L 4 KR 155/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 44 KR 165/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 155/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 13. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung von Fahrkosten vom 01.06.2001 bis 31.12.2003 in Höhe von 961,00 EUR.

Der 1948 geborene und bei der Beklagten versicherte Kläger leidet nach Angaben des Neurologen Dr.H. (F.) an Persönlichkeitsstörung, mental-kognitivem Defizit und Hirninvolution; der Arzt hat im Arztbrief vom 25.01.2000 die Fortführung der symptomatischen Maßnahmen, inbesondere die Therapie mit Piracetam oder Akatinol empfohlen. Der Kläger ist nach Auskunft der Beklagten von Zuzahlungen vollständig befreit. Nach der vom ehemaligen Klägerbevollmächtigten vorgelegten ärztlichen Bescheinigung des Arztes für Allgemeinmedizin Dr.G. (N.) vom 25.07.2002 hatte der Kläger den an seinem Wohnort niedergelassenen Arzt am 19.05.2000 konsultiert, der Arzt habe jedoch eine medizinische Indikation für Infusionen mit Piracetam verneint. Der Kläger hatte daraufhin den Allgemeinarzt Dr.E. im ungefähr 30 km entfernten N. zur Behandlung mit Piracetaminfusionen (nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem SG) fünfmal wöchentlich aufgesucht. Für die Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu dem Arzt hatte er sich eine Seniorenkarte für 31,00 EUR je Monat beschafft.

Er hatte im Januar 2001 die Übernahme der Fahrkosten beantragt und ein ärztliches Attest von Dr.E. vom 20.03.2001 nachgereicht. Darin wird bestätigt, dass die Behandlung nur stattfinde, weil der Patient aus anderen Gründen derzeit in N. weile; es handle sich nicht um eine spezielle Behandlung, sondern um Maßnahmen, die auch von einem Arzt am Wohnort des Patienten durchgeführt werden könnten. Der Kläger müsse nicht wegen der Behandlung jedesmal von N. nach N. fahren. Mit dem bindend gewordenen Bescheid vom 20.03.2001 hatte die Beklagte die Erstattung der Fahrkosten abgelehnt.

Der Kläger beantragte am 06.11.2001 wieder Kostenerstattung für die Fahrten zur Behandlung durch Dr.E ... Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 12.11.2001 die Erstattung der Fahrkosten mit der Begründung ab, die ärztliche Versorgung sei am Wohnort des Klägers sichergestellt, er habe ohne zwingenden Grund Dr.E. zur Behandlung aufgesucht. Der gleichfalls in N. niedergelassene Arzt Albrecht habe die Behandlung nicht abgelehnt, sondern aus medizinischer Sicht für nicht notwendig erachtet. Hiergegen legte der Kläger am 11.12.2001 Widerspruch ein. Nach den Angaben des praktischen Arztes A. hatte er dem Kläger im Mai 2000 dreimal Infusionen mit Piracetam verabreicht. Eine Weiterbehandlung mit Piracetamtabletten oder anderen Hilfen habe der Kläger abgelehnt. Er sei auf Infusionen mit Piracetam fixiert; diese seien allenfalls als anfängliche akute Therapie vertretbar. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2002 zurückgewiesen; es bestehe keine zwingende Notwendigkeit wegen der großen Zahl niedergelassener Ärzte am Wohnort des Klägers und in F. , einen etwa 30 km entfernt niedergelassenen Arzt in N. zur Behandlung aufzusuchen.

Der Kläger hat hiergegen am 12.03.2002 Klage beim Sozialgericht München (SG) erhoben. Das SG hat Befundberichte von Dr.E. und Dr.H. beigezogen.

