L 1 KR 41/02

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 23 KR 317/00
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 41/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. August 2002 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 3.259,01 EUR zu zahlen. 2. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme der Kosten für die stationäre Behandlung der Versicherten L. vom 4. bis zum 18. August 1999 in Höhe von 6374,06 DM (= 3259,01 EUR) streitig.

Klägerin ist das inzwischen aus dem Landesbetrieb Krankenhäuser ausgeschiedene B. Allgemeines Krankenhaus B1. Die Versicherte wurde nach einem Suizidversuch am 7. April 1999 erst im Unfallkrankenhaus B2 und anschließend – nochmals unterbrochen durch einen Aufenthalt in B2 – bei der Klägerin stationär psychiatrisch behandelt. Die Behandlungskosten hierfür übernahm die Beklagte bis zum 3. August 1999. Die Versicherte verblieb bis zum 18. August 1999 bei der Klägerin und wurde an diesem Tag in ein Pflegeheim verlegt. Eine frühere Verlegung in die Pflegeeinrichtung scheiterte daran, dass das Heim nur jemanden mit der Pflegestufe I aufnehmen wollte und diese Pflegestufe nach vorhergehender ablehnender Entscheidung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) erst aufgrund des Pflegegutachtens des MDK vom 12. August 1999 festgestellt wurde. Die Klägerin erhielt hiervon am 17. August 1999 Kenntnis.

Den Antrag auf Verlängerung der Kostenübernahmeerklärung vom 10. August 1999 lehnte die Beklagte mit Schreiben vom selben Tag gegenüber der Klägerin ab. Der weitere Aufenthalt in einem Krankenhaus sei nicht erforderlich. Die Tochter der Beigeladenen erhielt hiervon eine Durchschrift. Unter dem 18. August 1999 schätzte der MDK eine Krankenhausbehandlung nur bis zum 3. August 1999 für erforderlich ein und fand es hinsichtlich der darüber hinausgehenden Zeit lediglich therapeutisch nachvollziehbar, dass die Versicherte bis zur Bereitstellung eines Heimplatzes im Krankenhaus verblieben war, da sie wegen drohender Selbstgefährdung nicht habe in eine häusliche Umgebung entlassen werden können. Mit Schreiben vom 23. August 1999 blieb die Beklagte bei ihrer Ablehnung und – wie ebenso der MDK in der Stellungnahme vom 22. September 1999 - auch mit Schreiben vom 14. Dezember 1999.

Im erstinstanzlichen Verfahren hat der Neurologe/Psychiater Dr. B3 im Gutachten vom 10. Juli 2001 die Auffassung vertreten, eine Krankenhausbehandlung sei nur bis zum 3. August 1999 erforderlich gewesen. Nach seinen Ausführungen hätte man die Versicherte zwar nicht in die häusliche Umgebung entlassen und – ohne dass sie psychisch dekompensiert wäre - auch nicht in ein von der Wohnung ihrer Kinder entfernt liegendes Pflegeheim verbringen können. Der weitere Krankenhausaufenthalt sei aber nur durch die Weigerung des Heimes, die Versicherte schon vor Feststellung der Pflegestufe I aufzunehmen, verursacht worden. Die Versicherte habe auch einer apparativen Ausstattung, wie sie zu einem Krankenhaus gehöre, nicht mehr bedurft. Daraufhin hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 14. August 2002 abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie ist nach wie vor der Auffassung, die Beklagte sei zur Übernahme der Krankenhauskosten bis 18. August 1999 verpflichtet. Es könne ihr nämlich nicht angelastet werden, dass der MDK zunächst eine unzutreffende Pflegestufenfeststellung abgegeben habe und bis zu deren Korrektur weitere Zeit vergangen sei. Eine Entlassung der Versicherten sei nicht zu verantworten gewesen. Außerdem habe aufgrund der ungeklärten Situation hinsichtlich der künftigen Heimunterbringung ein Behandlungsbedarf der Versicherten in einem Krankenhaus erneut bestanden, insbesondere weil diese auf den Versuch, sie in einem vom Wohnsitz ihrer Kinder weiter entfernt liegendem Heim unterzubringen, mit verstärkten Krankheitssymptomen reagiert hätte. Im Übrigen sieht sich die Klägerin durch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13. Mai 2004 (B 3 KR 18/03 R, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen) in ihrer Rechtsposition bestärkt.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. August 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 3259,01 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Sie ist der Auffassung, sie sei zur Zahlung nicht verpflichtet. Bei allem Verständnis für die praktizierte Verfahrensweise der Klägerin sei eine Krankenhausbehandlung über den 3. August 1999 hinaus nicht mehr aus medizinischen Gesichtspunkten erforderlich gewesen. Die Entscheidung des BSG vom 13. Mai 2004 sei auf den hier vorliegenden Fall nicht übertragbar.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die in der Sitzungsniederschrift vom 19. Januar 2005 aufgeführten Akten und Unterlagen verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin (vgl. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ist begründet. Die Beklagte ist zur Bezahlung der Kosten des streitigen Krankenhausaufenthaltes verpflichtet.

Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V iVm der Pflegesatzvereinbarung, da der Sicherstellungsvertrag keine hier relevanten Voraussetzungen oder Modalitäten der Zahlungspflichten der Krankenkassen regelt. Die Beklagte ist zur Zahlung der vereinbarten Entgelte verpflichtet, weil die Versorgung der Versicherten im Krankenhaus im Sinne von § 39 SGB V auch im streitigen Zeitraum erforderlich war.

Zwar geht die Beklagte zu Recht davon aus, dass Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit, also das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Krankheit, der nur mit den spezifischen Mitteln des Krankenhauses zu begegnen ist, im streitigen Zeitraum nicht mehr bestand, denn ein Aufenthalt im Pflegeheim war für die Versicherte ausreichend. Zu diesem Ergebnis ist nicht nur der in der ersten Instanz eingeschaltete medizinische Sachverständige gekommen, sondern dies entsprach auch der Einschätzung der zuständigen Krankenhausärzte. Diese betrieben nämlich die Verlegung in ein bestimmtes Heim und verneinten somit die weitere Behandlungsbedürftigkeit in der Klinik. Durch den Umstand, dass die Unterbringung im Heim an dessen Weigerung, die Versicherte aufzunehmen, scheiterte, ist nicht erneut Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit eingetreten. Das Fehlen eines Pflegeplatzes reicht hierfür nach der Rechtsprechung des BSG nicht aus (vgl. 23.4.96 – 1 RK 10/95, USK 96173 und 26.2.92 – 1 RK 4/91, USK 92130). Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit liegt auch nicht deswegen vor, weil wegen zu befürchtender Eigengefährdung eine Entlassung nach Hause ausschied. Selbst wenn in einzelnen Situationen eine erneute dringende stationäre Behandlungsnotwendigkeit auftreten sollte, wie dies hier für den Fall der Konfrontation der Versicherten mit einer Unterbringung in einem weiter entfernt liegenden Heim beschrieben wird, so mag zwar u. U. eine kurzfristige Krankenhausbehandlung wieder notwendig werden können, aber ein solcher Zustand rechtfertigt nicht ohne weiteres das Belassen der Versicherten in der Klinik (vgl. BSG 26.2.92 – 1 RK 4/91, USK 92130).

