L 16 KR 111/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KR 104/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 111/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30. Juni 1998 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Kostenübernahme für eine Krankheitsbehandlung im Ausland. Die Klägerin zu 1), die gemeinsam mit ihrem Sohn - dem Kläger zu 2) -, bei der Beklagten gegen Krankheit versichert ist, beantragte bei letzterer im Oktober 1995 die Übernahme von Kosten für eine Untersuchung und Behandlung bei Prof. Dr. R. im Environmental Health Center Dallas (USA). Sie machte geltend, dass bei ihr und dem Kläger zu 2) Krankheiten aufgetreten seien, die in Zusammenhang mit Holzschutzmitteln stünden, die bei dem Bau des von ihnen seit 1988 bewohnten und von der Firma ... hergestellten Hauses verwendet worden seien. Sie legte hierzu eine Bescheinigung des Dr. M. Leitender Arzt der Wasserschloßklinik Neuharlingersiel vom 08.11.1995 vor, nach der bei den Klägern diverse Diagnosen erhoben worden waren, für die weitere Abklärung ein Schadstoffe-Expositionstest (doppelt blind) für empfehlenswert erachtet und die Einrichtung von Prof. Dr. R. als geeignet angesehen wurde. Die Beklagte zog verschiedene ärztliche Unterlagen bei, u.a. einen Arztbrief von Prof. Dr. A., Chefarzt der Neurologischen Abteilung des Krankenhauses Spandau, der unter dem 28.04.1995 Hinweise für das Vorliegen einer manifesten neurotoxischen Erkrankung der Klägerin zu 1) verneint hatte. Letztere legte u.a. Berichte über Schadstoffmessungen vor. Die Beklagte veranlaßte Begutachtungen durch Ärzte der Universitätsklinik der RWTH Aachen. Die Internisten Privatdozent (PD) Dr. B. nd Dr. P. kamen unter dem 15.10.1996 zu dem Ergebnis, der bei der Klägerin zu 1) bestehende Diabetes mellitus sei in erster Linie auf das erhebliche Übergewicht zurückzuführen und nicht mit Wahrscheinlichkeit auf eine toxische Genese. Prof. Dr. S., Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, meinte nach Auswertung eines testpsychologischen Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin H. unter dem 18.11.1996 die Klägerin zu 1) leide an seiner Somatisierungsstörung und es könne ferner auf eine Angst/Panik-Störung für den Zeitraum 1989 bis 1992 geschlossen werden. Auf dem Boden dieser Störungsbilder sei eine Persönlichkeitsfehlentwicklung eingetreten, die zum Teil zu erheblichem sekundärem Krankheitsgewinn geführt habe. Der Leiter der Neurologischen Klinik, Prof. Dr. N., legte unter dem 16.01.1997 dar, es fehlten derzeit ausreichende Hinweise für das Vorliegen einer Polyneuropathie. Wahrscheinlich sei dagegen, daß die Klägerin zu 1) an einer Somatisierungsstörung leide.

In seinem zusammenfassenden Gutachten vom 06.05.1997 hat PD Dr. S.-R. vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin ausgeführt, die von Prof. Dr. R. empfohlene Therapie gegen MCS (multiple-chemical-sensivity-syndrom) basiere auf den Vorstellungen der klinischen Ökologie und wende als Maßnahmen eine Kombination aus Immuntherapie - auch Provokations-Neutralisations-Therapie genannt -, einer Diät, einem chemischen Entgiftungsprogramm - Trockener Hitze (Sauna), Gymnastik, Massage, Substitution von Vitaminen und Mineralien, Verabreichung xenobiotika-bindender Substanzen, Überwachung der Blut- und/oder Fettkonzentration, direkte ärztliche Überwachung - sowie einer Vermeidungstherapie - Anhalten der Patienten zur Expositionsverminderung gegenüber Schadstoffen - an. Nach einem Bericht des wissenschaftlichens Rats der American Medical Association aus dem Jahre 1992 sei festgestellt worden, dass eine wirksame Behandlung von MCS in kontrollierten klinischen Studien bisher nicht validiert (belegt) sei. Des Weiteren gäbe es bei den Klägern keine ausreichenden Hinweise auf eine Schadstoffbelastung oder eine Gesundheitsstörung, die mit ausreichender Wahrscheinlichkeit auf eine solche Schadstoffbelastung zurückzuführen sei. Die Diagnose MCS sei definitionsgemäß nur dann in Betracht zu ziehen, wenn die Erkrankung nicht durch bekannte medizinische oder psychiatrisch/psychologische Störungen zu erklären sei. Die bei der Klägerin zu 1) erhobenen Diagnosen - Diabetes mellitus Typ II b, Adipositas, coronare Herzkrankheit, Furunkulose der Haut, Leberparenchymschaden, Neutrophilie, Erythrozyturie, Migräne, rezidivierender Spannungskopfschmerz, atypischer Gesichtsschmerz, Hörsturz rechts, Somatisierungs- und Panikstörung, Persönlichkeitsfehlentwicklung - seien im wesentlichen hinsichtlich ihrer Entstehung durch die Diagnosen abgeklärt. Etwas anderes könne lediglich hinsichtlich der im wesentlichen subjektiv empfundenen Beschwerden (verändertes Temperaturempfinden, Mattigkeit, Gedächtnis-Konzentrations- und Sprachstörungen) gelten. Diese Krankheiten existierten jedoch häufig in der Normalbevölkerung, ohne dass ihnen ein relevanter Krankheitswert beigemessen werden könne. Nicht hinreichend gesichert seien die Diagnosen bei dem Kläger zu 2). Die Kläger traten den Gutachten entgegen und warfen PD Dr. S.-R. mangelnde Kompetenz sowie eine Instituts-Zusammenarbeit mit Prof. Dr. E., der für die chemische Industrie tätig sei, vor. Auch sei die Diagnose einer Somatisierungsstörung unzutreffend erhoben worden. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 09.06.1997 wies PD Dr. S.-R. die Vorwürfe zurück.

