L 14 RA 141/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 11 RA 267/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 RA 141/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 18. Juni 2004, der Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2002 sowie die Verrechnungsregelung im Altersrentenbescheid vom 6. Juni 2002 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte und die Beigeladene haben dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Verrechnung der vom Kläger bezogenen Rente mit einer Beitragsforderung der Beige- ladenen in Höhe von 110,27 EUR monatlich ab 01.04.2002.

Der im Jahre 1937 geborene Kläger, ein Ruhestandsbeamter, bezog aufgrund seiner schweren Behinderungen von der Beklagten seit 01.02.1993 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (anfangs 747,86 DM monatlich). Seine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung wurde von der Betriebskrankenkasse Berlin wegen Beitragsschulden zum 31.07.1997 beendet. Seit 01.08.1997 ist er versichert in der Kranken- und Pflegeversicherung der Beigeladenen und bezog von dieser hälftiges Pflegegeld bis zur Einstellung der Leistung mit dem 31.07.1998 und vom 13.02. bis zum 31.07.1999 (zweite Einstellung), dann wiederum weiter bis zum 30.11.2001 (Abhilfebescheid der Beigeladenen vom 19.11.2001 wegen fehlerhaften Verwaltungsverfahrens bei der Einstellung).

Seit dem Jahre 1997 bestanden Beitragsrückstände in wechselnder Höhe, unter anderem auch deshalb, weil der Kläger oft nur Teilzahlungen vornahm und zur Erfüllung seiner Beitragspflicht wiederholt Erklärungen abgab, er trete bestimmte monatliche Beträge des von 1999 bis 2001 und darüber hinaus streitigen Pflegegelds zur Tilgung einer monatlichen Beitragsschuld oder von Rückständen ab; auch die von der Beigeladenen vorgenommene Verrechnung der Ansprüche auf Pflegeleistungen von Februar bis Juli 1999 (1.077,27 DM) konnte die Rückstände nicht tilgen.

1. Mit Schreiben vom 09.10.2001 wandte sich die Beigeladene an die Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz und ermächtigte diese, Rentenleistungen mit den vom Kläger geschuldeten Sozialversicherungsbeiträgen einschließlich Nebenkosten in Höhe von insgesamt 7.544,76 DM zu verrechnen und hierbei zu berücksichtigen, dass der Kläger neben Rente noch Versorgungsbezüge in Höhe von 3.176,25 DM erhalte. Die einzelnen Beitragsforderungen in der Summe von 7.544,76 DM hatte die Beigeladene nicht benannt, ebenso wenig den Zeitraum, in dem die Forderungen fällig geworden waren, oder zumindest den Zeitpunkt der Saldierung auf 7.544,76 DM.

Die Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz leitete das Verrechnungsersuchen an die Beklagte weiter, die - ohne sich mit der Beigeladenen ins Benehmen zu setzen - den Kläger sofort mit Schreiben vom 06.11.2001 anhörte. Sie sei von der Beigeladenen zur Verrechnung von 7.544,76 DM an Beitragsrückständen ermächtigt und beabsichtige, von der laufenden Rentenleistung monatlich den pfändbaren Betrag einzubehalten. Sollte der Kläger bereits Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes beziehen oder durch die Verrechnung sozialhilfebedürftig werden, werde um Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung des zuständigen Sozialamts gebeten. Der Verrechnungsbetrag könne dann gemäß § 850f Abs.1 Buchstabe a der Zivilprozessordnung (ZPO) herabgesetzt werden.

Der Kläger behauptete hierauf, dass seine Einkünfte unter anderem wegen Verpflichtung zum Unterhalt für ein Kind und seine Mutter unpfändbar seien, und bemängelte, dass die Beklagte ihm gegenüber keine "Pfändungsschutzberechnung" nach Maßgabe der ZPO und des BSHG vorgenommen und damit nicht den "Nichteintritt der Hilfebedürftigkeit" unter Berücksichtigung von Miete und Nebenkosten, Mehrbedarfszuschlägen wegen Schwerbehinderung, Diät und Pflege usw. nachgewiesen habe (Schreiben vom 19. und 30.11. 2001). Auch ein Nachweis der Beitragsschulden fehle.

