L 1 KR 128/04

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 34 KR 366/01
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 128/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 17. September 2004 wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über Kostenerstattung für im Jahre 2001 erfolgte implantologische Leistungen. Kostenerstattung für Suprakonstruktionen (implantatgestützter Zahnersatz) ist nicht im Streit.

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten lehnte es gegenüber der 1981 geborenen, bei ihr familienversicherten Klägerin durch Bescheide vom 7. und 14. Juni 2000 ab, implantologische Leistungen zu erbringen, weil eine Ausnahmeindikation (ein besonders schwerer Fall) nicht vorliege. Hierzu zähle nicht, dass der Klägerin von Geburt her zwei Zähne (35 und 45) fehlten. Eine generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen iSd Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung idF der Bekanntmachung vom 24. Juli 1998 liege nicht vor. Nachdem der Arzt für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie Dr. Dr. C. die Klägerin auf Veranlassung der Beklagten am 9. November 2000 untersucht und begutachtet, das Vorliegen einer generalisierten Nichtanlage von Zähnen verneint, eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate für möglich, die vom Zahnarzt der Klägerin vorgeschlagene Implantatversorgung aber ebenfalls für sinnvoll gehalten hatte (Gutachten vom 12. November 2000), wies die Rechtsvorgängerin der Beklagten den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2001).

Hiergegen richtet sich die am 2. März 2001 erhobene, vom Sozialgericht Köln an das Sozialgericht Hamburg durch Beschluss vom 30. März 2001 verwiesene Klage. Mit Bescheid vom 16. Mai 2001 hat sich die Rechtsvorgängerin der Beklagten im Hinblick auf den mWv 1. Januar 2000 eingefügten § 30 Abs. 1 Satz 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und im Anschluss an die mWv 24. März 2001 eingetretene Änderung der Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen vom 25. Oktober 1977 (BAnz. Nr. 230 S. 1, zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 15. September 2000, BAnz. 2001 Nr. 58, S. 4951, vgl. dort Abschnitt VI., Nr. 38ff) sowie nach Einholung des weiteren Gutachtens des Dr. Dr. C. vom 22. April 2001 bereit erklärt, die Versorgung mit Suprakonstruktionen (prothetische Versorgung iSd Überkronung bei den Zähnen 35 + 45) zu übernehmen.

Für die von der Klägerin zwischen März und September 2001 von dem Vertragszahnarzt Dr. Dr. B. durchgeführte private implantologische Behandlung sind ihr Kosten in Höhe von 10.067,58 DM (= 5147,47 EUR) entstanden.

Das Sozialgericht hat im Hinblick auf die Einverständniserklärungen der Beteiligten vom 7. und 15. Juli 2004 ohne mündliche Verhandlung entschieden und die Kostenerstattungsklage durch Urteil vom 17. September 2004 abgewiesen. Ein besonders schwerer Fall iSd hier einschlägigen Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen liege nicht vor. Soweit § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V dem Bundesausschuss überlassen habe, Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle festzulegen, sei dies nicht verfassungswidrig (Bundessozialgericht (BSG) v. 19. Juni 2001 – B 1 KR 4/00 R, SozR 3-2500 § 28 Nr. 5).

Gegen das ihr am 9. Oktober 2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 8. November 2004 Berufung eingelegt. Sie beanstandet nach wie vor, dass nicht der Gesetzgeber, sondern der Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Richtlinien bestimmt habe, wann ein besonders schwerer Fall vorliege. Dies widerspreche rechtsstaatlichen Grundsätzen, weil es willkürlichen Entscheidungen Raum gebe.

Die Beklagte hält die Berufung für unbegründet und verweist auf das Urteil des BSG vom 13. Juli 2004 (B 1 KR 37/02 R, SGb 2004, 547 mit Anm. M. Krasney, jurisPR-SozR 46/2004).

II.