Mit Bescheiden vom 14.07.1997 lehnte die Beklagte die beantragte Kostenübernahme ab. Die Kläger legten am 21.07.1997 Widerspruch ein, mit dem sie sich gegen die Art der Begutachtung und Erhebung der Diagnosen wandten. Mit Widerspruchsbescheiden vom 18.08.1997 wies die Beklagte die Widersprüche als unbegründet zurück. Die Kläger haben am 21.08.1997 Klage vor dem Sozialgericht - SG - Köln erhoben und geltend gemacht, der Hauptgutachter PD Dr. S.-R. habe nicht ausschließen können, dass sie durch die in ihrem Haus vorliegenden chemischen Noxen gesundheitlich beeinträchtigt worden seien. Die Therapie bei Prof. Dr. R. sei von zwei Schulmedizinern empfohlen worden, weil dort Patienten erfolgreich behandelt worden seien. Ihnen - den Klägern - stehe auch ein Recht auf Selbstbestimmung ihrer ärztlichen Behandlung zu. Im übrigen seien die Gutachter nicht in der Lage gewesen, ihnen für die empfohlene psychotherapeutische Behandlung geeignete medizinische Einrichtungen zu benennen. Mit Urteil vom 30.06.1998 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen. Gegen das ihnen am 06.08.1998 zugestellte Urteil haben die Kläger am 17.08.1998 Berufung eingelegt. Sie machen geltend, die Beklagte habe durch ihre Vorgaben an PD Dr. S.-R. der Klägerin zu 1) eine Vergiftungsvorstellung unterstellt, weswegen sämtliche Gutachten nicht verwertet werden dürften.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 14.07.1997 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18.08.1997 zu verurteilen, die ihnen durch eine Behandlung bei Prof. Dr. R. im Environmental Health Center in Dallas, USA, entstehenden Kosten zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, dass die Gutachten ohne Vorgaben ihrerseits unabhängig erstellt worden seien. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat in Abwesenheit der Beteiligten verhandeln und entscheiden können, da diese auf die entsprechende Möglichkeit, deren Zulässigkeit aus den Bestimmungen der §§ 110 Abs. 1, 126, 127 Sozialgerichtsgesetz - SGG - folgt, mit der Ladung hingewiesen worden sind. Das persönliche Erscheinen der Klägerin zu 1) war auch nicht zwecks weiterer Sachverhaltsaufklärung angeordnet worden, sondern lediglich um ihr eine kostenlose Terminsteilnahme zu ermöglichen. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil die angefochtenen Bescheide der Beklagten rechtmäßig sind, denn die Kläger haben keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Behandlung im Ausland. Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V - kann die Krankenkasse, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich ist, die Kosten der erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen. § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V enthält damit zwei Voraussetzungen, die kumulativ erfüllt sein müssen. Zum einen muß die im Ausland angebotene Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse genügen, und zum anderen darf im Inland keine diesem Standard entsprechende Behandlung der beim Versicherten bestehenden Erkrankung möglich sein. Dabei reicht es nicht aus, wenn die vom Versicherten gewünschte Therapie nur im Ausland durchgeführt werden kann, sondern die in § 18 SGB V bestimmte Notwendigkeit, mittels der Auslands-Behandlungen eine unzureichende medizinische Versorgung im Inland auszugleichen, besteht nur, wenn eine im Geltungsbereich des SGB V nicht behandelbare Krankheit ausschließlich im Ausland mit der erforderlichen Erfolgsaussicht therapiert werden kann, und nicht schon dann, wenn im Ausland lediglich andere medizinische Maßnahmen angeboten werden, ohne dass diese im Ergebnis eine entscheidende Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten für die beim Versicherten aufgetretene Erkrankung bedeuten (Bundessozialgericht - BSG -, Urteile vom 16.06.1999 - B 1 KR 4/98 R und B 1 KR 3/98 R - vorgesehen zur Veröffentlichung in Entscheidungssammlung des BSG - BSGE - und Sozialrecht - SozR - Kurzwiedergabe in: Die