L 1 KR 270/18

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 8 KR 54/17
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 270/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Versorgung mit einem Handbike

Zu den Voraussetzungen des Anspruchs eines behinderten (querschnittsgelähmten) Menschen auf
Versorgung mit einem Handbike nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung und nach dem
Eingliederungshilferecht.
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 7. Mai 2018 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 8. Oktober 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Januar 2017 verurteilt, den Kläger mit einem elektrischen Zuggerät mit Hilfskurbeln (Handbike) "dynagil AP" oder einem gleichwertigen Gerät zu versorgen.

II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Versorgung des Klägers mit einem elektrischen Rollstuhlzuggerät mit Hilfskurbel (Handbike).

Bei dem 1981 geborenen Kläger besteht seit dem Jahr 2010 eine Querschnittslähmung mit Rollstuhlpflichtigkeit. Aktuell ist er durch die Beklagte mit einem Aktivrollstuhl, einem Sportrollstuhl (für Rollstuhlbasketball) sowie – für die Häuslichkeit – mit einem Motomed-Bewegungstrainer und einem Stehpult versorgt.

Im August 2015 stellte die behandelnde Ärztin eine Verordnung über die Versorgung des Klägers mit einem elektrischen Zuggerät mit Hilfskurbeln "dynagil AP" als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung aus.

Bei dem Gerät "dynagil AP" (AP = acitive performance) handelt es sich um ein Handbike in Aluminium-Leichtbauweise mit integriertem Elektroantrieb. Dieser unterstützt das Kurbeln vorwärts bis zu einer Geschwindigkeit von 25 km/h. Ausweislich der Angaben des Herstellers ermöglicht es das Handbike dem behinderten Menschen, "seine Ziele etwas höher zu setzen". Es biete "größtmöglichen Fahrspaß" und lasse den behinderten Menschen dank der zuschaltbaren Elektrounterstützung "auch auf langen Strecken nicht im Stich". Eine 10-fach Kettenschaltung, ein zentraler Lenkungsdämpfer und ergonomisch geformte Handgriffe sorgten für "größtmöglichen Fahrkomfort".

Im September 2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Vorlage eines Kostenvoranschlags (7.505,24 EUR) die Versorgung mit dem o.g. Handbike. Zur Begründung führte er aus, er benötige das Handbike für weitere Strecken, bei denen der Aktivrollstuhl nicht ausreiche, damit er nicht alles mit dem Auto machen müsse. Den vorhandenen Aktivrollstuhl nutze er für den Nahbereich. Dieser sei jedoch für weitere Strecken zu langsam, das Handbike würde es ihm ermöglichen, Fahrradausflüge und andere Freizeitaktivitäten (Grillabende, Kneipenbesuche) mit der Familie und mit Freunden zu unternehmen.

Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 08.10.2015). Mit dem vorhandenen Aktivrollstuhl sei der Kläger im Nahbereich ausreichend versorgt. Eine hierüber hinausgehende Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe nicht. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte nach Einholung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK – Gutachten des Dr. med. Y ... vom 03.12.2015) zurück (Widerspruchsbescheid vom 19.01.2017). Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung sei es im hier betroffenen Bereich des mittelbaren Behinderungsausgleichs, die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens – etwa das Gehen, Stehen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme und Ausscheidung, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums – zu gewährleisten. Die Grundbedürfnisse "Fortbewegung" und "Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums" seien hierbei durch die gesetzliche Krankenversicherung lediglich im Sinne eines Basisausgleichs sicherzustellen. Dieser Basisausgleich umfasse die Bewegungsmöglichkeit in der eigenen Wohnung und im umliegenden Nahbereich. Der Nahbereich erstrecke sich auf den Bewegungsradius, den ein nichtbehinderter Mensch üblicherweise zu Fuß zurücklege. Dies entspreche dem Umkreis, der mit einem vom behinderten Menschen selbst betriebenen Aktivrollstuhl erreicht werden könne. Dem sei durch die Versorgung mit einem Aktivrollstuhl hinreichend Rechnung getragen. Damit werde der Kläger dazu in die Lage versetzt, sich innerhalb seiner Wohnung und des umliegenden Nahbereichs zu bewegen. Die gesetzliche Krankenversicherung gewährleiste im Rahmen der medizinischen Rehabilitation nur eine zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung, nicht jedoch eine Optimalversorgung. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation obliege anderen Sozialleistungssystemen. Insoweit sei die Beigeladene als Trägerin der Sozialhilfe/Eingliederungshilfe in das Verfahren eingebunden und zur Stellungnahme aufgefordert worden. Diese habe eine Übernahme der Kosten des Handbikes als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft jedoch abgelehnt.

