L 20 RJ 552/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 11 RJ 452/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 552/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 RJ 2/05 AR
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 04.11.1998 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 20.10.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.1996 verurteilt, dem Kläger ab 01.09.2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Versichertenrente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1947 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in seiner Heimat. In der Türkei hat er neun Monate Versicherungszeiten, in Deutschland arbeitete er versicherungspflichtig ab 08.12.1969 in der Bohrerei bei der Firma S. ; der letzte Pflichtbeitrag wurde im Februar 1983 entrichtet.

Den ersten Rentenantrag des Klägers vom 12.12.1979, den er wegen der Folgen eines am 29.08.1979 in der Türkei erlittenen Verkehrsunfalls (Psychoorganisches Syndrom nach Gehirnerschütterung) stellte, lehnte die LVA Berlin mit Bescheid vom 31.10.1980 ab. Das SG Berlin - S 24 J 1625/80 - hat die dagegen erhobene Klage mit Urteil vom 23.08.1984 abgewiesen, weil der Kläger nach den Ermittlungen des SG noch ihm zumutbare Verweisungstätigkeiten ausüben könne. Den zweiten Rentenantrag vom 07.01.1985 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22.08.1985 ab. Die ablehnende Entscheidung der Beklagten wurde durch das Urteil des SG Bayreuth vom 09.04.1986 bestätigt. Nach Zurückverweisung erging das klageabweisende Urteil des SG Bayreuth vom 05.10.1989 (S 9 Ar 227/87.Z). Im anschließenden Berufungsverfahren bestätigte das BayLSG im Urteil vom 08.10.1991 (L 6 Ar 1155/89), dass der Kläger nicht berufsunfähig sei, da er konkret die vom LAA Berlin genannten Arbeiten eines Montagemechanikers verrichten könne. Den dritten Rentenantrag vom 03.02.1992 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15.03.1993 und Widerspruchsbescheid vom 21.07.1993 ab. Das SG Bayreuth hat die dagegen erhobene Klage durch Gerichtsbescheid vom 16.01.1995 (S 6 Ar 291/94) abgewiesen, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht gegeben seien.

Am 23.08.1995 beantragte der Kläger wiederum Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, den die Beklagte mit Bescheid vom 20.10.1995 mit der Begründung ablehnte, in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen sei seit dem Rentenantrag von 1992 keine Änderung eingetreten. Im Widerspruchsbescheid vom 19.03.1996 vertrat die Beklagte die Auffassung, der Kläger sei weiterhin in der Lage, leichte Arbeiten unter Beachtung bestimmter Funktionseinschränkungen vollschichtig zu verrichten.

Dagegen hat der Kläger am 13.05.1996 Klage zum SG Bayreuth erhoben, die das Gericht durch Urteil vom 04.11.1998 abgewiesen hat, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung nach wie vor nicht gegeben seien. Auf Grund des Urteils des BayLSG vom 08.10.1991 stehe fest, dass der Kläger zumindest bis zu diesem Zeitpunkt weder erwerbs- noch berufsunfähig gewesen sei. Zu einem späteren Zeitpunkt sei die erforderliche Vorversicherungszeit nicht mehr erfüllt.

Der Senat hat zur Frage der verminderten Erwerbsfähigkeit Prof.Dr.N. zum ärztlichen Sachverständigen ernannt. Dieser gelangte im Gutachten vom 17.10.2001 zu dem Ergebnis, der Kläger könne zumindest seit dem 07.08.2001 (Tag der Untersuchung) keine Arbeiten von wirtschaftlichem Wert mehr erbringen (ausgedehnte Mittelgesichts-Fraktur und Verlust der Sehkraft rechts unter einer inzwischen fixierten posttraumatischen und schwerwiegenden neurotischen Störung mit im Vordergrund stehender Dysthymie und Leistungsinsuffizienz). Daraufhin erkannte die Beklagte den Eintritt des Leistungsfalles der vollen Erwerbsminderung zum 07.08.2001 an. Da zu diesem Zeitpunkt aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr gegeben seien, kämen Rentenleistungen nicht in Betracht. Die Beklagte sieht auch keine Berechtigung des Klägers zur Entrichtung freiwilliger Beitragsleistungen, auch nicht im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.

Auf Anfrage des Senats hat der Kläger im Schreiben vom 18.03.2004 mitgeteilt, dass er bei entsprechender Information durch die Beklagte bereit und in der Lage gewesen wäre, die erforderlichen freiwilligen Beiträge zu entrichten, um einen Rentenanspruch in Deutschland zu erwerben.

