L 16 KR 109/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 9 Kr 17/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 109/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23. April 1999 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der beklagten Krankenkasse Erstattung der Kosten für eine sogenannte Gore-Tex-Behandlung (guided tissue regeneration - GTR -).

Bei der Klägerin wurde 1995 wegen einer erheblichen Parodontose- Erkrankung eine Behandlung durch den Zahnarzt Pxxx eingeleitet. Unter Vorlage eines privatärztlichen Heil- und Kostenplans des Zahnarztes Pxxx vom 27.10.1995 beantragte die Klägerin am 30.10.1995 zusätzlich im Rahmen der Parodontose-Behandlung die Kostenübernahme für die Durchführung eines GTR-Verfahrens in Höhe von 7.195,15 DM. Die entsprechende Behandlung sollte in vier Behandlungsabschnitten (jeweils ein Quadrant) erfolgen. Die erste Sitzung wurde am 22.01.1996 durchgeführt.

Mit Bescheid vom 29.01.1996 lehnte die Beklagte die beantragte Kostenübernahme ab, weil eine Behandlung mit Gore-Tex-Materialien nicht Bestandteil des Zahnarzt-Vertrages mangels eines ausdrücklichen Votums des zuständigen Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen sei.

Die Klägerin legte am 12.02.1996 Widerspruch ein und machte geltend, infolge einer bakteriellen Infektion habe sich im Bereich des Ober- und Unterkiefers der Knochen zurückgebildet. Ohne entsprechende Behandlung drohe ein Fortschreiten der Erkrankung mit der Folge, dass Knochen aus dem Beckenbereich in den Kiefer im plantiert werden müßten. Durch die Behandlung mit Gore-Tex könne eine solche kostenaufwendige zukünftige Krankenbehandlung vermieden werden. Zur Stützung ihres Vorbringens legte die Klägerin ein Gutachten ihres behandelnden Zahnarztes Pxxx vor, der bescheinigte, dass ohne Anwendung des GTR-Verfahrens die Extraktion sämtlicher Zähne und Eingliederung einer Totalprothese erforderlich würden. Durch den Erhalt der Zähne werde die Kaufunktion wieder vollhergestellt und die Klägerin könne sich optimaler ernähren, wo durch auch spätere Folgeerkrankungen vermieden würden. Seit Mitte der 80-er Jahre habe sich Gore-Tex in der klinischen Anwendung durchgesetzt. Neuere Bestrebungen zielten nunmehr in der Parodontologie auf die Verwendung von resorbierbaren Polyglactin-910-Membran-Material. Die anatomischen, internistischen, parodontologischen und sonstigen Voraussetzungen der Klägerin seien gut und ließen die Anwendung des GTR-Verfahrens zu. Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversiche rung - MDK - Nordrhein ein. Dr. Sxxxxxxx vertrat in seinem Gutachten vom 04.09.1996 die Auffassung, es stünden im Rahmen der vereinbarten vertraglichen Leistungskataloge zweckmässige und ausreichende Behandlungsmöglichkeiten, notfalls unter Einsatz weitgehen der prothetischer Mittel, zur Verfügung, die den Erhalt der Kaufähigkeit sicherstellten. Die beantragte Versorgung sei als außervertragliche Leistung anzusehen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.1997 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am 13.02.1997 Klage vor dem Sozialgericht - SG - Duisburg erhoben. Sie hat geltend gemacht, mittels der streitigen Behandlungsmethode, die zwischenzeitlich erfolgreich abgeschlossen sei, sei ein Fortschreiten der Knochendegeneration vermieden worden und bereits gelockerte Zähne hätten sich wieder gefestigt. Die Alternative einer vollprothetischen Versorgung sei ihr auch aus psychischen Gründen nicht zumutbar gewesen.

Das SG hat einen Behandlungs- und Befundbericht des Zahnarztes Pxxx vom 07.10.1997 eingeholt, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird. Ergänzend hat der Zahnarzt Pxxx in einer Stellungnahme vom 11.11.1998 die Ansicht vertreten, ohne Durchführung der streitigen Behandlung hätten unter den gegebenen Umständen die Zähne zum jetzigen Zeitpunkt extrahiert werden müssen.

