L 6 AL 1276/03

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 11 AL 1155/03
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AL 1276/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Vermutungsregelung des § 37 Abs. 2 SGB 10 ist als Ausnahmeregelung der grundsätzlichen Regelung in § 130 Abs. 1 BGB einschränkend anzuwenden.
Eine generelle verfahrensmäßige Benachteiligung des Bürgers gegenüber der Verwaltung darf schon deshalb nicht entstehen, da es die Verwaltung durch die Wahl der Versendungsform (einfacher Brief oder förmliche Zustellung) selbst in der Hand hat, evtl. später erforderliche Zugangsnachweise durch förmliche Zustellung zu ermöglichen.
Das mögliche Ziel seitens der Verwaltung, zur Vereinfachung und Kosteneinsparung möglichst weitgehend auf förmliche Zustellungen zu verzichten, darf nicht zu einer hierdurch enstehenden Verschlechterung der Rechtsverfolgung auf Seiten der Bürger führen.
Aus dem Fehlen von Besonderheiten (Schwierigkeiten bei der Postzustellung, Probleme an der Briefkastenanlage oder sonstige Schwierigkeiten) kann nicht das Fehlen von Zweifeln im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 SGB 10 gefolgert werden.
Abgrenzung zu LSG BW 23.4.2004 - L 1 KG 3408/02 und zu LSG Neubrandenburg 14.7.1999 - L 2 AL 16/98)
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Wiesbaden vom 8. Dezember 2003 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Es geht in dem Rechtsstreit um eine Säumniszeit von zwei Wochen (6. bis 19. August 2003). Die 1946 geborene Klägerin arbeitete zuletzt von 1980 bis Dezember 2001 als Chemiearbeiterin und Reinigungskraft bei der S. GmbH & Co. KG und bezog im Anschluss von der Beklagten ab 1. Januar 2002 Arbeitslosengeld, zuletzt vor dem streitbefangenen Zeitraum in Höhe von Euro 42,08 täglich (letzte Bewilligung mit Verfügung vom 7. März 2003 für die Zeit ab 1. Januar 2003 – Restanspruchsdauer – 415 Tage). Ausweislich eines von der Beklagten im Gerichtsverfahren vorgelegten Bewa-Ausdrucks (Bl. 29 Gerichtsakte) soll von der Beklagten am 30. Juli 2003 eine 1. Einladung der Klägerin zum 5. August 2003 erfolgt sein. Ob dieses Schreiben tatsächlich erstellt wurde, ob es abgesandt wurde und ob es die Klägerin erhalten hat, ist unklar und aus der Akte nicht ersichtlich. Im Zusammenhang mit der darauf folgenden 2. Einladung am 5. August 2003 zum 8. August 2003 ergibt sich aus den Akten ein Hinweis, dass zuvor eine 1. Einladung erfolgt sein soll. Den 2. Meldetermin am 8. August 2003 hat die Klägerin wahrgenommen. Mit Bescheid vom 12. August 2003 hat die Beklagte den Eintritt einer Säumniszeit vom 6. bis 19. August 2003 und das daraus folgende Ruhen des Leistungsanspruchs der Klägerin festgestellt und die Bewilligung von Arbeitslosengeld für den streitbefangenen Zeitraum aufgehoben. Ein Entwurf oder eine Kopie des im Gerichtsverfahren von der Klägerin vorgelegten Bescheides vom 12. August 2003 befindet sich nicht in den Akten der Beklagten. Auch ist dort keine entsprechende Verfügung erkennbar. Die Beklagte verweist auf den Hinweis "MV" im vorgelegten Zahlungsnachweis. Mit am 21. August 2003 bei der Beklagten zugegangenem Schreiben vom 18. August 2003 hat die Klägerin Widerspruch eingelegt. Sie hat vorgetragen, dass sie am 6.8.03 ein Schreiben erhalten habe mit dem Hinweis, dass sie sich am 5.8.03 bei der Beklagten hätte melden sollen. Sie habe jedoch (davor) keinen Brief erhalten. Sie leere jeden Tag zu Hause den Briefkasten, so dass sie auch nicht sagen könne, dass jemand von der Familie etwas verlegt habe. Vielleicht sei der Brief auf dem Postweg verloren gegangen, wobei dies nicht ihre Schuld sei. Sie sei nicht berufstätig und habe den ganzen Tag außer ihrer Hausarbeit nichts Anderes zu tun und daher gebe es für sie auch keinen Grund, einen Termin nicht wahrzunehmen. Sie sei bis vor zwei Jahren 37 Jahre lang berufstätig und immer zuverlässig gewesen. Wieso solle sie sich jetzt ändern, wo sie doch nichts zu tun habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2003 hat die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurückgewiesen, die Klägerin habe keinen wichtigen Grund für das Meldeversäumnis. Die Klägerin müsse für das Arbeitsamt täglich erreichbar sein und habe im Rahmen ihrer Obliegenheitspflichten dafür zu sorgen, dass dies so sei. In analoger Anwendung von § 37 Abs. 2 Halbsatz 2 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB 10) werde der Zugang der Meldeaufforderung innerhalb von drei Tagen nach Absendung beim Adressaten vermutet. Lediglich bei Zweifel am Zugang trage die Behörde den Nachteil, wenn der Zugang zu diesem Zeitpunkt nicht beweisbar sei. Jedoch müsse der Zweifel durch nachvollziehbare Behauptungen der Klägerin begründet und berechtigt sein. Dadurch, dass die Klägerin nur vage, unsubstanziierte Angaben mache bzw. ohne weitere Angaben den Zugang der Meldeaufforderung bestreite, sei die Zugangsvermutung nicht widerlegt. Es sei zu beachten, dass die Meldeaufforderung an die richtige Anschrift gesandt worden und auch kein Postrücklauf erfolgt sei. Unter Beachtung der weiteren Tatsache, dass die Klägerin auch andere an sie unter dieser Anschrift gerichtete Postsendungen des Arbeitsamtes erhalten habe, sei somit der Zugang der Meldeaufforderung nicht widerlegt. Hiergegen hat die Klägerin am 10. Oktober 2003 Klage erhoben und ausgeführt, dass sie nicht verstehen könne, warum das Arbeitsamt ihr nicht glauben wolle. Sie könne doch keine Gründe dafür angeben, dass sie die Meldeaufforderung nicht erhalten habe. Gründe könne man nur angeben, wenn man etwas mit Absicht gemacht habe. Mit Gerichtsbescheid vom 8. Dezember 2003 hat das Sozialgericht Wiesbaden die angefochtenen Bescheide aufgehoben im Wesentlichen mit der Begründung, die Klägerin sei nicht zur Meldung am 5. August 2003 bei dem zuständigen Arbeitsamt A-Stadt aufgefordert worden, weil der Zugang der Meldeaufforderung bei der Klägerin nicht festgestellt sei. Zur Anwendung der Zugangsvermutung des § 37 SGB 10 fehle es bereits an einem Nachweis des Umstandes sowie des Zeitpunktes der Aufgabe der als Doppel nicht aktenkundigen Meldeaufforderung zur Post. Hilfsweise bestünden jedenfalls Zweifel am Zugang der Meldeaufforderung. Ein Zugangsnachweis sei nicht geführt und im Klageverfahren auch nicht zu ermitteln, weshalb im Zweifel die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes nachzuweisen habe. Zweifel würden zwar nicht durch bloßes unsubstanziiertes Bestreiten des Bescheidzuganges geweckt (etwa LSG Neubrandenburg 14.7.1999 – L 2 AL 16/98), indes seien an den diesbezüglichen Vortrag differenzierte Anforderungen zu stellen. Während bei einem verspäteten Zugang eine Schilderung der konkreten Umstände des späteren Bescheidzuganges zu fordern sei, könne dies bei einem Nicht-Zugang nicht in gleicher Weise gefordert werden, da es sich hierbei um eine "negative" Tatsache handele. In der Folge werde man die Behauptung des Nicht-Zuganges des Verwaltungsaktes ausreichen lassen müssen (Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen 17.12.1992 – 16 A 1952/91), falls nicht andere Umstände den Vortrag unglaubwürdig machten (z.B. widersprüchlicher Vortrag, nachgeschobener Vortrag, überdurchschnittlich häufiger Nicht-Zugang etc.), was hier nicht der Fall sei. Entgegen der Auffassung der Beklagten reiche die Verwendung der richtigen Postanschrift, das Fehlen eines Postrücklaufes sowie der Zugang anderer Postsendungen nicht aus, die gesetzliche Beweiskraftregelung regelhaft gegen den Betroffenen (Empfänger) zu verkehren. Danach sei die Zugangsvermutung durch Zweifel entkräftet. Hiergegen hat die Beklagte am 30. Dezember 2003 Berufung eingelegt. Die Beklagte trägt vor, die Einladungsschreiben würden von der Beklagten mittels der zur Verfügung stehenden EDV über das System coArb (computerunterstützte Arbeitsvermittlung) veranlasst. In dem aufzurufenden Menüpunkt "Einladung" würden die Einladungsschreiben auf elektronischem Weg veranlasst, indem ein Einladungsdatensatz erzeugt werde, der über die Zentrale zum Postversand übermittelt werde. Dort würden die Datensätze zweimal täglich ausgedruckt und per Post versandt. Eine Durchschrift für die Aktenunterlagen werde nicht erzeugt und sei aus heutiger Sicht, wo man sich auf dem Weg zum papierlosen Büro befinde, nicht mehr zeitgemäß. Die Dokumentation finde ebenfalls auf elektronischem Weg statt, indem unter dem elektronischen Karteiblatt "Verwaltung 4" die Einladung dokumentiert werde (vgl. beigefügter BewA-Ausdruck). Expediert werde das Schreiben einen Tag nach der Veranlassung des Schreibens. Vorliegend sei davon auszugehen, dass die Meldeaufforderung an die richtige Anschrift gesandt wurde, dass kein Postrücklauf erfolgt sei und andere Schriftstücke der Beklagten die Klägerin erreicht hätten. Damit sei vom Zugang der Meldeaufforderung auszugehen. Durch das unsubstanziierte Bestreiten der Klägerin sei die Zugangsvermutung nicht widerlegt. Die Beklagte hat die entsprechenden BewA-Vermerke vorgelegt.

Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Wiesbaden vom 8. Dezember 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die im Termin am 9. März 2005 nicht erschienene und nicht vertretene Klägerin beantragt sinngemäß, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin trägt vor, sie habe in Bezug auf die Sorgfältigkeit der Bearbeitung von coArb nie das Gegenteil behauptet. Es passierten jedoch immer wieder Fehler bei der Zustellung von Briefen. Auch Postboten seien nicht fehlerfrei. So habe vor nicht allzu langer Zeit in ihrem Briefkasten ein Brief an einen zwischenzeitlich verzogenen Herrn gelegen, den ihre Tochter an das Arbeitsamt zurückgesandt habe. Was wäre passiert, wenn es anders ausgegangen wäre? Was würde das Arbeitsamt dann vermuten?

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt, § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Berufung ist auch zulässig gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Denn der maßgebliche Beschwerdewert von Euro 500,- wird durch den Wert des der Klägerin zustehenden Arbeitslosengeldes für 14 Tage á Euro 42,08 (Euro 589,12) erreicht. Der Senat konnte im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 9. März 2005 auch in der Sache verhandeln und eine Entscheidung treffen, obwohl die Klägerin nicht erschienen und auch nicht vertreten gewesen ist, denn die Klägerin ist rechtzeitig und ordnungsgemäß geladen und dabei darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle ihrer Abwesenheit verhandelt und entschieden werden könne. Die Klägerin hat mit Schreiben vom 21. Februar 2005 mitgeteilt, dass sie am Termin nicht teilnehme, ohne jedoch einen Vertagungsantrag zu stellen. Der Senat war auch mit den ehrenamtlichen Richtern Gumbel und Merget richtig besetzt, § 33 in Verbindung mit § 12 SGG. Die zunächst im Januar 2005 geladenen ehrenamtlichen Richter Bertrand und Herden waren durch Präsidiumsbeschluss vom 15. Februar 2005 einem anderen Senat zugewiesen worden und konnten deshalb in der mündlichen Verhandlung am 9. März 2005 nicht mehr im 6. Senat tätig werden. Die in der Reihenfolge nächstberufenen ehrenamtlichen Richter Gumbel und Merget hatten deshalb an deren Stelle zu treten.

Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Wiesbaden vom 8. Dezember 2003 ist rechtmäßig und war daher nicht aufzuheben. Zutreffend hat das Sozialgericht den streitbefangenen Bescheid der Beklagten vom 12. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2003 aufgehoben. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin die 1. Meldeaufforderung zum 5. August 2003 erhalten hat. Der Eintritt einer Säumniszeit nach § 145 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB 3) setzt jedoch voraus, dass die Arbeitslose die Meldeaufforderung (vor dem Termin) erhalten hat und mit der Meldeaufforderung über die Rechtsfolgen bei Säumnis ohne wichtigen Grund belehrt worden ist. Selbst, wenn unterstellt wird, dass der von der Beklagten vorgelegte Ausdruck aus der BewA (Bl. 29 der Gerichtsakte) mit dem Hinweis "Einladung am 30.07.2003 zum 05.08.2003" nicht nur den Nachweis über die entsprechende Verfügung, sondern auch über den Ausdruck der richtigen Einladung mit der richtigen Rechtsfolgenbelehrung sowie der Aufgabe zur Post erbringt, fehlt es am Nachweis des Zugangs dieses Schreibens bei der Klägerin. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach der grundsätzlichen Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB § 130 Abs. 1) eine Willenserklärung gegenüber Abwesenden erst mit dem Zugang wirksam wird und derjenige den Zugang und gegebenenfalls den Zeitpunkt des Zugangs zu beweisen hat, der sich auf den Zugang beruft (BGH 18.1.1978 – IV ZR 204/75 = BGHZ 70, 232). Die hiervon abweichende Vermutungsregelung des § 37 Abs. 2 SGB 10 muss deshalb als Ausnahmeregelung unter Berücksichtigung des zu regelnden Interessenkonfliktes einschränkend angewendet werden. Eine generelle verfahrensmäßige Benachteiligung des Bürgers gegenüber der Verwaltung darf schon deshalb nicht entstehen, da es die Verwaltung durch die Wahl der Versendungsform (einfacher Brief oder förmliche Zustellung) selbst in der Hand hat, ob z.B. bei weit reichenden Verwaltungsakten ein evtl. erst später erforderlich werdender Zugangsnachweis durch förmliche Zustellung möglich ist. Das mögliche Ziel seitens der Verwaltung, zur Vereinfachung und Kosteneinsparung möglichst weitgehend auf förmliche Zustellungen zu verzichten, darf nicht zu einer hierdurch entstehenden Verschlechterung der Rechtsverfolgung auf Seiten der Bürger führen. Nach § 37 Abs. 2 SGB 10 gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt bei der Übermittlung durch die Post am dritten Tage nach der Aufgabe als bekannt gegeben. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (zur Natur der Meldeaufforderung als Verwaltungsakt vgl. Curkovic in PK-SGB III 2. Aufl. § 309 RdNr. 12 m.w.N.). In Literatur und Rechtsprechung ist umstritten, ob bei dem behaupteten Nicht-Zugang im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB 10 das bloße bzw. pauschale Bestreiten des Zuganges ausreicht, um Zweifel zu wecken (so OVG NRW 17.12.1992 – 16 A 1952/91 = juris MWRE181449300, Kass-Komm-Krasney Stand August 2004, § 37 SGB X RdNr. 6, Rüfner in Wannagat Stand Mai 2002, § 37 SGB X RdNr. 20, Klose in Jahn, SGB X § 37 RdNr. 11, Recht in Hauck/Noftz SGB X Stand März 2004, § 37 RdNr. 18, Schneider-Danwitz in Gesamtkommentar Band 4 SGB X § 37, 45a) oder es sich um einen berechtigten Zweifel handeln muss (BVerwG 24.4.1987 – 5 B 132/86 = juris WBRE104288703, Engelmann in von Wulffen SGB X 4. Aufl., § 37 RdNr. 13) oder der Adressat den Zugang substanziiert bestreiten muss (so das von der Beklagte in Bezug genommene Urteil des LSG Neubrandenburg 14.7.1999 – L 2 AL 16/98 = juris KSRE022161207). Dabei liegen Zweifel nach Auffassung des erkennenden Senats bereits vor, wenn eine Gewissheit erschüttert ist, bzw. wenn eine schwankende Gewissheit gegeben ist, ob man etwas glauben solle oder ob etwas richtig sei (so Duden "Das Bedeutungswörterbuch" 1970 zu "Zweifel"). Die in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB 10 normierte Gewissheit, dass ein schriftlicher Verwaltungsakt, der mit der richtigen Adresse als einfaches Schreiben bei der Post aufgegeben wird, dem Adressaten (normalerweise) a) überhaupt zugeht und b) innerhalb von drei Tagen zugeht wird grundsätzlich mit Zweifeln behaftet, wenn der Empfänger a) den Zugang überhaupt bestreitet oder b) einen späteren (als drei Tage nach der Aufgabe) Zugang behauptet.

Nun kann im vorliegenden Fall dahin gestellt bleiben, welche Art von Zweifeln bei dem behaupteten späteren Zugang entstehen müssen und in welcher Form das von der h.M verlangte "substanziierte Bestreiten" des rechtzeitigen Zugangs vorgebracht werden muss. Immerhin liegt bei dieser Fallgestaltung die Vermutung nahe, dass der Einwand des späteren Zugangs meist erst dann erhoben wird, wenn bei Anwendung der gesetzlichen Zugangsvermutung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB 10 die Reaktion des Adressaten etwa in Form eines Widerspruchs verspätet und damit unzulässig wäre. Hier eine Substanziierung des Einwandes zu verlangen, dürfte schon der besonderen Verfahrenssituation (Verhinderung der Verspätung eines Rechtsbehelfs) geschuldet sein, um einem Lehrlaufen der Vorschrift des § 37 Abs. 2 SGB 10 bei Fristversäumnissen entgegen zu steuern (vgl. BVerwG 24.4.1987 s. o., LSG BW 23.4.2004 – L 1 KG 3408/02 = juris KSRE014730209 RdNr. 17). Demgegenüber ist der typische Verlauf im Falle eines Nicht-Zugangs eines Verwaltungsaktes dadurch gekennzeichnet, dass der Adressat erst reagiert, wenn er entweder mit den Folgen dieses Verwaltungsaktes (überraschend) konfrontiert wird oder die Verwaltung auf diesen Verwaltungsakt in der Folgezeit erstmals Bezug nimmt. Bei dem typischen Verlauf dieses Geschehens wird zunächst der Zugang eines solchen Verwaltungsaktes bestritten und gegebenenfalls auf vorhergehende Schwierigkeiten bei der Postzustellung, Probleme an der Briefkastenanlage sowie sonstige Unregelmäßigkeiten