L 6 V 7/03

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 13 V 12/00
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 V 7/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.) § 1 Abs. 3 S. 3 BVG und die entsprechenden Regelungen in den Parallelgesetzen betreffen nur den Fall, dass die Rechtswidrigkeit (und damit die grundsätzliche Rücknehmbarkeit) des Verwaltungsaktes auf einer unzutreffenden Beurteilung der Wahrscheinlichkeit beruht. 2.) Beruht die Rechtswidrigkeit einer Bewilligungsentscheidung hingegen darauf, dass keine Schädigung vorgelegen hat oder dass die als Schädigungsfolge anerkannte Gesundheitsstörung überhaupt nicht besteht, so gelten hinsichtlich der Rücknehmbarkeit die allgemeinen Regeln. 3.) Auf Vertrauen kann sich grundsätzlich auch derjenige berufen, der nur sehr unspezifische - objektiv für eine Bewilligungsentscheidung keineswegs ausreichende - Angaben in tatsächlicher Hinsicht gemacht hat, wenn die Bewilligungsentscheidung ihm gegenüber mehrfach bestätigt worden ist.
I. Auf die Klage wird der Bescheid des Beklagten vom 02.06.2003 aufgehoben. II. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 26.11.2002 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid vom 02.09.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2000 wird abgewiesen. III. Außergerichtliche Kosten des Verfahrens 1. Instanz sind nicht zu erstatten. Die außergerichtlichen Kosten der Berufung hat der Beklagte zur Hälfte zu erstatten. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, inwiefern der Beklagte zu Recht mit Bescheid festgestellt hat, dass mit Wirkung ab Oktober 1999 die dem Kläger bewilligte Grundrente nach dem BVG auf den laufenden Zahlbetrag zu begrenzen ist.

Der am ...1930 geborene Kläger beantragte am 06.06.1952 beim Rat des Landkreises P ... die Ausstellung eines Schwerbeschädigtenausweises. Als Beschädigung wurde geltend gemacht die Gebrauchsunfähigkeit des linken Armes infolge Osteomyelitis. In dem entsprechenden Fragebogen ist bei der Frage, ob das Leiden die Folge einer anerkannten Berufskrankheit oder eines Berufsunfalles ist, "ja" unterstrichen, auf die Frage, ob das Leiden die Folge eines Verkehrs- oder Sportunfalles ist, "ja" durchgestrichen, auf die Frage, ob das Leiden Folge einer Kriegsbeschädigung ist, "ja" unterstrichen, auf die Frage, ob das Leiden angeboren oder die Folge einer Krankheit oder sonstigen Ursache ist, "nein" durchgestrichen, außerdem wurden die Worte "die Folge einer Krankheit oder sonstigen Ursache" durchgestrichen, auf die Frage, ob der Körperschaden bei Begehen einer strafbaren Handlung erlitten wurde, "ja" durchgestrichen. Anerkannt wurden daraufhin nach ärztlicher Untersuchung 1. Zustand nach Osteomyelitits des linken Ober- und Unterarmes mit Teilversteifung des Ellenbogengelenks, 2. hochgradige Kurzsichtigkeit, durch Glas nicht ausgleichbar, 3. Schlafstörung infolge operativen Gaumenschlusses bei Wolfsrachen. Bereits am 28.06.1948 war vom Kreisgesundheitsamt P ... eine "Bescheinigung über Versehrtenleiden" ausgestellt worden wegen einer Gebrauchsunfähigkeit des linken Armes durch Osteomyelitis. Es wurde eine Versehrtenstufe 2 zuerkannt sowie eine Erwerbsminderung von 50 %.

Am 04.06.1992 beantragte der Kläger Beschädigtenversorgung nach dem BVG. Als Körperschäden, für die Versorgung beantragt wird, ist im Fragebogen eingetragen: "Verletzung li. Arm". Auf die Frage, auf welches schädigende Ereignis die Körperschäden zurückgeführt werden, ist eingetragen "durch Unfall 1944 bis 1945 auf der Flucht vom Bomben, gestürzt und den Arm verletzt. Keine Zeugen vorhanden". Bei der Antragsabgabe war eine mündliche Verständigung - laut einem Aktenvermerk des Beklagten - kaum möglich.

Der Beklagte beauftragte daraufhin Frau DM S1 ... mit der Erstellung eines ärztlichen Gutachtens. Bei der Untersuchung am 10.08.1992 war eine Familienanamnese und Eigenanamnese nicht erhebbar. In dem Gutachten wird darauf hingewiesen, dass der Patient nicht im Krieg gewesen sei und während des Krieges auch in keinem Krankenhaus behandelt worden sei. Es wurden Narben im linken Oberarm und oberhalb des linken Handgelenks festgestellt, die linke Hand sei gelähmt. Darüber hinaus sei auch die Beweglichkeit der rechten Hand eingeschränkt, die Oberarmmuskulatur links sei atrophiert, die Bewegung im Schulter- und Ellenbogengelenk links sei eingeschränkt.

