L 15 B 70/04 KR ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 72 KR 1100/04 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 B 70/04 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 13. Juli 2004 wird zurückgewiesen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffende Beschwerdeverfahren wird abgelehnt. Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die am 1983 geborene, aus S L stammende Antragstellerin ist die Nichte des bei der Antragsgegnerin versicherten M S, im Folgenden Versicherter genannt. Nach eigenen Angaben wurde die Antragstellerin in ihrem Heimatland von dem Versicherten adoptiert.

Mit Schreiben vom 5. März 2002 teilte die Antragsgegnerin dem Versicherten mit, die Antragstellerin, die sie als Tochter des Versicherten bezeichnete, sei ab dem 1. Januar 2002 familienversichert. Mit Bescheid vom 12. Mai 2003 hob die Antragsgegnerin die Familienversicherung ab 1. Januar 2002 mit der Begründung auf, es bestehe tatsächlich kein Kindschaftsverhältnis zwischen dem Versicherten und der Antragstellerin. Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin am 20. Juni 2003 gegenüber der Antragsgegnerin Widerspruch ein, der bis heute nicht beschieden worden ist.

Mit Beschluss vom 19. September 2003 hat das Sozialgericht Berlin zum Aktenzeichen S 86 KR 514/03 ER auf Antrag der Antragstellerin festgestellt, dass der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12. Mai 2003 aufschiebende Wirkung besitze. Dieser Beschluss erwuchs in Rechtskraft.

Mit Bescheid vom 21. April 2004 stellte die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin nach vorangegangener Anhörung fest, die Familienversicherung habe mit Ablauf des 30. April 2004 geendet, weil die Voraussetzungen für eine Familienversicherung nicht bestünden. Den Widerspruch der Antragstellerin wies die Antragsgegnerin durch Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2004 mit gleichartiger Begründung zurück, die hiergegen erhobene Klage wird beim Sozialgericht Berlin unter dem Aktenzeichen S 72 KR 1100/04 geführt.

Am 3. Mai 2004 hat sich die Antragstellerin an das Sozialgericht Berlin mit einem Begehren auf vorläufigen Rechtsschutz gewandt. Ihr geht es i.W. darum, weiterhin als familienversichert behandelt zu werden. Mit Beschluss vom 13. Juli 2004 hat das Sozialgericht Berlin den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückgewiesen: Die Antragstellerin habe selbst eingeräumt, sie habe bisher nicht nachweisen können, dass sie die Tochter des Versicherten sei. Allein der Umstand, dass es eine aus S L stammende Urkunde gebe, die eine Adoption bestätige, könne eine Erfolgsaussicht nicht begründen, denn die Deutsche Botschaft in S L habe mitgeteilt, derartige Urkunden besäßen nach deutschem Recht keinerlei Beweiswert. Wegen mangelnder Erfolgsaussicht sei der Antragstellerin auch keine Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Gegen diesen ihr am 24. Juli 2004 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 2. August 2004 Beschwerde zum Landessozialgericht Berlin eingelegt, gleichzeitig hat sie auch für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe begehrt. Die Antragstellerin macht geltend, die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts Berlin sei deswegen fehlerhaft, weil das Sozialgericht zu Unrecht den Beweiswert der ausländischen Adoptionsurkunde in Zweifel gezogen habe.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 13. Juli 2004 aufzuheben, im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festzustellen, dass die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin familienversichert ist, und ihr für das Verfahren in beiden Instanzen Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen und den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Auf richterliche Anfrage hat sie zudem mitgeteilt, sie halte den Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 12. Mai 2003 für verfristet, so dass hieraus keine Rechte hergeleitet werden könnten. Ein Widerspruchsbescheid sei nicht für erforderlich gehalten worden, wenn das Gericht einen Widerspruchsbescheid für nötig halte, werde um einen Hinweis gebeten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin sowie die Gerichtsakten des Sozialgerichts Berlin zum Aktenzeichen S 86 KR 514/03 ER und S 72 KR 1100/04 Bezug genommen, welche Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.

1. Der Senat lässt offen, ob die Antragstellerin ihr Rechtsschutzbegehren zulässigerweise selbst geltend machen konnte. Erhebliche Zweifel sind insoweit deswegen begründet, weil nach Feststellung des Kammergerichts Berlin die Antragstellerin nach ihrem Heimatrecht erst mit Vollendung des 21. Lebensjahres - d. h. am 15. November 2004 - volljährig wird und bis zu diesem Zeitpunkt die Prozessfähigkeit der Antragstellerin fehlen dürfte. Der Senat hat jedoch davon abgesehen, eine Zustimmung des Amtsvormunds einzuholen, weil das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin jedenfalls aus anderen Gründen erfolglos bleibt.

