L 8 AL 196/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 AL 411/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 196/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 31. März 2004 und die Bescheide vom 30. Januar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2001 dahingehend abgeändert, dass die Aufhebung der Bewilligung der Arbeitslosenhilfe und die Erstattung der Leistungen sowie der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge auf die Zeit bis 28. April 2000 beschränkt wird. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger neun Zehntel der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung der Bewilligung der Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 26.02.2000, die Erstattung von Leistungen in Höhe von 12.679,-DM und Beiträgen von 3.516,01 DM sowie die Weitergewährung der Alhi streitig.

Der 1943 geborene Kläger, ein Kosovo-Albaner, war vom 01.01.1995 bis 30.04.1997 beitragspflichtig beschäftigt und bezog ab 01.05.1997 bis zur Erschöpfung des Anspruches am 25.02. 2000 Arbeitlosengeld (Alg). In dem Antrag auf Alhi verneinte er das Vorhandensein von Vermögen, woraufhin ihm ab 26.02.2000 Alhi nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 680,-DM bewilligt wurde.

Nachdem das Zentralamt der Bundesanstalt mit Schreiben vom 15.12.2000 mitgeteilt hatte, für den Kläger und seine Ehefrau seien für das Jahr 1999 Freistellungsaufträge erteilt worden, legte der Kläger auf Anfrage vom 27.12.2000 hin Unterlagen über Sparkonten und ein Wertpapierdepot über insgesamt 147.324,27 DM vor mit dem Vermerk, die Sparbücher seien am 21.12.2000 aufgelöst worden. Später wurde angegeben, die Konten seien bar ausbezahlt worden, das Geld habe die Ehefrau mit in den Kosovo genommen.

Mit Bescheid vom 30.01.2001 hob die Beklagte die Bewilligung der Alhi ab 26.02.2000 mit der Begründung auf, der Kläger und seine Ehegattin verfügten über ein Vermögen von 147.324,27 DM, das verwertbar und dessen Verwertung zumutbar sei. Unter Berücksichtgung der Freigrenze von 26.000,- DM verblieben 121.324,27 DM. Bei Teilung dieses Betrages durch das Bemessungsentgelt von 680,- DM ergebe sich, dass der Kläger für einen Zeitraum von 187 Wochen nicht bedürftig sei. Er habe 12.679,- zu Unrecht erhalten, dieser Betrag sei zu erstatten. Mit weiterem Bescheid vom 30.01.2001 wurde die Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 3.516,01 DM gefordert.

Mit dem Widerspruch wurde vorgetragen, das vorhandene Geld sei für den Wiederaufbau des Hauses in Kosovo sowie für die Renovierung der zerstörten Eigentümer der Ehefrau zurückgelegt worden. Auf Aufforderung durch den Beklagte hin übersandte der Kläger einen Bauvertrag vom 04.12.2000 über eine Bausumme von 142.500,- DM, wonach am 08.01.2001 Baubeginn sei und der Bau innerhalb von 120 Arbeitstagen durchgeführt werden solle. Weiterhin legte der Kläger eine Bescheinigung der Gemeinde vor, wonach er und seine Ehefrau über ein Grundstück von 0,04 ha Größe verfügten. Der Kläger erklärte schriftlich, das Haus mit einer Wohnfläche von 84 m² werde von ihm und seiner Ehegattin bewohnt, ein weiterer Grundbesitz sei nicht vorhanden.

Nach einem Sachbearbeitervermerk vom 01.08.2001 teilte ein Mitarbeiter des C.-Verbandes telefonisch mit, ein Herstellungspreis von 142.500,- DM sei für ein Haus der beschriebenen Größe recht hoch; bei normaler Bauausführung seien wohl eher ca. 100.000,- DM realistisch, wobei es unerheblich sei, dass der Bau komplett von einer Baufirma erstellt werde; die Eigenleistungen machten im ehemaligen Kriegsgebiet einen hohen Wertanteil aus, ferner würden Verwandte und Bekannte sich in sehr starkem Maße gegenseitig helfen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2001 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nachweise über die tatsächliche Verwendung des nach dem Kosovo verbrachten Geldbetrages seien nicht vorgelegt worden. Außerdem setze die geltend gemachte Zweckbestimmung voraus, dass der Eigentümer das erworbene bzw. wieder aufgebaute Hausgrundstück selbst bewohne. Er sei jedoch nicht in das laut Katasterbescheinigung vom 29.05. 2001 bereits fertig gestellte Haus umgezogen. Ein nicht selbst bewohntes Haus sei durch Verkauf zu verwerten.

