L 16 KR 177/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 7 (27) KR 156/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 177/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23. August 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten der Implantation intraokularer Linsen.

Die Klägerin leidet an einer hochgradigen Kurzsichtigkeit (rechts - 10,0, links - 11,0 Dioptrien) bei starkem Astigmatismus. Im März 1999 beantragte sie bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für die Implantation von Intraokularlinsen oder die Behebung der Fehlsichtigkeit durch eine Excimer-Laser-Operation. Dem Antrag beigefügt war eine Bescheinigung des Dr. K ... vom 11.03.1999, wonach die Klägerin einen refraktiven Eingriff mit dem Excimer-Laser zur Reduzierung der Fehlsichtigkeit wünsche. Eine Brillenkorrektur sei wegen häufiger Kopfschmerzen und einem chronischen Druckekzem auf dem Nasenrücken nicht verträglich und Kontaktlinsen könnten wegen Rötung der Augen nicht mehr ausreichend getragen werden. Die Korrektur könne durch die Implantation einer Intraokularlinse oder durch Excimer-Laser-Operation erfolgen, wobei unmittelbar vor der Operation zu entscheiden sei, welches Verfahren Anwendung finde.

Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Nordrhein - Ärztin Dr. A ... - ein, die die Kostenübernahme nicht befürwortete, weil eine Kontaktlinsenallergie nicht objektiviert und die Korrektur der Fehlsichtigkeit durch Brille bzw. Kontaktlinsen ausreichend und zweckmäßig sei. Daraufhin lehnte die Beklagte durch formlosen Bescheid vom 08.04.1999 die Kostenübernahme ab.

Die Klägerin legte am 09.08.1999 Widerspruch ein unter Beifügung eines weiteren Attestes des Dr. K ... vom 28.07.1999, in dem dieser seine Beurteilung wiederholte. In einer weiteren Stellungnahme vom 16.08.1999 verblieb Dr. A ... gleichwohl bei ihrer Auffassung, weil die Erbringung der streitigen Operation zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, weil die beantragte Excimer-Laser-Operation bzw. Implantation einer Intraokularlinse als Verfahren der refraktiven Augenchirurgie vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen als Versorgungsmöglichkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen worden sei.

Die Klägerin hat am 09.11.1999 vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der durchgeführten Implantationen von Linsen im rechten und linken Auge zu übernehmen. Die Behandlung erfolgte am 15.09., 02.11. und 02.12.1999.

Das SG hat Befundberichte des behandelnden Augenarztes Dr. G ... sowie des Operateurs Dr. K ... eingeholt. Wegen deren Angaben wird auf die Berichte vom 24.01. und 02.02.2000 Bezug genommen.

Mit Urteil vom 23.08.2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird verwiesen.

Gegen das ihr am 30.08.2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21.09.2001 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, die entsprechende Richtlinie des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen umfasse nicht die streitige Implantation einer Intraokularlinse, sondern befasse sich nur mit der refraktiven Laserchirurgie.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23.08.2001 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.04.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.1999 zu verurteilen, ihr - der Klägerin - die Kosten für die Implantation von Intraokularlinsen in Höhe von 4.317,11 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt, dass die Implantation einer Intraokularlinse nur bei dem sogenannten Grauen Star nach der Beschlussfassung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden könne. Des weiteren hat sie eine Stellungnahme dieses Ausschusses vom 15.10.2000 vorgelegt, wonach auch die Implantation einer Kontaktlinse unter den Oberbegriff "refraktive Augenchirurgie" falle.

Des weiteren hat der Senat Unterlagen des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zur refraktiven Augenchirurgie (Auskunft vom 30.08.2001 nebst Anlagen) verwertet, außerdem eine Auskunft des Berufsverbandes der Augenärzte vom 22.01.2002.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Klägerin der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch nicht zusteht. Nach § 13 Abs. 3, 2. Alt. Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V, der allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, sind, sofern die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Ablehnungsentscheidung der Beklagten war jedoch rechtmäßig, weil sie der Klägerin die begehrte Leistung nicht schuldete.

Es läßt sich schon nicht feststellen, dass die Behandlung notwendig im Sinne der §§ 12 Abs. 1 Satz 1, 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V gewesen ist. Danach haben Versicherte im Rahmen der Krankenbehandlung nur Anspruch auf ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungen, die das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Daraus folgt, dass die Krankenbehandlung dem Mindeststandard genügen muss, darüber hinausgehende aufwendige Versorgungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung aber nicht begehrt werden können (vgl. Höfler, Kasseler Kommentar, Stand 2002, Rdn. 22 zu § 12 SGB V). Nach den Stellungnahmen der behandelnden Ärzte sowie der Beurteilung der von der Beklagten gehörten Dr. A ..., die der Senat urkundsbeweislich verwertet hat, ist die operative Versorgung der Klägerin in diesem Sinne aber nicht erforderlich gewesen. Zwar hat Dr. K ... die Möglichkeit einer Brillenkorrektur der Sehschwäche wegen häufiger Kopfschmerzen und einem Druckekzem verneint, dies hat aber in der Auskunft des behandelnden Augenarztes Dr. G ... keine Bestätigung gefunden. Auch der Operateur und Praxiskollege des Dr. K ..., Dr. K ..., hat lediglich darauf verwiesen, dass die Klägerin über einen chronischen Druckschmerz durch die schweren Gläser sowie eine Einschränkung des Blickfeldes klage; dass eine Brillenunverträglichkeit objektiv gegeben sei, hat er aber gerade nicht bestätigt. Ebenso wenig hat er die vollständige Unmöglichkeit des Einsatzes von Kontaktlinsen bescheinigt, sondern lediglich in Übereinstimmung mit den Stellungnahmen der Dres. G ... und K ... eine zunehmende Unverträglichkeit und damit nur noch eine eingeschränkte Verwendungsfähigkeit von Kontaktlinsen beschrieben. Unter diesen Umständen ist aber mit Dr. A ... davon auszugehen, dass jedenfalls im Operationszeitpunkt noch eine ausreichende Versorgung durch den kombinierten Einsatz von Brille und Kontaktlinsen möglich war.

Unabhängig davon zählt die Implantation von Intraokularlinsen bei starker Fehlsichtigkeit und Astigmatismus nicht zu den vertragsärztlichen Leistungen. § 135 Abs. 1 SGB V bestimmt, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur abgerechnet werden dürfen, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u.a. über die Anerkennung der diagnostischen und therapeutischen Nutzen der neuen Methode abgegeben hat. Die Einpflanzung einer intraokularen Linse hat in den einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) nur zur Behandlung des sogenannten Grünen oder Grauen Star Eingang gefunden - Nrn. 1348 bis 1362 EBM-Ä (vgl. dazu Hoffmann, Kommentar zur Gebührenordnung der Ärzte, 3. Aufl., Anmerkung zu den Nrn. 1348 ff. S. 41 - 43). Im übrigen ist eine solche Behandlung daher als neue Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Abs. 1 SGB V anzusehen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7 S. 50).

Die danach für eine Anwendung in der vertragsärztlichen Versorgung notwendige Empfehlung durch den Bundesausschuss ist nicht erfolgt, sondern diese Therapie ist unter dem synonymen Begriff der refraktiven Augenchirurgie durch Beschluss des Bundesausschusses vom 11.05.1993 aus der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen und in der Anlage 2 (Nr. 13) der Richtlinien über neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB-RL; veröffentlicht im Bundesanzeiger vom 21.08.1993, S. 7869) unter die Behandlungsmethoden gefasst worden, deren therapeutischer Nutzen nicht festgestellt werden kann (jetzt Anlage B Nr. 13 der Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß § 135 Abs. 1 SGB V [BUB-RL] vom 10.12.1999 [BAnz. 2000 Nr. 56 S. 4602]).

Dies entspricht der von der Beklagten vorgelegten Stellungnahme des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 15.02.2000 sowie dem Umstand, dass beim entsprechenden Eingriff der Einsatz eines YAG-Laser in Betracht kommt (vgl. Hoffmann a.a.O., Anmerkung 2 zu Nr. 1348).

Die NUB-RL sind untergesetzliche Rechtsnormen, die verbindlich das vertragsärztliche Leistungsspektrum regeln (vgl. BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 6 S. 30; Nr. 7 S. 55; § 135 Nr. 14 S. 66). Infolgedessen ist dem Versicherten, der sich die Leistung gleichwohl selbst beschafft, im Kostenerstattungsverfahren der Einwand verwehrt, die Behandlungsmethode sei in seinem konkreten Fall zweckmäßig und wirksam gewesen.

Da dem Normgeber ein eigener Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum zukommt, können die Richtlinien durch die Gerichte nur insoweit überprüft werden, ob sie im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung zustandegekommen sind, insbesondere ob sie dem Gleichbehandlungsgebot und dem Willkürverbot genügen, das Verfahren nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgestaltet gewesen ist und die verfügbaren Beurteilungsgrundlagen ausgeschöpft worden sind (vgl. BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7 S. 60). Dass die hier maßgebliche NUB-RL Anlage 2 Nr. 13 unter Verletzung dieser Grundsätze oder unter Verstoß gegen höherrangiges Recht zustandegekommen ist, ist nicht ersichtlich (so schon LSG NRW Urt. vom 26.01.1999 - L 5 KR 101/98 -). Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat in seiner vom Senat in einem Parallelverfahren eingeholten Stellungnahme vom 30.08.2001, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden ist, hervorgehoben, dass die refraktive Hornhautchirurgie entsprechend den Stellungnahmen der von ihm gehörten Sachverständigen mit einer erheblichen artifiziellen Schädigung der Hornhaut einhergeht, deren Langzeiteffekte nicht abzusehen sind und die im Alter häufig zu sogenannten Dystrophien führen, die eine Keratoplastik notwendig machen (vgl. dazu auch Internet-Information der Lasergeschädigten-Organisation Surgical Eyes mit Sitz in Tampa im US-Bundesstaat Florida unter www.surgicaleyes.org). Angesichts dieser Gefahren spricht nichts für eine sachwidrige Entscheidung des Bundesausschusses.

Im Zeitpunkt der Behandlung der Klägerin im Jahr 1999 hatte sich die Sachlage auch nicht so verändert, dass unter dem Gesichtspunkt eines Systemversagens ein Anspruch auf die begehrte Leistung trotz der entgegenstehenden Richtlinie gegeben gewesen ist. Ein solches Systemversagen ist dann anzunehmen, wenn die fehlende Anerkennung der neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wird (vgl. BSG SozR 3- 2500 § 135 Nr. 4 S. 21; Nr. 14 S. 66). Es kann dahinstehen, ob in dem insoweit maßgeblichen Behandlungszeitpunkt (vgl. dazu BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 12) schon mangels eines erneuten Antrags seitens der zuständigen Gremien die formalen Voraussetzungen für eine Überprüfung gefehlt haben. Die Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode setzt den Nachweis ihrer Wirksamkeit voraus, der grundsätzlich dadurch zu führen ist, dass in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken ausreichende Behandlungserfolge belegt werden (BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 5; § 109 Nr. 5). Solche Statistiken, die insbesondere einen Aufschluss über die Langzeitrisiken geben, lagen aber nach der Auskunft der Kommission für refraktive Laserchirurgie (KRC) vom 22.01.2002 auch Anfang dieses Jahres noch nicht vor, was für alle Methoden der refraktiven Augenchirurgie Geltung hat. Unter diesen Umständen bestand aber für den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen kein Anlass, sich im Jahr 1999 erneut mit der refraktiven Augenchirurgie zu befassen.

Nur ausnahmsweise kann, sofern ein Wirksamkeitsnachweis wegen der Art oder des Verlaufs der Erkrankung oder wegen unzureichender wissenschaftlicher Erkenntnisse auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, darauf abgestellt werden, ob sich die angewendete Therapie in der medizinischen Praxis durchgesetzt hat (BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 S. 21 f.; Nr. 14 S. 68). Da solche Schwierigkeiten bezüglich der Erstellung wissenschaftlicher Studien hier nicht ersichtlich sind, kann es jedoch auf den Gesichtspunkt der allgemeinen Verbreitung der refraktiven Augenchirurgie in der medizinischen Praxis nicht ankommen. Im übrigen haben auch die gehörten Ärzte eine solche allgemeine Verbreitung nicht behauptet.

An diesem Ergebnis ändert sich auch dann nichts, wenn man die hier durchgeführte Linsen-Operation nicht der BUB-RL Anl. B Nr. 13 zuordnet, da es in diesem Fall an einer Empfehlung der Methode durch den zuständigen Bundesausschuss fehlt. Das Fehlen einer solchen Empfehlung steht aber der Durchführung einer Behandlungsmethode zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung eben falls entgegen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 135 Nrn. 4, 12, 14), es sei denn, die fehlende Empfehlung beruht auf einer unsachgemässen Behandlung durch den Ausschuss oder die antragsberechtigten Stellen und das Gericht können sich von der Wirksamkeit der neuartigen Methode überzeugen bzw. deren praktische Akzeptanz feststellen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 12 S. 56). Für letztere Voraussetzungen sind aber entsprechend den vorstehenden Ausführungen keine Anhaltspunkte gegeben. Der Einsatz der Methode bei einer einzelnen schwerwiegenden Erkrankung (Grauer oder Grüner Star), bei der eine alternative Versorgung nicht denkbar ist, besagt nichts über das Verhältnis der Risiken zur Behebung der Sehbeeinträchtigung in sonstigen Fällen.

Die Berufung musste daher mit der auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beruhenden Kostenentscheidung zurückgewiesen werden.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht erfüllt (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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