In Ergänzung und Änderung der Anhörung vom 06.11.2001 teilte die Beklagte dem Kläger am 11.02.2001 mit, es sei beabsichtigt, monatlich 329,50 DM (168,47 EUR) zu verrechnen; mit Beitragsansprüchen könne bis zur Hälfte der Rente aufgerechnet werden, soweit der Leistungsberechtigte dadurch nicht sozialhilfebedürftig werde. Für diesen Fall werde um Vorlage einer entsprechenden Bestätigung des zuständigen Sozialamts gebeten. Erneut forderte der Kläger mit mehreren Schreiben die Vorlage einer genauen Beitragsberechnung der Beigeladenen und machte eine "Freibetrags- und Bedarfsberechnung" nach der ZPO und dem BSHG unter Berücksichtigung verschiedenster Sachverhalte geltend, worauf die Beklagte wiederum eine "Sozialbedarfsbescheinigung" anforderte.

Mit Schreiben vom 17.01.2002 fragte die Beigeladene bei der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz wegen des Verfahrensstands an und erhielt von der Beklagten die Nachricht vom 11.02.2002, das Anhörungsverfahren wegen Verrechnung sei noch nicht abgeschlossen.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 27.02.2002 erklärte die Beklagte die Aufrechnung von "Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung (ggf. einschließlich Nebenforderungen) von 7.544,76 DM = 3.857,57 EUR (ggf. zuzüglich weiterer Zinsen, Säumniszuschläge)" - letzteres war im Verrechnungsersuchen der Beigeladenen überhaupt nicht angeführt - mit der Rente in monatlicher Höhe von 110,27 EUR ab 01.04.2002, so dass an den Kläger nur noch 110,28 EUR monatlich zur Auszahlung kämen. Die Einwände des Klägers könnten nicht berücksichtigt werden, weil dieser keine vom Sozialamt ausgestellte Bedarfsbescheinigung zur Hilfe zum Lebensunterhalt vorgelegt habe. Die dem Kläger nach Verrechnung verbleibende Rente zahlte die Beklagte dann in richtiger Höhe von monatlich 352,10 EUR aus (vgl. hierzu das berichtigende Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 09.04.2002).

2. In der Zeit zwischen dem Verrechnungsersuchen vom 09.10.2001 und der Erteilung des Verrechnungsbescheids vom 27.02.2002 - dieser Sachverhalt war der Beklagten nicht bekannt - erteilte die Beigeladene dem Kläger den Bescheid vom 19.11.2001, mit dem sie unter Abänderung des Bescheids vom 16.07.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2001 (Einstellung des Pflegegelds mit dem 31.07.1999) noch Pflegegeld bis zum 30.11.2001 bewilligte und für die anschließende Zeit einen Anspruch hierauf ablehnte. Mit dem gleichen Bescheid wurde weiterhin ein Antrag des Klägers auf Erhöhung des Pflegegelds in die Stufe II abgelehnt und darüber hinaus ausgesprochen: "Hinsichtlich Ihres Beitragskontos in der Kranken- und Pflegeversicherung, wo neben laufenden Beitragsansprüchen derzeit die Vollstreckung wegen eines Gesamtsolls in Höhe von 7.598,76 DM inklusiv Nebenforderungen noch ruht, werden wir angesichts Ihrer Ansprüche auf Nachzahlung von Pflegegeld für die Beiträge zur Krankenversicherung von Ihren regelmäßig getätigten Abtretungserklärungen Gebrauch machen. Hinsichtlich der offenen Beiträge zur Pflegeversicherung erkläre ich gegen Ihre Ansprüche auf Nachzahlung von Pflegegeld die Aufrechnung (§ 51 Abs.1 SGB I) und werde Ihre Geschäftsstelle bitten, Ihnen demnächst eine aktuelle Beitragsaufstellung zu übersenden. Diese Bescheide sind nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes Gegenstand der unter den Aktenzeichen S 20 P 4/01 und S 20 P 9/01 vor dem Sozialgericht Köln anhängigen Verfahren geworden."

Der Zeitpunkt des Beitragssaldos von 7.598,76 DM ist in diesem Bescheid nicht genannt. In einem Schreiben der Beigeladenen vom 10.12.2001 ist von einem Rückstand von 8.785,84 DM und - nach Aufrechnung des Pflegegelds in Gesamthöhe von 5.600,00 DM - von einer Restschuld von 3.185,74 DM die Rede.

