L 17 U 249/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 18 U 126/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 249/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 288/03 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10. September 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob beim Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vorliegt und Anspruch auf Verletztenrente besteht.

Der 1949 geborene Kläger erlernte den Beruf eines Bäckers und war als solcher bis 1972 tätig. Anschließend übte er die Tätigkeit als selbständiger Bäckermeister bis zum 30.06.2000 aus. Wegen einer berufsbedingten Atemwegserkrankung nach Nr. 4301 bezieht er von der Beklagten Entschädigungsleistungen.

Im Rahmen des im Mai 1999 diesbezüglich eingeleiteten Feststellungsverfahrens machte der Kläger auch geltend, an einer berufsbedingten Erkrankung der Wirbelsäule (WS) zu leiden. Die Beklagte befragte den Kläger zu den Hebe-, Trage- und Bückbelastungen im Sinne der BK Nrn. 2108 und 2109 und zog Berichte der S Klinik für Orthopädie in W vom 06.08.1999, des Radiologen Dr. L (30.09.1986 und 26.03.1991), des Orthopäden Dr. S (20.09.1999) sowie des derzeit behandelnden Orthopäden L1 (16.08.1999) bei. Letzterer diagnostizierte unter anderem ein Cervikalsyndrom bei mäßiger Spondylarthrose, eine Dorsalgie bei Rundrücken und ausgeprägter Spondylarthrose mit Osteophytenbildung im Brustwirbelsäulen(BWS)-Bereich sowie eine rezidivierende Lumbago bei leichter Retrolisthesis im Bereich L 5/S 1. Der Technische Aufsichtsbeamte (TAB) L2 der Beklagten kam nach Befragung des Klägers in einer Stellungnahme vom 08.12.1999 zu dem Ergebnis, die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung der einer BK nach Nr. 2108 bzw. 2109 seien nicht erfüllt. Zwar habe der Kläger bis 1976 in erheblichem Umfang Umgang mit schweren Lasten gehabt. Nach diesem Zeitpunkt sei aber die Notwendigkeit des Tragens schwerer Lasten erheblich reduziert worden, weil nur noch etwa 650 kg Mehl pro Woche verarbeitet worden seien. Eine Mindestbelastungsdosis pro Tag von 1700 Nh sei weit unterschritten worden. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK nach 2109 seien ebenfalls nicht erfüllt, da eine Nettotragezeit von 30 Minuten pro Schicht für das Tragen von Lastgewichten über 50 kg auf der Schulter nicht erreicht worden seien.

Mit Bescheid vom 20.01.2000 lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung von Entschädigungsleistungen mit der Begründung ab, die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) seien nicht erfüllt und es bestehe auch kein Anspruch auf Leistungen nach § 3 BKV. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 16.02.2000 Widerspruch. Er machte geltend, im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten sei durch seine berufliche Tätigkeit eine hinreichende Belastung im Sinne der BK en Nrn. 2108 bis 2110 der Anlage zur BKV gegeben. Insbesondere habe die Beklagte überhaupt nicht die Belastung beim Austragen von Brötchen berücksichtigt. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.08.2000 als unbegründet zurück.

Dagegen hat der Kläger am 07.09.2000 vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben. Unter Wiederholung seines Vorbringens aus dem Verwaltungsverfahren hat er geltend gemacht, er sei im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit in hinreichendem Maße durch Heben und Tragen von Lasten sowie Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung den Belastungen im Sinne einer BK nach Nr. 2108 ausgesetzt gewesen. Im Übrigen hätten Gutachten, die im Zusammenhang mit dem Rentenantrag bei der LVA Rheinprovinz und wegen der BK nach Nr. 4301 eingeholt worden seien, ergeben, dass er an erheblichen Veränderungen der WS leide und seinen Beruf nicht mehr ausüben könne.

Das SG hat nach Beiziehung eines weiteren Berichtes des Orthopäden L1 vom 15.07.2001, dem ein Entlassungsbericht über eine stationäre Behandlung des Klägers im April 2001 in der Abteilung für Orthopädie des Krankenhauses O in N beigefügt war, wo eine arthroskopische Innenmeniskusteilresektion durchgeführt worden war (Bericht von Chefarzt Prof. Dr. N vom 09.05.2001), weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Dr. W, Arzt für Orthopädie in S, ist im Gutachten vom 30.01.2002 zusammenfassend zu dem Ergebnis gelangt, die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV seien nicht erfüllt. Zwar bestehe im Segment L 5/S 1 eine die Altersnorm übersteigende Osteochondrose und Spondylose mit Bandscheibenvorfall. Darüber hinaus weise aber auch die BWS im unteren und mittleren Abschnitt die ausgeprägtesten bandscheibenbedingten Veränderungen auf und auch im Bereich der HWS fänden sich die Altersnorm übersteigende bandscheibenbedingte Veränderungen im Sinne einer Osteochondrose und Spondylose bei C 5/C 6. Damit sei das Verteilungsmuster der bandscheibenbedingten Veränderungen nicht belastungskonform mit Einwirkungen im Sinne einer BK nach Nr. 2108. Eine besondere Betonung der Veränderungen im Bereich der unteren LWS sei nicht feststellbar.

Mit Urteil vom 10.09.2002 hat das SG daraufhin die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das am 23.09.2002 per Einschreiben abgesandte Urteil hat der Kläger am 25.10.2002 Berufung eingelegt. Er ist der Ansicht, dem Gutachten von Dr. W könne nicht gefolgt werden. Das gelte insbesondere deshalb, weil dieser davon ausgehe, dass der frühe Erkrankungsbeginn im Jahr 1973/1974 gegen eine berufliche Verursachung der bandscheibenbedingten Veränderungen im Bereich der LWS spreche. Seinerzeit sei er nämlich schon etwa knapp 10 Jahre belastend tätig gewesen. Im Übrigen bestreite die Beklagte zu Unrecht, dass die haftungsbegründende Kausalität für die Entstehung der streitigen BK gegeben sei.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.09.2002 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.01.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides 14.08.2000 zu verurteilen, ihm wegen einer BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die Verwaltungsakte der Beklagten lag vor und war Gegenstand der Beratung.

II.

Die Berufsrichter sind übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, dass die zulässige Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Sie haben sie daher - nachdem die Beteiligten unter dem 29.11. und 11.12.2002 auf diese Verfahrensweise hingewiesen worden sind - durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG zurückgewiesen.

Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Verletztenrente, weil die streitige BK nach Nr. 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederauftreten der Krankheit ursächlich waren oder sein können) bei ihm nicht vorliegt.

Nach § 56 Abs. 1 des Siebten Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - dazu gehören nach § 7 Abs. 1 auch Berufskrankheiten - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet. Sie wird in der Höhe des Vom-Hundert-Satzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII).

Die Feststellung einer BK setzt grundsätzlich voraus (vgl. zum Folgenden: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung [Handkommentar] § 9 SGB VII Rdnr. 3; Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheiten-Verordnung [Kommentar] E § 9 SGB VII Rdnr. 14), dass zum einen in der Person des Versicherten die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, d.h., dass er im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der BK ausgesetzt gewesen ist, die nach Umfang und Intensität geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken (haftungsbegründende Kausalität). Zum anderen muss ein Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung bestehen. Es muss danach ein dieser BK entsprechendes Krankheitsbild vorliegen und dieses muss im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre (vgl. BSG SozR 2200 § 551 Nr. 1; SozR 3-2200 § 548 Nrn. 4, 11, 14) wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf die belastende berufliche Tätigkeit zurückgeführt werden können, wobei hinsichtlich des Kausalzusammenhangs eine hinreichende Wahrscheinlichkeit - nicht jedoch die bloße Möglichkeit - ausreichend ist (haftungsausfüllende Kausalität).

