L 11 KR 5239/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 1769/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 5239/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Frist zur Anhörung vor Erlass eines Gerichtsbescheids muss angemessen sein. Sie sollte 14 Tage nicht unterschreiten, wobei die Postlaufzeit zum Kläger zusätzlich zu berücksichtigen ist.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 27. November 2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dritte Personen (Unfallverursacher bzw. Schädiger) für Behandlungen des Klägers wegen der Folgen eines Auffahrunfalls (14.01.1997) und eines Überfalls (16.07.2001) auch bezüglich der dem Kläger entstandenen Zuzahlungskosten in Regress zu nehmen und den Kläger von der Selbstbeteiligung freizustellen hat sowie ob sie verpflichtet ist, dem Kläger die Zuzahlungen für Heilmittel (Massagen, Heißluft, Krankengymnastik) und Arzneimittel zu erstatten.

Der Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er ist Rentner und bezog eine Bruttorente in Höhe von 1.880,22 DM vom 01.07.1997 bis 30.06.1998, von 1.888,54 DM vom 01.07.1998 bis 30.06.1999, von 1.913,85 DM vom 01.07.1999 bis 30.06.2000, von 1.925,40 DM vom 01.07.2000 bis 30.06.2001, von 1.962,26 DM im übrigen Jahr 2001 und von über 1.000 EUR im Jahr 2002.

Nachdem der Kläger am 14.01.1997 einen Auffahrunfall erlitten hatte, wandte er sich ab dem 16.01.1997 mehrfach an die Beklagte, dass er eine dauerhafte Behandlung und nicht nur die vom Arzt verschriebenen 5 Behandlungen benötige. Nachdem ihm die Beklagte mitgeteilt hatte, dass medizinisch notwendige Aufwendungen bei ärztlicher Verordnung übernommen würden, wandte der Kläger ein, wegen der zu entrichtenden Zuzahlung könne er ärztlich verordnete Heilmittel nicht in Anspruch nehmen.

Mit Bescheid vom 02.09.1997 wies die Beklagte den Kläger daraufhin, dass eine Kostenübernahme des Zuzahlungsbetrages grundsätzlich nicht möglich sei, im Rahmen der Härtefallregelung jedoch die Möglichkeit der "teilweisen" oder "vollständigen" Befreiung bestehe. Ein entsprechender Antrag sei beigefügt.

In der Folgezeit (Schreiben vom 27.11., 04.12.1997 und 18.04.1998) machte der Kläger geltend, die von ihm zu entrichtenden Zuzahlungen bei der Inanspruchnahme von ärztlich verordneten Heilmitteln müssten von der Unfallgegnerin bzw. deren Versicherung eingefordert werden; außerdem erbat er die aktuellen Zuzahlungsbefreiungsgrenzen (Schreiben vom 23.07.1998).

Mit Bescheid vom 30.07.1998 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sein Einkommen den Grenzwert für 1998 (1.736,- DM) überschreite.

Der Kläger machte daraufhin ab dem 01.08.1998 geltend, er falle unter die sogenannte Härtefallregelung und habe allein deshalb keine Zuzahlungen bei Verordnungen von Heilmitteln zu tragen.

Mit Bescheiden vom 04.01.2000 und 08.03.2000 lehnte die Beklagte es erneut ab, den Kläger von den Zuzahlungen vollständig zu befreien, weil seine monatlichen Bruttoeinnahmen höher seien als die Einkommensgrenzen.

Der Kläger argumentierte daraufhin wiederum, dass er die Zuzahlungen gesetzlich nicht selbst zu tragen habe, vielmehr sei die Beklagte verpflichtet, die gesamten Kosten vom Verursacher zu holen (Schreiben vom 31.03.2000).

Mit Bescheiden vom 28.04. und 07.06.2000 erläuterte die Beklagte u. a. nochmals, dass bei der Befreiung von der Zuzahlung von den Bruttoeinnahmen auszugehen sei und diese jeweils die Einkommensgrenzen überstiegen hätten. Außerdem wies die Beklagte daraufhin, dass die ihr wegen des Auffahrunfalls am 14.01.1997 entstandenen Kosten nach den üblichen Regelungen bei der vom Kläger genannten Versicherung geltend gemacht worden seien. Hiervon unabhängig sei der Kläger nach den Vorschriften den SGB V in bestimmten Fällen zur Zuzahlung verpflichtet. Eine Befreiung sei nur möglich, wenn die Voraussetzungen der Härtefallregelung vorlägen. Die Leistungspflicht der Beklagten sei nicht davon abhängig, ob die Notwendigkeit der Massagen auf einen fremdverschuldeten Unfall zurückzuführen sei. Den Zuzahlungsanteil müsse der Kläger gegebenenfalls selbst als Schadensersatz gegenüber dem Unfallgegner privatrechtlich durchsetzen. Ergänzend unterrichtete die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 17.06.2000, dass mit der Versicherung des Unfallverursachers - wie zum Teil auch mit anderen Versicherungen - ein sog. Teilungsabkommen abgeschlossen worden sei. Nach diesem Teilungsabkommen würden die Kosten unabhängig vom Verschulden der Beteiligten im Einzelfall nach Pauschalen abgerechnet. Auf der Grundlage des Abkommens sei für den Kläger eine Pauschale für die ärztliche ambulante Behandlung und eine Pauschale für Heilmittel geltend gemacht worden.

Sämtliche Bescheide der Beklagten enthielten keine Rechtsmittelbelehrung.

Am 16.07.2001 wurde der Kläger seinen Angaben zufolge überfallen. Wegen der diesbezüglich erforderlichen Behandlungen und Arzneimittel argumentierte der Kläger ebenso wie bisher, dass die Beklagte die anfallende Selbstbeteiligung ihm nicht abverlangen dürfe, sondern vielmehr den Schädiger in Regress nehmen müsse.

Am 01.07.2003 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) wegen Betruges der Beklagten zu seinem Nachteil und auch an der ganzen Versichertengemeinschaft. Die Beklagte habe ihre Mitwirkungspflicht verletzt, indem sie von der Versicherung der Verursacherin nichts abverlangt habe. Es sei gar möglich, dass die Beklagte die Selbstbeteiligung zweimal einstreiche. Das gleiche gelte bezüglich des Überfalls am 16.07.2001.

Die Beklagte wertete die Klage als Widerspruch gegen die ergangenen Bescheide und erteilte unter dem 26.09.2003 einen Widerspruchsbescheid: Eine vollständige Befreiung von der Zuzahlung gemäß § 61 SGB V komme im Falle des Klägers nicht in Betracht, da seine monatlichen Bruttoeinnahmen die maßgebliche Grenze regelmäßig überstiegen hätten. Auch lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass eine teilweise Befreiung von der Zuzahlung gemäß § 62 SGB V in Betracht komme, denn unter Berücksichtigung der durchgeführten Behandlungen ergebe sich durch die Zuzahlung bei den Heilmitteln eine Belastung von maximal ca. 50 DM jährlich. Gegenüber einem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung könne die Krankenkasse nur Ansprüche geltend machen, soweit sie selbst zur Leistung gegenüber dem Versicherten verpflichtet sei. Zuzahlungen, die der Versicherte zu erbringen habe, blieben insoweit unberücksichtigt. Der Versicherte müsse die ihm aus den Zuzahlungen entstehenden Belastungen gegebenenfalls selbst beim Schädiger geltend machen.

Mit Gerichtsbescheid vom 27.11.2003 wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es im Wesentlichen aus, der Kläger habe weder einen Anspruch gegenüber der Beklagten darauf, dass sie einen Regress gegenüber dritten Personen hinsichtlich der ihm entstanden Zuzahlungskosten geltend mache, noch könne der Kläger eine Befreiung der Zuzahlungspflicht bei Inanspruchnahme von Heilmitteln verlangen. Bereits aus dem Wortlaut des § 116 Abs. 1 SGB X gehe hervor, dass es sich um einen gesetzlichen Anspruchsübergang zu Gunsten der Beklagten handle für die Kosten, die ihr selbst entstanden seien. Eine entsprechende Vorschrift für die Geltendmachung eines für den Kläger entstandenen Schadens existiere nicht. Einen ihm gegebenenfalls entstandenen Schaden müsse der Kläger selbst zivilrechtlich gegenüber dem Verkehrsunfallgegner bzw. der Person geltend machen, die ihn überfallen habe. Was die Befreiung von Zuzahlungen angehe, seien sämtliche Befreiungsvorschriften für den Kläger nicht einschlägig, da seine Bruttoaltersrente in den Jahren 1997 bis 2002 über der geltenden Belastungsgrenze gelegen habe. Ein Übersteigen der maßgeblichen Belastungsgrenze von 2 Prozent bzw. 1 Prozent der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt habe der Kläger nicht nachweisen können. Aufgrund der in Anspruch genommenen Heilmittel habe die Belastungsgrenze auch nicht überstiegen werden können.

Hiergegen richtet sich die am 22.12.2003 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er vor, er sei vor der Entscheidung durch Gerichtsbescheid nicht ordnungsgemäß angehört worden, denn er habe den entsprechenden Brief des SG erst am 26.11.2003 erhalten. Die Beklagte habe die Abrechnungsvorgänge mit den Schädigern vorzulegen, damit er sehen könne, ob er betrogen worden sei.

Der Kläger beantragt - sinngemäß -,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 27. November 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 2. September 1997, 30. Juli 1999, 4. Januar, 8. März, 28. April und 7. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 26. September 2003 zu verurteilen, die ihm entstandenen Zuzahlungskosten gegenüber dem Unfallverursacher vom 14. Januar 1997 bzw. dem Schädiger vom 16. Juli 2001 geltend zu machen, ihn von Zuzahlungen für die unfall- bzw. schädigungsbedingten Heilmittel und Arzneimittel zu befreien und die von ihm insoweit erbrachten Zuzahlungen zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie den der Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und insbesondere statthaft, da es sich vorliegend bei den streitigen Zuzahlungen um wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr handelt (§ 144 Abs.1 Satz 2 SGG). Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Zwar ist die Rüge des Klägers, er sei vor Erlass des Gerichtsbescheides nicht ordnungsgemäß angehört worden, berechtigt. § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG schreibt die Anhörung der Beteiligten zwingend vor. Sie gewährleistet den Grundsatz auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG). Eine Frist für die Anhörung sieht das Gesetz nicht vor. Sie muss indessen angemessen sein und sollte 14 Tage nicht unterschreiten (vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, § 105 RdNr. 12), wobei die Postlaufzeit zum Kläger zusätzlich zu berücksichtigen ist. Vorliegend ist die Anhörungsmitteilung erst am 26.11.2003 und damit einen Tag vor Erlass des Gerichtsbescheides dem Kläger zugegangen, was einen wesentlichen Verfahrensfehler darstellt. Dies hat jedoch nicht zwingend die Zurückverweisung der Sache an das SG nach § 159 SGG zur Folge; nach dieser Vorschrift steht eine solche vielmehr im Ermessen des Senats, wobei die Zurückverweisung die Ausnahme sein sollte (vgl. Meyer-Ladewig a.a.O. § 159 RdNr. 5). Es ist abzuwägen zwischen den Interessen der Beteiligten an einer raschen Sachentscheidung und dem Grundsatz der Prozessökonomie einerseits sowie dem Verlust einer Instanz andererseits. Unter Beachtung der Tatsache, dass die Sache entscheidungsreif ist und keine Ermittlungen mehr durchzuführen sind, überwiegt hier das Interesse an einer Entscheidung durch den Senat, so dass von einer Zurückverweisung der Sache an das SG nach § 159 SGG abgesehen wurde.

Das SG, dem sich der Senat in vollem Umfang anschließt, hat unter zutreffender Würdigung der für die Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs relevanten tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten ausführlich dargelegt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Befreiung von Zuzahlungen bei der Inanspruchnahme von Heil- und Arzneimitteln hatte. Der Senat sieht insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und nimmt auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug.

Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass die Beklagte in Höhe der gesetzlich festgelegten Zuzahlungen keinen Ersatzanspruch gegen die Schädiger bzw. die Versicherung hat. Soweit eine Zuzahlungspflicht zu den Leistungen des Krankenversicherungsträgers gegeben ist, besteht die regressfähige Sozialleistung im Sinne des § 116 Abs. 1 SGB X nur in dem vom Krankenversicherungsträger endgültig zu erbringenden Aufwand, also nicht auch in dem vom Versicherten zu zahlenden Betrag. Nur in diesem Umfang geht der Ersatzanspruch auf den Krankenversicherungsträger über. Dies bedeutet, dass die Beklagte in Höhe der Zuzahlungen keinen Ersatzanspruch gegenüber den Schädigern bzw. deren Versicherungen hat, vielmehr verbleibt insoweit der Anspruch bei dem Verletzten, d. h. beim Kläger (vgl. Kater in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 116 SGB X RdNr. 108, 113). Angesichts dessen besteht vorliegend auch kein Rechtsschutzinteresse des Klägers für eine Einsichtnahme in die Abrechnungsvorgänge der Beklagten.

Die Berufung des Klägers konnte hiernach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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