Einen erneuten Alhi-Antrag vom 21.09.2001 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11.10.2001 wegen fehlender Bedürftigkeit ab. Mit dem Widespruch wurde geltend gemacht, das Vermögen sei zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung bestimmt. Der Kläger sei im Kosovo geboren und werde deshalb, weil er mit seiner Rente in Deutschland nicht leben könne, in die Heimat zurückkehren; der Hausbesitz diene einer angemessenen Alterssicherung. Mit Widerspruchsbescheid vom 09.11.2001 wies die Beklagte auch diesen Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen ist die Klage S 4 AL 95/01 erhoben worden. Bereits zuvor ist gegen den Widerspruchsbescheid vom 16.08.2001 die Klage S 4 AL 411/01 erhoben worden. Der Kläger hat eine Bestätigung eines Bauunternehmers aus dem Kosovo vorgelegt, wonach am 25.12.2000 eine Zahlung von 99.750,- DM erfolgt sei, in einer weiteren Bestätigung vom 08.01.2001 wurde eine weitere Zahlung von 42.750,- DM angegeben.

In der mündlichen Verhandlung am 31.03.2004 hat das SG die beiden Streitsachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Der Kläger hat zu Protokoll erklärt, das Haus werde seit der Fertigstellung von seiner Ehefrau bewohnt; er selbst wohne dort, wenn er sich in seinem Heimatort aufhalte. Sein derzeitiges Einkommen sei die Altersrente in Höhe von 472,33 Euro, die er seit Mai 2003 beziehe. Er halte sich jedes Jahr einige Monate in seiner Heimat auf. Seine Wohnung in A. sei 32 m² groß.

Mit Urteil vom 31.03.2004 hat das SG die Bescheide vom 30.01. 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2001 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11. 2001 verurteilt, dem Kläger Alhi zu bewilligen. Wenn der Gesetzgeber Vermögen vor der Verwertung schütze, das zum alsbaldigen Erwerb eines Hausgrundstücks oder einer Eigentumswohnung reserviert sei, so müsse dies auch für den Fall gelten, dass das Vermögen dafür eingesetzt werden solle, ein vorhandenes Hausgrundstück, das im Krieg zerstört worden sei, wieder aufzubauen. Der Umstand, dass sich das Hausgrundstück im Ausland befinde, sei unerheblich. Der Kläger habe ausreichend dargelegt und nachgewiesen, dass er sein Vermögen alsbald (hier bis ca. April/Mai 2001) zum Wiederaufbau seines Hauses im Kovovo eingesetzt habe. Der Kläger bewohne dieses Haus jedes Jahr über mehrere Monate zusammen mit seiner Ehefrau. Überzeugend sei auch die Darstellung, dass er das Haus als Alterswohnsitz nutzen wolle.

Zur Begründung ihrer Berufung führt die Beklagte aus, der Tatbestand des § 6 Abs.3 Satz 2 Nr.7 Alhi-VO sei nicht deshalb erfüllt, weil der Kläger das Haus jedes Jahr über mehrere Monate zusammen mit seiner Ehefrau bewohne; diese Voraussetzung sei erst dann erfüllt, wenn es sich um den Hauptwohnsitz des Klägers handele. Dieser habe sich zum maßgeblichen Zeitpunkt unstreitig in Deutschland befunden. Der Kläger erfülle auch nicht die Voraussetzungen einer Privilegierung als Alterssicherung nach § 6 Abs.3 Satz 2 Nr.3 Alhi-VO. Die pauschale Aussage, das Hausgrundstück solle als Alterswohnsitz genutzt werden, genüge allein nicht; vielmehr müsse der Alterssicherungswille aus den gesamten objektivierbaren Umständen ersichtlich sein. Aus dem Wortlaut des Begriffes "Aufrechterhalten" folge zudem, dass die Zweckbestimmung bereits vor der Arbeitslosmeldung angelegt sein müsse. Der Kläger habe im Alhi-Antrag weder Vermögen noch Haus- und Grundbesitz angegeben. Erst am 21.12.2000 seien die Gelder von den Sparkonten abgehoben und laut Aussage des Klägers für den Wiederaufbau verwendet worden. Diese allgemeine Aussage könne jedoch nicht genügen. Die subjektive Absicht müsse durch die am 26.02.2000 vorliegenden objektiven Gesamtumstände bestätigt werden. Dies sei nicht der Fall, weil der Nachweis, dass der Kläger bereits vor Antragstellung auf Alhi sein Vermögen zur Alterssicherung bestimmt habe, aus den vorliegenden Unterlagen nicht erkennbar sei. Als Nachweis hätte zum Beispiel ein zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits unterzeichneter Bauvertrag oder Vorvertrag dienen können, der vorgelegte Bauvertrag sei aber erst am 04.12.2000 unterzeichnet worden.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 31.03.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 141, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als teilweise begründet. Das Vermögen des Klägers ist in Höhe von 6.324,27 DM anzurechnen und führt zum Ruhen des Anspruchs für neun Wochen bis zum 28.04. 2000. Im Übrigen steht das Vermögen der Annahme von Bedürftigkeit nicht entgegen.