Die Schwester des Klägers, Frau M ... H ... in D ..., wurde daraufhin gebeten, Angaben zur Verletzung des Klägers zu machen. Sie antwortete schriftlich, dass sie leider hierzu keine konkreten Angaben machen könnte, da sie noch zu jung gewesen sei. Vom Erzählen sei ihr bekannt, dass der Kläger zur damaligen Zeit im Krankhaus gewesen sei. Es seien Probleme mit dem Blutbild aufgetreten, aber inwieweit dies mit der Verletzung zusammenhänge, sei ihr nicht bekannt. Der Bruder des Klägers, Herr E ... L ..., gab auch schriftlich zu Protokoll, dass er keine Auskunft geben könne. Er könne sich nach 50 Jahren nicht mehr erinnern, was während des Krieges passiert sei. Mit Verfügung vom 01.04.1993 stellte der Versorgungsarzt fest, dass das schädigende Ereignis nicht belegt sei, die Unterlagen von 1948 ließen aber die Behinderung als Schädigungsfolge wahrscheinlich erscheinen. Falls die Verwaltung das schädigende Ereignis als wahrscheinlich ansehe, sei die Schädigungsfolge wie folgt zu bezeichnen:

"Teilversteifung des linken Ellenbogens- und Handgelenks, Narben und Muskelminderung des linken Armes nach posttraumatischer Knocheneiterung".

Mit Bescheid vom 07.04.1993 anerkannte der Beklagte daraufhin die genannten Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen im Sinne des BVG und bewilligte Grundrente nach einer MdE von 50 % rückwirkend ab dem 01.01.1991.

Der Beklagte wandte sich dann erst wieder mit Schreiben vom 19.12.1996 an den Kläger, da von Amts wegen geprüft werden sollte, ob eine besondere berufliche Betroffenheit vorliege oder Berufsschadensausgleich zu gewähren sei.

Mit Schreiben vom 20.07.1998 wandte sich der Beklagte noch einmal an den Kläger und teilte ihm mit, bei der Überprüfung seiner Kriegsbeschädigtenrente sei festgestellt worden, dass noch immer keine genauen Angaben und Beweise zur Ursache der Verletzung am linken Arm und keine Hinweise über den beruflichen Werdegang vorlägen. Er werde deswegen gebeten, die dann im Einzelnen in diesem Schreiben zu den Vorgängen gestellten acht Fragen ausführlich und möglichst bald zu beantworten. Anlässlich einer Vorsprache am 24.07.1998 erklärte der Kläger, dass er nicht bereit sei, diese Fragen zu beantworten. Am 04.08.1998 sprach der Kläger dann noch einmal vor und gab an, im Lazarett behandelt worden zu sein, daran könne er sich jedoch nicht mehr erinnern. Die Verletzung sei 1945 im Sommer im Garten passiert. Es sei etwas von oben herunter gekommen und es seien auch Splitter gekommen. Er habe bei seinem Antrag auf Ausstellung eines Schwerbeschädigtenausweises als Ursache "angeboren" angegeben, weil er damals gemeint habe, dass man das so hinnehmen müsse. Eine Anfrage an Dr. B1 ... vom Ärztlichen Dienst, ob sich anhand der Narben noch feststellen lasse, um was für eine Art der Verletzung es sich gehandelt habe, verneinte Dr. B1 ... dies: Die Art der Verletzung sei nicht mehr feststellbar. Von der Beklagten daraufhin eingeleitete umfangreiche schriftliche Zeugenbefragungen erbrachten keine Bestätigungen für eine kriegsbedingte Verletzung des linken Armes des Klägers.

Der Kläger wurde daraufhin mit Schreiben vom 11.02.1999 zu einer beabsichtigten Rücknahme des Bescheides vom 07.04.1993 mit Wirkung für die Vergangenheit angehört. Der Kläger reagierte in der Weise, dass er sich bereit erklärte zu einer Spezialuntersuchung, damit sich der Beklagte von der bestehenden Kriegsverletzung überzeugen könne. Eine daraufhin veranlasste nochmalige Befragung der Schwester des Klägers, Frau M ... H ..., erbrachte, dass der Bombenabwurf im Garten nach ihrer Erinnerung nicht zu Personenschäden geführt habe. Der Bruder des Klägers, Herr E ... L ..., gab an, eine Lazarettbehandlung, weil "etwas von oben runter gekommen sei" sei nicht erfolgt.

Daraufhin wurde noch einmal der Kläger angehört, und zwar diesmal zur beabsichtigten Zahlbetragsbegrenzung der Leistung nach § 48 Abs. 3 SGB X. Mit Schreiben vom 27.08.1999 wies dann der Kläger noch einmal darauf hin, dass die Unrichtigkeit der Behauptung, es handele sich bei der Teilversteifung des linken Armes um eine Kriegsverletzung, immer noch nicht bewiesen sei.

Mit Bescheid vom 02.09.1999 begrenzte daraufhin der Beklagte die zukünftigen Leistungen gemäß § 48 Abs. 3 SGB X auf den gegenwärtigen Zahlbetrag von 387,- DM monatlich. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom 15.03.2000 als unbegründet zurückgewiesen.