Da aber die Entscheidung, ob ein Versicherter wegen einer behandlungsbedürftigen Krankheit in einem Krankenhaus versorgt werden muss, von einem Arzt stets nur mit Blick auf die in Betracht kommenden ambulanten Behandlungsalternativen getroffen werden kann, ist diese Voraussetzung in konkreter Betrachtungsweise zu prüfen. Es reicht nicht aus, von theoretisch vorstellbaren, besonders günstigen Sachverhaltskonstellationen auszugehen, die den weiteren Krankenhausaufenthalt entbehrlich erscheinen lassen, sondern es ist zu prüfen, welche ambulanten Behandlungsalternativen im Einzelfall konkret zur Verfügung stehen, weil nur so die kontinuierliche medizinische Versorgung des Versicherten gewährleistet werden kann (vgl. zum Vorstehenden BSG 13.5.04, aaO). Bei einer Verweigerung einer weiteren Behandlung in einem Krankenhaus sind die Grundsätze des Vertrauensschutzes zu beachten. Es reicht demgemäß nicht aus, dass eine Krankenhausbehandlung nicht mehr erforderlich ist, sondern die Krankenkasse hat zu prüfen, welche ambulanten Behandlungsalternativen konkret zur Verfügung stehen. Diese sind den Betroffenen mitzuteilen. Gemäß dem Urteil des BSG vom 13. Mai 2004 (aaO) muss die Ablehnung der weiteren stationären Behandlung auch gegenüber dem Versicherten durch einen mit Rechtsmittelbelehrung versehenen Verwaltungsakt erfolgen. Dabei sind ihm und dem Krankenhausarzt die Behandlungsalternativen konkret aufzuzeigen. Das gilt insbesondere bei psychiatrischen Erkrankungen mit fehlender Krankheitseinsicht und der Gefahr von Selbst- und Fremdgefährdung. Das BSG hebt in diesem Urteil ausdrücklich hervor, dass die Problematik besonders deutlich werde, wenn ein Patient auf Grund seines körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitszustandes einstweilen oder auf Dauer nicht mehr in die eigene Wohnung zurückkehren könne, in der er vor dem Krankenhausaufenthalt gelebt habe. Eine Entlassung aus dem Krankenhaus komme in solchen Fällen erst in Betracht, wenn geklärt sei, wo der weiterhin behandlungsbedürftige Patient nach der Entlassung leben bzw. wohnen werde und ob dort die notwendige medizinische Versorgung sichergestellt sei. Im Falle der Versicherten ist eine Kostenübernahmeerklärung für die erste Zeit des Krankenhausaufenthalts nur gegenüber der Klinik erfolgt, so dass gegenüber der Versicherten eine Gewährung der Krankenhausbehandlung ohne Verwaltungsakt vorliegt. Für die Ablehnung der weiteren Kostenübernahme fehlt es an einem an die Versicherte oder ihre Betreuerin gerichteten Verwaltungsakt ganz. Die an das Krankenhaus gerichtete Ablehnung vom 10. August 1999 ohne Nennung einer konkreten Alternative zum Krankenhausaufenthalt reicht insoweit nicht aus. Rechtswirkung könnte dieses Schreiben ohnehin erst ab Zugang entfalten. Schon daraus folgt, dass die Beklagte die Kosten der weiteren Krankenhausbehandlung übernehmen muss.

Aber auch unabhängig von diesen formalen Gründen wäre eine Entlassung der Versicherten aus dem Krankenhaus nicht in Betracht gekommen. Sie konnte aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes nicht nach Hause entlassen werden. Weder war sie dem Alleinleben körperlich gewachsen noch konnte wegen der Selbstgefährdungsgefahr verantwortet werden, sie sich selbst zu überlassen. Entgegen der Auffassung der Beklagten, die aus dem Umstand der Pflegebedürftigkeit darauf zu schließen scheint, es habe keinen weiteren Behandlungsbedarf gegeben, wurde der Gesundheitszustand der Versicherten im MDK-Gutachten vom 12. August 1999 von der Gutachterin T. dahingehend beschrieben, dass neben einer Fußschwäche beiderseits bei Spinalstenose und Tremor bei Verdacht auf Parkinsonsche Erkrankung auch noch weiter Suizidalität vorliege. Damit bestand zur Überzeugung des Senats ein ambulanter Weiterbehandlungsbedarf. Ein relevanter Unterschied zwischen diesem Fall und dem vom BSG am 13. Mai 2004 entschiedenen ist nicht ersichtlich. Insbesondere kann ein solcher nicht daran festgemacht werden, ob bzw. seit wann ein Betreuer vorhanden ist. Denn die Beklagte hat vorliegend weder an die Versicherte noch an die Betreuerin eine ausreichend begründete Entscheidung gesandt. Die Darlegung, die Klägerin habe die fehlende Information des MDK über die gesundheitliche Situation der Versicherten zu verantworten, entbehrt ebenfalls einer Grundlage, denn die Beklagte wusste von dem Krankenhausaufenthalt der Versicherten im Unfallkrankenhaus und ihr musste der Bericht über die seinerzeitige Behandlung vorgelegen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG in der bis 1. Januar 2002 gültigen und hier noch anzuwendenden Fassung.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved