L 9 AL 134/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 4 AL 184/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 134/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 03. Juni 2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Mit seiner Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen wehrt sich der Kläger nur noch gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 01.04.2002 bis zum 08.12.2002 und gegen die Erstattung eines Betrages in Höhe von 5136,20 Euro.

Der im August 1943 geborene Kläger war seit 1975 bei der P AG beschäftigt gewesen. Seit dem 02.01.1995 hatte er nach Erschöpfung seines Anspruchs auf Krankengeld von der Beklagten Arbeitslosengeld bezogen. Im Anschluss daran hatte er Arbeitslosenhilfe zuletzt mit Bescheid vom 04.03.2002 für den Zeitraum vom 14.02.2002 bis 13.02.2003 erhalten.

Am 18.03.2002 legte der Kläger der Beklagten den Aufhebungsvertrag mit der P AG vom 06.03.2002 zum 31.03.2002 vor. In dem Vertrag verpflichtete sich der Arbeitgeber, dem Kläger eine monatliche Bruttozahlung in Höhe des Differenzbetrages zwischen den jeweiligen Leistungen der Sozialversicherungsträger oder ähnlicher Leistungsträger und 80 % des letzten Nettoarbeitsentgelts zu zahlen. Der dem Kläger gezahlte Aufstockungsbetrag belief sich auf 1341,97 Euro monatlich.

Mit Schreiben vom 02.12.2002 teilte die Beklagte dem Kläger im Rahmen einer Anhörung gemäß § 24 10. Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X mit, er habe in der Zeit vom 01.04.2002 bis 30.11.2002 Arbeitslosenhilfe in Höhe von 5136,20 Euro zu Unrecht bezogen. Auf Grund der Zahlungen seines Arbeitgebers sei er nicht mehr bedürftig gewesen. Er hätte auch erkennen können, dass er einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nicht mehr gehabt habe.

Mit Bescheid vom 05.12.2002 hob die Beklagte sodann die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe zunächst ab 01.12.2002 auf. Gegen diesen Aufhebungsbescheid legte der Kläger am 27.12.2002 Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren änderte die Beklagte den angefochtenen Bescheid mit Bescheid vom 07.06.2003 ab. Sie hob nun die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe ab 01.04.2002 vollständig auf und verlangte Erstattung der überzahlten 5136,20 Euro. Der Aufstockungsbetrag des Arbeitgebers sei in voller Höhe auf die Arbeitslosenhilfe anzurechnen. Daher habe der Kläger ab 01.04.2002 keinen Anspruch mehr. Dies hätte der Kläger bei leichtester Überlegung auch erkennen müssen.

Sodann wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2003 den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie stützte nunmehr die Aufhebung auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 3 SGB III. Der Kläger habe Einkommen erzielt, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt habe.

Die gegen diese Entscheidungen am 23.06.2003 erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 03.06.2004 unter Verweis auf die Begründung des Widerspruchsbescheides abgewiesen. Ergänzend hat das Sozialgericht dargelegt, die Beklagte habe auch innerhalb der Jahresfrist von § 48 Abs. 4 S. 2 in Verbindung mit § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X gehandelt. Die Anhörung sei am 02.12.2002 erfolgt. Der Änderungsbescheid vom 07.06.2003 sei innerhalb der Jahresfrist erlassen worden.

Mit seiner am 05.07.2004 eingelegten, auf die Aufhebung für die Zeit vom 01.04. bis 08.12.2002 beschränkten Berufung macht der Kläger geltend, die Beklagte könne die Aufhebung nicht auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X stützen, da sie die maßgebliche Jahresfrist versäumt habe. Zeitpunkt für den Beginn der Frist sei nicht das Datum des Anhörungsschreibens vom 02.12.2002 sondern die konkrete Information der Beklagten durch den Kläger am 18.03.2002. Das Bundessozialgericht habe zwar in seinem Urteil vom 06.03.1997 (Az.: 7 RAr 40/96) dargelegt, dass der Behörde "regelmäßig" erst nach der erfolgten Anhörung alle Tatsachen bekannt seien, die für die Rücknahme erforderlich seien. Dieser Regelfall sei hier jedoch nicht gegeben. Da die Beklagte die angefochtenen Bescheide ausschließlich auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 stütze, sei es für die Befugnis der Beklagten, die Bewilligungsentscheidung aufzuheben, ausschließlich auf die Einkommenserzielung durch den Kläger angekommen, nicht aber auf dessen Verhalten. Der Beklagten hätten also bereits mit dem Erhalt der entsprechenden Unterlagen am 18.03.2002 sämtliche Informationen zur Verfügung gestanden. Da sich die Beklagte bis zur Einleitung des Anhörungsverfahrens bereits 8 1/2 Monate Zeit gelassen habe, könne dies nicht zu Lasten des Klägers gehen.