Das SG hat des weiteren eine Stellungnahme des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen vom 12.01.1999 eingeholt, auf die ebenfalls verwiesen wird.

Mit Urteil vom 23.04.1999 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 05.05.1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 31.05.1999 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, da sie nicht allein an einer schweren Parodontose, sondern auch gleichzeitig an Knochenschwund im Kieferbereich gelitten habe, sei eine vertragsgemäße Behandlung nicht ausreichend gewesen. Selbst eine Vollprothese habe aber einen intakten Kieferknochen zur Voraussetzung.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Duisburg vom 23.04.1999 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.01.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.1997 zu verurteilen, ihr 7.195,15 DM wegen der erfolgten zahnärztlichen Behandlung durch den Zahnarzt Pxxx zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der Anspruch der Klägerin scheitere bereits daran, dass der zuständige Bundesausschuss keine Empfehlung der streitigen Behandlungsmethode ausgesprochen habe, so dass letztlich dahinstehen könne, ob andere erfolgsversprechende Behandlungsmaßnahmen möglich gewesen seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil den Rechtsstreit entscheiden können, nachdem sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Klägerin der begehrte Kostenerstattungsanspruch nicht zusteht.

Der streitige Kostenerstattungsanspruch, der sich vorliegend allein aus § 13 Abs. 3, 2. Alt. Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) ergeben kann, ist nicht begründet. Nach dieser Vorschrift sind, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Das System der gesetzlichen Krankenversicherung ist vom Sachleistungsprinzip geprägt, an dessen Stelle ausnahmsweise nur dann der Kostenerstattungsanspruch treten kann, wenn zwischen dem Entstehen der Kosten und dem Verhalten der Krankenkasse ein Kausalzusammenhang besteht (BSG SozR 3-2500 § 13 Nrn. 11, 15). Bevor sich ein Versicherter eine nichtvertragsärztliche Leistung selbst verschafft, muss er insbesondere zur Vermeidung von Mißbräuchen der Krankenkasse die Prüfung der Leistung sowie ihre Einstandspflicht im Einzelfall ermöglichen (BSG a.a.O. Nr. 15). Schon aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 13 Abs. 3 SGB V folgt, dass der Gesetzgeber die vorherige Einschaltung der Krankenkasse zur Anspruchsvoraussetzung machen wollte, denn nach § 13 Abs. 3 SGB V müssen die zu ersetzenden Kosten "dadurch" entstanden sein, dass die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (BSG a.a.O.).

Selbst wenn der Versicherte mit einer ablehnenden Entscheidung der Krankenkasse rechnen mußte, ist nach dem klaren Gesetzeswortlaut und den ansonsten entstehenden Abgrenzungsschwierigkeiten die Ablehnungsentscheidung der Krankenkasse unverzichtbare Voraussetzung des Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs. 3 2. Alt. SGB V (BSG a.a.O. Nr. 15 unter Aufgabe der gegenteiligen früheren Rechtsprechung).

An diesem Kausalzusammenhang fehlt es vorliegend, denn die streitige Behandlung der Klägerin ist bereits am 22.01.1996 begonnen worden, ohne das die (Ablehnungs-)Entscheidung der Beklagten abgewartet worden ist.

Die Kosten für die nach der angefochtenen Entscheidung der Beklagten vom 29.01.1996 durchgeführten drei weiteren Behandlungsabschnitte (11. und 26.03., 23.04.1996) sind nicht anders zu beurteilen. Grundlage dieser weiteren Behandlungen war der einheitliche Heil- und Kostenplan des Zahnarztes Pxxxvom 27.10.1995. Wie die Klägerin selbst eingeräumt hat, waren sämtliche Behandlungstermine von Anfang an festgesetzt, so dass die gesamte Behandlung als unteilbare Leistung im Sinne des § 13 Abs. 3 SGB V angesehen werden muss (vgl. BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4). Daher besteht ein Anspruch auf Erstattung der Einzelleistungen nicht, da der Kausalitätsmangel die Gesamtheit der entstandenen Kosten erfasst (vgl. Wagner in Krauskopf, Kommentar zur Sozialen Kranken- und Pflegeversicherung, Rdn. 28 zu § 13 SGB V).