Auf Betreiben des Sozialgerichts Köln (S 9 KR 185/01) erstellte die Beigeladene unter dem 19.04.2002 eine wohl auch an den Kläger übersandte monatliche Soll-Haben-Rechnung für die Zeit von August 1997 bis einschließlich April 2002 mit einem Gesamtrückstand von 2.024,18 EUR zum 30.04.2002. Welche der einzelnen Forderungen (Beiträge, Mahnkosten, Säumniszuschläge) wann getilgt worden sind, geht hieraus nicht hervor, ebenso wenig der im Verrechnungsersuchen der Beigeladenen vom 09.10.2001 genannte Rückstand von 7.544,75 DM und der Zeitpunkt dieses Saldos.

3. Der Kläger legte gegen den Verrechnungsbescheid der Beklagten vom 27.02.2002 am 06.03.2002 Widerspruch ein, wobei er unter anderem sinngemäß rügte, die Beklagte habe die Freigrenzen bei Pfändung und Sozialhilfebedürftigkeit nicht erstellt und ihm vorgelegt, und Beitragsansprüche (sinngemäß: die Forderungen der Beigeladenen) seien nicht urkundlich belegt. Ein vollstreckbarer Bescheid der Beklagten und der Beigeladenen lägen nicht vor. Im Übrigen seien alle Bescheide verfassungswidrig.

Die Beklagte weigerte sich, dem Begehren des Klägers nachzukommen, wies darauf hin, dass dieser eine Bedarfsbescheinigung des Sozialamts vorzulegen habe, und sprach im Bescheid vom 06.06. 2002 über die Gewährung einer Regelaltersrente von monatlich 473,44 EUR ab 01.08.2002 aus, die Verrechnung mit monatlich 110,27 EUR zu Gunsten der Beigeladenen bleibe bestehe, so dass an den Kläger nur 363,17 EUR monatlich zur Auszahlung kämen.

Der Widerspruch des Klägers vom 06.03.2002 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.08.2002 zurückgewiesen, weil vorliegend eine Verrechnung bis zur Hälfte der Rente gemäß §§ 52, 51 Abs.2 SGB I zulässig sei, wenn keine Hilfebedürftigkeit im Sinne des BSHG eintrete. Die vorgenommene Verrechnung werde bei einem monatlichen Gesamteinkommen von 1.879,81 EUR für angemessen gehalten.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Landshut (S 11 RA 267/02) trug der Kläger unter anderem seine Stellungnahmen im Anhörungs- und Widerspruchsverfahren erneut vor und machte geltend, das Verrechnungsersuchen sei an die Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz gerichtet worden und die Beklagte habe keine Ermächtigung für die Verrechnung gehabt. Auch stellte er Anträge im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes und beantragte die Beiordnung eines Anwalts wegen Verhandlungs- und Reiseunfähigkeit.

Die Beklagte gab im Prozess bekannt, dass die noch offene Forderung der Techniker Krankenkasse in Höhe von 4.707,71 EUR (9.207,48 DM) ab 01.04.2004 mit weiterhin 110,27 EUR bedient werde; beigelegt war dieser Äußerung ein Schreiben der erst im Berufungsverfahren beigeladenen Krankenkasse vom 25.03.2004 über ein an die Beklagte gerichtetes Ersuchen um Verrechnung einer Forderung auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen einschließlich Nebenkosten von 4.707,71 EUR. Das Sozialgericht wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 18.06.2004 unter Bezugnahme auf die Gründe in den angefochtenen Bescheiden der Beklagten ab.

Mit dem Rechtsmittel der Berufung wiederholt der Kläger sein bisheriges Vorbringen und macht die Nichtigkeit des Gerichtsbescheids wegen grober Verfassungswidrigkeit geltend. Wegen angeblicher Prozessunfähigkeit begehrt er die Beiordnung eines Anwalts nach seiner Wahl als besonderen Vertreter.

Der Senat hat die Techniker Krankenkasse beigeladen und neben der aktuellen Klageakte des Sozialgerichts folgende Akten beigezogen: vier Bände Akten der Beklagten, sieben Bände Akten der Beigeladenen, sieben weitere Prozessakten des Sozialgerichts Landshut (S 3 P 22/02, S 3 P 117/02, S 3 P 123/02, S 10 SB 661/02, S 13 SB 326/02, S 10 KR 127/97, S 13 Vs 347/96) mit einer Verwaltungsakte der Techniker Krankenkasse, eine Streitakte des Sozialgerichts München (S 19 KR 183/97), vier Prozessakten des Bayerischen Landessozialgerichts (L 15 B 194/99 SB ER, L 5 Ar 204/98 SB, L 14 RA 153/04 ER, L 14 RA 154/04 ER) sowie zwei Bände Schwerbehindertenakten und vier Verfahrenshandakten des AVF Landshut.

Aus den Akten des Sozialgerichts Landshut geht hervor, dass dort unter S 3 P 22/02, P 117/02 und P 123/02 Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Kläger und der im jetzigen Berufungsverfahren Beigeladenen wegen des Pflegegelds und wegen der Beitragsforderungen anhängig sind, die das Sozialgericht Köln (unter S 9 KR 185/01, S 20 P 4/01 und S 20 P 9/01) wegen örtlicher Unzuständigkeit dorthin verwiesen hatte.

Der Senat hat es mit Beschluss vom 03.09.2004 - L 14 RA 154/04 ER - abgelehnt, mit einstweiliger Anordnung den Bescheid der Beklagten vom 27.02.2002 aufzuheben. Mit weiterem Beschluss vom 01.12.2004 - L 14 RA 153/04 ER - ist antragsgemäß die aufschiebende Wirkung der Berufung hinsichtlich des Bescheids vom 27.02.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2002 hergestellt und die Beiordnung eines Rechtsanwalts als besonderen Vertreter des Klägers abgelehnt worden. Letzteres ist auch hinsichtlich des Berufungsverfahrens mit Beschluss vom 16.12.2004 erfolgt.

Der Kläger beantragt (sinngemäß), den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 18.06. 2004, den Bescheid der Beklagten vom 27.02.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2002 sowie die Aufrechnungsentscheidung der Beklagten im Bescheid vom 06.06. 2002 aufzuheben, hilfsweise den Gerichtsbescheid vom 18.06. 2004 aufzuheben und die Sache an das Sozialgericht Landshut zurückzuverweisen.

Nach rechtlichen Hinweisen des Senats in der mündlichen Verhandlung am 16.12.2004, zu der der Kläger nicht erschienen ist, zieht die Beigeladene das irrtümlicherweise an die Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz adressierte und von der Beklagten durchgeführte Verrechnungsersuchen zurück; die Beklagte erkennt das Klagebegehren an und erklärt sich bereit, den Bescheid vom 27.02.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2002 sowie die Verrechnungsentscheidung im Altersrentenbescheid vom 06.06.2002 aufzuheben.

Dem Senat lagen zur Entscheidung die Prozessakten beider Rechts- züge sowie die oben genannten Akten vor. Zur Ergänzung des Tatbestands, insbesondere hinsichtlich des Vorbringens und der Anträge des Klägers und der Beitragsberechnungen der Beigeladenen, wird hierauf Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143 ff., 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Der Kläger ist nicht prozessunfähig; begründete Anhaltspunkte, die für eine Geschäftsunfähigkeit sprechen könnten, liegen nicht vor (vgl. Beschlüsse vom 01.12. und 16.12.2004). Die Berufung ist wirksam von einem Dritten eingelegt worden. Der Kläger muss die Prozessführung der Frau L. , die mit dessen Wissen und Wollen für ihn agiert, gegen sich gelten lassen (vgl. Beschluss vom 01.12.2004).

Die Berufung ist in der Hauptsache begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27.02.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2002 sowie die Verrechnungsentscheidung der Beklagten im Altersrentenbescheid vom 06.06.2002 waren rechtswidrig; deshalb waren sie sowie der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut aufzuheben, am Schluss der mündlichen Verhandlung auch deswegen, weil die Beigeladene ihr Verrechnungsersuchen zurückgezogen hatte und eine elementare Voraussetzung für die Verrechnung, die ohnehin bisher schon nur dem äußeren Anschein nach bestand, nunmehr offensichtlich nicht mehr gegeben war.

Eine Aufhebung allein des Gerichtsbescheids und eine Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht entfielen damit, obwohl dies aus mehreren Gründen gerechtfertigt gewesen wäre. Die Voraussetzungen für einen Gerichtsbescheid, dass die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 105 Abs.1 SGG), lagen nicht vor. Der Sachverhalt ist auch nicht annähernd ermittelt und zudem im Gerichtsbescheid nicht hinreichend erfasst worden, und auch eine Urteilsbegründung fehlt, da mit Bezugnahme auf die Gründe der angefochtenen Bescheide wesentliche Umstände nicht berücksichtigt worden sind. Wesentliche Verfahrenshandlungen (Entscheidung über die Beiordnung eines Anwalts und Beiladung) wurden unterlassen und zum Teil prozessrelevante Anträge des Klägers übergangen.

Obwohl die streitgegenständlichen Bescheide allein aufgrund der prozessualen Erklärungen der Beklagte aufzuheben waren, weist der Senat zur Vermeidung künftiger Fehler kurz auf folgende Punkte hin: Die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung war schon deswegen rechtswidrig, weil keine wirksame "Ermächtigung" der Beklagten im Sinne von § 52 Abs.1 Sozialgesetzbuch Teil I (SGB I) zugrunde lag. Eine Verrechnung setzt nach der Rechtsprechung den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Verrechnungsver- trags im Sinne von § 53 Abs.1 SGB X voraus (BSG vom 26.09.1991 - 4/1 RA 33/90 in SozR 3-1200 § 52 Nr.2 und BSG vom 24.07.2003 - 4 RA 60/02 R in SozR 4-1200 § 52 Nr.1), wobei die Erklärungen der Beteiligten der Schriftform bedürfen (§ 56 SGB X); nach der wohl herrschenden Meinung in der Literatur genügt allerdings zur Begründung eines öffentlich-rechtlichen Auftragsverhältnisses ein einseitiges Rechtsgeschäft, d.h. eine einseitige zugangsbedürftige Willenserklärung (hier der Beigeladenen). Unabhängig von dem Meinungsstreit ist aber stets vorauszusetzen, dass an den verrechnenden Träger eine Willenserklärung der um Verrechnung ersuchenden Stelle ergeht. Eine an Dritte gerichtete Willenserklärung ist insoweit unwirksam, Vorschriften wie z.B. § 16 SGB I, die für Anträge von Leistungsberechtigten gelten, sind nicht entsprechend anwendbar.

Im vorliegenden Falle fehlte es bereits an einem wirksamen Verrechnungsersuchen im Sinne einer an die Beklagte gerichteten Willenserklärung. Der Mangel wird nicht dadurch geheilt, dass die Beigeladene mit Schreiben vom 25.03.2004 ein neues Verrechnungsersuchen an die Beklagte richtete. Dieses betraf zum Großteil andere Forderungen der Beigeladenen gegenüber dem Kläger aus anderen Zeiträumen und kann dem Verrechnungsbescheid vom 27.02.2002 nicht zugrunde gelegt werden. Erforderlich wäre eine erneute Anhörung des Klägers und die Erteilung eines neuen Verrechnungsbescheids.

Die Beklagte hatte weiterhin mit Forderungen der Beigeladenen verrechnet, die zum Zeitpunkt der Erteilung des Verrechnungsbescheids vom 27.02.2002 bereits erloschen waren. Ein Nachschieben neuer Forderungen bei Tilgung der alten Forderungen ist nicht möglich; schließlich handelt es sich hier nicht um ein laufendes Kontokorrent, in dessen Rahmen Forderungen beliebig ausgetauscht oder ergänzt werden dürfen und dann zu einem gewissen Zeitpunkt ein bestimmter Saldo geschuldet wird.

Der Verrechnungsbescheid vom 27.02.2002 war ferner in seiner Gesamtheit rechtswidrig, weil er - dies gilt im Übrigen auch für das Verrechnungsersuchen - nicht inhaltlich hinreichend bestimmt war (§ 33 Abs.1 SGB X). Zur Aufrechnung bzw. Verrechnung gestellt wird eine bestimmte Forderung (Kasseler Kommentar, Rdz.10 zu § 52 SGB I). Eine "Gesamtforderung" ist in diesem Sinne dann fixiert, wenn ein bestandskräftiger Verwaltungsakt über die Gesamtsumme besteht oder mangels eines rechtsverbindlichen Verwaltungsakts ein rechtskräftiges Urteil. Ansonsten ist davon auszugehen, dass sich die "Gesamtforderung" aus - vorliegend zahlreichen und monatlich variierenden - einzelnen Forderungen zusammensetzt, und diese in einem Verwaltungsakt konkret und bestimmt darzulegen sind. Eine Abweichung hiervon wäre nur denkbar bei giroähnlichen Verhältnissen, in denen Soll und Haben verrechnet (saldiert) werden und zu einem bestimmten Zeitpunkt, z.B. Ende jeden Vierteljahres, ein Saldo-Anerkenntnis (abstraktes Schuldanerkenntnis mit schuldumschaffender Wirkung im Sinne von §§ 781, 782 des Bürgerlichen Gesetzbuches) stattfindet, so dass aus vielen gegenseitig saldierten Forderungen eine "neue" einheitliche und bestimmte Forderung entsteht. Dies bedürfte jedoch zunächst eines Abrechnungsvertrags zwischen den an dem Kontokorrent Beteiligten und dann eines Schuldanerkenntnisses zu einem nach Zeitpunkt und Höhe bestimmten Geldbetrag. Im Gesetz ist ein derartiges Rechtsverhältnis für Ansprüche auf Sozialleistungen und Beiträge jedenfalls nicht vorgesehen.

Damit musste die Beklagte in ihrem Verrechnungsbescheid hinreichend bestimmte Einzelforderungen zur Aufrechnung stellen, und es war vorweg Aufgabe der Beigeladenen, diese so genau zu benennen, dass auch eindeutig nach außen hin klargestellt wird, welche dieser Einzelforderungen durch rechtsgestaltenden Verrechnungsakt erlöschen sollen.

Die Hinweise der Beigeladenen auf Beitragsrückstände und vereinzelte in den Akten ersichtliche Aufstellungen waren in keiner Weise geeignet, den Verrechnungsbetrag von 7.544,76 DM hinsichtlich der insgesamt streitigen Einzelforderungen in irgendeiner Weise zu belegen. Unabhängig davon kam es auch nicht darauf an, ob der Verrechnungsbetrag von 7.544,76 DM aufgrund von Berechnungen bestimmbar sein könnte. Ein Verwaltungsakt muss aus Gründen der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit nach außen hin vollständig, klar und unzweideutig erkennen lassen, was konkret geregelt wird. Der vom Verwaltungsakt Betroffene muss aus dem Inhalt des Bescheids erkennen können, was im Einzelnen verfügt worden ist; maßgebend ist die Erkenntnismöglichkeit eines verständigen objektiven Erklärungsempfängers. Bedeutsam ist dies auch bei der Aufrechnung bzw. Verrechnung. Von "außen her" muss ohne Kenntnis der Akten bzw. des gesamten Sachverhalts eindeutig bestimmbar sein, welche konkreten Forderungen durch rechtsgestaltende Aufrechnung erloschen sind. Dies ist jedoch bei einer nicht einmal zeitlich fixierten "Gesamtforderung" der Beigeladenen aus einem laufenden Versicherungsverhältnis nicht möglich; eine nur der Höhe nach bezifferte "Gesamtforderung" ist unbestimmt und unzulässig (vgl. BSG vom 24.07.2003 - B 4 RA 60/02 R in SozR 4-1200 § 52 Nr.1 zur Verrechnung einer "nicht einziehbaren und nicht verjährten Gesamtforderung in Höhe von 26.521,50 DM"; gefordert wurden hier zur Bestimmtheit eines Verwaltungsakts Angaben über Art und Umfang der Forderung, Rechtsgrund, Entstehungszeitpunkt und Fälligkeit der Forderung sowie Angabe darüber, ob die Forderung bestandskräftig oder rechtskräftig festgestellt worden ist).

Unabhängig davon wäre auch der Bescheid vom 27.02.2002 wegen eines Ermessensfehlers rechtswidrig und daher aufzuheben gewesen.

Die Beklagte hatte die maximale Grenze der Aufrechnung nicht ermittelt und bestimmt, so dass sie auch nicht unter Zugrundelegung dieser Schranken sachgerecht Ermessen dahingehend ausüben konnte, ob in Höhe des maximal zulässigen Betrags oder mit einer geringeren Summe verrechnet werden sollte. Die Sozialhilfebedürftigkeit im Sinne von § 51 Abs.2 SGB I ist, wenn der Bürger nicht freiwillig eine Bedürftigkeitsbescheinigung vorlegt, von Amts wegen festzustellen (BSG vom 09.11.1989 - 11 RAr 7/89 in SozR 1200 § 51 Nr.17).

Nach alledem musste die Berufung des Klägers Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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