hingewiesen. Aus dem Fehlen solcher Besonderheiten kann jedoch nicht das Fehlen von Zweifeln im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 SGB 10 gefolgert werden. Denn immerhin gehen Postsendungen gänzlich verloren (vgl. BVerfG 15.5.1991 – 1 BvR 1441/90 = NJW 1991, 2757, SG Mannheim 14.10.2003 – S 5 AL 1792/03 = info also 2004, 17, das unter Hinweis auf BGH 27.5.1957 II ZR 132/56 einen Verlust von 266,3 Einschreibsendungen je eine Million für die damalige Zeit angibt) oder sie werden bei einem falschen Adressaten eingeworfen, wie die Klägerin an einem eigenen Beispiel erwähnt. Im letzteren Fall ist nicht immer gewährleistet, dass der falsche Adressat sich die Mühe macht, die Briefsendung entweder zurückzusenden oder dem richtigen Adressaten zu übermitteln. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin sofort reagiert, als die Beklagte mit dem streitbefangenen Bescheid vom 12. August 2003 den Eintritt einer 14-tägigen Säumniszeit festgestellt und in der Begründung auf die Meldeaufforderung zum 5. August 2003 verwiesen hat. Sie hat auf die zweite Meldeaufforderung (zum 8.8.2003) verwiesen, die sie am 6.8.2003 erhalten habe und erklärt, keinen (weiteren) Brief erhalten zu haben. Dies habe sie auch dem Mitarbeiter der Beklagten berichtet. Dieses Bestreiten reicht nach Auffassung des erkennenden Senates aus, um Zweifel am Zugang der Meldeaufforderung vom 30. Juli 2003 zu wecken. Es liegt auch nicht ein vergleichbarer Fall vor, wie er dem Urteil des LSG BW vom 23.4.2004 (s.o.) zugrunde gelegen hat. Denn dort hat das Gericht die Frage der berechtigten Zweifel oder des substanziierten Bestreitens dahingestellt sein lassen, da der Zugang des Entziehungsbescheides von Kindergeld durch Indizien im Wege der freien Beweiswürdigung bewiesen sei (hier die zeitgleiche Einstellung des Kindergeldes, die der dortige Kläger nicht bemerkt haben wollte). Auch der vom LSG Niedersachsen-Bremen entschiedene Fall (27.3.2003 – L 8 AL 279/02 = juris KSRE061211505) weist Besonderheiten auf, die auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragen werden können. Denn dort hat der Kläger als Erbe seines Vaters nicht behauptet, dass sein Vater bestimmte Bescheide der letzten vier Jahre vor dessen Tod nicht erhalten, sondern dass er (der Kläger) diese Bescheide in den Unterlagen des Erblassers nicht gefunden habe. Damit hat er aber nur eine Vermutung geäußert, die vom Gericht als nicht ausreichende Zweifel angesehen worden sind. Soweit das LSG Neubrandenburg (14.7.1999 s.o.) von unsubstanziiertem Vorbringen der dortigen Klägerin bei dem Bestreiten des Zugangs eines sie belastenden Verwaltungsaktes ausgeht, macht es jedoch die Einschränkung, dass die Klägerin bislang nicht glaubhaft vorgetragen habe, konkretere Angaben nicht mehr machen zu können. Im Übrigen verweist es auf die Kenntnis des Prozessbevollmächtigten vom Inhalt des Bescheides durch die durchgeführte Akteneinsicht und die entsprechende Eintragung in der Handakte. Auch insoweit liegt eine besondere Fallgestaltung vor, die auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht übertragen werden kann. Doch selbst, wenn eine gewisse Vergleichbarkeit angenommen würde, kann der weitere Vortrag der Klägerin, dass sie jeden Tag den Briefkasten selbst leere, dass sie zu Hause sei und dass sie außer ihrer Hausarbeit nichts Anderes zu tun habe und es deshalb für sie keinen Grund gebe, einen Termin nicht wahrzunehmen und sie 37 Jahre berufstätig und immer zuverlässig gewesen sei, jedenfalls im Übrigen als ausreichende Substanziierung angesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen (vgl. BVerwG 24.4.1987 s.o.).
Rechtskraft
Aus
Saved