Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 44 KR 238/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 45/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 1/02 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts (SG) Dortmund vom 21. Januar 2000 geändert. Es wird unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 21. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 20. August 1999 festgestellt, daß der Kläger der Beklagten zum 4. Juli 1999 wirksam beigetreten ist. Die Beklagte trägt die dem Kläger entstandenen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob der Kläger der beklagten AOK nach seinem Ausscheiden aus der Familienversicherung wirksam beigetreten ist (§ 9 Abs 1 Nr 2 des Sozialgesetzbuches (SGB) V idF vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 22.12.1999 - BGBl 2626).
Der Kläger ist am ...1983 geboren und im August 1998 mit seiner Mutter, O. S., als Kontingentflüchtling aus der Ukraine nach Deutschland zugezogen. Er besucht hier die Schule. Seine Mutter, seit ihrer Übersiedelung nicht mehr erwerbstätig, bezog hier vom 4.1. bis zum 3.7.1999 Übergangshilfe vom Arbeitsamt (§ 418 ff SGB III). Sie war deshalb bei der beklagten Kasse pflichtversichert (§ 421 SGB III iVm § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V), der Kläger nach Maßgabe von § 10 SGB V familienversichert. Am 21.7.1999 erklärte die Mutter und damalige gesetzliche Vertreterin des Klägers den Beitritt ihres nicht versicherungspflichtig beschäftigten und einkommenslosen Sohnes zur freiwilligen Versicherung bei der Beklagten. Diese entschied mit formlosen, an das Sozialamt der beigeladenen Stadt gerichtetem Schreiben vom 21.7.1999, eine freiwillige Versicherung für das Kind sei nicht möglich, weil die Vorversicherungszeit nicht erfüllt sei. Die Mutter des Klägers wandte mit Schreiben vom 22.7.1999 ein, sie erhebe Widerspruch und bevollmächtige das Sozialamt. Dieses trug vor, der von der AOK herangezogene Beschluss des SG Detmold vom 5.8.1997 überzeuge nicht; der Gesetzgeber habe den Beitritt zur freiwilligen Versicherung für aus der Familienversicherung Ausgeschiedene nicht von der Erfüllung eines Vorversicherungserfordernisses abhängig gemacht und auch nicht abhängig machen wollen (Hinw. auf Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch, Kommentar, Rdn 4 zu § 9 SGB V); dafür spreche die Tatsache, daß der Gesetzgeber den Beitritt auch bei den unter Nr 4 und 5 aufgeführten Personen von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht habe.
Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch mit an die Mutter des Klägers gerichtetem Widerspruchsbescheid vom 20.8.1999 zurück. Sie führte aus, nach dem Wortlaut der maßgeblichen Vorschrift hänge der Beitritt ab vom "Erlöschen der Versicherung nach § 10 SGB V"; dieses Erlöschen liege aber nur vor, wenn einer der in § 10 SGB V genannten Bedingungen (z.B. Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Inland usw.) nicht mehr vorliege; sofern die Familienversicherung ende, weil die Stamm-Mitgliedschaft beendet werde, sei das kein Erlöschen der Versicherung nach § 10 SGB V, sondern ein Wegfall der Versicherung im Rahmen der Beendigung der Stamm-Mitgliedschaft; das bedeute, daß die Familienversicherung im Zuge des § 190 SGB V (Ende der Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger) ebenfalls untergehe; losgelöst von dieser Auslegung nach dem Wortlaut, sei eine Norm auch nach dem Sinn auszulegen; danach sei auch beim Ausscheiden aus der Familienversicherung die beim Ausscheiden aus der Beschäftigung geforderte Vorversicherungszeit zu fordern, weil es paradox sei, wenn der Beschäftigte nicht, wohl aber der aus dessen Versicherung Familienversicherte sich weiterversichern könnte; sonst werde auch die Absicht des Gesetzgebers aus der Begründung zur Verschärfung des Vorversicherungserfordernisses in § 9 SGB V durch das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) konterkariert, wonach die Solidargemeinschaft vor unzumutbaren Belastungen geschützt werden soll, darüberhinaus wären Mitglieder, die die benötigte Vorversicherungszeit nicht erfüllten, gegenüber solchen Mitgliedern benachteiligt, die über familienversicherte Angehörige eines Familienverbundes ausgeschlossene Ansprüche wieder legitimieren könnten, indem sie sich selbst wieder in die Familienversicherung einbrächten; entsprechend habe auch das SG Detmold in seinem Prozeßkostenhilfe-Beschluss vom 5.8.1997 - S 2 5/97 - entschieden; eine entsprechende Regel sei auch für das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vorgesehen.
Die damalige gesetzliche Vertreterin des Klägers hat am 20.9.1999 Klage erhoben. Der Kläger war in der mündlichen Verhandlung vor dem SG nicht vertreten.
Die Beigeladene hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Verwaltungsaktes vom 21.7.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.8.1999 zu verurteilen, die freiwillige Krankenversicherung des Klägers in der Zeit ab dem 4.7.1999 durch zuführen.
Die Beklagte hat vor dem SG beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG Dortmund hat die Klage mit Urteil vom 21. Januar 2000 aus den Gründen des angefochtenen Widerspruchsbescheides abgewiesen, weil in erster Linie auf den Sinn und Zweck sowie die historische Entwicklung des Gesetzes abzustellen sei, weil sowohl eine Auslegung nach dem Wortlaut als auch die nach dem Sinn zu keinem anderen Ergebnis führe, und weil anderenfalls insbesondere unter Ehegatten eine einfache Umgehung von § 9 Abs 1 Nr 1 SGB V möglich sei.
Die Mutter des Klägers hat gegen das Urteil - ihr zugestellt am 2.3.2000 - am 21.3.2000 Berufung eingelegt. Die Beteiligten halten an ihren Rechtsstandpunkten fest.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des SG Dortmund vom 21. Januar 2000 abzuändern und unter Änderung des Bescheides vom 21. Juli 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. August 1999 festzustellen, daß der Kläger der Beklagten wirksam ab dem 4. Juli 1999 beigetreten ist.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat vor dem Senat erklärt, seit wann die hier anhängige Frage bei der Ortskrankenkassen problematisiert werde, könne sie nicht sagen; es habe früher auch deshalb keine Probleme gegeben, weil die Betroffenen, die nach Deutschland eingereist seien, früher im Regelfall für längere Zeit, nämlich genau für ein Jahr, Eingliederungshilfe von der Bundesanstalt für Arbeit bekommen und insofern in ihrer Person die Vorversicherungszeit erfüllt hätten.
Die Beigeladene schließt sich dem Antrag des Klägers an. Sie hat mitgeteilt, die Angelegenheit sei dort und bei anderen Sozialhilfeträgern durch den Beschluss des SG Detmold vom 5.8.1997 problematisch geworden; bis zu diesem Zeitpunkt (1977) sei das überhaupt kein Problem gewesen; bis dahin hätten ausscheidende familienversicherte Angehörige ohne weiteres in die freiwillige Versicherung überwechseln können; aus welchen Gründen die Ortskrankenkasse ab 1997 eine neue Auffassung vertreten hätte, sei nicht bekannt; mit allen anderen gesetzlichen Kassen habe das Sozialamt insoweit niemals Probleme gehabt; ab Anfang 2000 richte man sich naturgemäß - wie alle Kassen - nach der gesetzlichen Neuregelung.
Wegen des Sachverhalts im übrigen wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze in beiden Rechtszügen sowie auf die Erklärungen der Beteiligten zur Niederschrift des erkennenden Gerichts verwiesen. Außer den Streitakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen: ein Band Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akte S 44 KR 128/00 SG Dortmund.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21.7.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.8.1999 und das angefochtene Urteil des SG vom 21.1.2000 stehen nicht in Einklang mit dem hier maßgeblichen, vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 22.12.1999 geltenden Recht. Der Kläger ist der Versicherung mit Wirkung ab dem 4.7.1999 rechtzeitig (§ 9 Abs 2 Nr 2 SGB V) und auch im übrigen wirksam beigetreten.
I.
Nach § 9 Abs 1 Nr 1 1. Halbs. SGB V idF des GRG vom 20.12.1988 BGBl 2477) konnten der Versicherung beitreten: Personen, die als M i t g l i e d e r (Hervorhebung durch das Gericht) aus der Versicherungspflicht ausgeschieden und in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 12 Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden ununterbrochen mindestens 6 Monate versichert waren. Zur Stärkung des Solidaritätsprinzips (vgl. BT-Drucks 12/3608 S. 76) sind die danach erforderlichen Vorversicherungszeiten mit Wirkung vom 1.1.1993 auf 24 bzw. 12 Monate verdoppelt worden (Art 1 Nr 2 des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) v. 21.12.92 - BGBl 2266), während ein aus der Versicherungspflicht ausgeschiedenes Mitglied nach der bis zum 31.12.1988 geltende Vorläufervorschrift des § 313 Abs 1 S. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Mitglied schon bleiben konnte, wenn es in den vorangegangenen 12 Monaten mindestens 26 Wochen oder unmittelbar vorher mindestens 6 Wochen versichert war.
Nun war nicht der Kläger, sondern seine nach §§ 418 ff, 421 SGB III iVm § 5 Abs 1 Nr 2 SGV 6 Monate - vom 4.1. bis zum 3.7.1999 - pflichtversicherte Mutter Mitglied der Kasse und der Kläger aus der Mitgliedschaft der stammversicherten Mutter "als Kind eines Mitglieds" (§ 10 Abs 1 1. Halbs SGB V) familienversichert. Diesen Unterschied weiß auch Töns (in BKK 89,322) hervorzuheben. Familienversicherte (damals noch Familienhilfeberechtigte) konnten bis zum 31.12.1988 der Versicherung nach § 176 b RVO (idF des Gesetzes v. 27.6.1977 - BGBl 1069) freiwillig beitreten, wenn für sie der Anspruch auf Familienhilfe erlosch oder - bei Kindern - nur mit Rücksicht auf die Höhe des Einkommens des nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versicherten Eltern teils nicht bestand. Sinnidentisch damit bestimmte § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V in seiner hier maßgeblichen Fassung des GRG vom 20.12.1988 (BGBl 2477), daß Personen, deren Versicherung nach § 10 SGB V erlischt oder nur deswegen nicht besteht, weil die Voraussetzungen des § 10 Abs 3 SGB V vorliegen, der Versicherung beitreten können. Weder in § 176 b RVO noch in § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V idF des Gesetzes vom 20.12.1988 war auch nur annähernd die Rede davon, daß die Weiterversicherung des Familienversicherten - den Bedingungen für den Beitritt des aus der Versicherungspflicht ausgeschiedenen Mitglieds gleich - von der Erfüllung von Vorversicherungszeiten abhängig sein könnte. Eine solche Gleichstellung ist erst durch das für den Beitritt des Klägers nicht mehr maßgebliche Gesetz vom 22.12.1999 (BGBl 2626) erfolgt, und nun heißt es in § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V erstmalig im mit Wirkung vom 1.1.2000 neu hintangefügten 2. Halbsatz des § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V für das Beitrittsrecht aus der Familienversicherung Ausgeschiedener oder gleichgestellter Kinder: "wenn sie oder der Elternteil, aus dessen Versicherung die Familienversicherung abgeleitet wurde, die in Nummer 1 genannte Vorversicherungszeit erfüllen."