Auf die dagegen erhobene Klage zum Sozialgericht Dresden hat dieses Beweis erhoben durch ein unfallchirurgisches Gutachten, in welchem Privat-Dozent Dr.med. P1 ... zu folgenden Ergebnissen kommt: - Im Bereich des rechten Handgelenks liegt eine erhebliche Schädigung vor, die entweder als angeboren oder als im frühen Kindesalter erworben anzusehen ist. - Im März 1944 hat sich der Kläger offenbar schwere Knochenverletzungen im Bereich des linken Ellenbogengelenks zugezogen. Dafür spricht insbesondere die Angabe über eine längerfristige Gipsruhigstellung. - Die ausgedehnten Narbenbildungen am linken Oberarm und die damit verbundene starke Atrophie des Oberarmes sprechen am ehesten für eine stattgehabte Splitterverletzung, wiederum unter Berücksichtigung der Angaben über eine langfristige Wundheilungsstörung und häufige Verbandwechsel. - Die Bewegungseinschränkung des 3. Fingers links und damit verbunden auch der trophischen Veränderungen an der linken Hand sind eindeutig eine Folge der offenen Grundgliedfraktur des 3. Fingers aus dem Jahre 1987 und der nachfolgenden langfristigen Heilungsstörung. - Weitgehend unklar bleiben die Ursachen der Narbenbildung, der fast vollständigen Versteifung mit Deformierung des linken Handgelenkes. Hier gibt der Kläger zwar auch eine Splitterverletzung an, kann sich aber nicht näher erinnern, z. B. auch nicht daran, ob nach Beendigung der Gipsbehandlung nach dem Unfall vom März 1944 das linke Handgelenk normal beweglich war oder nicht. - Die 1948 auftauchende Bezeichnung "Osteomyelitis" am Ober- und Unterarm lässt sich nachträglich nicht mehr abklären. Die Narbenbildungen am Oberarm und auch am linken Handgelenk lassen den vorsichtigen Schluss zu, dass am Oberarm eine langfristige eitrige Wundheilungsstörung infolge einer Splitterverletzung auftrat, die als Osteomyelitis fehlgedeutet wurde, da sich keine Hinweiszeichen dafür finden, dass im Bereich der beschriebenen ausgedehnten Narbenbildung (Oberarmschaft) ein Knochenbruch stattgefunden hat. Dagegen können die Narbenbildung, die Deformierung und die fast völlige Versteifung des linken Handgelenks durchaus durch eine weitere Splitterverletzung mit (damals unbehandelter!) gelenknaher oder gelenkbeteiligter Fraktur verursacht worden sein.

Das Sozialgericht hat daraufhin mit Urteil vom 26.11.2002 den Bescheid des Beklagten vom 02.09.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2000 aufgehoben. Der Bewilligungsbescheid vom 07.04.1993 sei nicht zweifelsfrei rechtswidrig gewesen. Dies folge daraus, dass die Narbenbildungen am linken Oberarm des Klägers durchaus durch eine Geschoss- oder Splitterverletzung verursacht sein könnten. Nach Aktenlage könne ausgeschlossen werden, dass es sich bei der Behinderung tatsächlich um ein angeborenes Leiden gehandelt habe. Ein Schulkamerad des Klägers (S ... P ...) habe ausgesagt, dass ihm von einer Armbehinderung des Klägers nichts bekannt gewesen sei. Zugleich habe er sich an die übrigen Gesundheitsstörungen (Wolfsrachen und Gehbehinderung) detailliert erinnert. Die insgesamt widersprüchlichen Angaben aller Beteiligten führten dazu, dass sich die Kammer keine Überzeugung von einer zweifelsfreien Rechtswidrigkeit des Erstanerkennungsbescheides bilden könne.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit welcher vorgebracht wird, eine Osteomyelitis sei durch Bescheinigung des Stadtrates P ... vom 28.06.1948 und durch das ärztliche Gutachten vom Juni 1952 nachgewiesen. Die drei Narben seien als Incisionsstellen zu erklären. Die Knickbildung 10 cm oberhalb des Handgelenkes spreche für eine Fraktur. Da dort keine Narbe vorliege, könne es sich allerdings nicht um eine Fraktur durch Splitterverletzung handeln.

Während des Berufungsverfahrens nahm der Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid vom 02.11.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2000 zurück und ersetzte ihn durch einen Bescheid vom 02.06.2003 mit folgenden Verfügungssätzen:

- Nach § 45 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch (SGB X) werden der Bescheid des Versorgungsamtes D ... vom 07.04.1993 sowie die entsprechenden Folgebescheide mit Wirkung für die Vergangenheit und die Zukunft insoweit zurückgenommen, als darin die Teilversteifung des linken Ellenbogen- und Handgelenkes sowie die Muskelminderung des linken Armes nach posttraumatischer Knocheneiterung als Schädigungsfolgen im Sinne des § 1 Bundesversorgungsgeetz (BVG) und die Bewertung der Gesamt-MdE mit 50 v.H. gemäß § 30 Abs. 1 und 2 BVG anerkannt wurden.

- Mit Wirkung zum 01.01.1991 ergeht folgende Entscheidung:

Ihrem Antrag vom 04.06.1992 auf Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz kann nur insoweit entsprochen werden, als dass als Schädigungsfolge im Sinne des § 1 BVG anerkannt bleibt bzw. ergänzt wird - Narben am linken Oberarm mit Sensibilitätsstörungen und Schmerzzuständen.

- Durch diese Schädigungsfolge wird eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 25 v.H. nicht erreicht (§ 30 Abs. 1 und 2 BVG). Eine Rente nach dem BVG steht Ihnen daher nicht mehr zu (§ 31 Abs. 1 und 2 BVG).