Der Kläger, für den in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist, beantragt sinngemäß, das Urteil des SG Bayreuth vom 04.11.1998 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.10.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.1996 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem Unfalltag am 29.08.1979 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Einlassungen des Klägers genügten nicht, ein Interesse an einer freiwilligen Beitragsleistung nachzuweisen. Den jetzigen Beteuerungen des Klägers sei keine besondere Bedeutung beizumessen. Seine Erklärung hätte sich auf konkrete Zeiträume beziehen müssen. Letztenendes müsse in jedem Falle davon ausgegangen werden, dass vor der Ausreise aus Deutschland kein freiwilliger Beitrag entrichtet worden sei und nach der Wohnsitzverlegung das Recht zur freiwilligen Versicherung nicht mehr bestehe.

Nach Auskunft des türkischen Versicherungsträgers hat der Kläger nach seiner Rückkehr in die Türkei keine versicherungspflichtige Arbeit mehr ausgeübt. Seit 01.02.1985 bezieht er eine zwischenstaatliche und ab 01.06.1986 eine innerstaatliche Rente ausschließlich nach türkischem Recht.

Wegen der Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestands auf die Streitakten erster und zweiter Instanz sowie auf die Verwaltungsunterlagen der LVA Berlin und der Beklagten sowie die früheren Streitakten des SG Berlin, des SG Bayreuth und des BayLSG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist zum Teil begründet. Auf den Antrag des Klägers waren das angefochtene Urteil des SG Bayreuth vom 04.11.1998 aufzuheben, die diesem zugrunde liegenden Bescheide der Beklagten vom 20.10.1995 und vom 19.03.1996 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger mit Wirkung ab 01.09.2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. Denn der Kläger erfüllt für eine Rentengewährung sowohl die medizinischen wie auch die rechtlichen Voraussetzungen.

Der Senat legt seiner Entscheidung zugrunde, dass der Kläger seit 07.08.2001 erwerbsunfähig ist. Insoweit folgt er den überzeugenden und in sich schlüssigen Ausführungen des von ihm gehörten ärztlichen Sachverständigen Prof. Dr.N. im Gutachten vom 17.10.2001. Aus den Ausführungen des Sachverständigen lässt sich jedoch ein früherer Leistungsfall nicht nachweisen. Im Hinblick auf das Ergebnis der früher vom Kläger eingeleiteten Rentenverfahren hat der Senat auch keinen Anlass gesehen, von der Leistungsbeurteilung des ärztlichen Sachverständigen abzuweichen. Auch die Beklagte bestreitet das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit beim Kläger seit dem 07.08.2001 nicht.

Der Rentenanspruch des Klägers richtet sich nach den Vorschriften des SGB VI, hier noch in der Fassung des RRG 1992 (§ 300 Abs 1 iVm Abs 2 SGB VI). Nach § 44 Abs 1 Nrn 1 bis 3 SGB VI haben Versicherte bis zu Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit - EU -, wenn sie erwerbsunfähig sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der EU drei Jahre Pflichtbeitragszeiten haben (Nr 2) und vor Eintritt der EU die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der EU verlängert sich nach § 44 Abs 4 um die in § 43 Abs 3 SGB VI genannten Zeiten, die nicht auch Pflichtbeitragszeiten sind. Nach der Sonderregelung des § 241 Abs 2 Satz 1 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten vor Eintritt der EU für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der EU mit Anwartschaftszeiten belegt ist oder wenn die EU vor dem 01.01.1984 eingetreten ist. Ergänzend dazu bestimmt § 241 Abs 2 Satz 2 SGB VI, dass für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, eine Belegung mit Anwartschafterhaltungszeiten nicht erforderlich ist.

Der Kläger ist zwar inzwischen erwerbsunfähig im Sinne des Gesetzes und hat die allgemeine Wartezeit erfüllt. Er hat jedoch nicht die für die Gewährung von Rente wegen EU erforderliche Beitragsdichte vor Eintritt des Leistungsfalles aufzuweisen. Aus dem aktenkundigen Versicherungsverlauf ergibt sich vielmehr, dass im entsprechenden Fünfjahreszeitraum vor Eintritt des Leistungsfalles am 07.08.2001 kein Monat an Pflichtbeitragszeiten vorhanden ist. Auch ist die EU beim Kläger nicht auf Grund eines Tatbestands eingetreten, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig als erfüllt gilt (§ 44 Abs 4, § 43 Abs 4, § 53 SGB VI).

Ein Rentenanspruch besteht aber unter Berücksichtigung der Übergangsregelung des § 241 iVm § 240 SGB VI. Das Erfordernis der durchgehenden Belegung vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der EU entfällt nämlich, weil der Kläger, der die Wartezeit von 60 Monaten erfüllt hat, noch freiwillige Beiträge für den gesamten Zeitraum zur deutschen Rentenversicherung nachentrichten kann (§ 241 Abs 2 Satz 2 SGB VI).

Nach Würdigung aller für den vorliegenden Fall maßgebenden Gesichtspunkte ist der Senat zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger das Recht zur freiwilligen Versicherung in Deutschland auch nach seiner endgültigen Rückkehr in die Türkei (November 1984) noch hätte ausüben können. Zwar hatte er bis zu diesem Zeitpunkt keine freiwilligen Beiträge zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet. Auch hat das deutsch-türkische Sozialversicherungsabkommen den in der Türkei lebenden Staatsangehörigen der Republik Türkei zu keiner Zeit die Möglichkeit zur Begründung einer freiwilligen Versicherung in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung eröffnet (vgl hierzu Mitteilung der LVA Oberfranken/Mittelfranken 1987, 153). Ursprünglich war aber Art. 26 des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens in der bis zum 31.03.1987 geltenden Fassung maßgebend. Danach konnte ein türkischer Versicherter seine in Deutschland begonnene freiwillige Versicherung nach Rückkehr in die Türkei fortsetzen. Diese Vorschrift wurde dann durch das Abkommen vom 02.11.1984 (BGBl II 1986 S 1040) aufgehoben. Danach sind auch türkische Staatsangehörige mit Wohnsitz in ihrer Heimat in der deutschen Rentenversicherung grundsätzlich nicht zur freiwilligen Versicherung berechtigt. Allerdings bestimmt dazu Art 2 Abs 5 des Zusatzabkommens, dass das Zusatzabkommen der Fortsetzung einer vor seinem In-Kraft-Treten begonnenen freiwilligen Versicherung nicht entgegensteht. Dem Kläger stand und steht jedoch für die Zeit seines dauernden Aufenthaltes in Deutschland, also bis November 1984 das Recht zur Entrichtung freiwilliger Beiträge in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung noch zu (§ 1233 RVO). Eine in Deutschland begonnene freiwillige Versicherung kann der Kläger auch bei gewöhnlichem Aufenthalt in der Türkei ab November bzw Dezember 1984 fortsetzen.

Der Kläger kann für den gesamten Zeitraum ab 01.01.1984 noch freiwillige Beiträge entrichten. Nach § 1418 Abs 1 RVO in der Form des 20. RAG mussten die Beiträge bis zum Ablauf des Geltungsjahres entrichtet sein. In diese Frist waren aber Zeiten eines schwebenden Rentenverfahrens nicht einzubeziehen (§ 1420 Abs 2 RVO). Das mit dem ersten Rentenantrag vom 12.12.1979 eingeleitete Rentenverfahren endete mit der Rechtskraft des am 23.08.1984 verkündeten Urteils, das am 06.09.1984 in Berlin zugestellt wurde. Die Berufungsfrist endete einen Monat später, also am 06.10.1984. Bereits am 07.01.1985 hat der Kläger den zweiten Rentenantrag gestellt. Damit "schwebte" erneut ein Rentenverfahren im Sinne des § 1420 Abs 2 RVO. Die ab 07.09.1984 laufende Jahresfrist für die Entrichtung freiwilliger Beiträge für das Jahr 1984 (§ 1418 Abs 1 RVO) wurde also ab 07.01.1985 erneut aufgeschoben. Bis zum 06.01.1985 waren davon vier Monate verbraucht.