Gegen die Entscheidung der Beklagten hat sich der Kläger mit am 10.02.2017 zum Sozialgericht (SG) Leipzig erhobener Klage gewandt. Die Beklagte habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass er infolge der ständigen Fortbewegung mit dem Aktivrollstuhl an Schulterschmerzen leide. Infolge dieser Beschwerden sei er auf die Nutzung des Handbikes zur Erschließung des sozialen Nahbereichs angewiesen. Im Übrigen könne durch die Nutzung des Handbikes frühzeitigem Verschleiß und Haltungsasymmetrien vorgebeugt und ein Trainings- und Therapieeffekt erzielt werden, der andere Behandlungen (z.B. Physiotherapie, Schmerzmittelgabe) ersetzen oder zumindest reduzieren könne. Die Beklagte habe zudem nicht hinreichend geprüft, ob unter Teilhabegesichtspunkten (Verweis auf §§ 53 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB XII] a.F.) ein Leistungsanspruch bestehe. Er sei aufgrund der Schwere seiner Behinderung daran gehindert, in angemessenem Maß am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat darauf verwiesen, dass für den Fall, dass der Kläger aufgrund von Einschränkungen in den oberen Extremitäten den Aktivrollstuhl nicht mehr nutzen könne, die Bereitstellung eines Elektrorollstuhls in Betracht komme. Das begehrte Hilfsmittel sei auch nicht zum Zwecke der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung zu gewähren. Allgemeine gesundheitsfördernde Maßnahmen ohne spezifischen Bezug zu einer konkret ärztlich verantworteten Therapie seien hierfür nicht ausreichend.

Das SG hat – nach Beiziehung von Befunden der behandelnden Ärzte und Beiladung des zuständigen Trägers der Sozial-/Eingliederungshilfe – die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 07.05.2018). Zwar handele es sich bei dem Handbike nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, weil es für die speziellen Bedürfnisse behinderter Menschen hergestellt und entwickelt worden sei. Jedoch sei die Versorgung mit einem Handbike nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst. Der Kläger sei mit einem Aktivrollstuhl versorgt. Dies sei zur Bewältigung der Alltagsgeschäfte im Nahbereich der Wohnung ausreichend. Einen weitergehenden Behinderungsausgleich, der etwa auch Familienausflüge und andere Freizeitaktivitäten umfasse, schulde die Beklagte nicht. Das begehrte Hilfsmittel diene auch nicht der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung. Auch wenn durch die Nutzung des Handbikes Muskelaufbau, Stoffwechsel und die kardiopulmonale Belastbarkeit gefördert würden, so fehle es doch an einem weitergehenden spezifischen Bezug zu einer ärztlich verantworteten Krankenbehandlung. Zudem könnten die gesundheitlichen Ziele mit wesentlich geringerem Kostenaufwand (z.B. Behindertensport) erreicht werden, so dass auch im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot die begehrte Versorgung ausgeschlossen sei. Ein Anspruch nach dem Recht der Eingliederungshilfe bestehe ebenfalls nicht. Es sei nicht ersichtlich, dass dem Kläger die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ohne das begehrte Hilfsmittel verwehrt wäre.

Gegen den ihm am 22.06.2018 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung des Klägers vom 28.06.2018, mit der dieser sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 7. Mai 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 8. Oktober 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Januar 2017 zu verurteilen, ihn mit einem elektri- schen Zuggerät mit Hilfskurbeln (Handbike) "dynagil AP" oder einem gleichwerti- gen Gerät zu versorgen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sofern sich die bestehende Versorgung (Aktivrollstuhl) als nicht mehr geeignet bzw. nicht mehr ausreichend erweisen sollte, müsse eine Um- bzw. Neuversorgung geprüft werden. Hierzu sei sie – die Beklagte – bereit. Diesbezüglich bestünden verschiedene, vom Grad der verbliebenen Restmobilität abhängige Versorgungsmöglichkeiten (z.B. Restkraftverstärker, Elektrorollstuhl). Die Versorgung mit dem begehrten Handbike komme dagegen nicht in Betracht.

