L 8 AL 2937/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AL 3/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AL 2937/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Bundesagentur für Arbeit muss bereits ab dem Zeitpunkt einer wirksamen Arbeitslosmeldung eine Entscheidung nach § 3 Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) für die Zeit der (späteren) Arbeitslosigkeit treffen. Unterlässt sie dies, ist eine Zustimmung zur Ortsabwesenheit des Arbeitslosen im Wege des Herstellungsanspruches zu fingieren.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 4. Juni 2003 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger auch für die Zeit vom 01.10. bis 13.10.2002 Anspruch auf Arbeitslosengeld zusteht.

Der am geborene Kläger war bei der Firma F. GmbH & Co. KG, N. U., als Filialleiter beschäftigt. Am 24.09.2002 wurde ihm vom vorläufigen Insolvenzverwalter zum 31.12.2002 gekündigt. Gleichzeitig wurde er mit Wirkung vom 01.10.2002 wegen der finanziellen Lage des Unternehmens von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt. Bis zum 30.06.2002 bezog er noch Arbeitsentgelt und vom 01.07. bis zum 30.09.2002 erhielt er Insolvenzgeld. In der Zeit vom 01.10. bis zum 13.10.2002 erhielt er weder Arbeitsentgelt noch Leistungen von der Beklagten.

Am 27.09.2002 sprach der Kläger bei der Beklagten vor, um sich arbeitslos zu melden und um Arbeitslosengeld zu beantragen. Hierbei gab er an, er wolle am 28.09.2002 einen schon vor längerer Zeit gebuchten Urlaub mit seiner Ehefrau antreten und er sei am 14.10.2002 wieder zurück. Der Arbeitsvermittler der Beklagten nahm in seinem Beratungsvermerk auf, der Kläger habe sich am 27.09.2002 persönlich arbeitslos melden wollen und hierbei angegeben, er sei vom Betrieb ab 01.10.2002 wegen Insolvenz freigestellt. Er fahre jedoch am 28.09.2002 in Urlaub. Auf sofortige persönliche Arbeitslosmeldung nach dem Urlaub sei der Kläger hingewiesen worden. Die Arbeitslosmeldung vom 27.09.2002 und der Antrag auf Arbeitslosengeld vom 27.09.2002 wurden von der Beklagten nicht in die Akte aufgenommen.

Nach seinem Urlaub meldete sich der Kläger am 14.10.2002 erneut bei der Beklagten arbeitslos. Daraufhin bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 30.10.2002 Arbeitslosengeld ab 14.10.2002 in Höhe von 306,81 EUR wöchentlich.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und machte zur Begründung geltend, er habe sich am 27.09.2002 zum 01.10.2002 arbeitslos gemeldet. Zu diesem Zeitpunkt sei sein Jahresurlaub schon gebucht gewesen, was er auch gleich bei seiner Vorsprache am 27.09.2002 angegeben habe. Mit der Entscheidung, ihm Arbeitslosengeld erst ab 14.10.2002 zu bewilligen, sei er nicht einverstanden. Er beantrage die Gewährung von Arbeitslosengeld ab 01.10.2002. Seinen Urlaub vom 28.09.2002 bis 13.10.2002 habe er dem Arbeitsamt vorher angezeigt und er hätte diesen Urlaub auch nicht mehr kostenneutral stornieren können. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2002 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, der Kläger sei bereits vor Antritt der Arbeitslosigkeit in Urlaub gefahren. Die Erreichbarkeitsanordnung (EAO) finde daher im Falle des Klägers keine Anwendung. Denn die EAO regele, unter welchen Voraussetzungen sich Arbeitslose außerhalb des Nahbereichs des Arbeitsamtes aufhalten könnten. Bei Antritt seines Urlaubs sei der Widerspruchsführer jedoch noch nicht arbeitslos im Sinne des § 118 SGB III gewesen. Außerdem sei der Urlaub nicht von der Zustimmung des Arbeitsamtes abhängig, da der Kläger den Urlaub lange vor Eintritt seiner Arbeitslosigkeit bereits gebucht habe. Der Kläger habe damit den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes erst ab 14.10.2002 zur Verfügung gestanden. Bis zur Rückkehr aus dem Urlaub sei er somit nicht arbeitslos im Sinne des § 118 Abs. 1 SGB III gewesen, weshalb ihm ein Leistungsanspruch für die Zeit vor dem 14.10.2002 nicht zugestanden habe.

