S 11 (29) KR 8/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 11 (29) KR 8/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung einer Liposuktion (Fettabsaugung).

Die am 00.00.1974 geborene Klägerin ist 1,63 m groß und wiegt 91 kg.

Im August 2002 beantragte die Klägerin unter Vorlage eines Attestes des sie behandelnden Arztes Dr. L eine lokale Fettabsaugung. Dr. L führte aus, dass die Klägerin an einem Adipositas, vor allem der Oberschenkel und des Gesäßes, leide. Es sei zu einer Selbstwertproblematik gekommen mit Eigenverletzungen. Es besteht zudem ein Lendenwirbelsäulensyndrom und ein Zustand nach zweifacher Kniegelenksoperation infolge Übergewichtigkeit. Der von der Beklagten mit einer medizinischen Stellungnahme beauftragte medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei der beantragten unkonventionellen Behandlungsmethode der lokalen Fettabsaugung nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung handele, da eine ausschließlich kosmetische Indikation bestehe. Die Neigung zur Selbstverletzung sei ein Indiz für eine schwere psychiatrische Erkrankung, die dringend behandlungsbedürftig durch einen Psychiater sei.

Mit Bescheid vom 02.09.2002 lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung der beantragten Leistung mit der Begründung ab, dass es sich bei der lokalen Fettabsaugung nicht um allgemein anerkannte schulmedizinische Behandlungsmethoden handele und diese Maßnahme nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sei. Das Bundessozialgericht habe mehrfach bestätigt, dass Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen nur dann abgerechnet werden dürften, wenn der Kraft Gesetzes berufene Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in seinen Richtlinien Empfehlungen über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der Maßnahme abgegeben habe. Habe der Bundesausschuss bereits eine positive oder negative Empfehlung über die Anerkennung der neuen Behandlungsmethode abgegeben, sei seine Entscheidung von der Verwaltung und dem Gericht zu beachten. Bei der beantragten Therapie handele es sich nach Aussage des Bundesausschusses um eine bisher nicht ausreichend begründete Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Eine Kostenbeteiligung scheide folglich generell aus.

Zur Begründung des hiergegen binnen Monatsfrist erhobenen Widerspruchs führte die Klägerin aus, dass für die Maßnahme eine medizinische Indikation gegeben sei, da bei ihr bereits zwei Knieoperationen wegen Übergewichtigkeit notwendig geworden seien. Sie leide zudem unter einer starken nervlichen Anspannung, die sich darin äußere, dass sie sich die Körperhaut blutig kratze. Der wiederum mit einer gutachterlichen Stellungnahme beauftragte MDK kam zu dem Ergebnis, dass im Fall der Klägerin vorrangig eine Ernährungsberatung mit evtl. stationärer Rehabilitationsmaßnahme sowie eine psychiatrische Abklärung und Behandlung angeraten sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2002 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch der Klägerin zurück.

Hiergegen richtet sich die am 23.01.2003 bei Gericht eingegangene Klage.

Durch Beschluss vom 25.04.2002 hat das Gericht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Klägerin ist weiterhin der Überzeugung, dass sie erst nach durchgeführter Fettabsaugung in der Lage sei, eine weitere diätische Gewichtsreduktion mit Erfolg durchzuführen. Sie benötige den sichtbaren Erfolg der Fettabsaugung, um die Motivation für eine weitere Gewichtsreduktion zu bekommen. Im häuslichen Bereich habe sie bereits alles versucht, auch mit ärztlicher Unterstützung. Sie sei nicht in der Lage gewesen, gewichtsreduzierende Maßnahmen durchzuhalten. Eine Gewichtsreduktion sei allerdings dringend notwendig, da das Übergewicht bereits zu körperlichen und psychischen Problemen geführt habe. Aufgrund der bestehenden psychischen Probleme neige sie zu Selbstverletzungen in Form des Zerkratzens des Körpers.

Zum Beleg dafür, dass die beantragte Liposuktion das einzige Mittel ist, um die Klägerin zu motivieren, eine weitere Gewichtsreduktion in stationärer Form durchzuführen, hat die Klägerin beantragt, ein Sachverständigengutachten nach § 106 SGG auf psychiatrischem Fachgebiet einzuholen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.09.2002 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2002 zu verurteilen, die Kosten einer Liposuktion zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist auf die Begründungen der streitgegenständlichen Bescheide.

Das Gericht hat in medizinischer Hinsicht einen Befundbericht des die Klägerin behandelnden Arztes Dr. L eingeholt. Dr. L führte aus, dass es seit Mitte des Jahres 2000 zu zunehmenden Beschwerden im Bereich des rechten Knies gekommen sei, so dass am 16.08.2000 sowie am 08.11.2000 eine artroskopische Untersuchung durchgeführt wurde, bei der Lagenstränge entfernt und ein Teil des Hoffar schen Fettkörpers sowie eine Kniefalte entfernt worden seien. Aufgrund des deutlichen Übergewichts der Klägerin sei es zu einer verzögerten Rekonvalezenz gekommen. Das Knie sei weiterhin nur eingeschränkt belastbar mit immer wieder auftretenden Gelenkergüssen. Seit August 2002 habe die Klägerin über Selbstwertprobleme aufgrund ihres Gewichtes berichtet. Sie habe Verletzungen an Armen und beiden Beinen gezeigt, die sich sich durch Kratzen selbst herbeigeführt habe. Die Durchführung einer Diät mit medikamentöser Unterstützung durch Xenical sei erfolgt. Nach Scheitern aller Versuche konventioneller Gewichtsabnahme sei die Fettabsaugung als gebliebene Alternative indiziert.

Das Gericht hat einen Bericht der Münchner Klinik für ästhetische Chirurgie zur sog Fettabsaugung beigezogen. In dem Bericht wird beschrieben, dass mit der Fettabsaugung eines elegantes und schonendes Mittel zur Verfügung stehe, dauerhaft lokale Fettansammlungen gezielt zu entfernen. Eine Methode zur Gewichtsreduktion sei die Fettabsaugung auf keinen Fall, vielmehr ein hervorragendes Verfahren zur Verbesserung der Körperkontur. In einer Sitzung könne höchstens ein Volumen von zwei bis drei Litern abgesaugt werden, ggf. werde lieber eine zweite Sitzung in Kauf genommen. Postoperativ sei das Tragen eines Kompressionsmieders für ca. vier Wochen erforderlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig aber nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Bewilligung einer sog Fettabsaugung (Liposuktion) durch die Beklagte.

Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten im Sinne des § 54 SGG.

Nach § 27 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, die unter anderem ärztliche Behandlung umfasst. Die vertragsärztliche Versorgung ist dabei nach § 72 Abs. 2 SGB V im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Richtlinien der Bundesausschüsse für Ärzte bzw. Zahnärzte und Krankenkassen durch schriftliche Verträge so zu regeln, dass eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemeinen Standes der medizinischen Erkenntnis gewährleistet ist. Die Bundesausschüsse haben in diesem Zusammenhang entsprechende Richtlinien zu erlassen.

Die von den Krankenkassen gewährten Leistungen müssen dabei nach § 12 SGB V dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechen, d.h. sie müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen. Solche dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

Bei der sog Fettabsaugung handelt es sich nicht um eine Leistung, die zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen gehört. Es handelt sich um eine sog neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Nach § 135 Abs. 1 SGB V dürfen solche neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse nur abgerechnet werden, wenn der dazu Kraft Gesetzes berufene Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien Empfehlungen über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben hat. § 135 Abs. 1 SGG V bezweckt dabei die Sicherung der Qualität der Leistungserbringung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Es soll gewährleistet werden, dass neue medizinische Verfahren nicht ohne Prüfung ihres diagnostischen bzw. therapeutischen Nutzens und etwaiger gesundheitlicher Risiken in der vertragsärztlichen Versorgung angewandt werden. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sind so lange von der Abrechnung zu Lasten der Krankenkasse ausgeschlossen, bis der Bundesausschuss sie als zweckmäßig anerkannt hat. Eine Anerkennung der Liposuktion durch den Bundesausschuss ist nicht erfolgt.

Die gesetzlichen Krankenkassen können sich im Rahmen eines Kostenerstattungsanspruchs jedoch dann an den Kosten einer Behandlung beteiligen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Methode auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystems beruht. Ein solcher Systemmangel kann auch dann bestehen, wenn das Anerkennungsverfahren trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wird. In diesem Fall stünde dem Versicherten ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V zu. Ein Systemmangel liegt bereits deshalb nicht vor, weil ein Antrag auf Anerkennung nicht gestellt worden ist.

Eine Beteiligung der Beklagten an einer Liposuktion kann aus Sicht der Kammer auch deshalb nicht erfolgen, weil bei der Klägerin eine Liposuktion nicht zweckmäßig wäre. Auch die Notwendigkeit der Durchführung einer Liposuktion ist nicht gegeben.

Bei der Liposuktion handelt es sich um einen operativen Eingriff, der mit nicht unerheblichen Risiken für die Gesundheit der Patientin verbunden ist. Ein solcher operativer Eingriff kann nur dann als zweckmäßig und notwendig angesehen werden, wenn andere mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen. Die Klägerin hat bislang lediglich im ambulanten hausärztlichen Bereich versucht, eine Gewichtsreduktion durchzuführen. Nach den Angaben des sie behandelnden Arztes wurde eine Diät unterstützt mit dem Medikament Xenical versucht.

Auch die Kammer sieht die Notwendigkeit einer Gewichtsreduktion im Fall der Klägerin. Eine solche Gewichtsreduktion kann allerdings sinnvoll und dauerhaft nur durch eine Umstellung der Ernährung aber auch durch körperliche Bewegung und eine Umstellung der Lebensgewohnheiten erreicht werden. Nachdem diätische Maßnahmen unter Betreuung des behandelnden Arztes nicht zum Erfolg geführt haben, kommen sowohl stationäre Krankenhausbehandlungen als auch eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in Betracht. Beide Maßnahmen werden über mehrere Wochen durchgeführt und führen in der Regel zu einer Gewichtsreduktion während der Maßnahme. Soweit die Klägerin vorträgt, dass nur eine vorausgehende Fettabsaugung bei ihr die Motivation für eine Gewichtsreduktion begründen kann, ist darauf hinzuweisen, dass stationäre Maßnahmen weder im Rahmen der Krankenhausbehandlung noch der Rehabilitationsmaßnahme bislang versucht worden sind. Es ist auch nicht ersichtlich, warum eine solche Maßnahme, die über mehrere Wochen durchgeführt wird und mit einer Umstellung der Ernährung und körperlicher Bewegung verbunden ist, nicht zu einer Gewichtsreduktion führen soll. Eine solche während einer Maßnahme erzielten Gewichtsreduktion würden aus Sicht der Kammer genau die Motivation bei der Klägerin hervorrufen, die sie benötigt, um das während der Maßnahme Erlernte im häuslichen Bereich umzusetzen und durchzuhalten.

Aus Sicht der Kammer ist bei der Klägerin ohnehin eine grundsätzliche psychiatrische Abklärung mit anschließender psychiatrisch psychotherapeutischer Behandlung erforderlich, um die Selbstverletzungen zu behandeln und die Selbstwertprobleme der Klägerin zu therapieren.

In diesem Zusammenhang war für die Kammer jedoch nicht ersichtlich, inwieweit die beantragte Fettabsaugung des geeignete Mittel sein soll, die psychiatrischen Probleme zu beseitigen oder aber eine Gewichtsreduktion herbeizuführen. Auch aus Sicht anerkannter plastischer Chirurgen kann eine Fettabsaugung allenfalls körperformend wirken. Die damit erzielte Gewichtsreduktion ist minimal. Die bei einer Fettabsaugung erzielten Erfolge wären bei der ausgeprägten Übergewichtigkeit der Klägerin insbesondere im Bereich der Beine und des Gesäßes kaum sichtbar und können daher aus Sicht der Kammer weder psychiatrische Probleme beseitigen noch motivierend wirken. Aus Sicht der Kammer wäre es eher kontraindiziert, wenn die Klägerin nach durchgeführtem Eingriff in Zusammenhang mit den damit verbundenen Belastungen und Schmerzen Wochen später feststellen würde, dass der Eingriff weder zu einer erheblichen Gewichtsreduktion noch zu einer erheblichen Reduzierung des Umfangs der Beine und des Gesäßes geführt hat, da bei dem Eingriff lediglich zwei bis drei, maximal vier Liter abgesaugt werden können. Die Fettabsaugung ist weder geeignet, eine Gewichtsreduktion zu erzielen, noch ist es vertretbar, operative Maßnahmen durchzuführen, bevor die zur Verfügung stehenden milderen Mittel in Form einer stationären Behandlung durchgeführt worden sind. Dies insbesondere deshalb, weil auch nur solche Maßnahmen letztendlich zu einer nachhaltigen Gewichtsreduktion und damit zur Beseitigung der körperlichen Beschwerden aufgrund der Übergewichtigkeit führen können. Die psychischen Probleme der Klägerin können aus Sicht der Kammer ohnehin nur durch adäquate ärztliche Behandlung und Therapie behandelt werden. Durch eine Fettabsaugung allein können diese auf keinen Fall beseitigt werden.

Nach alledem war die Klage mit Kostenfolge des § 193 abzuweisen.
Rechtskraft
Aus
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