Die Beigeladene verweist auf einen vorrangigen Leistungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte nach Krankenversicherungsrecht. Ein Anspruch nach eingliederungshilferechtlichen Grundsätzen bestehe nicht. Zwar erfülle der Kläger die einkommens- und vermögensseitigen Voraussetzungen für die Leistungen der Eingliederungshilfe, denn er verfüge nicht über einzusetzendes Einkommen oder Vermögen. Jedoch fehle es an der Notwendigkeit für die Gewährung des begehrten Hilfsmittels. Die Versorgung mit einem Handbike sei für die Teilhabe des Klägers am Leben in der Gesellschaft nicht zwingend erforderlich.

Beigezogen waren die Verwaltungsvorgänge der Beklagten. Auf diese und auf die Gerichtsakte wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger hat Anspruch auf die Versorgung mit einem Handbike "dynagil AP". Dies allerdings nicht nach dem Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung (Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]), sondern nach dem Recht der Eingliederungshilfe (Teil 2 des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch [SGB IX]).

1. Streitgegenständlich im Verfahren ist – neben dem erstinstanzlichen Gerichtsbescheid des SG vom 07.05.2018 – der Bescheid vom 08.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.01.2017, mit dem die Beklagte es abgelehnt hat, den Kläger mit einem elektrischen Zuggerät mit Hilfskurbeln (Handbike) "dynagil AP" zu versorgen. Gegen diese Entscheidung der Beklagten wendet sich der Kläger zulässigerweise im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4, § 56 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Da sich der Kläger das beantragte Hilfsmittel noch nicht selbst beschafft hat, ist der Anspruch nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu beurteilen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 25.06.2009 – B 3 KR 2/08 R – juris Rn. 15 und Urteil vom 08.08.2019 – B 3 KR 21/18 R – juris Rn. 29). Hierbei ist der Versorgungsanspruch nach allen in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen zu prüfen. Dies gilt – neben einem Anspruch als Leistung zur (kurativen) Krankenbehandlung – zunächst für einen Anspruch als Leistung zur medizinischen Rehabilitation, für den die Beklagte originär zuständig ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Nr. 1 SGB IX). Darüber hinaus ist die Prüfung aber auch auf alle Rechtsgrundlagen zu erstrecken, die in der konkreten Bedarfssituation rehabilitationsrechtlich vorgesehen sind. Hierzu gehören insbesondere Ansprüche als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder an Bildung (§ 5 Nr. 1 und 4 SGB IX) sowie ein Anspruch als Leistung zur sozialen Teilhabe (§ 5 Nr. 5 SGB IX). Denn mangels Weiterleitung des Rehabilitationsantrags nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX (in der hier noch anzuwendenden, bis zum 31.12.2018 geltenden Fassung [a.F.]) begründet sich eine umfassende Prüfungs- und ggf. auch Leistungszuständigkeit der beklagten Krankenkasse als zuerst angegangene Leistungsträgerin (sog. leistende Rehabilitationsträgerin; vgl. die Legaldefinition in § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX in der seit 01.01.2018 geltenden Fassung des Bundesteilhabegesetzes [BTHG]), die sich im Außenverhältnis zum Versicherten auf alle Rechtsgrundlagen erstreckt, die überhaupt in dieser Bedarfssituation rehabilitationsrechtlich vorgesehen sind (BSG, Urteil vom 08.08.2019 – B 3 KR 21/18 R – juris Rn. 32).

2. Der Bescheid vom 08.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.01.2017 ist rechtswidrig. Die Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Versorgung mit einem Handbike "dynagil AP" zu Unrecht abgelehnt. Der Kläger hat Anspruch auf die begehrte Hilfsmittelversorgung.

a) Der Anspruch folgt allerdings nicht aus dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind.

aa) Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass es sich bei dem begehrten Handbike nicht um ein Hilfsmittel handelt, das den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern soll (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 SGB V). Das BSG hat bereits entschieden, dass bewegliche sächliche Mittel zur Förderung oder Ermöglichung der Mobilisation nur in besonders gelagerten Fällen Hilfsmittel "zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" i.S.v. § 33 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 SGB V sein können. Der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung dient ein bewegliches sächliches Mittel nur dann, wenn es spezifisch im Rahmen einer ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt wird, um zu deren Erfolg beizutragen. Hierbei ist nicht jedwede gesundheitsfördernde Betätigung als spezifischer Einsatz im Rahmen einer ärztlich verordneten Krankenbehandlung anzusehen. Einen fehlenden engen Bezug zu einer konkreten Krankenbehandlung weisen gesundheitsförderliche Maßnahmen auf, die (nur) allgemein auf die Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, die Mobilisierung von Restfunktionen des behinderten Menschen, die Erhöhung der Ausdauer und Belastungsfähigkeit sowie die Hilfe bei der Krankheitsbewältigung zielen (BSG, Urteil vom 08.08.2019 – B 3 KR 21/18 R – juris Rn. 22 [Elektrorollstuhl]; Urteil vom 15.03.2018 – B 3 KR 4/16 R – juris Rn. 43 [Easy-Rider-2]; Urteil vom 07.10.2010 – B 3 KR 5/10 R – juris Rn. 21 [Therapiedreirad II]). So liegt die Sache jedoch hier. Die behandelnde Hausärztin (Dr. X ..., Fachärztin für Innere Medizin) hat das Hilfsmittel zur Sicherung und Erleichterung der Mobilität im Außerbereich verordnet. Auf Nachfrage der Beklagten hat sie hierzu ausgeführt, der Kläger sei sehr mobil und aktiv, spiele beispielsweise Rollstuhlbasketball. Die Aufrechterhaltung der persönlichen Fitness solle durch das Handbike unterstützt werden, indem z.B. Fahrradausflüge mit der Tochter ermöglicht würden. Bestätigt wird dies durch die im gerichtlichen Verfahren beigezogene Stellungnahme des behandelnden Facharztes (Dr. W ..., Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Chirotherapie, Sportarzt), der darauf verweist, dass ein Handbike bzgl. Selbständigkeit und eigenständigen Trainings (Kraft, Kondition) zu befürworten sei und die Mobilität fördere. Auch der Kläger selbst hat im Rahmen seines Widerspruchs auf diese Trainingseffekte verwiesen. Ein spezifischer Bezug zu einer ärztlich verantworteten Krankenbehandlung aufgrund eines konkreten ärztlichen Therapieplans liegt demnach nicht vor. Vielmehr soll das Handbike allgemeinen Trainingszwecken dienen, indem es den Muskelaufbau, den Stoffwechsel und die kardiopulmonale Belastbarkeit verbessert, so dass mit der Hilfsmittelnutzung – wie auch mit den bereits vorhandenen Hilfsmitteln (insbesondere: Motomed-Bewegungstrainer) – lediglich allgemeine gesundheitsfördernde Zwecke verfolgt werden.