Am 02.01.2003 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Auf Anfrage des SG hat der Kläger Nachweise vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass der Urlaub vom 29.09. bis 13.10.2002 spätestens am 05.08.2002 fest gebucht war. Ergänzend hat der Kläger vorgetragen, beim Arbeitsgericht Aalen habe er sich seinerzeit beraten lassen und man habe ihm mitgeteilt, dass eine Klage gegen den früheren Arbeitgeber wegen ausstehenden Arbeitsentgelts keine Aussicht auf Erfolg habe, da bereits das Insolvenzverfahren eröffnet sei.

Mit Urteil vom 04.06.2003 hat das SG den Bescheid vom 30.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2002 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger vom 01.10. bis 13.10.2002 Arbeitslosengeld zu zahlen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, zu Unrecht habe die Beklagte dem Kläger die Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.10. bis 13.10.2002 versagt. Der Kläger sei ab dem 01.10.2002 (Beginn der Beschäftigungslosigkeit) arbeitslos gewesen und er habe sich am 27.09.2002 persönlich arbeitslos gemeldet. Die Tatsache, dass die Beklagte den Kläger wieder weggeschickt habe, ohne die Arbeitslosmeldung anzunehmen bzw. zu dokumentieren und ohne den Antrag auf Arbeitslosengeld aufzunehmen, ändere nichts an der Wirksamkeit der persönlichen Arbeitslosmeldung vom 27.09.2002. Der Kläger sei auch im streitgegenständlichen Zeitraum verfügbar und arbeitsfähig gewesen. Dass der Kläger drei Tage vor Eintritt seiner Beschäftigungslosigkeit seinen Urlaub angetreten habe, ändere nichts am Eintritt der Beschäftigungslosigkeit. Die Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) sehe die Genehmigung des Aufenthalts außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs vor, insbesondere für Ausnahmefälle. Ein Ausnahmefall sei vorliegend gegeben, da der Kläger den Urlaub lange vor Eintritt der Beschäftigungslosigkeit gebucht gehabt habe und der Urlaub von ihm nicht mehr kostenneutral hätte storniert werden können. Die Beklagte hätte daher bei pflichtgemäßer Ermessensausübung die urlaubsbedingte Abwesenheit genehmigen müssen.