Unabhängig davon scheitert der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin daran, dass die Beklagte die entsprechende Behandlung nicht geschuldet hat, wie dies das SG bereits mit sehr eingehener Begründung überzeugend dargelegt hat. Der Kostenerstattungsanspruch kann aber nur - mit Ausnahme eines hier nicht gegebenen Notfalls - an die Stelle des Anspruchs auf eine Sach- oder Dienstleistung, wie sie von der gesetzlichen Krankenkasse zu erbringen ist, treten (BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4). Nach § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB V um faßt die zahnärztliche Behandlung die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Gemäss den Richtlinien für eine ausreichende, zweckmässige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung in der Fassung vom 24.07.1998 (BAnz Nr. 177) - B V - umfasst die systematische Behandlung von Parodontopathien nicht die Versorgung mit dem GTR-Verfahren. Wie Dr. Sxxxxxxx, dessen Gutachten der Senat urkundsbeweislich verwertet hat, dargelegt hat, sind die nach diesen Richtlinien vertragszahnärztlich zur Verfügung stehenden Behandlungsmethoden, ggfls. unter Einsatz prothetischer Mittel, ausreichend für die Versorgung der Klägerin gewesen. Diese Beurteilung hat Dr. Sxxxxxxx in Kenntnis des Befundes des Zahnarztes Pxxx getroffen, also auch unter Beachtung des bestehenden Knochenschwundes. Dem hat letztlich auch der behandelnde Arzt Pxxx nicht wiedersprochen, denn auf die wiederholte Anfrage des SG hat er lediglich auf sein früheres für die Klägerin erstelltes Gutachten verwiesen und die Auffassung vertreten, dass ohne seine Behandlung "heute" die Zähne hätten extrahiert werden können. Daraus folgt aber nicht, dass bei Anwendung vertragsärztlicher Leistungen eine ausreichende und zweckmäßige Versorgung der Klägerin nicht möglich gewesen wäre. Dass der Zahnarzt Pxxx die Anwendung des GTR-Verfahrens für sinnvoller erachtet hat, ist in soweit ohne Belang. Unter Berücksichtigung der Darlegungen von Dr. Sxxxxxxx, dass selbst bei Verwendung des GTR-Verfahrens, das auch nach der wissenschaftlichen Literatur nur in begrenztem Umfang zu einer Regeneration des Knochens führt (vgl. Hoffmann- Axthelm, Lexikon der Zahnmedizin, 6. Aufl., S. 294), nur mit einem kurzzeitigem Erhalt der Zähne zu rechnen sei, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Anwendung des GTR-Verfahrens notwendig und zweckmäßig im Sinne der §§ 12 Abs. 1, 28 Abs. 2 Satz 1 SGB V gewesen ist.

Schließlich hatte die Klägerin gegen die Beklagte auch deshalb keinen Anspruch auf zahnärztliche Versorgung mit dem GTR-Verfahren, weil es sich um eine neue Behandlungsmethode handelt, die nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zählt. Nach § 135 Abs. 1 SGB V dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Kassen nur abgerechnet werden, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der Methode abgegeben hat. Das GTR-Verfahren stellt eine neue Behandlungsmethode in diesem Sinne dar, weil es nach dem einheitlichen Bewertungsmaßstab für die zahnärztliche Behandlung - BEMA-Z - nicht zu den abrechnungsfähigen Leistungen zählt. Eine Empfehlung zur medizinischen Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der streitigen Therapie hat der Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen bisher nicht abgegeben. Für ein sogenanntes Systemversagen, das ausnahmsweise gleichwohl eine Einstandspflicht der Krankenkasse zu begründen vermag (vgl. dazu BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4; SozR 3-2500 § 28 Nr. 4), ergeben sich an gesichts der Ermittlungen des SG keine hinreichenden Anhaltspunkte.

Die Berufung der Klägerin mußte daher mit der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückgewiesen werden.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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