L 10 AL 260/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AL 137/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 260/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.06.2003 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger für die Zeit ab 06.12.2001 Arbeitslosenhilfe (Alhi) zu gewähren hat.

Der 1943 geborene Kläger bezog nach Erschöpfung des Anspruches auf Arbeitslosengeld seit 06.12.1998 Arbeitslosenhilfe (Alhi). Dabei blieben vom Kläger angegebene Lebensversicherungen (Bayer. Versicherungskammer, Laufzeit: 01.11.1996 bis 01.11.2008, Versicherungssumme: 147.553,00 DM; DEVK, Laufzeit: 01.12.1969 bis 01.12.2003, Versicherungssumme: 10.000,00 DM) als zur Alterssicherung dienendes Vermögen unberücksichtigt.

Mit Antrag vom 30.10.2001 begehrte der Kläger unter Angabe u.a. der beiden Lebensversicherungen die Fortzahlung von Alhi über den 05.12.2001 hinaus. Er gab einen Gesamtrückkaufswert bezüglich der Lebensversicherungen von 123.024,59 DM (Bayer. Versicherungskammer) bzw. 23.256,66 DM (DEVK) zum 01.12.2001 an. Beiträge habe er bis dahin in Höhe von 108.991,00 DM bzw. 8.179,20 DM geleistet.

Mit Bescheid vom 13.12.2001 und Widerspruchsbescheid vom 23.01.2002 lehnte die Beklagte den Antrag auf Alhi ab 06.12.2001 ab. Der Kläger besitze neben Sparvermögen und einem Guthaben auf einem Girokonto in Höhe von insgesamt 3.614,67 DM der Altersvorsorge dienende Lebensversicherungen mit einem Rückkaufswert in Höhe von insgesamt 146.281,25 DM. Abzüglich eines für die Altersvorsorge angemessenen Betrages in Höhe von 58.000,00 DM (1.000,00 DM je Lebensjahr) und eines allgemeinen Freibetrages in Höhe von 8.000,00 DM verbleibe ein einzusetzendes Vermögen in Höhe von 83.895,92 DM, das bei einem wöchentlichen Arbeitsentgelt in Höhe von 1.420,00 DM zu einem Ausschluss der Bedürftigkeit für 59 Wochen, d.h. bis zum 22.01.2003 führe. Einen erneuten Antrag auf Alhi gemäß der ab 01.01.2002 geltenden Arbeitslosenhilfeverordnung (AlhiV 2002) bei Unterschreiten des dort genannten Freibetrages könne jedoch gestellt werden.

Die dagegen zum Sozialgericht Nürnberg erhobene Klage hat der Kläger damit begründet, ein Rückkauf der Lebensversicherungen sei unwirtschaftlich. Die Lebensversicherungen hätten einen Betrag von 120.000,00 DM nicht überschritten und die Laufzeit habe noch keine 12 Jahre betragen. Bei Abschluss der Lebensversicherung bei der Bayer. Versicherungskammer 1996 sei die Anlage noch nicht zu berücksichtigen gewesen. Laut Rentenauskunft vom 07.08.2002 erhalte er ab dem 65. Lebensjahr eine gesetzliche Rente in Höhe von 1.468,80 EUR monatlich (bei Bezug bereits ab dem 60. Lebensjahr in Höhe von 1.204,42 EUR) sowie aus einer seiner Lebensversicherungen ab dem 65. Lebensjahr Rentenleistungen in Höhe von anfangs 589,33 EUR.

Das SG hat mit Urteil vom 04.06.2003 die Beklagte unter Aufhebung der erlassenen Bescheide verurteilt, ab 06.12.2001 Alhi zu gewähren. Die Beklagte habe nach der vom 23.06.1999 bis 31.12.2001 geltenden Fassung der AlhiV (AlhiV aF) bereits ab 06.12.1999 die Lebensversicherungen berücksichtigen müssen, so dass bereits ab diesem Zeitpunkt für ca. 59 Wochen keine Bedürftigkeit bestanden hätte. Ab März 2001 allerdings wäre ein Anspruch wieder gegeben gewesen. Eine Rücknahme für die Vergangenheit scheitere aber am Vertrauensschutz. Da sich seit 06.12.1999 eine Änderung der Verhältnisse nicht ergeben habe, könne auch eine Aufhebung nicht erfolgen. Nach Wegfall des § 9 AlhiV aF ab 01.01.2002 bestehe zudem ein Anspruch auf Alhi für einen unbegrenzten Zeitraum solange nicht mehr, bis das vorhandene Vermögen tatsächlich verbraucht sei. Dies alles benachteilige den Kläger.

