L 11 KR 1627/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 KR 3366/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 1627/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Vor Durchführung eines Gastric-Banding sind sämtliche konservativen Behandlungsmaßnahmen durchzuführen. Gastric-Banding darf stets nur die ultima ratio sein.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. März 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte der Klägerin einen chirurgischen Eingriff zur Verkleinerung des Magens ermöglichen muss.

Die 1956 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin ist von Beruf Pflegerin in einem Pflegeheim und hochgradig übergewichtig. Bei einer Körpergröße von 168 cm wog sie im April 2001 und Anfang 2002 zwischen 152 und 154 kg. Unter Vorlage eines Attestes des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. Sch. beantragte sie im April 2001 bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine operative Maßnahme wie Gastric-Banding. Dr. Sch. führte darin aus, dass bereits in einem ersten Heilverfahren wegen Wirbelsäulenbeschwerden 1978 diätetische Maßnahmen erfolgt seien mit einer Abnahme von 85 kg auf 77 kg. Im Laufe der Jahre sei es zu einer kontinuierlichen Gewichtszunahme gekommen, wobei eigene Diätversuche ohne anhaltenden Erfolg geblieben seien. Unter medikamentöser Behandlung sei 1997 eine Reduktion des Gewichts von 158 kg um 14 kg erreicht worden. Nach zwei Jahren sei das Gewicht jedoch wieder extrem auf 159 kg angestiegen, was zu erneuter medikamentöser Behandlung geführt habe. Im Rahmen eines stationären Reha-Verfahrens wegen Adipositas, Wirbelsäulen- und Knieproblemen sei bei intensiver Ernährungsberatung, Gruppentherapie, Bewegungstherapie und psychotherapeutischen Gesprächen eine Gewichtsreduktion um 7 kg erfolgt. Nach anfänglicher weiterer häuslicher Gewichtsreduktion sei das Gewicht erneut auf 152 kg gestiegen und es bestünden derzeit massive Wirbelsäulen- und Kniegelenksschmerzen, Atemnot bei Belastung sowie erhebliche berufliche Probleme als Nachtwache in einem Pflegeheim.

Gestützt auf ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage von Dr. W. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.05.2001 den Antrag mit der Begründung ab, die Kostenübernahme der empfohlenen Gastric-Banding-Operation könne vom MDK nicht mitgetragen werden, da vor einem formverändernden Eingriff an einem gesunden Organ zuerst sämtliche zur Verfügung stehenden konservativen therapeutischen Maßnahmen über mehrere Jahre hinweg anzuwenden seien. Diese Auffassung teile auch die Deutsche Adipositasgesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Adipositasforschung wie auch die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Sie alle seien der Meinung, dass vor einer operativen Therapie die konservativen therapeutischen Ansätze im Sinne eines "Gesamtpakets" zum Tragen kommen müssten. In keinem Fall sei nach Auffassung der Experten der Magen für das Essverhalten allein verantwortlich. Deshalb müsse ein ärztlich geleitetes Gesamtkonzept, welches diätetische Maßnahmen, eine Schulung des Ess- und Ernährungsverhaltens, Bewegungstherapie, gegebenenfalls pharmakologisch-ärztliche Behandlung und psychotherapeutische Interventionen umfasse, erarbeitet und konsequent als Langzeitbehandlung durchgeführt werden.