Das mit Antrag vom 07.01.1985 eingeleitete Rentenverfahren endete mit Rechtskraft des LSG-Urteils vom 08.10.1991, das am 28.01.1992 in der Türkei zugestellt wurde. Die Dreimonatsfrist für die Erhebung der Nichtzulassungsbeschwerde war am 28.04.1992 abgelaufen, aber schon vorher, nämlich am 03.02.1992 hatte der Kläger den dritten Rentenantrag gestellt, so dass der Aufschub des Fristablaufs bis zur Rechtskraft des Gerichtsbescheids vom 16.01.1995 (S 6 Ar 291/94) andauerte. Dieser Gerichtsbescheid wurde am 27.02.1995 in der Türkei zugestellt, die Berufungsfrist ist demgemäß am 29.05.1995 (Montag) abgelaufen (Rechtskraft). Bis zum erneuten Antrag vom 23.08.1995, der das Renten- und Gerichtsverfahren einleitete, in dem vorliegende Entscheidung ergeht und durch den ein weiterer Aufschub eingeleitet wurde, sind von der ursprünglichen Jahresfrist somit weitere 85 Tage (30.05. bis 22.08.1995) verbraucht worden. Das sind zusammen (mit den oben errechneten vier Monaten) insgesamt sechs Monate und 23 Tage. Die Jahresfrist für die Entrichtung freiwilliger Beiträge für das Jahr 1984 und (nach der RVO-Regelung) auch für die Jahre anschließend von 1985 bis 1991 ist demnach noch nicht abgelaufen. Nach Auffassung des erkennenden Senats (vgl auch Urteil vom 26.08.1998 - L 20 RJ 209/96 -) kommt es für die Prüfung der Berechtigung zur freiwilligen Versicherung im Rahmen des § 1420 Abs 2 RVO auf den Zeitraum an, für den die Beiträge entrichtet werden. Da der Kläger bis November 1984 seinen Wohnsitz in Deutschland hatte und für diese Zeit die damals geltende Beitragsentrichtungsfrist nach § 1420 Abs 2 RVO nicht abgelaufen ist, war er auch nach seiner Rückkehr in die Türkei berechtigt, eine in Deutschland begonnene freiwillige Versicherung fortzusetzen. Der Kläger könnte im Rahmen des § 1420 RVO für 1984 auch jetzt noch Beiträge für Monate vor der Wohnsitzverlegung in die Türkei entrichten und würde damit das Recht erwerben, auch für die Folgemonate und -jahre freiwillige Beiträge zu entrichten.

Für die Entrichtungsjahre ab 01.01.1992 gilt die Fristenregelung des § 197 Abs 2 SGB VI iVm § 198 SGB VI, während für Beitragszahlungen für den Zeitraum vor dem 01.01.1992 die §§ 1418 ff RVO anzuwenden sind (BSG SozR 3-2600 § 197 Nr 1). Die Beiträge für 1992 hätten bis 31.03.1993 entrichtet werden müssen. Die Frist von drei Monaten war jedoch durch den Rentenantrag vom 03.02.1992 bis 29.05.1995 unterbrochen. Von da an läuft eine neue Frist von drei Monaten, also bis 29.08.1995. Diese Frist wurde durch den weiteren Rentenantrag vom 23.08.1995 erneut unterbrochen. Damit konnte der Kläger auch für 1992 noch freiwillige Beiträge entrichten. Gleiches gilt für die Jahre 1993 und 1994, da die am 31.03.1994 bzw 31.03.1995 endenden Fristen vor ihrem Ablauf unterbrochen waren. Ab 1995 (Regelfrist jeweils Ablauf des 31.03. des Folgejahres) steht das ab 23.08.1995 schwebende Verfahren einem Fristablauf entgegen. Damit sind nach Auffassung des Senats die Voraussetzungen für die Belegung der Zeiträume vom 01.01.1984 bis zum Leistungsfall am 07.08.2001 gegeben. Hier findet § 241 Abs 2 Satz 2 SGB VI Anwendung ohne dass geprüft werden müsste, ob der Kläger wirtschaftlich in der Lage war, diese Beiträge zu entrichten. Denn die Zahlung dieser freiwilligen Beiträge ist nicht erforderlich, die Entrichtung muss nur zulässig gewesen sein (Kasseler Kommentar - Niesel - § 241 RdNr 21).

Aber auch wenn man der Ansicht ist, der Kläger kann wegen seines Wohnsitzes in der Türkei freiwillige Beiträge für die Zeit seines Aufenthaltes in Deutschland, für die die Beitragsentrichtungfist noch offen ist, nicht entrichten, so ist die Beklagte auf Grund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches verpflichtet, dem Kläger Rente wegen EU zu gewähren. Dieses von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut tritt ein, wenn ein Leistungsträger durch Verletzung einer ihm aus dem Sozialleistungsverhältnis obliegenden Haupt- oder Nebenpflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung nachteilige Folgen für die Rechtsposition des Betroffenen herbeigeführt hat und diese Rechtsfolgen durch ein rechtmäßiges Verwaltungshandeln wieder beseitigt werden können. Zwischen der Pflichtverletzung und dem Nachteil für den Betroffenen muss demnach ein ursächlicher Zusammenhang bestehen; auf ein Verschulden des Versicherungsträgers kommt es dagegen nicht an. Diese Voraussetzungen liegen vor.