Krankenversicherung - KrV - 1999, 278). § 18 SGB V stellt insoweit eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift dar, so dass nur ausnahmsweise Kosten einer ausländischen Behandlung erstattungsfähig sind, wenn andernfalls der Versicherte aufgrund etwaiger Versorgungsdefizite in Deutschland nicht die Behandlung erhalten kann, die dem aktuellen medizinischen Standard hochentwickelter Industriestaaten entspricht (BSG wie vor). Daraus folgt, dass die Notwendigkeit der Auslandsbehandlung zu verneinen ist, wenn die gewünschte Therapie zwar nur im Ausland angeboten, im Inland aber eine andere, gleich oder ähnlich wirksame Behandlungsalternative zur Verfügung steht (BSG wie vor). Letzteres ist bei den Klägern der Fall. Insbesondere die bei der Klägerin zu 1) bestehenden Krankheitsbilder und Symptomenkomplexe sind herkömmlichen Behandlungsmöglichkeiten, wie sie nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft in Deutschland angeboten werden, zugänglich. Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus den schlüssigen Darlegungen der von der Beklagten gehörten Gutachter, deren Gutachten der Senat urkundsbeweislich verwerten konnte. Bei diesen handelt es sich nicht um Parteigutachten (BSG SozR Nr. 66 zu § 128 SGG; Krasney/Udsching, Handbuch des Sozialgerichtlichen Verfahrens, Zweite Auflage, III Rn. 49, 50). Auch hat die Beklagte insoweit den allein ihrem Sachverstand unterworfenen Gutachtern keine unzulässigen Vorgaben gemacht, die ein Verwertungshindernis begründen könnten. Demzufolge sind aber, wie insbesondere PD Dr. S.-R. aufgezeigt hat, bei beiden Klägern keine hinreichenden Hinweise auf eine Schadstoffbelastung oder darauf zurückzuführende Gesundheitsstörungen vorhanden, die ausschließlich mit dem von Prof. Dr. R. angebotenen Diagnose- und Behandlungskonzept erfolgreich behandelt werden könnten. Insbesondere die Feststellung einer MCS - wobei dahinstehen kann, ob es sich insoweit überhaupt um eine Krankheit im Sinne des SGB V handelt - lässt sich nicht treffen, weil die bei den Klägern aufgetretenen Symptome untypisch für ein entsprechendes Krankheitsbild sind und, jedenfalls was die Klägerin zu 1) betrifft, auch ohne weiteres den herkömmlichen Krankheitsbildern zugeordnet werden können. Unabhängig davon ist auch die zweite Voraussetzung des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht erfüllt, weil die Methode von Prof. Dr. R. nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse genügt. Insoweit sind an die wissenschaftliche Akzeptanz der angewandten Behandlungsmethode keine geringeren, aber auch keine höheren Anforderungen zu stellen als bei einer Behandlung im Inland (BSG wie vor). Eine Behandlungsmethode entspricht diesem Stand, wenn sie von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) befürwortet wird und über die Zweckmäßigkeit - abgesehen von einzelnen unbedeutenden Gegenstimmen - Konsens in der Ärzteschaft besteht. Dies setzt in der Regel voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können (BSG wie vor). Es muß eine hinreichende, durch wissenschaftlich einwandfrei geführte Statistiken belegte Zahl erfolgreicher Behandlungsfälle nachgewiesen sein (BSG SozR 3 - 2500 § 27 Nr. 5). An letzterem fehlt es vorliegend aber gerade. Wie PD Dr. S.-R. dargelegt hat, liegen keine kontrollierten Studien über das von Prof. Dr. R. praktizierte Verfahren und seine Wirksamkeit vor. Dieses auf den Vorstellungen der klinischen Ökologie beruhende Verfahren ist auch nach den Arbeitsergebnissen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weder in klinischen Studien validiert noch liegen sonst hinreichende Erkenntnisse über die Wirksamkeit der entsprechenden Behandlungsmethode vor.

Die Berufung mußte daher mit der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückgewiesen werden.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision. (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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