- Die Zahlung der Versorgungsbezüge wird deshalb mit Ablauf des Monats, in dem Ihnen diese Rücknahmeentscheidung zugeht, eingestellt.

- Die in der Vergangenheit gezahlten Versorgungsbezüge werden nicht zurückgefordert.

Der Kläger beantragt insoweit,

den Rücknahmebescheid vom 02.06.2003 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

- die Klage gegen den Rücknahmebescheid vom 02.06.2003 abzuweisen, - das Urteil des Sozialgerichts Dresden aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 02.09.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 13.03.2000 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

- die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 26.11.2002 zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage gegen den Verwaltungsakt vom 02.06.2003 ist begründet, die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 26.11.2002 ist ebenfalls begründet.

Die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 02.06.2003 ist auch ohne Durchführung eines Vorverfahrens zulässig (vgl. BSGE 18, 94; 38, 28). Dies gilt auch, wenn es sich bei dem Verwaltungsakt, der gemäß §§ 96, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist, um eine Ermessensentscheidung handelte (vgl. Großer Senat, BSGE 75, 159, 166). Der Bescheid vom 02.06.2003 ist Gegenstand des Verfahrens geworden, da er den ursprünglich streitgegenständlichen Bescheid vom 02.09.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2000 ersetzt hat. Insoweit - also hinsichtlich des Verfügungssatzes Ziff. 1 des Bescheides vom 02.06.2003 - ist dieser schon deswegen rechtswidrig, weil der ursprünglich streitgegenständliche Bescheid vom 02.09.1999 rechtmäßig ist, dazu weiter unten. Hinsichtlich des Verfügungssatzes Ziff. 3 ist festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung von Narben am linken Oberarm mit Sensibilitätsstörungen und Schmerzzuständen nicht vorliegen. Denn auch hinsichtlich der Gesundheitsstörungen ist ein schädigendes Ereignis nicht nachgewiesen. Ziffern 5 und 6 des Bescheids vom 02.06.2003 stehen im Widerspruch zu der Entscheidung nach Ziff. 2, wonach die Rücknahme des Erstanerkennungsbescheides vom 07.04.1993 mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgte. § 50 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) schreibt zwingend vor, dass die Erstattung immer in dem Maße und Umfange zu erfolgen hat, in dem der Leistungsbescheid auch aufgehoben bzw. zurückgenommen worden ist. Anders als frühere gesetzliche Regelungen hat das SGB X die Prüfung des Vertrauensschutzes und das Ermessen bei Leistungsentziehungen nur bei der Aufhebungs-(Rücknahme-)Entscheidung angesiedelt (KassKomm - Steinwedel, § 50 SGB X Rn. 11). Nicht zulässig ist es also, wie in dem Bescheid vom 02.06.2003 geschehen, eine Leistung mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben, dann aber hinsichtlich der Rückforderung gewissermaßen aus Großzügigkeit auf die Erstattung bereits in der Vergangenheit erbrachter Leistungen zu verzichten. Wenn die Verwaltung im Ermessenswege zu dem Ergebnis kommt, dass für die Vergangenheit Vertrauensschutz besteht, muss konsequenterweise schon die Aufhebung (Rücknahme) mit Wirkung für die Vergangenheit unterbleiben.

Aber auch wenn der Bescheid vom 02.06.2003 die vollständige Rücknahme des Bescheides vom 07.04.1993 mit Wirkung für die Zukunft zum Inhalt gehabt hätte, wäre er rechtswidrig gewesen. Zwar war der Bescheid vom 07.04.1993 vollumfänglich ein ursprünglich rechtswidriger Verwaltungsakt, die speziellen Voraussetzungen für die Rücknahme nach § 45 SGB X lagen jedoch am 02.06.2003 bzw. bei der Zustellung dieses Bescheids nicht bzw. nicht mehr vor.

Die Rechtswidrigkeit des Erstanerkennungsbescheids beruht bereits darauf, dass ein schädigendes Ereignis nicht nachgewiesen ist.