bb) Krankenversicherungsrechtlich kommt damit nur ein Anspruch auf Hilfsmittelversorgung als Leistung zum Zweck des Behinderungsausgleichs (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Var. 3 SGB V) in Betracht. Hierbei ist zwischen unmittelbarem und mittelbarem Behinderungsausgleich zu unterscheiden (st. Rspr. – siehe z.B. BSG, Urteil vom 18.06.2014 – B 3 KR 8/13 R – juris Rn. 16). Bei dem begehrten Handbike handelt es sich um ein Hilfsmittel, das dem mittelbaren Behinderungsausgleich dient, weil es die ausgefallene Körperfunktion nicht ersetzt, ergänzt oder wiederherstellt, sondern zum Ausgleich der direkten und indirekten Behinderungsfolgen eingesetzt wird (vgl. BSG, Urteil vom 18.05.2011 – B 3 KR 12/10 R – juris Rn. 14 und Urteil vom 30.11.2017 – B 3 KR 3/16 R – juris Rn. 18). Ein solches Hilfsmittel ist nur dann vom Leistungsanspruch des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V erfasst, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mindert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (st. Rspr. – siehe z.B. BSG, Urteil vom 30.09.2015 – B 3 KR 14/14 R – juris Rn. 18 m.w.N.). Die Erhaltung der Mobilität stellt zwar ein solches allgemeines Grundbedürfnis dar. Sie wird im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs allerdings nur im Sinne eines Basisausgleichs gewährleistet und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Mobilitätsmöglichkeiten eines Gesunden verstanden (BSG, Urteil vom 06.08.1998 – B 3 KR 3/97 R – juris Rn. 17 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund umfasst das Grundbedürfnis auf Erschließung eines körperlichen Freiraums die Bewegungsmöglichkeit in der eigenen Wohnung und im umliegenden Nahbereich. Anknüpfungspunkt für die Reichweite des Nahbereichs der Wohnung ist der Bewegungsradius, den ein Nichtbehinderter üblicherweise zu Fuß zurücklegt. Dies entspricht dem Umkreis, der mit einem vom behinderten Menschen selbst betriebenen Aktivrollstuhl erreicht werden kann, wobei für die Bestimmung des Nahbereichs ein abstrakter, von den Besonderheiten des jeweiligen Wohnortes unabhängiger Maßstab zugrunde zu legen ist. (BSG, Urteil vom 18.05.2011 – B 3 KR 12/10 R – juris Rn. 15 f.). Nicht erfasst von diesem Basisausgleich ist die Fähigkeit, weitere Wegstrecken – vergleichbar einem Radfahrer, Jogger oder Wanderer – zu bewältigen (BSG, Urteil vom 18.05.2011 – B 3 KR 12/10 R – juris Rn. 17 und Urteil vom 16.09.1999 – B 3 KR 8/98 R – juris Rn. 17 ff.).

Dies zugrunde legend gilt: Auch ein Handbike kann sich als geeignetes Hilfsmittel zur Erschließung des sozialen Nahbereichs darstellen, wenn Wegstrecken in diesem Bereich nur unter Schmerzen oder nur unter Inanspruchnahme fremder Hilfe bewältigt werden können (BSG, Urteil vom 18.05.2011 – B 3 KR 7/10 R – juris Rn. 41). Allerdings darf die Versorgung das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 12 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 SGB V). Das Grundbedürfnis der Erschließung des Nahbereichs ist nicht nur im Hinblick auf die erreichbare Entfernung, sondern auch bezüglich der zu ihrer Bewältigung benötigten Zeitspanne an der von Menschen ohne Behinderung üblicherweise zu Fuß erreichten Gehgeschwindigkeit orientiert. Die übliche Gehgeschwindigkeit schwankt je nach Alter, Geschlecht und Faktoren wie dem Gehen allein oder als Gruppe zwischen etwa 4 km/h und 6 km/h. Unabhängig von der medizinischen Indikation und den Umständen des Einzelfalls ist kein Grundbedürfnis erkennbar, zu dessen Befriedigung es erforderlich sein könnte, sich den Nahbereich mit einer Geschwindigkeit zu erschließen, die höher ist als die übliche Schrittgeschwindigkeit nichtbehinderter Menschen (BSG, Urteil vom 30.11.2017 – B 3 KR 3/16 R – juris Rn. 28). Das von der behandelnden Ärztin verordnete Handbike "dynagil AP" (= acitive performance) unterstützt Geschwindigkeiten bis zu 25 km/h. Es zeichnet sich dadurch aus, dass dem behinderten Menschen ermöglicht wird, "seine Ziele etwas höher zu setzen", indem "größtmöglicher Fahrspaß" auf "langen Strecken" ermöglicht wird. Genau zu diesem Zweck (Fahrradtouren mit Familie/Freunden) hat die behandelnde Ärztin das Hilfsmittel verordnet. Damit übersteigt das verordnete Hilfsmittel das Maß des Notwendigen. Das Hilfsmittel dient nicht der Erschließung des Nahbereichs, sondern es soll – als Fahrradersatz – eine über den Nahbereich hinausgehende Mobilität ermöglichen. Derartige Hilfsmittel sind indes nicht vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst. Zutreffend verweist die Beklagte darauf, dass – soweit ein Aktivrollstuhl nicht mehr genutzt werden kann – zur Erschließung des Nahbereichs andere Hilfsmittel, nämlich solche, die eine Fortbewegung in Schrittgeschwindigkeit ermöglichen, ausreichen. Welche Hilfsmittel für den Kläger insoweit in Betracht kommen (z.B. Restkraftverstärker, Elektrorollstuhl) wäre, worauf die Beklagte ebenfalls zutreffend hinweist, im Rahmen einer Um- bzw. Neuversorgung zu prüfen. Im vorliegenden gerichtlichen Verfahren ist eine solche Versorgung indes nicht streitgegenständlich, da sich der im September 2015 gestellte Antrag ausdrücklich auf eine Versorgung mit dem Handbike "dynagil AP" – also einem Handbike als Fahrradersatz – bezieht.