Es hat mit Urteil vom 13.02.2004 die auf Fahrkostenerstattung gerichtete Klage abgewiesen. Nach Prüfung aller Unterlagen habe sich ergeben, dass die Fahrten im Zusammenhang mit der ärztlichen Behandlung nicht notwendig gewesen seien. Die Kosten für die Fahrten nach N. wären nur dann erforderlich gewesen, wenn der Kläger eine geeignete Behandlung nicht von einem Arzt in der näheren Umgebung hätte erhalten können. Nach den Stellungnahmen der behandelnden Ärzte sei eine Dauerinfusionstherapie nicht vertretbar bzw. sei eine Besserung des Zustandes des Klägers nicht zu beobachten gewesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 06.07.2004. Wegen der Übernahme der Kosten der Behandlung müsse die Beklagte auch die Fahrkosten erstatten. Dr.H. habe die Infusions- therapie mit Piracetam für medizinisch erforderlich gehalten. Die Ärzte am Wohnort des Klägers hätten die Behandlung abgelehnt.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 13.02.2004 und des Bescheides vom 12.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2002 zu verurteilen, die Fahrkosten vom 01.06.2001 bis 31.12.2003 in Höhe von 961,00 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist demgegenüber der Auffassung, sie sei zur Erstattung der Fahrkosten nur für die nächst erreichbare Behandlungsmöglichkeit verpflichtet. Die medizinische Notwendigkeit für die Behandlung mit Piracetam sei nach den Ausführungen der behandelnden Ärzte Albrecht, Dr.G. und auch Dr.H. nicht gegeben, der auch eine Behandlung mit Akatinol für möglich gehalten hat. Dieses Präparat, das mittlerweile unter der Bezeichnung Memantine auf dem Markt ist, sei nur noch in der Darreichungsform von Tabletten bzw. Tropfen erhältlich.

Beigezogen wurden die Akten der Beklagten und des SG, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung (§§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist unbegründet.

Wie das SG zutreffend entschieden hat, hat der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der Fahrkosten im Zeitraum vom 01.06. 2001 bis 31.12.2003 in Höhe von 961,00 EUR für die Fahrten von seinem Wohnort in N. zu dem in etwa 30 km Entfernung in N. niedergelassenen Allgemeinarzt Dr.E. , um dort die tägliche Infusionstherapie mit dem Präparat Piracetam zu erhalten.

Anspruchsgrundlage ist § 60 Abs.1, 2 Sozialgerichtsgesetzbuch V (SGB V), wonach die Krankenkasse Kosten der medizinisch notwendigen Fahrten zu übernehmen hat, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung angefallen sind. Es ist nicht ersichtlich, dass es sich bei der zweieinhalb Jahre dauernden Infusionsbehandlung mit Piracetam durch den etwa 30 km vom Wohnort des Klägers entfernt niedergelassenen Allgemeinarzt Dr.E. um eine Leistung gehandelt hat, zu deren Inanspruchnahme die Fahrten zwingend notwendig gewesen sind. Es spricht hier nichts für die Annahme eines Notfalls bzw. das Bestehen von Systemstörungen oder Versorgungslücken. Denn dem Kläger haben im streitigen Zeitraum Vertragsärzte an seinem Wohnort für die ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftlich notwendige ambulante Behandlung zur Verfügung gestanden (§ 12 Abs.1 SGB V).

Die Beklagte hat die Kostenerstattung zu Recht abgelehnt. Gemäß § 60 Abs.1 SGB V in den hier einschlägigen Fassungen vom 23.06. 1997 (BGBl I S.1520) und 23.10.2001 (BGBl.I S.2702) übernimmt die Krankenkasse nach den Absätzen 2 und 3 die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 SGB V (Fahrkosten), wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse notwendig sind. Da der Kläger gemäß § 61 Abs.1 Nr.3 SGB V von dem bei den Fahrkosten anfallenden Eigenanteil (25,00 DM/ 13,00 EUR) je Fahrt befreit ist, setzt die Übernahme der Fahrkosten gemäß § 60 Abs.2 Satz 1 Nr.4 SGB V bei Fahrten zu einer ambulanten Krankenbehandlung sowie zu einer Behandlung nach § 115a oder § 115b SGB V voraus, dass dadurch eine an sich gebotene vollstationäre oder teilstationäre Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V) vermieden oder verkürzt wird oder diese nicht ausführbar ist wie bei einer stationären Krankenhausbehandlung. Im Übrigen übernimmt die Krankenkasse die Fahrkosten, wenn der Versicherte durch sie unzumutbar belastet würde (§ 61 SGB V). Im Zusammenhang mit dieser Vorschrift ist § 76 SGB V zu sehen. Der Versicherte hat nach Maßgabe des Absatzes 1 dieser Vorschrift zwar die Wahl unter den Vertragsärzten und den weiteren dort genannten Leistungserbringern, muss aber die Mehrkosten tragen, wenn er ohne zwingenden Grund einen anderen als einen der nächsterreichbaren an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte oder ärztlich geleiteten Einrichtungen in Anspruch nimmt (§ 76 Abs.2 SGB V).

Der Kläger hatte keinen zwingenden Grund, für die Behandlung mit Piracetam, das zu den Antidementiva zählt, bzw. für die Behandlung mit dem von Dr.H. gleichfalls empfohlenen Medikament Akatinol, das mittlerweile unter der Bezeichnung Memantine (Alzheimer-Medikament) erhältlich ist, nach N. zu fahren. Dies ergibt sich aus dem ärztlichen Attest des konsultierten Allgemeinarztes Dr.E. vom 20.03.2001, wonach der Kläger aus anderen Gründen nach N. fährt, und die Behandlung, bei der es nicht um spezielle Maßnahmen geht, auch am Wohnort des Klägers durchgeführt werden könnte. Ferner hat Dr.E. im vom SG eingeholten Befundbericht vom 10.07.2002 ausgeführt, dass die (nicht erfolgreiche) Infusionsbehandlung mit Piracetam nur erfolgt, weil der Kläger darauf beharrt. Ferner ist der Auskunft des praktischen Arztes Albrecht vom 21.12.2001 zu entnehmen, der dem Kläger im Jahr 2000 dreimal Infusionen mit Piracetam verabreicht hat, dass auch eine Weiterbehandlung mit Piracetamtabletten oder andere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Der Arzt hält Infusionen mit Piracetam nur als anfängliche akute Therapie für vertretbar. Zu Unrecht beruft der Kläger sich auf die Empfehlung des Neurologen Dr.H ... Dieser hat in dem mehrmals vorgelegten Arztbrief vom 25.01.2000 die Therapie mit Piracetam für indiziert gehalten, ergänzend z.B. auch Akatinol. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass die Therapie durch Infusionen zu erfolgen hat. Zwar hat Dr.H. im Befundbericht vom 01.09.2003 die Frage des SG nach einer Dauerinfusionstherapie mit Piracetam bejaht. Er hat aber hierfür angesichts anderer Behandlungsmöglichkeiten keine Begründung abgegeben.

Der geltend gemachte Anspruch lässt sich auch nicht anhand der Auskunft des Allgemeinarztes Dr.G. an den Klägerbevollmächtigten vom 25.07.2002 feststellen. Danach habe anlässlich einer Konsultation am 19.05.2000 die medizinische Notwendigkeit für Piracetaminfusionen nicht bestanden. Daraus lässt sich nicht zwingend die Ablehnung einer ärztlichen Behandlung ableiten. Der Arzt hat vielmehr damit ausgedrückt, dass er die Verabreichung von Infusionen mit Piracetam medizinisch nicht für erforderlich hält, wie dies auch andere, vom Kläger aufgesuchte Ärzte getan haben. Nach Ansicht des Senats ist aus den o.g. Auskünften der behandelnden Ärzte insgesamt zu folgern, dass für den Kläger die Infusionstherapie mit Piracetam nicht zwingend erforderlich ist, aber andere Therapiemöglichkeiten in Frage kommen.

In diesem Sinne hat die Beklagte in der Stellungnahme vom 23.08. 2004 ausgeführt, dass bei einer Weiterbehandlung mit Piracetam bzw. Memantine (Akatinol) auch die Darreichungsform von Tabletten in Erwägung zu ziehen sei. Damit sind die täglichen Fahrten des Klägers zur Behandlung in N. medizinisch nicht notwendig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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