Nach § 1 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen einer Schädigung auf Antrag Versorgung, wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Einer Schädigung im Sinne des Abs. 1 stehen Schädigungen gleich, die herbeigeführt worden sind durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung (§ 1 Abs. 2a BVG). Als unmittelbare Kriegseinwirkung gelten die Einwirkungen von Kampfmitteln (§ 5 Abs. 1a BVG) sowie Einwirkungen, denen der Beschädigte durch die besonderen Umstände der Flucht vor einer aus kriegerischen Vorgängen unmittelbar drohenden Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt war (§ 5 Abs. 1c BVG), wenn diese Einwirkungen in Zusammenhang mit einem der beiden Weltkriege stehen. Während die wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse (= 1. Glied der versorgungsrechtlichen Kausalkette), die gesundheitliche Schädigung (= 2. Glied der versorgungsrechtlichen Kausalkette) und die anzuerkennende Gesundheitsstörung (= 3. Glied der versorgungsrechtlichen Kausalkette) jeweils mindestens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (= Nachweis) feststehen müssen, genügt für die ursächliche Verknüpfung zwischen der gesundheitlichen Schädigung und der Gesundheitsstörung (2. und 3. Glied der versorgungsrechtlichen Kausalkette) gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG die bloße Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren in der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Der Versorgungsberechtigte soll in der Kriegsopferversorgung nicht darunter leiden, dass beweiskräftige Unterlagen nicht beschafft werden können. Daher bestimmt das Gesetz die Glaubhaftmachung von Tatsachen durch den Antragsteller als ausreichende Entscheidungsgrundlage (Rohr/Sträßer, BVG, Kommentar, § 15 KOVVfG - K1). Diese Vorschrift gilt nicht nur im Verwaltungsverfahren, sondern auch im Gerichtsverfahren. Sie enthält materielles Beweisrecht (BSGE 65, 132). Die Beweiserleichterung erfasst auch alle Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass es zu einer gesundheitlichen Schädigung gekommen ist (Rohr/Sträßer, a.a.O.). Im Falle eines "Beweisnotstandes", d.h., in Fällen, in denen für die Feststellung anspruchsbegründender Tatsachen besondere Schwierigkeiten bestehen, kann eine Beweiserleichterung dergestalt gewährt werden, dass an die Bildung der richterlichen Überzeugung weniger hohe Anforderungen gestellt werden. Eine Beweiserleichterung gibt es insofern für kriegsbedingte Beweisnot (BSG SozR 3-3100 § 5 Nr. 1). Darüber hinaus gilt in den neuen Bundesländern, dass hierfür das Vorliegen eines Schädigungstatbestandes bereits eine hohe Wahrscheinlichkeit zur Begründung des Anspruchs ausreicht (vgl. BSG, Urt. v. 12.12.1995 - 9 RV 14/95 -, SozR 3-3100 § 1 Nr. 18).

Unter Zugrundelegung der hier an den Nachweis der gesundheitlichen Schädigung zu stellenden geringeren Beweisanforderungen ist festzustellen, dass ein schädigendes Ereignis nie nachgewiesen war. Die ersten Angaben des Klägers in seinem Antrag vom 04.06.1992 reichen nicht für eine Glaubhaftmachung. Dies hat der Beklagte offenbar ebenso gesehen, indem er auf die Angabe des Klägers "durch Unfall 1944-45 auf der Flucht vom Bomben, gestürzt und den Arm verletzt, keine Zeugen vorhanden" nicht ohne weiteres den Schädigungstatbestand als glaubhaft gemacht ansah. Vielmehr wurde ein Aktenvermerk gefertigt, aus dem hervorgeht, dass eine Verständigung mit dem Kläger zum Zeitpunkt der Antragsabgabe am 04.06.1992 nicht möglich war. Es sei auch nicht möglich gewesen zu erfahren, ob eine Kriegsverletzung vorliege. Alle daraufhin unternommenen Ermittlungen wiesen nicht in eine Richtung, die irgendeinen Schädigungstatbestand wahrscheinlicher gemacht hätte, im Gegenteil: Auch die Geschwister des Klägers konnten oder wollten keine Angaben zu den konkreten Umständen bei der Verletzung oder den Verletzungen des Klägers machen. Unabhängig von der Frage, ob nicht vielleicht doch der nach Aktenlage zwar äußerst unwahrscheinliche, aber nicht völlig ausgeschlossene Tatbestand einer kriegsbedingten Schädigung vorliege, war also der Bescheid vom 07.04.1993 materiell rechtswidrig, denn die Möglichkeit einer Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 BVG reicht gerade nicht zur Anspruchsbegründung aus. Ob dieser Umstand, dass also der Erstanerkennungsbescheid gar nicht hätte ergehen dürfen, bereits die Rücknahme rechtfertigt bzw. präziser ausgedrückt das Tatbestandsmerkmal der Rechtswidrigkeit in § 45 SGB X erfüllt, ist streitig. Nach Steinwedel (KassKomm § 45 Rn. 24) genügt es im Fall der beabsichtigten Rücknahme einer Bewilligung, für welche niedrigere Beweisanforderungen wie zum Beispiel Wahrscheinlichkeit oder Glaubhaftmachung ausreichten, nicht, dass bei erstmaliger Prüfung die Leistung nicht zuerkannt würde. Vielmehr müsse feststehen, dass die Voraussetzung nicht vorliege, z.B. dass der nicht glaubhaft gemachte Sachverhalt tatsächlich unmöglich war. Dieser Auffassung ist offenbar das Sozialgericht in seiner Entscheidung vom 26.11.2002 gefolgt. Der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) vertritt allerdings die Auffassung, dass insofern nicht etwa der Beweis des Gegenteils erforderlich ist. Vielmehr reiche der Nachweis aus, dass der Leistungsträger ursprünglich nicht zur Bewilligung berechtigt war (Urt. v. 02.11.1999 - B 2 U 47/98 R - Breith. 2000, 463, 467, SozR 3-1300 § 48 Nr. 67). Diese für den Bereich des Unfallversicherungsrechts ergangene Entscheidung hat für die Kriegsopferversorgung insofern auch Bedeutung, als dort nicht durch spezialgesetzliche Vorschriften eine andere Beweislastverteilung getroffen ist. Nach § 1 Abs. 3 Satz 3 BVG kann eine Anerkennung mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn unzweifelhaft feststeht, dass die Gesundheitsstörung nicht Folge einer Schädigung ist. Diese Vorschrift gilt gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) im Bereich der Opferentschädigung entprechend und ist wortgleich mit § 81 Abs. 6 Satz 3 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) sowie § 47 Abs. 6 Satz 3 Zivildienstgesetz (ZDG) und § 4 Abs. 3 Satz 3 Häftlingshilfegesetz (HHG). Die entsprechenden Normen dürfen aber nicht in dem Sinn missverstanden werden, dass hiermit eine ausschließliche Regelung der Rücknahmevoraussetzungen getroffen worden wäre in dem Sinne, dass in allen anderen grundsätzlich nach dem SGB X zulässigen Fällen eine Rücknahme ausgeschlossen wäre. Vielmehr betrifft § 1 Abs. 3 Satz 3 BVG und die entsprechenden Regelungen in den Parallelgesetzen nur den Fall, dass die Rechtswidrigkeit auf einer unzutreffenden Beurteilung der "Wahrscheinlichkeit" (§ 1 Abs. 3 BVG behandelt die Wahrscheinlichkeit) beruht; es versteht sich von selbst, dass hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwar nicht in rechtlicher Hinsicht, aber so doch in tatsächlicher Hinsicht immer ein Beurteilungsspielraum besteht und daher eine Rechtssicherheit in dem Sinne wünschenwert ist, dass eine bloße - faktisch jederzeit mögliche und oft nahe liegende - andere Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges für eine Rücknahme nicht ausreicht; in diesem Fall ist also ausnahmsweise der Beweis des Gegenteils Voraussetzung für die Rücknahmeentscheidung. In allen anderen Fällen aber, wenn also entweder keine Schädigung vorgelegen hat oder die als Schädigungsfolgen anerkannte Gesundheitsstörung gar nicht besteht, erfolgt eine Rücknahme nicht nach § 1 Abs. 3 Satz 3 BVG, sondern nach den allgemeinen Vorschriften des Sozialgesetzbuches (vgl. Wilke-Fehl, BVG § 1 Rn. 104, von Wulfen/Wiesner, § 45 SGB X Rn. 36). Da also schon die Schädigung nicht glaubhaft gemacht wurde, ist die Voraussetzung der ursprünglichen Rechtswidrigkeit im Sinne des § 45 SGB X hinsichtlich des Erstanerkennungsbescheides zu bejahen.

Eine Rücknahme ist damit aber noch nicht möglich. Gemäß § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X hätte eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit nur innerhalb eines Jahres seit der Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erfolgen dürfen. Die Rechtswidrigkeit des Erstanerkennungsbescheides beruht hier darauf, dass schon der Schädigungstatbestand nicht glaubhaft gemacht wurde. Dieser Umstand war dem Beklagten von Anfang an bekannt. Aber selbst wenn man die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X erst mit der Anhörung beginnen lassen möchte (vgl. BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 42 S. 138 ff. m.w.N., kritisch hierzu: Schoch, NVwZ 1985, 880, 884), ist die Frist verstrichen: Bereits mit Schreiben vom 11.02.1999 ist der Kläger zu der beabsichtigten Rücknahme des Erstanerkennungsbescheides angehört worden.

Was die Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft angeht, so ist bei Verwaltungsakten über laufende Geldleistungen - unabhängig von etwaigen Fristen - jedenfalls erforderlich, dass sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen kann. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn entweder - der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder - der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Keiner der Tatbestände ist gegeben. Es lässt sich schon kaum behaupten, dass der Verwaltungsakt auf den Angaben des Betroffenen beruht, diese haben nämlich zu keinem Zeitpunkt für eine Bewilligung ausgereicht. Die unrichtigen oder unvollständigen Angaben müssen kausal für die Fehlerhaftigkeit gewesen sein (BSGE 47, 28, BSG ZfS 1985, 17). Daran fehlt es, wenn die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben unterstellt, dieselbe begünstigende Entscheidung getroffen worden wäre (vgl. von Wulfen/Wiesner, § 45 SGB X Rn. 22). Offensichtliche Unvollständigkeiten und Widersprüchlichkeiten in den Angaben des Betroffenen, die von der Behörde weiter aufzuklären gewesen wären (vgl. § 16 Abs. 3 SGB I) reichen nicht aus; ein offenkundiger Fehler kann dem Bürger nicht zum Nachteil gereichen (BSG SozR 2200 § 1744 Nr. 15). Im Übrigen sind tatsächlich unrichtige Angaben dem Kläger nicht nachzuweisen. Die Angaben des Klägers waren nur scheinbar widersprüchlich. Mit der Angabe auf dem Antrag "durch Unfall 1944-45 auf der Flucht vom Bomben, gestürzt und den Arm verletzt" decken sich die dem Gutachter Dr. P1 ... gegenüber gemachten Angaben (März 1944 Knochenbruch bei Sturz linker Ellenbogen, 1945 Bomben- oder Granatsplitterverletzung am linken Arm). Auch die Alternative des § 45 Abs. 2 Satz 3 Ziff. 3 ist nicht gegeben. Es kann dem Kläger nicht unterstellt werden, dass er im Jahr 1993 ohne weiteres hätte einsehen können, dass eine Rentenbewilligung ihm nicht zustand. Wenn er im Jahre 2003 erklärt, dass dieser Bescheid wohl nie hätte ergehen dürfen, so heißt das nicht, dass ihm schon im Jahre 1993 positiv die Rechtswidrigkeit dieses Bescheides bewusst war. Im Übrigen ist selbst für den Fall, dass ein Tatbestand des BVG nie vorgelegen hat und dies dem Kläger auch bewusst war, festzuhalten, dass auch im Jahre 1993 noch das neue Recht im Beitrittsgebiet nicht zur Selbstverständlichkeit gehörte, und die Vorstellung, dass es jetzt für Behinderte Renten gebe, wenn die Behinderung aus der Zeit des Krieges stamme, jedenfalls nicht von vornherein als absurd von der Hand zu weisen ist. Letztlich ist aber festzustellen, dass die Rechtswidrigkeit des Bescheides nur auf der fehlenden Glaubhaftmachung beruht, also auf Beweisrecht; insofern kann eine Parallelwertung in der Laienspäre nicht gefordert werden. Unterstellt, der Begünstigte ist überzeugt, dass ihm die Leistungen materiell zustehen, so entsteht nicht schon dadurch ein Vertrauensausschlusstatbestand im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Ziff. 3, dass eine Glaubhaftmachung nicht erfolgt ist und dies der Begünstigte auch weiß.

