L 16 RA 134/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 5 RA 7217/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 RA 134/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. August 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist die Feststellung von Daten nach dem Anwartschafts- und Anspruchsüberführungsgesetz (AAÜG), im Besonderen von Zeiten der Zugehörigkeit zur Zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech, Zusatzversorgungssystem nach Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz – AAÜG –).

Der Kläger ist 1940 geboren worden. Am 12. Januar 1966 erwarb er nach erfolgreichem Abschluss des Chemie-Studiums den akademischen Grad eines Diplom-Chemikers. Vom 1. Februar 1966 bis zum 9. Februar 1976 war er beim VEB G beschäftigt. Als Bezeichnung der Tätigkeit ist im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung "Dipl.Ing." vermerkt. Für diese Beschäftigung war ihm zu DDR-Zeiten keine Versorgungszusage für ein Zusatz- oder Sonderversorgungssystem erteilt worden.

Im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens stellte die von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte – Träger der Rentenversicherung – eingeschaltete Beklagte mit "Feststellungsbescheid" vom 28. September 2001 die Zeit vom 1. September 1977 bis zum 30. September 1990 auf Grund der dem Kläger am 3. November 1978 ausgestellten Versorgungsurkunde als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der wissenschaftlichen Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften zu Berlin und der Deutschen Akademie der Landwirtschaftswissenschaften zu Berlin und die in dieser Zeit tatsächlich erzielten Entgelte fest. Den Widerspruch, mit dem der Kläger auch den Zeitraum vom 1. Februar 1966 bis zum 9. Februar 1976 als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem auf Grund einer "Ingenieurtätigkeit" geltend machte, wies die Beklagte durch den Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 2002 zurück. Die Voraussetzungen für die Überführung der geltend gemachten Zeiten in die Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) seien nicht erfüllt. Eine positive Versorgungszusage sei dem Kläger zu DDR-Zeiten für die fragliche Zeit nicht erteilt worden. Dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten habe der Kläger nicht angehört, da er nicht berechtigt gewesen sei, entsprechend den Vorgaben der Versorgungsordnung den Titel eines Ingenieurs oder Technikers zu führen. Diplom-Chemiker seien diesem Personenkreis nicht gleichgestellt gewesen.

Mit der Klage hat der Kläger – wie bereits im Widerspruchsverfahren – geltend gemacht, dass er auch als Diplom-Chemiker einen Anspruch auf Einbeziehung in die AVItech habe. Er habe die Tätigkeiten eines Diplom-Ingenieurs verrichtet und auch die akademische Ausbildung sei für Diplom-Chemiker und Diplom-Ingenieure der Fachrichtung Chemie weitgehend identisch gewesen.

Durch Urteil vom 20. August 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es auf den Widerspruchsbescheid der Beklagten sowie auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 10. April 2002 – B 4 RA 18/01 R – Bezug genommen. Danach reiche es für eine "fiktive" Einbeziehung in die AVItech nicht aus, dass der Kläger ingenieurtechnische Arbeiten ausgeübt habe.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Anliegen mit der bisherigen Begründung weiter und verweist zusätzlich auf eine beim Bundestag eingebrachte Petition des Diplom-Physikers Siegfried Böhm und des Diplom-Chemikers Harald Bünger vom 23. September 2002.

Er beantragt der Sache nach,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. August 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 28. September 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 1. Februar 1966 bis zum 9. Februar 1976 als Zeit der Zugehörigkeit zu dem Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie die in dieser Zeit tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Gerichtsakte sowie die Akte der Beklagten haben dem Gericht bei seiner Entscheidung vorgelegen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

II.

Der Senat hat die Berufung nach durchgeführter Anhörung der Beteiligten durch Beschluss zurückweisen können, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des geltend gemacht Zeitraums als Zeit der Zugehörigkeit zur AVItech und der in diesem Zeitraum erzielten tatsächlichen Entgelte.

Der Anspruch scheitert jedenfalls daran, dass der Kläger im streitigen Zeitraum keine Zeit der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem (§ 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG) zurückgelegt hat. Eine Versorgung nach der allein in Betracht kommenden AVItech war weder einzelvertraglich vereinbart gewesen noch war ein nach Art. 19 Einigungsvertrag (EV; vom 31. August 1990, BGBl. II S. 889) bindend gebliebener Verwaltungsakt einer Versorgungsstelle der DDR oder eine Versorgungsbewilligung eines Funktionsnachfolgers einer solchen Stelle oder ein Verwaltungsakt eines Versorgungsträgers im Sinne von § 8 Abs. 4 AAÜG oder eine sonstige bindende Entscheidung eines solchen Versorgungsträgers über das Bestehen einer derartigen Versorgung ("Status-Feststellung", siehe dazu etwa BSG, Urteil vom 18. Juni 2003 – B 4 RA 50/02 R –) ergangen. Die Versorgungszusage aus dem Jahr 1978 bezog sich, wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat, lediglich auf die Beschäftigung bei der Akademie der Wissenschaften zu Berlin.

Für den streitigen Zeitraum kann der Kläger aber auch nicht fiktiv als Versorgungsberechtigter behandelt werden. Denn er war im streitigen Zeitraum kein obligatorisch in die Versorgung Einzubeziehender im Sprachgebrauch des § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. Durchführungsbestimmung (2. DB; vom 24. Mai 1951, DDR-GBl. S. 487) zu der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech; vom 17. August 1950, DDR-GBl. I S. 844). Er war nach der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" (vom 12. April 1962, DDR-GBl. II S. 278) nicht berechtigt, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen (zum Kreis der insoweit Versorgungsberechtigten s. BSG, Urteile vom 12. Juni 2001 – B 4 RA 107/00 R und B 4 RA 117/00 R – und Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 36/01 R – sämtlich nicht veröffentlicht). Auf die vom Kläger konkret ausgeübte Tätigkeit kommt es nicht an (so zum Diplom-Chemiker ausdrücklich BSG, Urteil vom 10. April 2002 – B 4 RA 18/01 R –).

Aus § 1 Abs. 1 Satz 3 der 2. DB zur VO AVItech folgt kein "Anspruch" des Klägers auf die Einbeziehung in die AVItech, weil diese Vorschrift eine Ermessensentscheidung vorsieht. Alle Regelungen der Versorgungssysteme aber, die eine bewertende Entscheidung (z.B. verdienstvoll) und zusätzlich oder stattdessen eine Ermessensentscheidung einer Stelle oder Person innerhalb der politischen und wirtschaftlichen Struktur der DDR vorsahen, sind nicht zu Bundesrecht geworden (BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2). Denn derartige Entscheidungen konnten nur auf der Grundlage des ideologischen Systems der DDR und nach deren Maßstab getroffen werden. Mangels sachlicher, objektivierbarer Grundlage können sie nicht rückschauend "ersetzt" werden (BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 3 und 9). Da die einschlägigen Bestimmungen der Versorgungsordnung selbst zwischen den obligatorisch und den nur nach Ermessensentscheidung in die Versorgung einzubeziehenden Personen unterscheiden, kommt eine "großzügigere", auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit abstellende Auslegung nicht in Betracht.

Den Ausgang des vom Kläger angeführten Petitionsverfahrens musste das Gericht nicht abwarten. Die Gerichte sind bei ihrer Entscheidung lediglich an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz – GG –). Auch im Rahmen des Petitionsrechts (Art. 17 GG) können ihnen angesichts dessen keine verbindlichen Weisungen für die Behandlung des Einzelfalls gegeben werden (s. Bauer in Dreier, GG, Band 1, 2. Auflage 2004, Art. 17 Rz 17 und 33). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Art und Weise, in der die Vorschriften der DDR-Versorgungsordnungen noch anzuwenden sind, bestehen zudem nicht. Angesichts dessen konnte in der Sache entschieden werden, ohne dass es einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz bedurft hätte oder das Zuwarten auf die Entscheidung des BVerfG in einem möglicherweise dort bereits anhängigen Verfassungsbeschwerde-Verfahren tunlich gewesen wäre.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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