II.
Diesen Sachverhalt bestreitet auch die Beklagte nicht. Sie meint zunächst nur, das Beitrittsrecht aus § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V habe der Kläger schon deshalb nicht für sich in Anspruch nehmen können, weil seine Versicherung nach § 10 SGB nicht e r l o s c h e n sei, wie § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V dies fordert, weil seine Versicherung nach § 10 SGB V vielmehr "im Zuge des § 190 SGB V (Ende der Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger) ebenfalls untergegangen sei". Es ist natürlich richtig, daß die "Mitgliedschaft" der Mutter des Klägers nach § 421 SGB III iVm § 190 Abs 12 mit dem Ablauf des letzten Tages des Bezugs von Eingliederungshilfe "geendet" hat, so wie dies § 190 Abs 12 SGB V ausdrücklich und wörtlich für den Bezug von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Unterhaltsgeld anordnet. Das Gesetz sieht mithin keinen Untergang, sondern das Enden der Mitgliedschaft und das Erlöschen der Familienversicherung vor. Dabei gibt der Gesetzgeber für das Erlöschen der Familienversicherung eine besondere Regel nicht vor. D.h. die Familienversicherung erlischt nach allgemeinen Grundsätzen, wenn eine der sie tragenden Tatbestandsvoraussetzungen entfällt (§ 10 Abs 1 SGB V: "Versichert sind ... , wenn"). Mit Recht weist die Beklagte deshalb insoweit darauf hin, daß dieses Erlöschen nur vorliegt, wenn eine der in § 10 SGB V genannten Bedingungen (z.B. Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Inland usw.) nicht mehr vorliegt. Zu den in § 10 SGB V genannten Bedingungen gehört aber auch und an hervorragendster Stelle das Tatbestandsmerkmal der "M i t g l i e d s c h a f t" desjenigen, aus dessen Versicherung sich die Familienversicherung - akzessorisch - ableitet oder, wie Töns dies aaO (S. 322) ausdrückt: "mit dem "von Mitgliedern" ist die erste und grundlegende Voraussetzung der "Versicherung der Familienangehörigen" ... genannt". Ohne eine solche Mitgliedschaft kann also eine Familienversicherung nicht mehr vermittelt werden; sie erlischt. Der Grund, weshalb die Mitgliedschaft entfällt, ist dabei unerheblich. Es handelt sich um eine reine Unterschiebung und um einen Widerspruch in sich, daß ein Erlöschen iS von § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V gerade für den Fall ausgeschlossen sein soll, daß die die Familienversicherung tragende Säule der Mitgliedschaft entfällt, dagegen Bedeutung erlangen soll für den Fortfall der von der Beklagten beispielhaft angeführten nachgeordneten Tatbestandsmerkmale wie "Wohnsitz des Angehörigen im Inland". Im Wortlaut des Gesetzes findet diese Sicht jedenfalls keine Stütze.
III.
Die Beklagte kann sich mit ihrer Meinung allerdings auf die Auffassung von Töns stützen (aaO Seite 326, ähnlich auch Krauskopf, soziale Krankenversicherung, Kommentar, Fassung vor 2000, § 9, RN 9; die Auffassung wurde in den späteren Ergänzungen aufgegeben). Dabei wird freilich sehr schnell klar, daß es sich um eine rein zweckgerichtete Interpretation handelt, in dem Sinne das nicht sein kann, was nicht sein darf. Töns führt nämlich aaO - noch zum Recht des GRG - aus, die Angehörigen könnten da nicht besser gestellt sein; würde man ein Erlöschen der Familienversicherung iS von § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V annehmen, auch wenn die Mitgliedschaft des Familienverpflichteten erlösche und dann mit ihr die darin enthaltenen Familienversicherungen endeten, dann könne sich ergeben, daß der aus der Mitgliedschaft Ausgeschiedene nicht berechtigt sei, sich weiterzuversichern, wenn er nämlich die Vorversicherungszeit von § 9 Abs 1 Nr 1 SGB V nicht nachweisen könne, daß dagegen wohl seine Angehörigen eine freiwillige Mitgliedschaft begründen könnten, weil § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V dafür keine Vorversicherungszeit fordere. Eben dies ist es, was auch die Beklagte als paradox bezeichnet.
Es ist aber nach dem Dafürhalten des Senats keineswegs paradox oder eigenartig (so der Kasseler-Kommentar Rdn 21 zu § 9 SGB V, freilich ohne zur streitigen Frage Stellung zu beziehen), wenn der aus der Beschäftigung Ausgeschiedene ohne Vorversicherungszeit von der GKV ausgeschlossen bleibt, während der Familienangehörige, der seine Versicherung aus eben dieser Beschäftigung ableitet, der freiwilligen Versicherung beitreten kann, ohne die Vorversicherungszeit aufzuweisen. Es liegt nämlich auf der Hand, daß in der Regel eher der zuvor Beschäftigte, kaum aber das Kind und jedenfalls weniger der zuvor schon beschäftigungslose Ehegatte die Möglichkeit hat, sich durch Aufnahme einer Beschäftigung erneut Zugang zur GKV zu schaffen.
IV.
Natürlich ist es aber legitim, aus Anlaß der gesetzlichen Neuregelung zu erörtern, ob das nicht schon immer so zu sehen war, wie es nun, ab dem 1.2.2000 geregelt ist, ob die Neuregelung also als "authentische Interpretation" der alten Regelung durch den Gesetzgeber aufzufassen oder ob der Gesetzgeber eine Änderung des von ihm als unbefriedigend erkannten früheren Zustandes hat herbeiführen wollen. Solche Rückschlüsse von neuem auf altes Recht sind aber dann ausgeschlossen, wenn der Gesetzgeber einen an sich schon bekannten Sachverhalt neu bewertet (so BSG Urt. v. 1.4.93 1 RK 16/92 = USK 93 34). So verhält es sich hier. Es kann kein Zweifel bestehen, daß dem Gesetzgeber schon seit RVO-Zeiten bekannt war, daß der Beitritt zur freiwilligen Versicherung, die Versicherungsberechtigung, mitunter von einem Vorversicherungserfordernis abhing, mitunter aber nicht. Mit Recht weist der Kläger insoweit auch auf die Bedingungen für das Beitrittsrecht Schwerbehinderter hin (§ 9 Abs 1 Nr 4 SGB V). Da hilft auch der Ansatz des SG nicht weiter, das die streitige Norm in erster Linie aus dem Sinn und Zweck der Regelung verstanden wissen will. Ungeachtet der Tatsache, daß der Wortlaut des § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung, wie erörtert, nach Auffassung des Senats durchaus seinem Sinn und Zweck entspricht, ist die Interpretation einer Norm gegen ihren Wortlaut nur in ganz besonderen Ausnahmefällen erlaubt, zu denen etwa auch insoweit der Fall zählt, daß eine Vorschrift Fälle erfaßt oder Folgen herbeiführt, die vom Gesetzgeber überhaupt nicht erkannt oder bedacht sind (BSG Urteil v. 13.6.1989 (2 RU 49/88). Es gilt hier im Grundsatz nichts ande res als für die analoge Anwendung einer Vorschrift, die eine Lücke im Gesetz voraussetzt.
Worin sollte diese hier gesehen werden können? Man kann doch kaum annehmen, der Gesetzgeber habe nicht schon immer gewußt, was nun in den Materialien zur Neuregelung (BT-Drucks. 14/1245 S. 60) an gesprochen ist, daß die Familienversicherung nur für eine "kurze" Zeit bestanden haben könnte, und daß es zu Mißbrauch kommen kann. Ohnehin kann man hier - bei einer 6-monatigen Vorversicherung - schwerlich von "nur kurzer Zeit" sprechen, wo doch eine erforderliche Vorversicherungszeit "schon" mit 12 Monaten erfüllt und wo sogar die 6-monatige Mitgliedschaft der Mutter des Klägers vor dem 1.1.1993 ausreichend gewesen wäre?
V.
Mißbrauch kann man ohnehin stets mit allgemeinen Regeln begegnen (§ 242 BGB). Zu Mißbrauch könnte es jedenfalls im vorliegenden Fall nicht kommen, da wohl die Mutter dem Kind, nicht aber das beigetretene Kind der Mutter alsdann eine Familienversicherung nach § 10 SGB V vermitteln kann. Soweit Mißbrauch im Falle der Familienversicherung von Ehegatten möglich erscheinen mag, ist doch zweifelhaft, ob es überhaupt als Mißbrauch angesehen werden könnte, würde der nach § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V aF beigetretene Ehegatte dem - mangels Erfüllung der Vorversicherungszeit - nach § 9 Abs 1 Nr 1 SGB V selbst nicht beitrittsberechtigten Ehegatten, der ihm zuvor die Familienversicherung vermittelt hatte, nunmehr seiner seits als neuer Stammversicherter Zugang zur Familienversicherung nach § 10 SGB V verschaffen. Man könnte dies auch so betrachten, daß hier schlicht der Beitragszahler ausgetauscht wäre.
VI.
Es kam danach nicht mehr darauf an, ob nicht vielleicht § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V in seiner neuen Fassung jedenfalls in Anbetracht der Versicherung von Kindern gegen Art 6 GG verstößt, und/oder ob die Beklagte nicht - ungeachtet des Sinns und Zwecks von § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V aF - gegen den Gleichheitssatz aus Art 3 Abs 1 GG verstößt, indem sie - wann auch immer - jedenfalls wohl spätestens aus Anlaß der Erörterungen um das Gesetz vom 22.12.1999 (BGBl 2626) zu einer vom Wortlaut des § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V abweichenden Praxis noch für Fälle vor Inkrafttreten der Änderung am 1.1.2000 ansetzt, nachdem die Notwendigkeit eines solchen Verfahrens - soweit ersichtlich - außer im o.a. Aufsatz von Töns aus dem Jahre 1989 und in der Kommentierung von Krauskopf, a.a.O. und im von den Beteiligten in Bezug genommenen PKH-Beschluss nicht erörtert worden ist.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Im Hinblick auf die Vielzahl vergleichbarer Fälle, die noch anhängig sein sollen, hat der Senat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen und - der Anregung der Beklagten folgend - die Revision zugelassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob der Kläger der beklagten AOK nach seinem Ausscheiden aus der Familienversicherung wirksam beigetreten ist (§ 9 Abs 1 Nr 2 des Sozialgesetzbuches (SGB) V idF vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 22.12.1999 - BGBl 2626).