Ein gesetzlicher Vertrauensausschlusstatbestand liegt also nicht vor. Auch nach der Gesamtheit der Umstände kann nicht festgestellt werden, dass sich der Kläger etwa auf Vertrauen nicht berufen könne. Es hat eine mehrfache Vertrauensbestätigung stattgefunden (vgl. BSG SozR 1300 § 45 Nr. 9). So wurde zunächst in Kenntnis der Umstände, die die Rechtswidrigkeit der Entscheidung vom 07.04.1993 begründen, im Jahre 1996 darum gebeten, die Voraussetzungen für einen Berufsschadensausgleich bzw. eine besondere berufliche Betroffenheit evtl. darzulegen. Auch nachdem aktenkundig festgehalten wurde, dass "immer noch keine Beweise für die Ursache der Verletzung am linken Arm" vorlägen, wurde dem Kläger nicht etwa mitgeteilt, dass deswegen die Weiterbewilligung der Rente fraglich sei, sondern er wurde lediglich aufgefordert, nunmehr (im Jahre 1998) endlich diese Beweise vorzulegen. Eine ganz wesentliche vertrauensbestätigende Maßnahme hinsichtlich des Vertrauens in die Fortzahlung der Rente bestand dann in dem Bescheid vom 02.09.1999. Dieser Bescheid erging, nachdem der Beklagte zunächst die Absicht kundgetan hatte, den Erstanerkennungsbescheid ganz aufzuheben. Indem dies nun nicht geschah, sondern lediglich eine Entscheidung über die Abschmelzung getroffen wurde, wurde der Kläger in seinem Vertrauen, auch weiterhin die Rente jedenfalls dem Zahlbetrag nach erhalten zu können, deutlich bestärkt. Schließlich spricht auch der lange zeitliche Abstand von über zehn Jahren zwischen Erstanerkennungsbescheid und nunmehr erfolgter - versuchter - Rücknahme für eine Vertrauensbestätigung (vgl. BSG SozR 3-3100 § 85 Nr. 1). Schließlich wird auch von einem groben Verschulden der Behörde die Rede sein müssen (vgl. BSGE 59, 157, 164), da bewilligt wurde, nachdem sich die ausgesprochen undeutlichen Angaben des Klägers nach zu Recht für nötig gehaltenen Zeugenbefragungen gerade überhaupt nicht bestätigt hatten. Das Argument des Beklagten, dass in der Umbruchzeit nach der so genannten "Wende" zeitnah und ohne hinhaltende jahrelange Ermittlungen bewilligt werden musste, kann daher in diesem Fall ein grobes Verschulden nicht ausschließen: Es wurde nach - relativ kurzfristigen - tatsächlichen Ermittlungen bewilligt, die die Angaben des Klägers gerade nicht bestätigt, sondern gravierend in Frage gestellt hatten. Da Vertrauensschutz besteht und dem Kläger unter keinem Gesichtspunkt der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit zu machen ist - der Senat konnte sich in der mündlichen Verhandlung davon überzeugen, dass unter Anlegung des subjektiven Fahrlässigkeitsbegriffs (vgl. BSGE 62, 103, 107) dem Kläger nicht einmal der Vorwurf der einfachen Fahrlässigkeit zu machen sein dürfte, da er auch relativ einfache Schlussfolgerungen nicht nachvollziehen kann -, war der gemäß § 96 SGG bei dem Berufungsgericht als erstinstanzlichem Gericht anhängig gewordene Verwaltungsakt vom 02.06.2003 auf die entsprechende Klage hin aufzuheben.

Kann ein rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt (§ 48 Abs. 3 Satz 1 SGB X). Diese Vorschrift regelt das so genannte "Abschmelzen" von Leistungen, wenn - wie hier - einer Rücknahme der Bewilligungsentscheidung § 45 SGB X entgegen steht. Der dies feststellende Bescheid vom 02.09.1999 - in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2000 - ist rechtmäßig, auf die Berufung des Beklagten war daher das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 26.11.2002 aufzuheben.