Zur Begründung der dagegen zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Berufung hat die Beklagte vorgetragen, der Anspruch auf Alhi sei nach der Bewilligungsdauer (ein Jahr) jeweils neu zu prüfen; nur bereits berücksichtigtes und angerechnetes Vermögen dürfe nicht erneut angerechnet werden, soweit es zu einer Verneinung der Bedürftigkeit für eine gewisse Zeit geführt habe. Vorausgegangene Bewilligungsentscheidungen würden keine Bindungswirkung entfalten. Der Freibetrag nach § 1 Abs 2 AlhiV 2002 stimme im Wesentlichen mit den bis dahin geltenden Freibeträgen überein.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.06.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Der Berichterstatter konnte gemäß § 153 Abs 3, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) anstelle des Senates entscheiden. Die Beteiligten haben hierzu ihr Einverständnis erteilt.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig und auch begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.06.2003 ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 13.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.01.2002 ist abzuweisen.

Dem Kläger steht ab 06.12.2001 (für - zumindest - 59 Wochen) ein Anspruch auf Alhi nicht zu.

Gemäß § 190 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der ab 01.01.2000 bis 31.12.2003 geltenden Fassung haben Arbeitnehmer Anspruch auf Alhi, die u.a. bedürftig sind (§ 190 Abs 1 Nr 5 SGB III). Die Alhi soll jeweils für längstens ein Jahr bewilligt werden. Vor einer erneuten Bewilligung sind die Voraussetzungen des Anspruches zu prüfen (§ 190 Abs 3 SGB III). Nicht bedürftig ist ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen, die Erbringung von Alhi nicht gerechtfertigt ist (§ 193 Abs 2 SGB III). Welches Vermögen dabei zu berücksichtigen ist, wird in § 6 AlhiV aF bzw. § 1 AlhiV 2002 geregelt.

Gemäß § 6 Abs 1 AlhiV aF ist das Vermögen des Arbeitslosen zu berücksichtigen, soweit es verwertbar ist, die Verwertung zumutbar ist und der Wert des Vermögens, dessen Verwertung zumutbar ist, jeweils 8.000,00 DM übersteigt. Vermögen ist insbesondere verwertbar, soweit seine Gegenstände verbraucht, übertragen oder belastet werden können. Es ist nicht verwertbar, soweit der Inhaber des Vermögens in der Verwertung beschränkt ist und die Aufhebung der Beschränkung nicht erreichen kann (§ 6 Abs 2 AlhiV aF). Die Verwertung ist zumutbar, wenn sie nicht offensichtlich unwirtschaftlich ist und wenn sie unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung des Inhabers des Vermögens und seiner Angehörigen billigerweise erwartet werden kann (§ 6 Abs 3 Satz 1 AlhiV aF). Nicht zumutbar ist insbesondere die Verwertung von Vermögen, das für eine alsbaldige Berufsausbildung, zum Aufbau oder zur Sicherung einer ange- messenen Lebensgrundlage oder zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung bestimmt ist (§ 6 Abs 3 Satz 2 Nr 3 AlhiV aF). Für die Alterssicherung ist ein Vermögen u.a. angemessen, soweit es 1.000,00 DM je Lebensjahr des Arbeitslosen und seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners nicht übersteigt (§ 6 Abs 4 Nr 2 AlhiV aF).

Gemäß § 1 AlhiV 2002 ist das gesamte verwertbare Vermögen des Arbeitslosen zu berücksichtigen, soweit der Wert des Vermögens den Freibetrag übersteigt (§ 1 Abs 1 AlhiV 2002). Freibetrag ist ein Betrag von 520,00 EUR je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners; dieser darf für den Arbeitslosen und seinem Partner jeweils 33.800,00 EUR nicht übersteigen (§ 1 Abs 2 Satz 1 AlhiV 2002).

Hiernach war der Kläger ab 06.12.2001 nicht bedürftig, denn neben anderweitigem Sparvermögen sind die beiden Lebensversicherungen mit ihrem Rückkaufswert anzurechnen. Sie sind durch Rückkauf verwertbar und diese Verwertung ist auch zumutbar, denn dieser ist nicht offensichtlich unwirtschaftlich.

Offensichtlich unwirtschaftlich ist eine Verwertung nur dann, wenn der dadurch erlangte bzw. zu erzielende Gegenwert in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert des verwerteten bzw. zu verwertenden Vermögensgegenstand steht oder stehen würde. Gewisse Verluste muss der Arbeitslose hinnehmen; lediglich die Verschleuderung von Vermögenswerten darf ihm nicht zugemutet werden. Umgekehrt ist eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Vermögensverwertung nicht gegeben, wenn das Ergebnis der Verwertung von wirklichen Werten nur geringfügig abweicht (vgl. hierzu LSG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 16.09.2004 und 22.09.2004 - L 9 AL 24/04 und L 12 AL 109/04; LSG Berlin, Urteil vom 02.09.2003 - L 6 AL 16/03 - jeweils mwN). Bei einer Lebensversicherung kann dabei auf das Verhältnis zwischen Rückkaufswert und Beitragsaufwand abgestellt werden, wobei die bis dahin erkaufte Risikoabsicherung zusätzlich zu berücksichtigen wäre. Nicht zu berücksichtigen sind Dispositionen und (gesicherte) Erwartungen zukünftiger Vermögenszuwächse, denn geschützt ist nur die Substanz des Vermögens, nicht aber das zukunftsgerichtete sachgerechte Wirtschaften mit vorhandenen Vermögenswerten (vgl. LSG Berlin aaO).

Eine der Verwertung engegenstehende Relation zwischen Beitragsleistung und Rückkaufswert besteht hier nicht, denn der Rückkaufswert der Lebensversicherungen des Klägers übersteigt die Summe der aufgewandten Beiträge um weit mehr als 10 %.

Abzüglich des Freibetrages gem. § 6 Abs 4 AlhiV aF und Berücksichtigung des weiteren Guthabens auf Sparkonten sowie eines weiteren allgemeinen Freibetrages in Höhe von 8.000,00 DM besitzt der Kläger somit 83.895,92 DM an zumutbar verwertbarem Vermögen, ist also nicht bedürftig.

Wegen des Wegfalls des § 9 AlhiV aF ab 01.01.2002 kann offen bleiben, in welchem über den 01.01.2002 hinausgehenden Zeitraum - vom 06.12.2001 bis 31.12.2001 besteht jedenfalls eindeutig keine Bedürftigkeit - die Bedürftigkeit entfallen ist. Solange der Kläger zumutbar verwertbares Vermögen über die Freibeträge hinaus besitzt, ist er nicht bedürftig. Ein neuerlicher Antrag auf Alhi verspricht erst dann überhaupt Erfolg, wenn der Kläger sein anrechenbares Vermögen verbraucht hat. Dies ist ggf. theoretisch auch vor Ablauf des von der Beklagten angegebenen Zeitraumes von 59 Wochen möglich. Einen solchen Antrag hat der Kläger jedoch nicht gestellt und er wäre auch nicht Streitgegenstand.

Benachteiligt wird der Kläger durch diese Regelungen, insb. durch den Wegfall des § 9 AlhiV aF ab 01.01.2002 nicht. Dieser Wegfall des Verbotes der Mehrfachanrechnung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Rechtsstaatsprinzip wird nicht verletzt (vgl. hierzu ausführlich: LSG Baden Württemberg, Urteil vom 19.11.2002 - L 13 AL 833/02 -, Urteil vom 18.11.2003 - L 13 AL 688/03 - veröffentlicht jeweils in Juris).

Insbesondere aber hätte im Gegensatz zur Auffassung des SG gerade eine bereits für die Zeit ab 06.12.1999 erfolgte Anrechnung von Vermögen zu einem tatsächlichen Nachteil des Klägers geführt, denn es hätte schon ab diesem Zeitpunkt keine Bedürftigkeit mehr vorgelegen und der Kläger hätte ggf. ab diesem Zeitpunkt keinen Anspruch auf Alhi mehr gehabt. Hätte der Kläger das Vermögen dann aber auch über den 31.12.2001 hinaus noch besessen, so wäre es erneut und ebenfalls ohne zeitliche Begrenzung zu berücksichtigen gewesen (vgl. hierzu: LSG Baden Württemberg aaO).

Auch gem. § 1 AlhiV 2002 besitzt der Kläger bezogen auf den Zeitraum ab 01.01.2002 den Freibetrag übersteigendes, anrechenbares Vermögen und ist somit nicht bedürftig.

Eine Bindungswirkung haben die vorangegangenen Entscheidungen der Beklagten über die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 06.12.1998 bis 05.12.2001 nicht, denn Alhi wird jeweils für ein Jahr bewilligt und hernach völlig unabhängig von der vorherigen Bewilligung neu geprüft (§ 190 Abs 3 SGB III; Brandts in Niesel, SGB III, 2.Aufl, § 190 RdNr 30 mwN).

Auf Vertrauensschutz kann sich der Kläger dabei ebenfalls nicht berufen. Zwar ist im Zeitpunkt des Abschlusses der Lebensversicherung bei der Bayer. Versicherungskammer 1996 in § 6 der damals geltenden AlhiV kein nach oben begrenzter Freibetrag hinsichtlich der Alterssicherung genannt. Begrenzt wurde der nicht zu berücksichtigende Betrag allerdings durch den Begriff der Angemessenheit. Ein Vertrauen des Klägers dahingehend, dass das gesamte zur Alterssicherung angelegte Vermögen anrechnungsfrei bliebe, war somit auch auf Grund der damals geltenden Fassung des § 6 der AlhiV aF nicht geschützt.

Nach alledem ist der Kläger ab 06.12.2001 nicht mehr bedürftig. Die Ablehnung der Gewährung von Alhi durch die Beklagte ist rechtmäßig. Das Urteil des Sozialgerichts ist deshalb aufzuheben und die Klage ist abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gem. § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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