Gegen das der Beklagten am 30.06.2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25.07.2003 Berufung eingelegt. Zur Begründung hatte sie geltend gemacht, sie vermöge dem erstinstanzlichen Gericht darin nicht zu folgen, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum auch verfügbar und arbeitsfähig gewesen sei. Zwar habe sich der Kläger am 27.09.2002 beim zuständigen Arbeitsamt gemeldet, um mitzuteilen, dass er vom 28.09. bis 13.10.2002 in einen länger gebuchten Urlaub fahre, die Erreichbarkeitsanordnung sei jedoch vorliegend nicht anwendbar, da der Kläger sich zum Zeitpunkt des Beginns der Beschäftigungslosigkeit bereits im Urlaub befunden habe. Daher komme es auch nicht darauf an, dass der Kläger den Urlaub lange vor Eintritt der Beschäftigungslosigkeit gebucht gehabt habe und dass er den Urlaub nicht mehr kostenneutral hätte stornieren können. Die Beklagte hätte auch nicht im Wege pflichtgemäßer Ermessensausübung die urlaubsbedingte Abwesenheit genehmigen müssen. Der vorliegende Fall sei vielmehr gleich zu behandeln wie der Eintritt einer Krankheit vor Eintritt der Beschäftigungslosigkeit. Auch in diesem Falle sei der Arbeitnehmer nicht verfügbar und Verfügbarkeit könne erst nach Wegfall dieses Hindernisses wieder festgestellt werden. Außerdem sei darauf hinzuweisen, dass eine Genehmigung nach § 3 Abs. 1 EAO in den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit nur in begründeten Ausnahmefällen erfolge.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 4. Juni 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts Ulm für zutreffend und trägt ergänzend vor, zum Stichtag 30.09.2002 habe er noch Anspruch auf 28 Tage bezahlten Urlaubs gehabt. Ab 01.10.2002 habe er weder Gehalt noch Insolvenzgeld erhalten, sondern lediglich ab 14.10.2002 Arbeitslosengeld. Zuvor habe er vom 01.01.2002 bis 30.06.2002 Gehalt bezogen und vom 01.07.2002 bis 30.09.2002 habe er Insolvenzgeld erhalten. Bei dem Urlaub vom 01.10. bis 13.10.2002 habe es sich somit nicht um einen bezahlten Urlaub gehandelt. Während des Jahres 2002 habe er auf Urlaub bewusst verzichtet, um die in der Firma anstehenden Arbeiten zu erledigen. Deshalb halte er es für ungerecht, dass er einerseits neun Monate auf Urlaub verzichtet habe und dass ihm anschließend deswegen ab 01.10.2002 Leistungen vom Arbeitsamt bis zum 13.10.2002 versagt würden. Im Übrigen habe er auch deutlich gemacht, dass er auch während der Zeit vom 01.10. bis 13.10.2002 jederzeit erreichbar und abrufbar für das Arbeitsamt sei.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, der Akten des SG Ulm und der Senatsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils die Sach- und Rechtslage ausführlich, zutreffend und überzeugend dargelegt. Der Senat stimmt hiermit in vollem Umfang überein. Er weist deshalb die Berufung der Beklagten aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass auch das Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren keine andere Entscheidung rechtfertigt. Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger auch in der hier streitgegenständlichen Zeit vom 01.10.2002 bis zum 13.10.2002 Anspruch auf Alg hat, obwohl er sich während dieser Zeit im Urlaub befand. Die Urlaubsabwesenheit des Klägers stand seiner Verfügbarkeit iSd § 119 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB III nicht entgegen. Zwar hat die Beklagte der Ortsabwesenheit des Klägers nicht zugestimmt. Der Kläger ist jedoch aufgrund des hier gegebenen Herstellungsanspruches so zu stellen, als hätte die Beklagte die Zustimmung am 27.09.2002 erteilt. Denn an diesem Tag hat sich der Kläger arbeitslos gemeldet und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass er die Absicht habe, am 28.09.2002 einen schon länger geplanten Urlaub anzutreten. Die Beklagte wäre deshalb verpflichtet gewesen, noch am 27.09.2002 eine Entscheidung darüber zu treffen, ob sie der Ortsabwesenheit des Klägers für die Zeit ab 01.10.2002 zustimmt oder nicht. Stattdessen hat sie die Arbeitslosmeldung des Klägers nicht in die Akte aufgenommen und den Kläger darauf hingewiesen, dass er sich nach der Rückkehr aus dem Urlaub arbeitslos melden soll. Diese Beratung des Klägers war jedoch fehlerhaft, da eine Arbeitslosmeldung auch zulässig ist, wenn die Arbeitslosigkeit noch nicht eingetreten ist, der Eintritt der Arbeitslosigkeit aber innerhalb der nächsten zwei Monate zu erwarten ist (§ 122 Abs. 1 Satz 2 SGB III in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung) und ab dem Zeitpunkt einer wirksamen Arbeitslosmeldung für die Zeit der Beschäftigungslosigkeit auch die Erreichbarkeits-Anordnung Anwendung findet. Die Erreichbarkeits-Anordnung hindert die Beklagten also nicht, schon vor Beginn der Arbeitslosigkeit eine Entscheidung nach § 3 EAO für die Zeit der Arbeitslosigkeit zu treffen. Da die Beklagte fälschlicherweise davon ausgegangen ist, den Urlaub aus Rechtsgründen gar nicht genehmigen zu können, kann sie sich jetzt nicht mehr auf die fehlende Zustimmung berufen. Im Übrigen hätte die Zustimmung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles auch erteilt werden müssen, worauf das SG zu Recht hingewiesen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird vom Senat zugelassen, weil die hier entscheidungserhebliche Frage, ob bereits vor Eintritt der Arbeitslosigkeit die Zustimmung nach § 3 Abs 1 EAO für die spätere Zeit der Arbeitslosigkeit erteilt werden und die Arbeitslosigkeit damit mit einer - genehmigten - Ortsabwesenheit beginnen kann, grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved