L 9 KR 63/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 87 KR 750/99*72
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 63/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. März 2002 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagen nach dem Lohnfortzahlungsgesetz. Der Kläger ist Gesellschafter derH B und PK Stuckarbeiten Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Nach einer am 21. September 1998 durchgeführten Betriebsprüfung, den Zeitraum vom 1. Dezember 1993 bis zum 31. Dezember 1997 betreffend, forderte die Beklagte mit Summenbescheid vom 4. Dezember 1998 Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen für Krankheits- und Mutterschutzaufwendungen nach dem Lohnfortzahlungsgesetz für "diverse Aushilfen" in Höhe von 28.636,08 DM nach. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Lohnunterlagen der Gesellschaft nicht im Mindesten den gesetzlichen Anforderungen entsprächen. Sie seien unvollständig. Sie sei deshalb berechtigt, die Sozialversicherungsbeiträge und die Umlagen anhand der Summen der gezahlten Entgelte zu ermitteln und diese mittels eines Summenbescheides nachzufordern.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Der Summenbescheid der Beklagten sei ungerechtfertigt. Während des streitbefangenen Zeitraums seien die Aushilfen lediglich auf geringfügiger Basis (monatlich 520,00 DM) beschäftigt gewesen. Dem Widerspruch fügte der Kläger eine Übersicht der Verdienste von vier namentlich benannten Arbeitnehmern mit den jeweiligen Privatanschriften bei.

Die Beklagte forderte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 9. Februar 1999 auf, gesetzmäßige Lohnunterlagen vorzulegen. Nachdem der Kläger dieser Aufforderung nicht nachgekommen war, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5. August 1999 als unbegründet zurück. Der Kläger habe im Widerspruchsverfahren keine Lohnunterlagen vorgelegt, die den gesetzlichen Anforderungen entsprächen. Seine nicht substantiiert vorgetragene Behauptung, dass es sich bei den Arbeitnehmern lediglich um geringfügig Beschäftigte gehandelt habe, könne daher nicht nachvollzogen werden.

Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht Berlin die angefochtene Entscheidung der Beklagten mit Urteil vom 11. März 2002 aufgehoben: Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, einen Summenbescheid zu erlassen. Zwar könne zu ihren Gunsten davon ausgegangen werden, dass der Kläger seine Aufzeichnungspflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt habe. Der Summenbescheid sei jedoch deswegen rechtswidrig, weil die Beklagte ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand die jeweiligen Entgelte einem bestimmten Arbeitnehmer hätte zuordnen können. Der Kläger habe zusammen mit dem Widerspruch eine Aufstellung über die gezahlten Arbeitsentgelte von 1993 bis 1997 eingereicht und die betroffenen Arbeitnehmer mit Namen und Anschrift genannt. Unter diesen Umständen habe die Möglichkeit einer personenbezogenen Beitragsbemessung für jeden einzelnen Beschäftigten bestanden.

Gegen das ihr am 3. April 2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. Mai 2002 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, dass dem Urteil des Sozialgerichts nicht gefolgt werden könne. Es sei weiterhin davon auszugehen, dass die Gesellschaft ihre Aufzeichnungspflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt habe. Sie habe auch mehr als die vier angegebenen Personen beschäftigt. So seien nach ihren Akten mindestens sieben Arbeitnehmer (S B, T. B, E. S, W W, W P, E L, S B und F. S) beschäftigt worden. Bei der Beigeladenen zu 3) seien darüber hinaus vier weitere Arbeitnehmer gemeldet gewesen, für die allerdings ordnungsgemäß Sozialversicherungsbeiträge gezahlt worden seien. Die entsprechenden Entgelte seien deshalb bei der Berechnung der dem Summenbescheid zugrunde liegenden Lohnsumme nicht mit einbezogen worden. Ausreichende Daten, um personenbezogene Feststellungen zu treffen, hätten nicht vorgelegen und der Kläger habe entgegen seiner Zusage entsprechende Daten nicht nachgereicht. Auch eine weitere Prüfung bei dem Arbeitgeber würde zu keinem anderen Ergebnis führen, so dass die zu treffenden Feststellungen nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand hätten getroffen werden können. Damit sei die Erteilung eines Summenbescheides angezeigt gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. März 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

die er für unbegründet hält.

Die Beigeladenen zu 3) und 4) haben keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorlegen hat und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die angefochtene Entscheidung der Beklagten zu Recht aufgehoben. Der Bescheid vom 4. Dezember 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August 1999 ist rechtswidrig.