2. Die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), der das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung regelt, sind vorliegend nicht erfüllt, denn es fehlt an einem Anordnungsgrund. Die Antragstellerin hat das Vorliegen eines nach § 86 b Absatz 2 SGG erforderlichen Anordnungsgrundes nicht mit der für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht nötig. Mit dieser Anordnung würde - jedenfalls für den Zeitraum zwischen dem Erlass der einstweiligen Anordnung und dem Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache - die Hauptsache vorweggenommen, weil insoweit eine Statusfeststellung ausgesprochen würde, die sich bei einem eventuellen Misserfolg der Klage im Verfahren zur Hauptsache vor dem Sozialgericht Berlin (S 72 KR 1100/04) nicht mehr rückgängig machen ließe. Die Tatsache, dass mit einer Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Hauptsache vorweggenommen würde, schließt den Erlass "einstweiliger" Anordnungen zwar nicht schlechterdings aus, weil dies gegen das in Art. 19 Absatz 4 Satz 1 Grundgesetz postulierte Gebot effektiven Rechtsschutzes verstieße. "Vorläufiger" Rechtschutz muss jedoch auch im Lichte von Art. 19 Absatz 4 Satz 1 Grundgesetz nur dann gewährt werden, wenn dem betroffenen Antragsteller das Abwarten der Hauptsacheentscheidung nicht zugemutet werden kann. Wird hingegen - wie im vorliegenden Fall - die Feststellung eines krankenversicherungsrechtlichen Status begehrt, ohne dass konkrete krankenversicherungsrechtliche Leistungen im Streit sind, so ist das Abwarten der Hauptsacheentscheidung zumutbar (LSG Berlin, Beschluss vom 28. Juni 2002, L 9 B 67/02 KR ER, NZS 2002, 672). Hiernach ist auch die Antragstellerin derzeit nicht auf die (vorläufige) Feststellung ihres krankenversicherungsrechtlichen Status angewiesen. Sollten sich vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens konkrete Leistungsstreitigkeiten ergeben, so kann die Antragstellerin diese gegebenenfalls durch ein erneutes Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes - bezogen auf konkrete Leistungen der Antragsgegnerin - geltend machen.

3. Vor diesem Hintergrund ist derzeit nicht darüber zu entscheiden, ob der Anordnungsanspruch besteht, d. h. der materiell-rechtliche Anspruch auf gegenwärtige Feststellung eines vorläufig bestehenden Krankenversicherungs-schutzes im Wege der Familienversicherung. Der Senat weist aber darauf hin, dass die Antragsgegnerin durch Bescheid vom 12. Mai 2003 "die Familienversicherung" aufgehoben hat. Diese Aufhebungsentscheidung dürfte jedoch derzeit schon deswegen keine rechtliche Wirkung entfalten, weil der hiergegen von der Antragstellerin eingelegte Widerspruch derzeit immer noch aufschiebende Wirkung besitzt.

Zunächst kann der Argumentation der Antragsgegnerin nicht gefolgt werden, die Antragstellerin habe ihren Widerspruch gegen den Bescheid vom 12. Mai 2003 verspätet eingelegt. Zwar ergibt sich in der Tat aus den Verwaltungsakten der Antragsgegnerin, dass der Widerspruch erst am 20. Juni 2003 bei der Antragsgegnerin einging. Aus den Verwaltungsakten ergibt sich demgegenüber aber nicht, wann der Bescheid vom 12. Mai 2003 der Antragstellerin bekannt gegeben bzw. zugestellt wurde. Der Bescheidtext verweist zwar auf § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch / Zehntes Buch, wonach am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post der Bescheid als bekannt gegeben bzw. zugestellt gelte, doch lässt sich aus den Verwaltungsakten der Antragsgegnerin ein Datum einer solchen Aufgabe zur Post nicht entnehmen. Insbesondere enthalten die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin auch keinen so genannten "Ab-Vermerk".

Darüber hinaus hat das Sozialgericht Berlin durch rechtskräftigen Beschluss vom 19. September 2003 festgestellt, dass der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12. Mai 2003 aufschiebende Wirkung besitze. Diesen Beschluss hat die Antragsgegnerin zu keinem Zeitpunkt angegriffen oder zur Überprüfung gestellt. Schon allein aus diesem Beschluss ergibt sich, dass weiterhin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 12. Mai 2003 bestehen dürfte, und zwar selbst dann, wenn sich ggf. noch herausstellen sollte, dass tatsächlich die Antragstellerin ihren Widerspruch verspätet eingelegt hat.

Solange das Widerspruchsverfahren noch nicht durch bestandskräftigen Widerspruchsbescheid abgeschlossen ist, spricht einiges dafür, dass weiterhin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Aufhebungsbescheid der Antragsgegnerin vom 12. Mai 2003 mit der Folge besteht, dass die Familienversicherung der Antragstellerin fortdauert. Hieran würde sich erst etwas ändern, wenn die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung ihres Bescheides vom 12. Mai 2003 bzw. eines noch zu erteilenden Widerspruchsbescheides anordnete oder wenn der noch zu erteilende Widerspruchsbescheid bestandskräftig würde.

4. Zu Recht hat das Sozialgericht auch die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 73 a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung liegen nicht vor. Abgesehen davon, dass das Verfahren keine hinreichende Aussicht auf Erfolg besitzt, bezweckt die Gewährung von Prozesskostenhilfe, einen bedürftigen Rechtsschutzsuchenden von der Belastung durch Prozesskosten freizustellen. Einer solchen Freistellung bedarf es nicht, sofern keine Prozesskosten angefallen sind. So verhält es sich im vorliegenden Fall, denn das Verfahren ist nach § 183 SGG gerichtskostenfrei, und außergerichtliche Kosten von nennenswertem Umfang, insbesondere etwa Anwaltskosten, sind für die Antragstellerin nicht angefallen. Aus demselben Grunde war auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Landessozialgericht abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in analoger Anwendung sowie § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 Zivilprozessordnung.

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.

Laurisch Scheffler Dr. Kärcher
Rechtskraft
Aus
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