Darüber hinaus habe der Kläger erst mit dem Widerspruchsbescheid die zutreffende Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung erkennen können. Erst zu diesem Zeitpunkt habe er somit von denjenigen Tatsachen Kenntnis erhalten, die aus Sicht der Beklagten maßgebend gewesen seien. Zu diesem Zeitpunkt habe die Beklagte aber bereits eine Kenntnis seit 15 Monaten gehabt. Diese Konstellation führe dazu, dass der in der zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts angesprochene Regelfall gerade nicht vorliege. Das Anhörungsverfahren diene dem Schutz des von einem belastenden Verwaltungsakts potentiell betroffenen Bürgers. Es diene nicht dazu, der Verwaltungsbehörde einen größeren zeitlichen Spielraum zu verschaffen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 03.06.2004 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 05.12.2002 und den Änderungsbescheid vom 07.06.2003, jeweils in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2003, insoweit aufzuheben, als die Beklagte ihre Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ab 01.04.2002 aufgehoben und ihn verpflichtet habe, einen Betrag in Höhe von 5136,20 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie räumt ein, dass es bei der Bearbeitung im Verwaltungsverfahren zu zeitlichen Verzögerungen gekommen sei. Die Bescheide seien allerdings nicht zu beanstanden, der Kläger habe sich insbesondere zu allen relevanten Fragen äußern können. Die Beklagte sei dem Vortrag des Klägers sogar insoweit gefolgt, als sie von einer Aufhebung wegen grob fahrlässiger Unkenntnis der Rechtswidrigkeit im Sinne des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X abgesehen habe. Letztlich sei ein etwaiger Verfahrensmangel auch gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X geheilt. Die Jahresfrist sei eingehalten worden. Ihr seien erst nach Eingang der Stellungnahme des Klägers die Tatsachen bekannt gewesen, die eine Aufhebung der unrechtmäßigen Leistungsbewilligung gerechtfertigt hätten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Prozessakten sowie der Verwaltungsakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die vom Kläger angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig.

Ermächtigungsgrundlage für die im Berufungsverfahren nur noch streitige Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Vergangenheit ist § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X. Danach soll ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Es ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten, dass der Kläger jedenfalls ab 01.04.2002 nach seinem Ausscheiden zum 31.03.2002 von seinem Arbeitgeber Aufstockungsbeträge in Höhe von monatlich 1341,97 Euro erhalten hat, die gemäß § 194 Abs. 1 SGB III als Einkommen anzurechnen waren und den wöchentlichen Leistungssatz überstiegen.

Zutreffend ist die Beklagte im Widerspruchsbescheid auch von dieser Ermächtigungsgrundlage ausgegangen. Insofern kommt es auf den ursprünglichen Vortrag des Klägers, der sich mit der Anwendung von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 verband, nicht an.

Die immer wieder vom Kläger angeschnittene Frage einer Anhörungsrüge greift vor dem Hintergrund des § 41 Abs. 2 SGB X nicht. Angesichts des eindeutigen gesetzlichen Wortlauts sind die diesbezüglichen Argumente des Klägers unerheblich.

Die Beklagte hat auch die für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung für die Vergangenheit maßgebliche Frist eingehalten. Gemäß § 48 Abs. 4 S. 1 gilt § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X entsprechend, d.h. die Beklagte muss auch bei einer Aufhebung eines Verwaltungsaktes wegen Änderung der Verhältnisse dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Aufhebung für die Vergangenheit rechtfertigen. Diese Jahresfrist ist gewahrt. Die zeitliche Begrenzung der Rücknahmebefugnis für die Vergangenheit dient der Rechtssicherheit. Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes ist die den Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis dann anzunehmen, wenn mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigte Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen besteht (BSG, Urteil vom 06.03.1997, Az. 7 RAr 40/96, DBlR 4372 SGB X/§ 45). Eine derartige sichere Informationsgrundlage besteht allerdings erst nach einer erfolgten Anhörung gemäß § 24 SGB X, die auch in einem Fall des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X nicht entbehrlich ist. Durch § 24 Abs. 1 SGB X soll der Betroffene Gelegenheit erhalten, durch sein Vorbringen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt die vorgesehene Entscheidung zu beeinflussen. Folge der zwingenden Anhörungspflicht aus § 24 SGB X ist, dass die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X erst nach erfolgter Anhörung des Betreffenden beginnt (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 27.07.2000, Az. B 7 AL 88/99 R = SozR 3 - 1300 § 45 Nr. 42 m.W.N.). Beginn der Jahresfrist ist dann der Zeitpunkt, zu dem sich der Betroffene auf das Anhörungsschreiben hin äußert. Das war hier der 25. Februar 2003. Somit ist die Aufhebung der Entscheidung vom 12.06.2003 innerhalb der Jahresfrist ergangen.

Ein anderes Ergebnis rechtfertigt auch nicht der vom Kläger angeführte Gedanke, dass hier die Anzeige des anspruchsschädlichen Einkommens, die der Kläger bereits am 18.03.2002 vorgenommen hat, schon eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen geboten haben könnte. Selbst wenn nämlich § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X frei von subjektiven Momenten wie etwa dem eines grob fahrlässigen Verhaltens ist, muss die Beklagte den Betroffenen auch in diesem Fall anhören. Es entbehrt einer gesetzlichen Grundlage, den Zeitpunkt des Beginns der Jahresfrist vor den der Anhörung zu legen. Es liegt zudem nicht außerhalb jeglicher Vorstellung, dass im Rahmen der Anhörung trotz einer früheren Erklärung noch etwaige Fragen geklärt werden, die den entscheidungserheblichen Sachverhalt beeinflussen. Bei dem hier vorliegenden konkreten Sachverhalt stellt sich das Problem sowieso in der Form schon so nicht, weil die Beklagte den Kläger hinsichtlich der Höhe der Rückforderung konkret noch zu einem weiteren Versicherungsverhältnis bei einer Kranken- und Pflegekasse befragte, weil dies für die Erstattungspflicht nach § 335 Abs. 1 und 5 SGB III von Bedeutung war. Hätte der Kläger nämlich für den Rückforderungszeitraum ein weiteres Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnis begründet, so wäre der Erstattungsanspruch insoweit gegen ihn entfallen. Auch mit Rücksicht darauf sieht der Senat keine Veranlassung von der gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abzuweichen, dass die Frist für die rückwirkende Aufhebung einer Bewilligungsentscheidung erst nach erfolgter Anhörung nach § 24 SGB X beginnt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil hier Gründe gemäß § 160 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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