Im Fall des Klägers wurde die Beratungspflicht des Versicherungsträgers nach § 14 SGB I verletzt. Aus dem vom Kläger bereits 1979 eingeleiteten Rentenverfahren, an dessen Ende das Urteil des SG Berlin vom 23.08.1984 stand (zugestellt am 06.10.1984), ergab sich ein konkreter Anlass, den Kläger über die zum 01.01.1984 eintretende Rechtsänderung und die Notwendigkeit zur durchgehenden Entrichtung von freiwilligen Beiträgen in bestimmten Fällen, zumindest aber eines Beitrages in Deutschland vor der Ausreise in die Türkei, zu unterrichten. Damit hat die LVA Berlin, deren Handeln sich die Beklagte zurechnen lassen muss (SozR 1200 § 14 Nr 20), eine dem Kläger gegenüber bestehende Beratungspflicht verletzt (§ 14 Satz 1 SGB I - s.a. BSG Urteile vom 05.04.2000 - B 5 RJ 50/98 R = SozR 3-1200 § 14 Nr 29 - und vom 17.08.2000 - B 13 RJ 87/98 R -). Durch die Verletzung der Beratungspflicht ist dem Kläger ein rechtlicher Nachteil entstanden, er hat nämlich durch die Nichtentrichtung freiwilliger Beiträge vor seiner Ausreise die Anwartschaft auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit verloren.

Fraglich ist in solchen Fällen aber, ob die Pflichtverletzung der Versicherungsträger für den Nachteil der Versicherten kausal war (vgl BSG Urteile vom 17.08.2000 - B 13 RJ 87/98 R - und vom 05.04.2000 - B 5 RJ 50/98 R -). Nach dieser Rechtsprechung kommt es bezüglich der erforderlichen Kausalität darauf an, ob der Kläger bei zutreffender Beratung bereit und in der Lage gewesen wäre, für den genannten Zeitraum fortlaufend freiwillige Beiträge zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichten.

Das BSG hat vorgegeben, dass zu ermitteln ist, ob es die finanzielle Situation des Versicherten erlaubte, die erforderlichen freiwilligen Beiträge zu entrichten. Dabei sind alle möglichen Arten der Geldbeschaffung zu beachten, so z.B. Darlehen oder familiäre Unterstützung oder aber durch das Sozialamt, das die erforderlichen Beiträge evtl. nach § 14 BSHG übernommen hätte. Die entsprechende Anfrage des Senats an den Kläger hat ergeben, dass dieser bei entsprechender Information durch den Versicherungsträger bereit und in der Lage gewesen wäre, alle erforderlichen freiwilligen Beiträge zu entrichten, um einen Rentenanspruch in Deutschland zu erwerben. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben des Klägers nicht der Wahrheit entsprechen würden, haben sich für den Senat nicht ergeben. Im Hinblick darauf, dass der Kläger nach Auffassung des Senates noch berechtigt ist, freiwillige Beiträge ab 01.01.1984 zu entrichten, bedurfte es insofern auch keiner weiteren Ermittlungen mehr. Die fehlerhafte Beratung des Versicherungsträgers dürfte jedoch auch für die vom Kläger unterlassene Beitragsentrichtung kausal gewesen sein. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass vom Kläger nur ein freiwilliger Beitrag vor seiner Ausreise tatsächlich hätte entrichtet werden müssen und für alle anderen Beiträge die Beitragsentrichtungsfrist noch offen ist. Im Hinblick auf die zu erwartende Rente dürfte es dem Kläger dann auch möglich sein den Betrag aufzubringen. Damit liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs vor mit der Folge, dass eine Beitragsentrichtung noch im Sinne des § 241 Abs 2 Satz 2 SGB VI zulässig ist.

Der Berufung des Klägers war daher stattzugeben. Denn in Fällen wie dem vorliegenden ist nur zu prüfen, ob ein Versicherter in der durch Anwartschaftserhaltungszeiten im Sinne des § 241 Abs 2 SGB VI zu belegenden Zeiten zur Beitragszahlung in der Lage gewesen wäre. Es kommt für die Anwendung von § 241 Abs 2 Satz 2 SGB VI allein darauf an, ob der Kläger auf Grund eines solzialrechtlichen Herstellungsanspruch so zu stellen ist, als ob er die fehlenden Beiträge noch zahlen dürfte (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 60). Schließlich bedarf es für den Anspruch auf Rente wegen EU im Hinblick auf § 241 Abs 2 Satz 2 SGB VI keiner tatsächlichen Beitragsleistung. Der Kläger hat daher gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.09.2001.

Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass der Kläger schließlich zum Teil obsiegt hat.

Im Hinblick auf die Entscheidungen des BSG vom 05.04.2000 - B 5 RJ 50/98 R und vom 17.08.2000 - B 13 RJ 87/98 R - hat der Senat keinen Anlass gesehen, die Revision zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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