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze sind im Falle des Klägers die Voraussetzungen für die Anerkennung und Entschädigung der BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV nicht erfüllt. Nach den arbeitstechnischen Ermittlungen der Beklagten ist schon die haftungsbegründende Kausalität für die Entstehung dieser BK nicht nachgewiesen, weil der Kläger nicht in dem notwendigen zeitlichen Umfang im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit in ausreichendem Maße Belastungen im Sinne der BK Nr. 2108 ausgesetzt gewesen ist (vgl. dazu die Anhaltspunkte in Abschn. IV des zu dieser BK vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Merkblatt für die ärztliche Untersuchung, abgedruckt bei Mehrtens/Perlebach, a.a.O. M 2108 S. 1 f.). Die diesbezüglichen Ermittlungen stützen sich insoweit auf die eigenen Angaben des Klägers und dessen Befragung durch den TAD. Dass diese Ermittlungen falsch oder unvollständig sind, ist nicht behauptet worden; dafür ist nichts ersichtlich. Auch das Berufungsvorbringen des Klägers ist nicht geeignet, den Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität als geführt anzusehen. Weiterer Ermittlungen in arbeitstechnischer Hinsicht bedurfte es indes nicht, weil nach dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen der Entschädigungsanspruch des Klägers nämlich daran scheitert, dass die haftungsausfüllende Kausalität nicht nachgewiesen ist.

Nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu berufsbedingten LWS-Erkrankungen (vgl. dazu Urteil des Senats vom 15.10.2000 - L 17 U 296/97 - = Breithaupt 2000 S. 1025 f.; Mehrtens/Perlebach, a.a.O. M 2108 Rdnr. 1 f. S. 12 f.; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl., S. 555 f.) sprechen folgende Umstände für eine beruflich bedingte Verursachung der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS:

- ein belastungskonformes Schadensbild mit von unten nach oben abnehmenden Schäden,

- ein Auftreten der Beschwerden nach einer beruflichen Belastung von mehr als 10 Jahren sowie eine plausible zeitliche Korrelation der Entwicklung des Schadensbildes mit den gesicherten beruflichen Belastungen und

- ein deutlich altersvorauseilender Verschleiß.

Dagegen sprechen:

- eine gleichmäßig starke Veränderung der Bandscheiben über 2 oder 3 WS-Abschnitte,

- ein überwiegendes Auftreten der bandscheibenbedingten Veränderungen an belastungsfernen WS-Abschnitten,

- ein Auftreten der Veränderungen vor Vollendung des 3. Lebensjahrzehntes und

- konkurrierende Erkrankungen aus dem privaten Bereich.

Von dieser herrschenden arbeitsmedizinischen Auffassung ausgehend hat der im ersten Rechtszug gehörte Sachverständige Dr. W zutreffend dargelegt, dass die beim Kläger im Bereich der LWS bestehenden krankhaften Veränderungen keine BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV darstellen. Dem Senat ist Dr. W als außerordentlich erfahrener, kenntnisreicher und sorgfältig urteilender Sachverständiger für berufsbedingte WS-Erkrankungen bekannt. Seine diesbezüglichen Ausführungen gründen sich auf eine eingehende und umfassende klinische und röntgenologische Untersuchung des Klägers unter Einbeziehung der beigezogenen medizinischen Unterlagen. Schlüssig und nachvollziehbar hat Dr. W dargelegt, dass auch bei Unterstellung einer hinreichenden beruflichen Belastung das beim Kläger im Bereich der WS bestehende Schadensbild nicht belastungskonform ist, weil zum einen nur ein monosegmentales Schadensbild im Bereich der LWS vorliegt, was nur gering dem Alter vorauseilt, zum anderen die beruflich nicht belastete BWS und HWS gleichfalls vorauseilende bandscheibenbedingte Veränderungen aufweist und schließlich eine Akzentuierung der bandscheibenbedingten Veränderungen im Bereich der LWS nicht feststellbar ist. Dass hier auch das frühzeitige Auftreten der ersten bandscheibenbedingten Beschwerden im Bereich der LWS Mitte der 70iger Jahre ein Indiz gegen eine berufliche Verursachung der Veränderungen ist, ist ein weiteres Argument, das nach herrschender medizinischer Auffassung gegen das Vorliegen einer BK spricht.

Der Senat nimmt im Übrigen - um Wiederholungen zu vermeiden - auf die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Urteil nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug und schließt sich ihnen nach eigener Überprüfung an.

Das medizinisch laienhafte Vorbringen des Klägers gibt weder Anlass, an der Richtigkeit der Feststellungen des Sachverständigen zu zweifel noch macht es weitere Ermittlungen in medizinischer Hinsicht notwendig, decken sich doch die von Dr. W beschriebenen Veränderungen im Bereich der WS weitestgehend auch mit den Befunderhebungen des behandelnden Orthopäden.

Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 193 SGG zurückzuweisen.

Zur Revisionszulassung bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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