b) Zu Unrecht sind Beklagte und das SG jedoch davon ausgegangen, dass ein Versorgungsanspruch als Leistung zur sozialen Teilhabe (§ 5 Nr. 5 SGB IX) ausscheidet. Wie bereits dargelegt, ist der geltend gemachte Anspruch im Hinblick auf die Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX auch auf dieser Rechtsgrundlage von der Beklagten zu prüfen, auch wenn die Erbringung derartiger Leistungen grundsätzlich dem Träger der Eingliederungshilfe – und damit der Beigeladenen – obliegt (§ 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX). Leistungen zur sozialen Teilhabe werden insbesondere als besondere Leistungen zur selbstbestimmten Lebensführung für Menschen mit Behinderungen – Eingliederungshilfe – erbracht. Somit ist – da die aktuelle Sach- und Rechtslage maßgeblich ist – das klägerische Begehren auch anhand der §§ 90 ff. SGB IX (vgl. §§ 53 ff. SGB XII in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung) zu prüfen.

Leistungen der Eingliederungshilfe – zu denen gemäß § 102 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX die Leistungen zur sozialen Teilhabe gehören – erhalten gemäß § 99 SGB IX Personen nach § 53 Abs. 1 und 2 SGB XII in der am 31.12.2019 geltenden Fassung. Dies sind (u.a.) Personen, die durch eine Behinderung wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind, wenn und soweit nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann (§ 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII a.F.). Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger, der aufgrund seiner Querschnittslähmung als schwerbehinderter Mensch wesentlich an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft gehindert ist. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern (§ 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII a.F.).

Bereits zur alten Rechtslage (§§ 53 ff. SGB XII a.F.) hat das BSG entschieden, dass die Frage, in welchem Maß und durch welche Aktivitäten ein behinderter Mensch am Leben in der Gemeinschaft teilnimmt, abhängig ist von seinen individuellen Bedürfnissen unter Berücksichtigung seiner Wünsche. Es gelte ein individueller und personenzentrierter Maßstab, der regelmäßig einer pauschalierenden Betrachtung des Hilfefalls entgegenstehe (BSG, Urteil vom 12.12.2013 – B 8 SO 18/12 R – juris Rn. 15). Ziel der Eingliederungshilfe sei es, dem behinderten Menschen die in seiner Altersgruppe üblichen gesellschaftlichen Kontakte mit Menschen zu ermöglichen. Zu erfüllen seien hierbei nachvollziehbare soziale Teilhabebedürfnisse, die nicht über die Bedürfnisse eines nicht behinderten, nicht sozialhilfebedürftigen Erwachsenen hinausgingen. Etwas anderes gelte nur dann, wenn es sich um Wünsche handele, deren Verwirklichung in der Vergleichsgruppe der nicht behinderten, nicht sozialhilfebedürftigen Erwachsenen in der gleichen Altersgruppe als unangemessen gälten (etwa wegen der damit regelmäßig verbundenen Kosten) und die damit der Teilhabe nicht dienen könnten; insoweit bestimmten nicht die Vorstellungen der Behörde oder des Gerichts die Reichweite und Häufigkeit der Teilhabe des behinderten Menschen (BSG, Urteil vom 08.03.2017 – B 8 SO 2/16 R – juris Rn. 22 f.). Hieran anknüpfend ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit dem seit 01.01.2018 geltenden BTHG den Behinderungsbegriff in § 2 SGB IX entsprechend dem Verständnis der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) neu gefasst und dabei dem Wechselwirkungsansatz noch mehr Gewicht beigemessen hat als nach dem bis dahin geltenden Recht. Im Vordergrund steht das Ziel der Teilhabe (Partizipation) an den verschiedenen Lebensbereichen sowie die Stärkung der Möglichkeiten einer individuellen und den persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -gestaltung unter Berücksichtigung des Sozialraums (BSG, Urteil vom 08.08.2019 – B 3 KR 21/18 R – juris Rn. 29 m.w.N. zu den Gesetzesmaterialien). Hierbei ist das Wunsch- und Wahlrecht in § 8 SGB IX gesetzlich ausgestaltet.

