sachliche Rechtfertigung für die von der Beschwerdeführerin begehrte Vorlage der vollständigen und ungeschwärzten Kontoauszüge der Monate Juli bis September 2020 nicht zu erkennen. Die umfassende Prüfung der Bedürftigkeit ist bereits durch den Sozialhilfeträger erfolgt und Zweifel an deren Richtigkeit sind nicht im Ansatz erkennbar.

Kosten sind gemäß § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht zu erstatten.

Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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