Rechtsgrundlage für den Summenbescheid der Beklagten ist § 28 f Abs. 2 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV). Nach dessen Satz 1 kann der prüfende Träger der Rentenversicherung den Gesamtsozialversicherungsbeitrag von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen, wenn ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden können. Welchen Anforderungen die Aufzeichnungen des Arbeitgebers zu genügen haben, ergibt sich aus § 28 f Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach hat der Arbeitgeber für jeden Beschäftigten, getrennt nach Kalenderjahren Lohnunterlagen im Geltungsbereich dieses Gesetzes in deutscher Sprache zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung folgenden Kalenderjahres geordnet aufzubewahren. Einzelheiten dieser Pflicht ergeben sich aus § 2 der Beitragsüberwachungsverordnung. Danach hat der Arbeitgeber in den Lohnunterlagen über den Beschäftigten u.a. den Familien- und Vornamen (Nr. 1), die Anschrift (Nr. 3), den Beginn und das Ende der Beschäftigung (Nr. 4), das Arbeitsentgelt nach § 14 SGB IV (Nr. 7) sowie das beitragspflichtige Arbeitsentgelt bis zur Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung (Nr. 8) aufzunehmen. Derartige Aufzeichnungen hat der Kläger unstreitig nicht vorgelegt. Er hat demnach seine Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt. Auf ein Verschulden kommt es dabei nicht an (BSG SozR 3-2500 § 28 f Nr. 3).

Dem Erlass eines Summenbescheides stand aber hier § 28 f Abs. 2 Satz 2 SGB IV entgegen. Danach gilt § 28 f Abs. 2 Satz 1 SGB IV nicht, soweit ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand festgestellt werden kann, dass Beiträge nicht zu zahlen waren oder Arbeitsentgelt einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet werden kann. Die prüfenden Rentenversicherungsträger müssen also vor Erlass eines Summenbescheides trotz Verletzung der Aufzeichnungspflicht durch den Arbeitgeber entsprechend den Grundsätzen der §§ 20 und 21 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch Ermittlungen anstellen, soweit diese das Gebot der Verhältnismäßigkeit des Verwaltungshandelns nicht verletzen (Sehnert in Hauck/Noftz, SGB IV, § 28 f (Std.: 34. Lfg., XI/01), RdNr. 7).

Derartige Ermittlungen hat die Beklagte gänzlich unterlassen. Obwohl der Kläger im Widerspruchsverfahren vier Arbeitnehmer mit den jeweiligen Privatanschriften und den entsprechenden Monatsentgelten benannt hat, hat die Beklagte keinerlei Ermittlungen in dieser Hinsicht geführt. Sie hat sich ausschließlich darauf beschränkt, den Kläger mit Schreiben vom 9. Februar 1999 nochmals auf die Beibringung von gesetzesmäßigen Lohnunterlagen hinzuweisen, obwohl der Kläger eingeräumt hatte, dass er entsprechende Lohnunterlagen nicht angefertigt hat. § 28 f Abs. 2 Satz 2 SGB IV verpflichtet den prüfenden Rentenversicherungsträger aber trotz Verletzung der Aufzeichnungspflichten durch den Arbeitgeber eigene Ermittlungen hinsichtlich der möglichen Versicherungs- und Beitragspflicht bzw. der Beitragshöhe anzustellen, soweit diese ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand betrieben werden können.

Maßstab für die Verhältnismäßigkeit ist das Verhältnis von Aufwand und Ertrag; dabei können die Zahl der zu ermittelnden Fälle, der im Einzelfall geringe Betrag und dessen geringe Bedeutung für den einzelnen Versicherten, aber auch aufwendige Feststellungen die Unverhältnismäßigkeit begründen. Darüber hinaus wird auch zu berücksichtigen sein, dass die in § 28 f Abs. 2 Satz 2 SGB IV geforderten Ermittlungen nicht zuletzt dazu dienen sollen, den aus der Beitragserhebung Begünstigten zu ermitteln (Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung [Std.: 44. Lfg.: September 2002], § 28 f SGB IV, RdNr. 11).

An diesen Grundsätzen gemessen hätte die Beklagte sich jedenfalls im Widerspruchsverfahren veranlasst sehen müssen, zumindest für die von dem Kläger namentlich und unter Angabe der jeweiligen Privatanschriften benannten Arbeitnehmer sich nachträglich die zur Beurteilung ihrer Versicherungs- und Beitragspflicht sowie der jeweiligen Beitragshöhe erforderlichen Angaben durch geeignete Ermittlungen (Anschreiben der betroffenen Arbeitnehmer, Nachforschungen bei der Einzugsstelle o.ä.) zu verschaffen. Die Beklagte ist jedoch insoweit gänzlich untätig geblieben. Sie hat den angefochtenen Bescheid ausschließlich auf ihre Betriebsprüfung gestützt, obwohl der Kläger bereits eingeräumt hatte, die geforderten Lohnunterlagen nicht angefertigt zu haben. Eigene Ermittlungen in dieser Hinsicht waren auch nicht unverhältnismäßig, weil es sich bei den zu ermittelnden Fällen um eine relativ geringe Zahl handelte. Derartige Ermittlungen sind selbst dann vorzunehmen, wenn zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht alle fehlenden Angaben ermittelt werden können, eine personenbezogene Beitragserhebung jedoch gegebenenfalls aufgrund einer Schätzung möglich wird (Baier in Krauskopf, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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