Im August 2001 wandte sich PD Dr. Schn., Chirurgische Universitätsklinik Tübingen, für die Klägerin an die Beklagte. Der Body-Mass-Index (BMI) betrage bei der Klägerin derzeit 57. Die Klägerin habe beim Laufen Schmerzen, die rechte Hüfte weise eine Coxarthrose auf und beide Knie seien arthrotisch so verändert, dass eine operative Maßnahme kaum zu umgehen sei. Die Klägerin befinde sich zur Zeit in ambulanter psychologischer Behandlung. Nachdem alle von der Krankenkasse vorgeschriebenen Maßnahmen nicht zu einer dringend gebotenen Gewichtsreduktion geführt hätten, sei aus ärztlicher Sicht ein Gastric-Banding mit Nachdruck dringend anzuraten, um den Komplikationen eines Diabetes mellitus vorzubeugen, die Verschlechterung der Arthrosen zu mildern und soziale Konsequenzen wie den Verlust ihres Arbeitsplatzes zu vermeiden. Bei guten Erfahrungen in der Chirurgie der Adipositas könne eine dauerhafte Gewichtsreduktion bis zu 50 kg erreicht werden, die Komplikationsrate sei verschwindend gering. Um Bewilligung der Kostenübernahme werde daher gebeten.

Unter Hinweis auf den Bescheid vom 18.05.2001 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 08.08.2001 auch diesen Antrag ab. Nach wie vor seien die medizinischen Voraussetzungen für eine Magenbandverkleinerungsoperation nicht erfüllt.

Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren teilte Dr. Schn. auf telefonische Nachfrage mit, er kenne die Klägerin seit drei Monaten und halte eine rasche Gewichtsreduktion für erforderlich, damit Folgeschäden erst gar nicht eintreten könnten. Die Klägerin legte eine psychologische Stellungnahme des Dr. Dipl.Psych. T. vom September 2001 und einen Arztbrief des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. W., ebenfalls vom September 2001, vor. Danach bestehe ein ausgeprägtes depressives Bild, das sich biographisch und sekundär durch die jetzt bestehende Übergewichtigkeit (160 kg) entwickelt habe. Vorgesehen sei eine verhaltenstherapeutische Therapie und unter diesen Voraussetzungen sei auch die vorgesehene chirurgische Therapie bei der Klägerin zu empfehlen. Dazu holte die Beklagte ein weiteres Gutachten nach Aktenlage des Dr. Lange vom MDK ein. Dieser befürwortete die Maßnahme ebenfalls nicht. Die Notwendigkeit einer Gewichtsreduktion sei unbestritten, festzustellen sei jedoch, dass bei einem nicht unerheblichen Teil der Operierten mittelfristig wieder Gewichtszunahmen zu verzeichnen seien. Neben spezifischen Komplikationen der Operationsmethode fehlten auch Untersuchungen hinsichtlich der Langzeitfolgen. Alle Anwender der chirurgischen Methoden forderten ein langfristig angelegtes interdisziplinäres postoperatives Konzept, da die Behandlung mit der Operation nicht abgetan sei, sondern mit ihr beginne. Auch mit dem chirurgischen Verfahren sei eine kausale Therapie des Übergewichtes nicht möglich. Es würden also somit Bedingungen gefordert, die die klassische konventionelle Adipositas-Therapie begründeten und nachweislich zu einer Gewichtsreduktion führten. Die gewählte Methode greife nicht unmittelbar an der Erkrankung an, vielmehr werde der gesunde Magen in seiner physiologischen Form verändert und beeinflusst, d.h. ein regelwidriger Körperzustand werde durch diesen Eingriff in Bezug auf den Magen hergestellt. Die Klägerin machte ergänzend geltend, das einzige Ergebnis ihrer Bemühungen seit 1978, ihr Gewicht in den Griff zu bekommen, sei ein ständiger "Jo-Jo-Effekt". Eine Magenband-Operation oder das Einsetzen eines Ballons, letztere Möglichkeit sehe sie inzwischen als die für sie günstigste an, solle ihr als Krücke dienen, um aus dem Teufelskreis herauszukommen, in dem sie sich befinde und an dessen Ende die Zerstörung ihrer beruflichen und psychischen Existenz stehen könne. Bereits jetzt leide sie unter Entzündungen unter den Hautfalten und unter Schmerzen an der Hüfte, die zu Schlaflosigkeit führten. Aufgrund der Schmerzen und der Atemnot könne sie nicht mehr Rad fahren, als sehr schwerwiegend und äußerst belastend empfinde sie auch die Körperhygiene, was zur Folge habe, dass sie sich immer mehr zurückziehe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2001 gab die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin nicht statt: Eine Verkleinerung des Magenvolumens bedeute keine kausale Behandlung der Adipositas. Vielmehr handle es sich häufig um Erkrankungen, die ihren Ursprung im psychischen oder seelischen Bereich hätten. Somit müsse die entsprechende Behandlung auch dort ansetzen. Dies bedeute für die Betroffenen neben einer Umstellung der Ess- und Lebensgewohnheiten auch eine psychotherapeutische Betreuung für die Zeit der Behandlung. Dabei sei auch klar, dass eine Gewichtsreduktion - vergleichbar mit der Gewichtszunahme zuvor - nur über einen Zeitraum von mehreren Jahren erfolgreich sei.

Deswegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG). Sie machte unter Vorlage verschiedener Unterlagen (Arztbrief des Orthopäden B. vom April 2002, Entlassungsbericht der S.-Reha-Klinik der BfA B. K. vom März 2002) geltend, alle bisherigen Maßnahmen (diätetische Maßnahmen in den letzten Jahren, Umstellung des Ess- und Ernährungsverhaltens im April 2000, mehrere Kurmaßnahmen) hätten zu keinem dauerhaften Erfolg geführt. Ein entsprechendes Behandlungskonzept sei von dem Dipl.Psych. T. vorgesehen, bei dem sie seit ca. einem Jahr in psychotherapeutischer Behandlung stehe. Gestützt werde dieses Konzept durch den Neurologen Dr. W. Diese Therapie habe ihr auch sichtlich gut getan, trotz Ernährungsumstellung habe sie jedoch keine Gewichtsreduktion erreichen können. Während der Kur in B. K. habe sie nur 2,6 kg abgenommen. Mittlerweile habe sie mit einer Gruppe (Slimpoint in N.-U.) etliche kg abgenommen, dieses Programm könne sie jedoch nicht mehr machen, da der Weg für eine Fahrstrecke 61 km betrage und sie mindestens dreimal die Woche hin müsste. Dazu kämen noch die Kosten für Betreuung und Spritze (740,00 EUR), was sie nicht aufbringen könne.

Die Beklagte hielt daran fest, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen für eine Implantation eines Magenbandes als "Ultima ratio" im Sinne des BSG-Urteils vom 19.02.2003 nicht vorlägen.

Das SG hörte Dr. Sch. als sachverständigen Zeugen. Dieser teilte mit, die Klägerin habe sich immer wieder vorgestellt wegen belastungsabhängiger Schmerzen im Rücken, Hüft- und Kniebereich beidseits, gelegentlicher Taubheitsgefühle in den Händen und Oberschenkeln, Schwierigkeiten beim Liegen in Rückenlage, Schlafproblemen, Schwermütigkeit, Atemnot bei Belastung und massiven Problemen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Nachtwache im Pflegeheim. Trotz Verlängerung der Reha-Maßnahmen auf vier Wochen sei keine wesentliche Gewichtsabnahme erzielt worden, das Entlassungsgewicht habe bei 153 kg gelegen. Derzeit nehme die Klägerin an einer Gruppentherapie in U. teil mit diätetisch kohlenhydratfreier Ernährung. Hierunter habe die Klägerin nach eigenen Angaben im Juni 2003 eine Gewichtsreduktion von 37 kg erzielt.