Der Kläger ist am ...1983 geboren und im August 1998 mit seiner Mutter, O. S., als Kontingentflüchtling aus der Ukraine nach Deutschland zugezogen. Er besucht hier die Schule. Seine Mutter, seit ihrer Übersiedelung nicht mehr erwerbstätig, bezog hier vom 4.1. bis zum 3.7.1999 Übergangshilfe vom Arbeitsamt (§ 418 ff SGB III). Sie war deshalb bei der beklagten Kasse pflichtversichert (§ 421 SGB III iVm § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V), der Kläger nach Maßgabe von § 10 SGB V familienversichert. Am 21.7.1999 erklärte die Mutter und damalige gesetzliche Vertreterin des Klägers den Beitritt ihres nicht versicherungspflichtig beschäftigten und einkommenslosen Sohnes zur freiwilligen Versicherung bei der Beklagten. Diese entschied mit formlosen, an das Sozialamt der beigeladenen Stadt gerichtetem Schreiben vom 21.7.1999, eine freiwillige Versicherung für das Kind sei nicht möglich, weil die Vorversicherungszeit nicht erfüllt sei. Die Mutter des Klägers wandte mit Schreiben vom 22.7.1999 ein, sie erhebe Widerspruch und bevollmächtige das Sozialamt. Dieses trug vor, der von der AOK herangezogene Beschluss des SG Detmold vom 5.8.1997 überzeuge nicht; der Gesetzgeber habe den Beitritt zur freiwilligen Versicherung für aus der Familienversicherung Ausgeschiedene nicht von der Erfüllung eines Vorversicherungserfordernisses abhängig gemacht und auch nicht abhängig machen wollen (Hinw. auf Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch, Kommentar, Rdn 4 zu § 9 SGB V); dafür spreche die Tatsache, daß der Gesetzgeber den Beitritt auch bei den unter Nr 4 und 5 aufgeführten Personen von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht habe.
Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch mit an die Mutter des Klägers gerichtetem Widerspruchsbescheid vom 20.8.1999 zurück. Sie führte aus, nach dem Wortlaut der maßgeblichen Vorschrift hänge der Beitritt ab vom "Erlöschen der Versicherung nach § 10 SGB V"; dieses Erlöschen liege aber nur vor, wenn einer der in § 10 SGB V genannten Bedingungen (z.B. Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Inland usw.) nicht mehr vorliege; sofern die Familienversicherung ende, weil die Stamm-Mitgliedschaft beendet werde, sei das kein Erlöschen der Versicherung nach § 10 SGB V, sondern ein Wegfall der Versicherung im Rahmen der Beendigung der Stamm-Mitgliedschaft; das bedeute, daß die Familienversicherung im Zuge des § 190 SGB V (Ende der Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger) ebenfalls untergehe; losgelöst von dieser Auslegung nach dem Wortlaut, sei eine Norm auch nach dem Sinn auszulegen; danach sei auch beim Ausscheiden aus der Familienversicherung die beim Ausscheiden aus der Beschäftigung geforderte Vorversicherungszeit zu fordern, weil es paradox sei, wenn der Beschäftigte nicht, wohl aber der aus dessen Versicherung Familienversicherte sich weiterversichern könnte; sonst werde auch die Absicht des Gesetzgebers aus der Begründung zur Verschärfung des Vorversicherungserfordernisses in § 9 SGB V durch das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) konterkariert, wonach die Solidargemeinschaft vor unzumutbaren Belastungen geschützt werden soll, darüberhinaus wären Mitglieder, die die benötigte Vorversicherungszeit nicht erfüllten, gegenüber solchen Mitgliedern benachteiligt, die über familienversicherte Angehörige eines Familienverbundes ausgeschlossene Ansprüche wieder legitimieren könnten, indem sie sich selbst wieder in die Familienversicherung einbrächten; entsprechend habe auch das SG Detmold in seinem Prozeßkostenhilfe-Beschluss vom 5.8.1997 - S 2 5/97 - entschieden; eine entsprechende Regel sei auch für das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vorgesehen.
Die damalige gesetzliche Vertreterin des Klägers hat am 20.9.1999 Klage erhoben. Der Kläger war in der mündlichen Verhandlung vor dem SG nicht vertreten.
Die Beigeladene hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Verwaltungsaktes vom 21.7.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.8.1999 zu verurteilen, die freiwillige Krankenversicherung des Klägers in der Zeit ab dem 4.7.1999 durch zuführen.
Die Beklagte hat vor dem SG beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG Dortmund hat die Klage mit Urteil vom 21. Januar 2000 aus den Gründen des angefochtenen Widerspruchsbescheides abgewiesen, weil in erster Linie auf den Sinn und Zweck sowie die historische Entwicklung des Gesetzes abzustellen sei, weil sowohl eine Auslegung nach dem Wortlaut als auch die nach dem Sinn zu keinem anderen Ergebnis führe, und weil anderenfalls insbesondere unter Ehegatten eine einfache Umgehung von § 9 Abs 1 Nr 1 SGB V möglich sei.
Die Mutter des Klägers hat gegen das Urteil - ihr zugestellt am 2.3.2000 - am 21.3.2000 Berufung eingelegt. Die Beteiligten halten an ihren Rechtsstandpunkten fest.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des SG Dortmund vom 21. Januar 2000 abzuändern und unter Änderung des Bescheides vom 21. Juli 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. August 1999 festzustellen, daß der Kläger der Beklagten wirksam ab dem 4. Juli 1999 beigetreten ist.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat vor dem Senat erklärt, seit wann die hier anhängige Frage bei der Ortskrankenkassen problematisiert werde, könne sie nicht sagen; es habe früher auch deshalb keine Probleme gegeben, weil die Betroffenen, die nach Deutschland eingereist seien, früher im Regelfall für längere Zeit, nämlich genau für ein Jahr, Eingliederungshilfe von der Bundesanstalt für Arbeit bekommen und insofern in ihrer Person die Vorversicherungszeit erfüllt hätten.
Die Beigeladene schließt sich dem Antrag des Klägers an. Sie hat mitgeteilt, die Angelegenheit sei dort und bei anderen Sozialhilfeträgern durch den Beschluss des SG Detmold vom 5.8.1997 problematisch geworden; bis zu diesem Zeitpunkt (1977) sei das überhaupt kein Problem gewesen; bis dahin hätten ausscheidende familienversicherte Angehörige ohne weiteres in die freiwillige Versicherung überwechseln können; aus welchen Gründen die Ortskrankenkasse ab 1997 eine neue Auffassung vertreten hätte, sei nicht bekannt; mit allen anderen gesetzlichen Kassen habe das Sozialamt insoweit niemals Probleme gehabt; ab Anfang 2000 richte man sich naturgemäß - wie alle Kassen - nach der gesetzlichen Neuregelung.
Wegen des Sachverhalts im übrigen wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze in beiden Rechtszügen sowie auf die Erklärungen der Beteiligten zur Niederschrift des erkennenden Gerichts verwiesen. Außer den Streitakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen: ein Band Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akte S 44 KR 128/00 SG Dortmund.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21.7.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.8.1999 und das angefochtene Urteil des SG vom 21.1.2000 stehen nicht in Einklang mit dem hier maßgeblichen, vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 22.12.1999 geltenden Recht. Der Kläger ist der Versicherung mit Wirkung ab dem 4.7.1999 rechtzeitig (§ 9 Abs 2 Nr 2 SGB V) und auch im übrigen wirksam beigetreten.
I.
Nach § 9 Abs 1 Nr 1 1. Halbs. SGB V idF des GRG vom 20.12.1988 BGBl 2477) konnten der Versicherung beitreten: Personen, die als M i t g l i e d e r (Hervorhebung durch das Gericht) aus der Versicherungspflicht ausgeschieden und in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 12 Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden ununterbrochen mindestens 6 Monate versichert waren. Zur Stärkung des Solidaritätsprinzips (vgl. BT-Drucks 12/3608 S. 76) sind die danach erforderlichen Vorversicherungszeiten mit Wirkung vom 1.1.1993 auf 24 bzw. 12 Monate verdoppelt worden (Art 1 Nr 2 des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) v. 21.12.92 - BGBl 2266), während ein aus der Versicherungspflicht ausgeschiedenes Mitglied nach der bis zum 31.12.1988 geltende Vorläufervorschrift des § 313 Abs 1 S. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Mitglied schon bleiben konnte, wenn es in den vorangegangenen 12 Monaten mindestens 26 Wochen oder unmittelbar vorher mindestens 6 Wochen versichert war.
Nun war nicht der Kläger, sondern seine nach §§ 418 ff, 421 SGB III iVm § 5 Abs 1 Nr 2 SGV 6 Monate - vom 4.1. bis zum 3.7.1999 - pflichtversicherte Mutter Mitglied der Kasse und der Kläger aus der Mitgliedschaft der stammversicherten Mutter "als Kind eines Mitglieds" (§ 10 Abs 1 1. Halbs SGB V) familienversichert. Diesen Unterschied weiß auch Töns (in BKK 89,322) hervorzuheben. Familienversicherte (damals noch Familienhilfeberechtigte) konnten bis zum 31.12.1988 der Versicherung nach § 176 b RVO (idF des Gesetzes v. 27.6.1977 - BGBl 1069) freiwillig beitreten, wenn für sie der Anspruch auf Familienhilfe erlosch oder - bei Kindern - nur mit Rücksicht auf die Höhe des Einkommens des nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versicherten Eltern teils nicht bestand. Sinnidentisch damit bestimmte § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V in seiner hier maßgeblichen Fassung des GRG vom 20.12.1988 (BGBl 2477), daß Personen, deren Versicherung nach § 10 SGB V erlischt oder nur deswegen nicht besteht, weil die Voraussetzungen des § 10 Abs 3 SGB V vorliegen, der Versicherung beitreten können. Weder in § 176 b RVO noch in § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V idF des Gesetzes vom 20.12.1988 war auch nur annähernd die Rede davon, daß die Weiterversicherung des Familienversicherten - den Bedingungen für den Beitritt des aus der Versicherungspflicht ausgeschiedenen Mitglieds gleich - von der Erfüllung von Vorversicherungszeiten abhängig sein könnte. Eine solche Gleichstellung ist erst durch das für den Beitritt des Klägers nicht mehr maßgebliche Gesetz vom 22.12.1999 (BGBl 2626) erfolgt, und nun heißt es in § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V erstmalig im mit Wirkung vom 1.1.2000 neu hintangefügten 2. Halbsatz des § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V für das Beitrittsrecht aus der Familienversicherung Ausgeschiedener oder gleichgestellter Kinder: "wenn sie oder der Elternteil, aus dessen Versicherung die Familienversicherung abgeleitet wurde, die in Nummer 1 genannte Vorversicherungszeit erfüllen."
II.
Diesen Sachverhalt bestreitet auch die Beklagte nicht. Sie meint zunächst nur, das Beitrittsrecht aus § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V habe der Kläger schon deshalb nicht für sich in Anspruch nehmen können, weil seine Versicherung nach § 10 SGB nicht e r l o s c h e n sei, wie § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V dies fordert, weil seine Versicherung nach § 10 SGB V vielmehr "im Zuge des § 190 SGB V (Ende der Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger) ebenfalls untergegangen sei". Es ist natürlich richtig, daß die "Mitgliedschaft" der Mutter des Klägers nach § 421 SGB III iVm § 190 Abs 12 mit dem Ablauf des letzten Tages des Bezugs von Eingliederungshilfe "geendet" hat, so wie dies § 190 Abs 12 SGB V ausdrücklich und wörtlich für den Bezug von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Unterhaltsgeld anordnet. Das Gesetz sieht mithin keinen Untergang, sondern das Enden der Mitgliedschaft und das Erlöschen der Familienversicherung vor. Dabei gibt der Gesetzgeber für das Erlöschen der Familienversicherung eine besondere Regel nicht vor. D.h. die Familienversicherung erlischt nach allgemeinen Grundsätzen, wenn eine der sie tragenden Tatbestandsvoraussetzungen entfällt (§ 10 Abs 1 SGB V: "Versichert sind ... , wenn"). Mit Recht weist die Beklagte deshalb insoweit darauf hin, daß dieses Erlöschen nur vorliegt, wenn eine der in § 10 SGB V genannten Bedingungen (z.B. Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Inland usw.) nicht mehr vorliegt. Zu den in § 10 SGB V genannten Bedingungen gehört aber auch und an hervorragendster Stelle das Tatbestandsmerkmal der "M i t g l i e d s c h a f t" desjenigen, aus dessen Versicherung sich die Familienversicherung - akzessorisch - ableitet oder, wie Töns dies aaO (S. 322) ausdrückt: "mit dem "von Mitgliedern" ist die erste und grundlegende Voraussetzung der "Versicherung der Familienangehörigen" ... genannt". Ohne eine solche Mitgliedschaft kann also eine Familienversicherung nicht mehr vermittelt werden; sie erlischt. Der Grund, weshalb die Mitgliedschaft entfällt, ist dabei unerheblich. Es handelt sich um eine reine Unterschiebung und um einen Widerspruch in sich, daß ein Erlöschen iS von § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V gerade für den Fall ausgeschlossen sein soll, daß die die Familienversicherung tragende Säule der Mitgliedschaft entfällt, dagegen Bedeutung erlangen soll für den Fortfall der von der Beklagten beispielhaft angeführten nachgeordneten Tatbestandsmerkmale wie "Wohnsitz des Angehörigen im Inland". Im Wortlaut des Gesetzes findet diese Sicht jedenfalls keine Stütze.
III.
Die Beklagte kann sich mit ihrer Meinung allerdings auf die Auffassung von Töns stützen (aaO Seite 326, ähnlich auch Krauskopf, soziale Krankenversicherung, Kommentar, Fassung vor 2000, § 9, RN 9; die Auffassung wurde in den späteren Ergänzungen aufgegeben). Dabei wird freilich sehr schnell klar, daß es sich um eine rein zweckgerichtete Interpretation handelt, in dem Sinne das nicht sein kann, was nicht sein darf. Töns führt nämlich aaO - noch zum Recht des GRG - aus, die Angehörigen könnten da nicht besser gestellt sein; würde man ein Erlöschen der Familienversicherung iS von § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V annehmen, auch wenn die Mitgliedschaft des Familienverpflichteten erlösche und dann mit ihr die darin enthaltenen Familienversicherungen endeten, dann könne sich ergeben, daß der aus der Mitgliedschaft Ausgeschiedene nicht berechtigt sei, sich weiterzuversichern, wenn er nämlich die Vorversicherungszeit von § 9 Abs 1 Nr 1 SGB V nicht nachweisen könne, daß dagegen wohl seine Angehörigen eine freiwillige Mitgliedschaft begründen könnten, weil § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V dafür keine Vorversicherungszeit fordere. Eben dies ist es, was auch die Beklagte als paradox bezeichnet.
Es ist aber nach dem Dafürhalten des Senats keineswegs paradox oder eigenartig (so der Kasseler-Kommentar Rdn 21 zu § 9 SGB V, freilich ohne zur streitigen Frage Stellung zu beziehen), wenn der aus der Beschäftigung Ausgeschiedene ohne Vorversicherungszeit von der GKV ausgeschlossen bleibt, während der Familienangehörige, der seine Versicherung aus eben dieser Beschäftigung ableitet, der freiwilligen Versicherung beitreten kann, ohne die Vorversicherungszeit aufzuweisen. Es liegt nämlich auf der Hand, daß in der Regel eher der zuvor Beschäftigte, kaum aber das Kind und jedenfalls weniger der zuvor schon beschäftigungslose Ehegatte die Möglichkeit hat, sich durch Aufnahme einer Beschäftigung erneut Zugang zur GKV zu schaffen.