Der Senat weist die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung (§§ 143,144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) nach Anhörung der Beteiligten gem. § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurück, weil er das Rechtsmittel für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Bescheide der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 7. und 14. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2001 (und des Bescheides vom 16. Mai 2001) sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung wegen ihrer implantologischen Behandlung (sämtliche Vorleistungen im Zusammenhang mit den Implantaten, wie die Implantate selbst, die Implantataufbauten und die implantatbedingten Verbindungselemente). Die Voraussetzungen von § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V liegen nicht vor, weil die Beklagte die implantologischen Leistungen zu Recht nicht als vertragszahnärztliche Behandlung erbracht hat. Hierbei geht der Senat davon aus, dass etwaige der Klägerin aus der Verwendung von Suprakonstruktionen entstandenen Kosten von der Rechtsvorgängerin der Beklagten aufgrund der Zusicherung vom 16. Mai 2001 in der gesetzlichen Höhe übernommen werden und nicht im Streit sind.

Nach § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V idF des Art. 1 GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2626) - in Kraft ab 1. Januar 2000 – gehören implantologische Leistungen nicht zur zahnärztlichen Behandlung, es sei denn, es liegen seltene vom Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt. Nach Abschnitt VII Nr. 29 Satz 4 Buchst. c) der Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung – hier in der Fassung vom 24. Juli 1998 (Behandlungs-Richtlinien) - gehört zu den Ausnahmeindikationen für Implantate und Suprakonstruktionen iSd § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V - besonders schwere Fälle - eine generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen. Darum handelt es sich bei der bei der Klägerin bestehenden Lücke im Bereich 35 und 45 jedoch nicht. Es mangelt insoweit schon an einem Fehlen der Mehrzahl der Zähne (vgl. BSG v. 13. Juli 2004 – B 1 KR 37/02 R, aaO). Mit dem Begriff der "generalisierten genetischen Nichtanlage von Zähnen" wird zum Ausdruck gebracht, dass ein Stadium mit einem ausgeprägten Fehlen von Zähnen ausreichen soll, das allerdings der vollständigen Zahnlosigkeit näher kommen muss als dem Fehlen nur einzelner Zähne bei ansonsten noch als regelgerecht anzusehenden Gebissverhältnissen. Von einem solchen Stadium kann beim Fehlen von zwei Zähnen, wie hier, nicht ausgegangen werden. Insoweit bezieht sich der Senat auf die näheren Ausführungen des BSG im vorgenannten Urteil, die er für überzeugend hält, und auf das erstinstanzliche Urteil (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Nichteinbeziehung der bei der Klägerin bestehenden Nichtanlage mehrerer Zähne (Oligodontie) in die Ausnahmeregelung des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V verletzt kein Verfassungsrecht. Zum einen beinhaltet die gesetzliche Bestimmung, dass implantologische Leistungen in der Regel nicht zur zahnärztlichen Behandlung gehören, keine verfassungswidrige Benachteiligung der Klägerin. Denn die Festlegung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt einem weiten gesetzgeberischen Ermessen, insbesondere lässt sich ein Gebot zu Sozialversicherungsleistungen in einem bestimmten sachlichen Umfang dem Grundgesetz (GG) nicht entnehmen. Im Übrigen zeigt § 30 Abs. 1 Satz 5 SGB V, dass der Gesetzgeber - selbst wenn er den Anspruch auf Suprakonstruktionen auch hier an die Festlegung von Ausnahmefällen durch den Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V knüpft - gewisse Härten, die § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V im Einzelfall mit sich bringen mag, durch begleitende Regelungen abgefedert hat. Zum anderen verstößt es auch nicht gegen Verfassungsrecht, wenn der Gesetzgeber dem Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen (Gemeinsamen Bundesausschuss) die Festlegung seltener Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle in Richtlinien überantwortet hat. Inhalt, Zweck und Ausmaß (vgl. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG für Rechtsverordnungen) dieser Kompetenzübertragung sind bereits durch den Regelungsauftrag in § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V hinreichend konkretisiert. Die nähere Festlegung seltener Ausnahmeindikationen widerstrebt folglich nicht dem Wesentlichkeitsgebot.

Einer Aussetzung des Verfahrens und der Einholung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG bedarf es daher nicht. Es kann mithin auch dahinstehen, ob der geltend gemachte Anspruch der Klägerin zustände, wenn der Bundesgesetzgeber die seltenen Ausnahmeindikationen des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V selbst regeln müsste.

Nach alledem hat die Berufung keinen Erfolg und ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen dafür fehlen.
Rechtskraft
Aus
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