Mit Urteil vom 23.03.2004, an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 22.04.2004, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es im Wesentlichen aus, soweit der Magen der Klägerin betroffen sei, seien die Voraussetzungen einer Krankheit im Sinne eines regelwidrigen Körper- und Geisteszustandes, der ärztlicher Behandlung bedürfe, nicht erfüllt. Dagegen stelle die Adipositas per magna in Verbindung mit den von Dr. Sch. beschriebenen Begleiterkrankungen eine Krankheit dar. Mit der Durchführung einer Magenbandoperation werde damit aber nicht an den vorliegenden Erkrankungen direkt angesetzt, es handle sich vielmehr um eine mittelbare Behandlung der Adipositas und der übergewichtsbedingten Begleiterkrankungen. Dies sei nach Überzeugung der Kammer zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht gerechtfertigt (Hinweis auf Urteile des BSG vom 06.10.1999 - B 1 KR 13/97 R - SozR 3-2500 § 28 Nr. 4, SGB 2000, 485, 487; Urteil vom 19.02.2003 - B 1 KR 1/02 R -). Nach der Rechtsprechung des BSG sei eine mittelbare Therapie vom Leistungsanspruch nicht grundsätzlich ausgeschlossen, wenn sie ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sei sowie dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspreche. Für chirurgische Eingriffe habe der Senat diesen Grundsatz allerdings eingeschränkt: Werde durch eine solche Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, wie das bei der Applikation eines Magenbandes geschehe, bedürfe die mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen seien. Angesichts der unsicheren Prognose lasse sich eine Leistungsgewährung durch die Krankenkasse regelmäßig nicht rechtfertigen, wenn der operative Eingriff zur Behandlung einer psychischen Störung dienen solle. Nach den Leitlinien der deutschen Adipositas-Gesellschaft komme die Implantation eines Magenbandes nur als ultima ratio und nur bei Patienten in Betracht, die eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllten (u.a. Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten). Die Kammer sei nicht davon überzeugt, dass die vollstationäre chirurgische Behandlung unter Berücksichtigung der Behandlungsalternativen wie diätetische Therapie, Bewegungstherapie und Psychotherapie notwendig sei. Eine hormonelle Ursache bzw. das Vorliegen einer Stoffwechselerkrankung sei bei der Klägerin nicht ersichtlich. Bei dauerhafter Umstellung des Essverhaltens sei eine allmähliche Gewichtsreduktion auch ohne Magenbandoperation möglich, dies sei von der Klägerin durch die Teilnahme an einem Diätprogramm nachhaltig unter Beweis gestellt worden. Nach Ansicht der Kammer könne es sich bei Fällen, in denen die Gewährung einer Magenbandoperation in Betracht komme, nur um ganz extreme Ausnahmefälle handeln. Mit dem gewünschten Eingriff solle letztlich ein suchthaftes Essverhalten beeinflusst werden. Ein extremer Ausnahmefall liege bei der Klägerin nicht vor. Der Gewichtsverlauf, die Erfolge bzw. Misserfolge bei Diäten und die bestehenden Begleiterkrankungen hätten im Vergleich mit anderen, an Adipositas leidenden Menschen, keinen Ausnahmecharakter.

Hiergegen richtet sich die am 23.04.2004 eingelegte Berufung der Klägerin. Zur Begründung trägt sie vor, das SG habe sich ohne hinreichende Begründung über die ärztlichen Stellungnahmen des Dr. Sch., des Dr. W. und des Dr. Schn., die ein Gastric-Banding mit Nachdruck dringend angeraten hätten, hinweggesetzt. Das SG habe sich auch gedrängt fühlen müssen, bei dem von ihr genannten Ernährungswissenschaftler und Arzt Dr. de L. eine sachverständige Zeugenauskunft einzuholen. Dies insbesondere deshalb, da dieser das Einsetzen eines Magenbandes bzw. alternativ eines Ballons, wie es von ihr angestrebt werde, ausdrücklich als Therapie anerkannt habe. Bei Dr. de L. handle es sich um keinen behandelnden Arzt. Sie habe ausführlich dargelegt, dass alle eigenverantwortlichen möglichen Therapieansätze durchgeführt bzw. wahrgenommen worden seien und letztendlich nur noch die beantragte chirurgische Maßnahme einen nachhaltigen Heilungserfolg verspreche. Die Klägerin hat die "Evidenzbasierte Leitlinie Chirurgische Therapie der extremen Adipositas", herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie der Adipositas und der Deutschen Adipositasgesellschaft, sowie ein Schreiben des Dr. de L. vom September 2004 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. März 2004 sowie den Bescheid vom 8. August 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr einen stationären Krankenhausaufenthalt zur Durchführung einer Gastric-Banding-Operation zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG-) ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden, denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Gastric-Banding-Operation.

Gemäß § 11 Abs. 1 und § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte wie die Klägerin Anspruch auf Behandlung einer Krankheit. Gemäß § 12 Abs. 1 SGB V muss die Behandlung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und darf das Maß des notwendigen nicht überschreiten. Der Anspruch umfasst u. a. die notwendige ärztliche Behandlung und die Krankenbe-handlung. Krankheit im Sinne des SGB V ist ein regelwidriger Körper- und Geisteszustand, der die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung des Versicherten oder zugleich oder allein Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Eine Krankheit wird dann zu einer Leistungsverpflichtung der Kasse, wenn Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit vorliegt (vgl. Zipperer in Maaßen-Schermer-Wiegand, Kommentar zum SGB V, Rdnr. 12 zu § 27 m. w. N.). Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Krankheit im Augenblick behandlungsbedürftig ist. Die Behandlungsbedürftigkeit ist schon dann anzunehmen, wenn der gegenwärtige Zustand zwar noch keine Schmerzen oder Beschwerden bereitet, durch ärztliche Behandlung im Frühstadium eine wesentliche Besserung oder gar Beseitigung des Leidens und damit eine günstige Wirkung auf die spätere Erwerbsfähigkeit erreicht werden kann (a. a. O. Rdnr. 13). Regelwidrig ist ein Zustand, der von der Norm vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht (a. a. O. Rdnr. 14).

Vorliegend ist schon nicht unumstritten, ob bereits der Adipositas als solcher Krankheitswert zukommt. Einigkeit besteht in der Medizin aber darüber, dass bei starkem Übergewicht (im allgemeinen ab einem BMI ) 30) eine Behandlung mit dem Ziel der Gewichtsreduktion erforderlich ist, weil andernfalls ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Begleit- und Folgeerkrankungen wie Stoffwechselkrankheiten, Herz- und Kreislauferkrankungen, Atemwegserkrankungen, gastrointestinale Erkrankungen, Krankheiten des Bewegungs-apparates und bösartige Neubildungen besteht (vgl. Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft und Evidenzbasierte Leitlinie Chirurgische Therapie der extremen Adipositas, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie der Adipositas und Deutschen Adipositasgesellschaft). Erfordert die Adipositas mithin eine ärztliche Behandlung, so belegt dies zugleich die Regelwidrigkeit des bestehenden Zustandes und damit das Vorliegen einer Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (vgl. Urteile vom 19.02.2003 - B 1 KR 14/02 R und B 1 KR 1/2 R), der der Senat folgt, kann die Leistungspflicht für eine chirurgische Therapie dieser Krankheit nicht mit der Erwägung verneint werden, dass für das Übergewicht das krankhafte Essverhalten des Patienten und nicht eine Funktionsstörung des Magens verantwortlich ist. Zwar stellt die operative Verkleinerung bzw. Veränderung des Magens keine kausale Behandlung dar, vielmehr soll damit die Verhaltensstörung der Klägerin durch eine zwangsweise Begrenzung der Nahrungsmenge lediglich indirekt beeinflusst werden. Eine solche mittelbare Therapie wird jedoch vom Leistungsanspruch grundsätzlich mitumfasst, wenn sie ansonsten die in § 2 Abs. 1 Satz 3 und § 12 Abs. 1 SGB V aufgestellten Anforderungen erfüllt, also ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist sowie dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Für chirurgische Eingriffe hat das BSG diesen Grundsatz jedoch eingeschränkt, wenn durch eine solche Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert wird, wie das bei der Applikation eines Magenbandes geschieht. In diesem Fall bedarf die mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (BSG a. a. O.; BSGE 85, 56, 60 = SozR 3 - 2500 § 28 Nr. 4 S. 18). Nachdem ein operativer Eingriff stets mit einem erheblichen Risiko (Narkose, Operationsfolgen z. B. Entzündung, Thrombose bzw. Lungenembolie, operationsspezifische Komplikationen wie Pouchdilatation, Portinfektionen und Stomastenose) verbunden ist, darf eine chirurgische Behandlung wie das Gastric-Banding stets nur die ultima ratio sein. Sie kommt nur bei Erfüllung einer Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung (BMI ) 40 oder ) 35 mit erheblichen Begleiterkrankungen; Erschöpfung konservativer Behandlungsmethoden; tolerables Operationsrisiko; ausreichende Motivation, keine manifeste psychiatrische Erkrankung; Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung u. a.) in Betracht. Dies bedeutet, dass vor einer Operation zunächst sämtliche konservativen Behandlungsalter-nativen durchzuführen sind. Im Anschluss an Dr. W. ist bei der Klägerin die Erarbeitung eines ärztlich geleiteten Gesamtkonzepts, welches diätetische Maßnahmen, eine Schulung des Ess- und Ernährungsverhaltens, Bewegungstherapie, ggf. pharmakologisch-ärztliche Behandlung und psychotherapeutische Interventionen umfasst, und die konsequente Durchführung als Langzeitbehandlung erforderlich. Im Falle der Klägerin sind diese konservativen Behandlungsmöglichkeiten der Adipositas indes keineswegs erschöpft. Nach Aktenlage hat die Klägerin in den vergangenen Jahren - jedenfalls bis 2003 - lediglich kurzfristig einzelne Diäten und Kurprogramme durchgeführt, nach deren Abschluss sie wieder an Gewicht zugenommen hat. Ein langfristig und interdisziplinär angelegter Therapieansatz unter ärztlicher Anleitung und Kontrolle mit dem Ziel der Änderung der Ernährungsgewohnheiten wurde von der Klägerin bisher nicht in Angriff genommen. Die Verhaltenstherapie bei Dr. T. und Dr. W. reicht insoweit nicht aus. Angesichts dessen stellt sich die von der Klägerin gewünschte chirurgische Intervention zur Behandlung ihres Übergewichts nicht als ultima ratio im Sinne der BSG-Urteile vom 19.02.2003 dar. Im übrigen hat die Klägerin aufgrund ihrer eigenen Bemühungen in einer Gruppe (Slimpoint in N.-U.) in der Zeit von Februar 2002 bis Juni 2003 eine Gewichtsreduktion von 37 Kilogramm erzielen können, was beweist, dass sie durchaus in der Lage ist, Körpergewicht auch ohne eine Verringerung des Magenvolumens zu reduzieren. Der Abbruch dieser Therapie erfolgte nicht wegen Wirkungslosigkeit, sondern aus anderen Gründen. Die von der Klägerin überlassene Stellungnahme des Dr. de L. vom September 2004 begründet keinen Anspruch der Klägerin auf den gewünschten operativen Eingriff. Die Klägerin erfüllt nicht sämtliche geforderten Kriterien, insbesondere fehlt es an der Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten. Die Auffassung von Dr. de L. wird zudem durch die im Rahmen der Gruppentherapie in Neu-Ulm erzielte Gewichtsreduktion widerlegt. Insofern ist die Indikation für adipositaschirurgische Maßnahmen bei der Klägerin auch nach der Evidenzbasierten Leitlinie Chirurgische Therapie der extremen Adipositas nicht erfüllt, denn auch danach sollen chirurgische Maßnahmen nur bei Patienten in Betracht gezogen werden, bei denen konservative Behandlungsmaßnahmen nachweislich nicht erfolgreich waren.

Die Berufung der Klägerin konnte hiernach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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