Die für den Anspruch auf Alhi gemäß § 190 Abs.1 Nr.5 SGB III erforderliche Bedürftigkeit ist nach § 193 Abs.2 SGB III nicht gegeben, solange mit Rücksicht auf das Vermögen des Arbeitslosen, seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder einer Person, die mit ihm in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, die Erbringung von Alhi nicht gerechtfertigt ist. Unter welchen Umständen Vermögen zu verwerten und seine Verwertung zumutbar ist, bestimmt § 6 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung (Alhi-VO) vom 07.08.1974 (Bundesgesetzblatt I Seite 1929) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 18.06.1999 (Bundesgesetzblatt I Seite 1433), erlassen aufgrund der Ermächtigung des § 206 SGB III. Der Beklagten ist darin zu folgen, dass sich eine Unzumutbarkeit der Verwertung nicht aus § 6 Abs.3 Nr.7 Alhi-VO ergibt, wonach nicht verwertbar ist ein Hausgrundstück von angemessener Größe, das der Eigentümer bewohnt, bzw. Vermögen, das nachweislich zum alsbaldigen Erwerb eines solchen Hausgrundstückes bestimmt ist. Denn insoweit ist auf den Zeitpunkt der Entstehung des Alhi-Anspruches am 26.02.2000 abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt war das Hausgrundstück im Kosovo nicht Hauptwohnsitz des Klägers; da dies auch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 31.03.2004 noch nicht der Fall war, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass, bezogen auf die Entstehung des Alhi-Anspruches, die "alsbaldige" Begründung eines Hauptwohnsitzes anzunehmen war.

Die Angaben des Klägers und die von ihm vorgelegten Unterlagen lassen jedoch den Schluss zu, dass der größte Teil des Vermögens im Sinne des § 6 Abs.3 Satz 2 Nr.3 Alhi-VO zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung bestimmt war. Gemäß Abs.4 dieser Vorschrift ist Vermögen in diesem Sinne für eine Alterssicherung bestimmt, 1) wenn der Arbeitslose und sein nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte dieses nach dem Eintritt in den Ruhestand zur Bestreitung des Lebensunterhalts verwenden wollen und eine der Bestimmung entsprechende Vermögensdisposition getroffen haben , 2) angemessen, soweit es 1.000,- DM je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines nicht bei ihm lebenden Ehegatten nicht übersteigt.

Der Kläger war zu Beginn des Alhi-Anspruches 56 und seine am 17.03.1940 geborene Ehefrau 59 Jahre alt, so dass ein Vermögen in Höhe von insgesamt 115.000,- DM grundsätzlich in privilegierter Weise zur Alterssicherung bestimmt werden konnte. Voraussetzung für eine Privilegierung in diesem Sinne ist eine entsprechende subjektive Zweckbestimmung und der Nachweis objektiver Begleitumstände, die im Einklang mit dieser subjektiven Zweckbestimmung stehen und diese glaubhaft machen (BSG SozR 3-4220 § 6 Nr.3-4220 § 6 Nr.7). Grundsätzlich kann auch Haus- und Grundbesitz zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung dienen, und zwar in Form des Verbrauches eines Verkaufserlöses, des Erzielens von Mieteinnahmen oder als Alterswohnsitz (BSG a.a.O.). Letzteres hat der Kläger glaubhaft geltend gemacht. Da seine Altersrente von 472,33 Euro für die Bestreitung des Lebensunterhaltes in der Bundesrepublik Deutschland auf Dauer kaum ausreicht, ist es nachvollziehbar, dass es jedenfalls zum Zeitpunkt des Beginnes des Alhi-Anspruches dem Lebensplan des Klägers entsprach, den Alterswohnsitz im Kosovo mit den deutlich niedrigeren Lebenshaltungskosten zu nehmen.

Hiergegen kann nicht eingewandt werden, der Kläger habe zum Zeitpunkt der Entstehung des Alhi-Anspruches noch keine konkreten Schritte zur Errichtung eines Alterswohnsitzes im Kosovo unternommen. Denn eine ergänzende Alterssicherung kann auch in Stufen verwirklicht werden (vgl. BSG SozR 3-4220 § 6 Nr.4; Urteil vom 17.10.1996, 7 RAr/96). Deshalb ist es dem Kläger zuzugestehen, dass er zunächst versucht hat, das Vermögen in der Bundesrepublik Deutschland anzulegen und zu vermehren und zum geeigneten Zeitpunkt dieses Kapitalvermögen in Haus- und Grundbesitz zur Errichtung eines Alterswohnsitzes umzuwandeln.

Ein zur Alterssicherung bestimmtes Vermögen ist jedoch nur in den Grenzen des § 6 Abs.4 Alhi-VO nicht verwertbar, da der Verordnungsgeber insoweit festgelegt hat, inwieweit eine zusätzliche Alterssicherung angemessen ist. Deshalb ist das den Betrag von 115.000,- DM und die Freibeträge von 26.000,-DM übersteigende Vermögen anzurechnen. Der verbleibende Betrag von 6.324,27 DM, geteilt durch das Bemessungsentgelt von 680,- DM, ergibt, dass der Kläger für neun Wochen nicht bedürftig war.

Somit waren auf die Berufung das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 31.03.2004 und die Bescheide vom 30.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2001 dahingehend abzuändern, dass die Aufhebung der Bewilligung der Alhi und die Erstattung Leistungen sowie der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf die Zeit bis 28.04.2000 beschränkt wird; im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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