IV.
Natürlich ist es aber legitim, aus Anlaß der gesetzlichen Neuregelung zu erörtern, ob das nicht schon immer so zu sehen war, wie es nun, ab dem 1.2.2000 geregelt ist, ob die Neuregelung also als "authentische Interpretation" der alten Regelung durch den Gesetzgeber aufzufassen oder ob der Gesetzgeber eine Änderung des von ihm als unbefriedigend erkannten früheren Zustandes hat herbeiführen wollen. Solche Rückschlüsse von neuem auf altes Recht sind aber dann ausgeschlossen, wenn der Gesetzgeber einen an sich schon bekannten Sachverhalt neu bewertet (so BSG Urt. v. 1.4.93 1 RK 16/92 = USK 93 34). So verhält es sich hier. Es kann kein Zweifel bestehen, daß dem Gesetzgeber schon seit RVO-Zeiten bekannt war, daß der Beitritt zur freiwilligen Versicherung, die Versicherungsberechtigung, mitunter von einem Vorversicherungserfordernis abhing, mitunter aber nicht. Mit Recht weist der Kläger insoweit auch auf die Bedingungen für das Beitrittsrecht Schwerbehinderter hin (§ 9 Abs 1 Nr 4 SGB V). Da hilft auch der Ansatz des SG nicht weiter, das die streitige Norm in erster Linie aus dem Sinn und Zweck der Regelung verstanden wissen will. Ungeachtet der Tatsache, daß der Wortlaut des § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung, wie erörtert, nach Auffassung des Senats durchaus seinem Sinn und Zweck entspricht, ist die Interpretation einer Norm gegen ihren Wortlaut nur in ganz besonderen Ausnahmefällen erlaubt, zu denen etwa auch insoweit der Fall zählt, daß eine Vorschrift Fälle erfaßt oder Folgen herbeiführt, die vom Gesetzgeber überhaupt nicht erkannt oder bedacht sind (BSG Urteil v. 13.6.1989 (2 RU 49/88). Es gilt hier im Grundsatz nichts ande res als für die analoge Anwendung einer Vorschrift, die eine Lücke im Gesetz voraussetzt.
Worin sollte diese hier gesehen werden können? Man kann doch kaum annehmen, der Gesetzgeber habe nicht schon immer gewußt, was nun in den Materialien zur Neuregelung (BT-Drucks. 14/1245 S. 60) an gesprochen ist, daß die Familienversicherung nur für eine "kurze" Zeit bestanden haben könnte, und daß es zu Mißbrauch kommen kann. Ohnehin kann man hier - bei einer 6-monatigen Vorversicherung - schwerlich von "nur kurzer Zeit" sprechen, wo doch eine erforderliche Vorversicherungszeit "schon" mit 12 Monaten erfüllt und wo sogar die 6-monatige Mitgliedschaft der Mutter des Klägers vor dem 1.1.1993 ausreichend gewesen wäre?
V.
Mißbrauch kann man ohnehin stets mit allgemeinen Regeln begegnen (§ 242 BGB). Zu Mißbrauch könnte es jedenfalls im vorliegenden Fall nicht kommen, da wohl die Mutter dem Kind, nicht aber das beigetretene Kind der Mutter alsdann eine Familienversicherung nach § 10 SGB V vermitteln kann. Soweit Mißbrauch im Falle der Familienversicherung von Ehegatten möglich erscheinen mag, ist doch zweifelhaft, ob es überhaupt als Mißbrauch angesehen werden könnte, würde der nach § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V aF beigetretene Ehegatte dem - mangels Erfüllung der Vorversicherungszeit - nach § 9 Abs 1 Nr 1 SGB V selbst nicht beitrittsberechtigten Ehegatten, der ihm zuvor die Familienversicherung vermittelt hatte, nunmehr seiner seits als neuer Stammversicherter Zugang zur Familienversicherung nach § 10 SGB V verschaffen. Man könnte dies auch so betrachten, daß hier schlicht der Beitragszahler ausgetauscht wäre.
VI.
Es kam danach nicht mehr darauf an, ob nicht vielleicht § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V in seiner neuen Fassung jedenfalls in Anbetracht der Versicherung von Kindern gegen Art 6 GG verstößt, und/oder ob die Beklagte nicht - ungeachtet des Sinns und Zwecks von § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V aF - gegen den Gleichheitssatz aus Art 3 Abs 1 GG verstößt, indem sie - wann auch immer - jedenfalls wohl spätestens aus Anlaß der Erörterungen um das Gesetz vom 22.12.1999 (BGBl 2626) zu einer vom Wortlaut des § 9 Abs 1 Nr 2 SGB V abweichenden Praxis noch für Fälle vor Inkrafttreten der Änderung am 1.1.2000 ansetzt, nachdem die Notwendigkeit eines solchen Verfahrens - soweit ersichtlich - außer im o.a. Aufsatz von Töns aus dem Jahre 1989 und in der Kommentierung von Krauskopf, a.a.O. und im von den Beteiligten in Bezug genommenen PKH-Beschluss nicht erörtert worden ist.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Im Hinblick auf die Vielzahl vergleichbarer Fälle, die noch anhängig sein sollen, hat der Senat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen und - der Anregung der Beklagten folgend - die Revision zugelassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
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