L 1 AL 77/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 5 AL 92/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 AL 77/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 27.06.2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung höherer Arbeitslosenhilfe im Rahmen eines Antrages nach § 44 10. Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für die Zeit vom 02.06.1997 bis 31.03.1999.

Der am 00.00.1947 geborene Kläger war in der Zeit von 1977 bis März 1995 bei der Britischen S-armee beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung seitens des Arbeitgebers. Aus der Tätigkeit erhielt der Kläger eine Überbrückungshilfe gem. §§ 4, 3a des Tarifvertrages zur Sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften (TaSS). Diese belief sich im ersten Jahr auf 100 v. H. des Unterschiedsbetrages zwischen der Bemessungsgrundlage nach dem Tarifvertrag und den Leistungen des Arbeitsamtes, ab dem 2. Jahr der Arbeitslosigkeit auf 90 v.H. des Unterschiedsbetrages. Ab April 1995 bezog der Kläger Arbeitslosengeld, im Anschluss daran ab 28.01.1997 Arbeitslosenhilfe.

Durch Bescheid vom 02.07.1997 wurde die Arbeitslosenhilfe ab 02.06.1997 – vorläufig - unter Anrechnung der Überbrückungshilfe als Einkommen neu festgesetzt. Der hiergegen gerichtete Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 21.10.1997 als unbegründet zurückgewiesen. Die darauf hin erhobene Klage (SG Münster S 1 AL 90/97), mit der auch die von der Beklagten erteilten weiteren Bescheide vom 24.04.1998, 06.05.1998, 04.01.1999, 29.01.1999 und 06.05.1999 angegriffen wurden, wurde mit Urteil vom 24.09.1999 abgewiesen. Die Berufung (Landessozialgericht NRW, L 9 AL 191/99) nahm der Kläger mit Schriftsatz vom 08.12.1999 zurück. Ab dem 01.04.1999 war dem Kläger Arbeitslosenhilfe ohne Anrechnung von Einkommen bewilligt worden.

Am 15.11.2000 beantragte der Kläger, unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.09.2000, B 7 AL 72/99 R, eine Überprüfung der zuvor genannten Bescheide. Mit Bescheid vom 16.11.2000 lehnte die Beklagte eine Rücknahme der Bescheide ab. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.09.2001 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Bundessozialgericht habe erst am 07.09.2000 entschieden, dass die Anrechnung der Überbrückungsbeihilfe nicht zu erfolgen habe. Eine Rücknahme der Entscheidung über die Bewilligung der Leistung könne daher gem. § 330 Abs. 1 3. Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts erfolgen. Da die letzte Anrechnung der Überbrückungsbeihilfe im März 1999 erfolgt sei, könne dem Antrag des Klägers nicht entsprochen werden.

Gegen den Bescheid vom 16.11.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.09.2001 hat der Kläger am 19.09.2001 Klage erhoben. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, dass § 330 Abs. 1 SGB III eine Sonderregelung hinsichtlich § 44 SGB X nur insoweit vorsehe, als eine Norm für verfassungswidrig erklärt worden sei oder nach ständiger Rechtsprechung anders als durch das Arbeitsamt ausgelegt werde. Es liege jedoch keine Änderung der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor, da dieses durch das Urteil vom 07.09.2000 erstmals entschieden habe. Beim 11. Senat des Bundessozialgerichts seien noch andere parallele Verfahren anhängig.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.11.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.09.2001 zu verurteilen, den Bescheid vom 02.07.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.10.1997 sowie die Bescheide vom 24.04.1998, 06.05.1998, 04.01.1999, 29.01.1999, 06.05.1999 zurückzunehmen und ihm Arbeitslosenhilfe vom 02.,06.1997 bis 31.03.1999 ohne Anrechnung von Überbrückungsbeihilfe zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ihrer Auffassung nach ist durch das Urteil des BSG vom 07.09.2000 eine ständige Rechtsprechung entstanden. In den noch anhängig gewesenen Parallelverfahren seien die Entscheidungen der Beklagten abgeändert worden.

Mit Urteil vom 27.06.2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe es zu Recht abgelehnt, die im Klageantrag genannten Bescheide auf der Grundlage der §§ 44 SGB X, 330 SGB III zurückzunehmen und dem Kläger vom 02.06.1997 bis 31.03.1999 Arbeitslosenhilfe ohne Anrechnung von Überbrückungsbeihilfe zu zahlen. Eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit komme, entgegen der Auffassung des Klägers, nicht in Betracht. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 41 ff. der Gerichtsakten verwiesen.

Gegen das am 15.07.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 08.08.2003 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt er aus, dass ihm ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zustehe, der ihm die tarifrechtlich gewollten Überbrückungsbeihilfen in vollem Umfang belasse. Eine anders lautende Entscheidung wäre ein Eingriff in sein Vermögen und käme einem enteignungsgleichen Eingriff gleich. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass ein Entstehen einer ständigen Rechtsprechung nicht dazu führen könne, dass die Rechte der Betroffenen erst vom Zeitpunkt der Urteilsverkündung berücksichtigt würden. Dies würde bedeuten, dass letztlich die Dauer eines Verfahrens über die verfassungsmäßigen Rechte der Betroffenen entscheiden würde. Es müsse daher nicht auf das Datum der Urteilsverkündung, sondern auf den Beginn eines derartigen Verfahrens abgestellt werden. Dem Urteil des Bundessozialgerichtes vom 07.09.2000 habe eine Klage zum Sozialgericht Dortmund (S 33 AL 97/98) zu Grunde gelegen. Der Kläger dieses Verfahrens habe am 27.08.1997 die Wiederbewilligung von Arbeitslosenhilfe beantragt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 27.06.2003 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.11.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.09.2001 zu verurteilen, den Bescheid vom 02.07.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.10.1997 sowie die Bescheide vom 24.04.1998, 06.05.1998, 04.01.1999, 29.01.1999 und 06.05.1999 zurückzunehmen und ihm Arbeitslosenhilfe vom 02.06.1997 bis 31.03.1999 ohne Anrechnung von Überbückungsbeihilfe zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Sie verweist auf die ihrer Meinung nach überzeugenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils. Ein Herstellungsanspruch komme nicht in Betracht, da sich die Beklagte, insbesondere wegen der Rücknahme der ersten Berufung und der damit eingetretenen Bestandskraft der angefochtenen Bescheide, nichts vorzuwerfen habe. Soweit der Kläger auf anwaltlichen Rat der Rücknahme zustimmt habe, müsse er sich an seinen damaligen Prozessbevollmächtigten verweisen lassen.

Der weiteren Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Streitakten und der Leistungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Mit zutreffenden Gründen, die sich der Senat nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG), hat das Sozialgericht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 02.07.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.10.1997 und der weiteren Bescheide vom 24.04.1998, 06.05.1998, 04.01.1999, 29.01.1999 und 06.05.1999 und damit auf Zahlung von Arbeitslosenhilfe ohne Berücksichtigung der gezahlten Überbrückungsbeihilfe hat.

Unzweifelhaft liegen die Voraussetzungen des § 44 Abs.1 Satz 1 SGB X vor, da sich erwiesen hat, dass die Beklagte das Recht bei Erlass der der Zahlung von Arbeitslosenhilfe zu Grunde liegenden - und mit Rücknahme der Berufung bestandskräftig gewordenen - Bescheide unrichtig angewandt hat. Ein Anspruch auf Änderung der Bescheide und die nachträgliche Zahlung einer höheren Arbeitslosenhilfe sind jedoch nach § 330 Abs. 1 Satz 1 SGB III ausgeschlossen. Danach ist ein unanfechtbarer Verwaltungsakt bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nur mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen, wenn die Rechtsnorm, auf der er beruht, in ständiger Rechtsprechung anders als durch die Bundesagentur ausgelegt wird. Diese Voraussetzungen, auch dies hat das Sozialgericht zutreffend festgestellt, sind erfüllt.

Ein für den Kläger günstigeres Ergebnis lässt sich nicht aus dem sogenannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch herleiten. Er hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund eines Gesetzes oder eines bestehenden Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 15, 14 SGB I), verletzt hat, wobei zudem zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang bestehen muss (vgl. u.a. BSG Urteil vom 25.03.2003, B 7 AL 106/01 R, SozR 4-4300 § 434c Nr.1). Eine solche Pflichtverletzung der Beklagten lässt sich hier nicht erkennen. Die Beklagte hat dem Kläger nicht etwa zu der hier entscheidenden Berufungsrücknahme geraten. Vielmehr beruhte diese - worauf der Kläger nochmals hingewiesen hat - darauf, dass ihm keine finanziellen Mittel zur Fortführung des Verfahrens zur Verfügung standen.

Der Auffassung des Klägers, es dürfe nicht auf das Datum der Urteilsverkündung, sondern es müsse auf den Beginn des Verfahrens abgestellt werden, vermochte der Senat nicht zu folgen. Sie widerspricht dem Wortlauf des § 300 Abs. 1 SGB III, der ein "Entstehen der ständigen Rechtsprechung" und damit eine verfahrensbeendende Entscheidung voraussetzt.

Verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet die Reglung des § 330 SGB III nicht. Der Senat verweist insoweit auf die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 29.06.2000, B 11 AL 99/99 R, SozR 3-4100, § 152 Nr. 10) und macht sich die dort genannten Gründe zu Eigen. Insbesondere bleibt zu berücksichtigen, dass es der Versicherte grundsätzlich selbst in der Hand hat, durch Einlegung von Rechtsmitteln die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes und damit die von ihm als nachteilig empfundene Rechtsfolge zu verhindern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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