Dies zugrunde legend hat der Kläger Anspruch auf Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel als Leistung der sozialen Teilhabe (§ 102 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Das Radfahren – allein oder in der Gruppe – stellt auch unter den nicht behinderten Menschen eine gängige Freizeitbeschäftigung in allen Altersgruppen und in allen gesellschaftlichen Schichten dar. Es ist zum einen Freizeitvergnügen, trägt aber auch zur allgemeinen körperlichen Fitness bei und ist daher auch bei nicht behinderten Menschen unter gesundheitlichen Aspekten zu begrüßen. Erst recht gilt dies für vorerkrankte oder behinderte Menschen, bei denen diesem Aspekt im Hinblick auf die Aufrechterhaltung eines (Rest-)Leistungsvemögens besondere Bedeutung zukommt. Der Wunsch des behinderten Menschen, sich schneller als mit Schrittgeschwindigkeit fortzubewegen, und sich allein oder in der Gruppe über den sozialen Nahbereich hinaus eine weiterreichende Mobilität zu verschaffen, stellt ein ebenso nachvollziehbares wie angemessenes Teilhabebedürfnis dar. Dass diese Erwägungen auch und gerade auf die Person des Klägers zutreffen, zeigt die von der Beigeladenen im gerichtlichen Verfahren beigebrachte sozialpädagogische Stellungnahme vom 11.10.2019. Diese bestätigt ausdrücklich den Wunsch und den Willen des Klägers, das Handbike mehrmals wöchentlich zu nutzen, um auf diese Weise nicht nur die Wege des täglichen Lebens (z.B. Arztbesuche, Physiotherapie, Einkäufe) ohne die Nutzung eines Kfz oder öffentlicher Verkehrsmittel, bei denen er auf eine Begleitperson angewiesen ist, zu bewältigen, sondern auch um seine Freizeit (Treffen mit Freunden, Kneipen-/Kinobesuche, Ausflüge) flexibler zu gestalten. Dem liegt das nachvollziehbare und altersentsprechende Bedürfnis des Klägers als sportlich aktivem Menschen zugrunde, sich aktiv an der frischen Luft mit dem Handbike fortzubewegen und hierbei unabhängig von fremder Hilfe zu sein. Wenn der Kläger regelmäßig ein Handbike nutzt, verbessert und erweitert sich bei ihm die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.

Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe ist ein Beitrag nach Maßgabe des Neunten Kapitels des Zweiten Teils des SGB IX aufzubringen (§ 92 SGB IX). Der Kläger verfügt jedoch – wie auch die Beigeladene einräumt – nicht über einzusetzendes Einkommen (§§ 135 bis 138 SGB IX) oder Vermögen (§§ 139, 140 SGB IX), so dass eine auch nur anteilige Beteiligung an den Kosten nicht in Betracht kommt.

Auf die Berufung des Klägers war daher die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und der Klage stattzugeben. Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte als erstangegangenen Leistungsträger ist hierbei vorrangig – entsprechend der ärztlichen Verordnung aus dem Jahr 2015 – auf die Versorgung mit dem Handbike der Marke "dynagil AP" gerichtet. Für den Fall, dass ein Handbike dieser Marke aufgrund des zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablaufs nicht mehr verfügbar sein sollte (etwa weil das Modell nicht mehr produziert wird), richtet sich Anspruch – wie im Tenor klargestellt – auf die Versorgung mit einem gleichwertigen Modell.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

4. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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