Der Beklagte war zu der Feststellung durch Verwaltungsakt befugt. Es handelte sich bei diesem Verwaltungsakt nicht etwa nur um die Ankündigung eines Verwaltungsaktes (vgl. hierzu Meyer-Ladewig nach § 54 SGG Rn. 7a), sondern um die Feststellung, die weiter zu gewährende Leistung von den Erhöhungen nach § 56 BVG auszunehmen. Die verbindliche Feststellung dieser Rechtsfolge war grundsätzlich zulässig (vgl. BSGE 63, 254, 256; Steinwedel KassKomm Rn. 67 zu § 48 SGB X). Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides ergeben sich nicht schon daraus, dass ein belastender feststellender Verwaltungsakt einer gesetzlichen Grundlage bedarf, denn eine nicht ausdrückliche gesetzliche Grundlage wie das hier bestehende Sozialrechtsverhältnis reicht aus (vgl. BVerwGE 72, 265, 268, BSGE 61, 203, 205). Ein Sozialrechtsverhältnis, das laufende Leistungen zum Gegenstand hat, erfordert - gerade im Interesse des Leistungsberechtigten - möglichst bald Klarheit darüber, ob der Berechtigte mit weiteren Leistungserhöhungen rechnen kann oder nicht. Es widerspricht dem existenzsichernden Zweck laufender Sozialleistungen und des ihnen zugrunde liegenden Dauerrechtsverhältnisses, die alsbaldige verbindliche Erklärung dieser Grundfrage einer vom Berechtigten möglicherweise nicht oder zu spät erhobenen vorbeugenden Feststellungsklage bzw. Verpflichtungs- oder Leistungsklage zu überlassen (vgl. BSG, Urt. v. 15.12.1999 - B 9 V 26/98 R - Breith. 2000, 394). Im Übrigen spricht auch § 48 Abs. 3 SGB X, auf den der Beklagte ja seine Entscheidung auch ausdrücklich gestützt hat, direkt von der "neu festzustellenden Leistung" und kann somit auch als gesetzliche Grundlage angesehen werden.

Der Beklagte war auch materiell berechtigt, diese Feststellung zu treffen, denn die Voraussetzungen des § 48 Abs. 3 SGB X liegen vor. Nun kann man mit gewichtigen Gründen der Auffassung sein, dass die jährlichen Anpassungen nach § 56 BVG keine "Änderungen zugunsten des Betroffenen" sind (so ausdrücklich - wenn auch in den nicht die Entscheidung tragenden Gründen - BSG, Urt. v. 24.03.1987 - 4b RV 39/85 - SozR 1300 § 48 Nr. 33 S. 104). Andererseits hat das BSG mit Urteil vom 15.09.1988 (- 9/4b RV 15/87 - SozR 1300 § 48 Nr. 51) entschieden, dass auch die regelmäßige gesetzliche Rentenanpassung eine Änderung zugunsten des Betroffenen im Sinne des § 48 Abs. 3 SGB X sei; der Bestandsschutz des SGb erfasse nur den aktuellen Zahlbetrag (an anderer Stelle: "finanzieller Besitzstand" - a.a.O. S. 146) und nicht den sozialen Besitzstand. Hierbei ist freilich noch das Problem der tatsächlichen "Abschmelzung" durch die Inflation ausgeklammert. Ursprünglich hatten die Rentenerhöhungen die Funktion, dem Rentner den sozialen Besitzstand in dem Sinne zu erhalten, dass er gewissermaßen seinen Platz in einem sozialen Gefüge, in einer Einkommenshierarchie behält, wobei eine ständige Zunahme des gesellschaftlichen Reichtums vorausgesetzt wurde. Mittlerweile haben die "Anpassungen" genannten Rentenerhöhungen jedoch eher die Funktion des reinen Inflationsausgleichs. Vor diesem Hintergrund wäre die Trennung zwischen finanziellem und sozialem Besitzstand nicht mehr sachgerecht, denn diese Trennlinie ist nicht gleichbedeutend mit der zwischen Nominal- und Realeinkommen. Vielmehr ist die Sicherung des finanziellen Besitzstandes letztendlich nur durch die Sicherung des Realeinkommens gewährleistet. Solange allerdings die Inflationsrate noch relativ bescheiden ist und sich auf der anderen Seite die Rentenanpassungen auch nicht durchweg auf den Inflationausgleich beschränken, ist dem - richtigen - Ansatz des Bundessozialgerichts, dass lediglich der finanzielle Besitzstand geschützt werden soll, am ehesten Genüge dadurch getan, dass § 48 Abs. 3 SGB X auch auf die jährlichen Anpassungen von Sozialleistungen angewendet wird.

Die weiteren Voraussetzungen des § 48 Abs. 3 SGB X sind gegeben. Der Erstanerkennungsbescheid konnte wegen des Vertrauensschutzes nicht zurückgenommen werden, obwohl er rechtswidrig war.

Da der Bescheid vom 02.06.2003 aufgehoben wurde, ist hierdurch die anderweitige Erledigung des bis dahin anhängigen Rechtsstreits wieder rückgängig gemacht: Der Bescheid vom 02.09.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2000 lebt wieder auf und wird durch das die Entscheidung der Vorinstanz aufhebende Urteil des Senats bestätigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG - der Kläger war nur im Berufungsverfahren und auch hier nur zum Teil erfolgreich -; Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. -
Rechtskraft
Aus
Saved