S 21 AR 4/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
21
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 21 AR 4/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die dem Antragsteller für sein Gutachten vom 23.12.2004 zustehende Vergütung wird auf 980,33 Euro festgesetzt. Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller erstattete im zugrunde liegenden Rechtsstreit am 23.12.2004 für das Sozialgericht ein Gutachten zur Frage eines traumatischen Bandscheibenvorfalls. Der Auftrag dazu wurde ihm am 26.07.2004 erteilt. Die dem Antragsteller vorgelegte Gerichtsakte umfasste 68 Seiten und die Verwaltungsakte 248 Seiten. Für das 24 Seiten umfassende Gutachten stellte der Antragsteller dem Sozialgericht am 23.12.2004 einen Betrag in Höhe von 1.296,50 Euro in Rechnung. Hierbei machte er 3,5 Stunden für Aktenstudium, 3 Stunden für Untersuchung, 0,5 Stunden für die Auswertung auswärtiger Röntgenbefunde, 3 Stunden für die Abfassung des Gutachten, 3,5 Stunden für Diktat und Korrektur sowie 4 Stunden für Literaturstudium ausgehend von einem Stundensatz von 60 Euro geltend. Außerdem wurden Portokosten, 60 Euro an Schreibgebühren sowie 16 v.H. Umsatzsteuer geltend gemacht. Die Anweisungsstelle des Sozialgerichts kürzte die Vergütung auf 1.016.,36 Euro. Sie vertrat die Ansicht, dass das Literaturstudium nicht entschädigungsfähig sei. Für Aktenstudium sah sie 6 Stunden als erforderlich an. Die übrigen Zeitansätze kürzte sie wie auch die Schreibgebühren. Der Antragsteller hat mit Schreiben seines Oberarztes vom 12.01.2005 Antrag auf Festsetzung der Vergütung durch gerichtlichen Beschluss gestellt. Die Anweisungsstelle hat nicht abgeholfen.

II.

Die dem Antragsteller zustehende Vergütung war in Unterschreitung der Festsetzung der Anweisungsstelle auf 980,33 Euro festzusetzen.

Der Antrag auf gerichtliche Festsetzung der Vergütung ist gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG zulässig. Dabei geht die Kostenkammer davon aus, dass der Oberarzt mit Einverständnis des benannten Sachverständigen für diesen den Antrag gestellt hat. Für die Vergütung eines von einem Gericht nach dem 01.07.2004 zu Beweiszwecken herangezogenen Sachverständigen gelten ausschließlich die Vorschriften des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz -JVEG-). Das Honorar der Sachverständigen für ihre Leistungen richtet sich nach den in § 9 JVEG festgesetzten Sätzen, nach den in der Anlage 1 genannten Honorargruppen und der für die geforderte Leistung erforderlichen Zeit (§ 8 Abs. 2 JVEG). Die Festsetzung der Vergütung erfolgt durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte die gerichtliche Festsetzung beantragt (§ 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG).

Zunächst ist allgemein darauf hinzuweisen, dass das Gericht bei der Festsetzung der Sachverständigenvergütung an die von einem Sachverständigen gestellten Anträge nur insoweit gebunden ist, als es im Endergebnis nicht mehr festsetzen kann, als der Sachverständige gefordert hat. Das folgt aus § 2 JVEG. Im Rahmen des Vergütungsbegehrens kann das Gericht jedoch Beträge festsetzen, die den Vorstellungen des Sachverständigen nicht entsprechen. Die geforderten Beträge können in den Einzelansätzen sowohl verschlechtert als auch erhöht werden. Dementsprechend war die Kammer berechtigt und verpflichtet, die Kostenrechnung des Sachverständigen in vollem Umfang zu prüfen und die danach zu gewährende Vergütung festzusetzen.

Die Kostenkammer war auch berechtigt, die vom Antragsteller begehrte Entschädigung in der Gesamtsumme niedriger festzustellen, als dies die Anweisungsstelle getan hat. Der Grundsatz, wonach die Einlegung eines Rechtsmittels die Position des Rechtsmittelführers nicht verschlechtern darf (Verbot der reformatio in peius), kann hier keine Anwendung finden. Sobald das Gericht gemäß § 4 JVEG mit der Festsetzung der Vergütung befasst wird, wird die Feststellung der Anweisungsstelle, die nur vorläufigen Charakter hat, ohne weiteres hinfällig. Die gerichtliche Festsetzung nach § 4 JVEG ist keine Abänderung der von der Anweisungsstelle vorgenommenen Berechnung, sondern eine unabhängige erstmalige Festsetzung, durch die eine vorherige Berechnung der Vergütung im Verwaltungswege gegenstandslos wird. Sie leitet nach allgemeiner Auffassung ein neues Verfahren ein (vgl. BGH in NJW 69,556; LSG NW in Breithaupt 2001,402,403; Meyer/Höver/ Bach, Kommentar zum JVEG, 23. Auflage § 4 Rd. 4.12).

Im vorliegenden Fall gibt der vom Antragsteller geforderte Stundensatz von 60 Euro keinen Anlass zu Beanstandungen, denn es handelt sich um ein Gutachten mit einer Kausalitätsbeurteilung von durchschnittlichem Schwierigkeit. Es ist daher in die Honorargruppe M 2 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG einzuordnen.

Für die Erstattung des Gutachtens ist ein Zeitaufwand von insgesamt 13,5 Stunden (aufgerundet gemäß § 8 Abs. 2 JVEG) zu vergüten.

Der für das Aktenstudium von 316 Seiten erforderliche Zeitaufwand ist mit 3,2 Stunden zu veranschlagen. Für die sorgfältige Durcharbeitung der Akten einschließlich der Fertigung von Notizen ist nach überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Literatur ein Zeitaufwand von einer Stunde pro 50 Seiten erforderlich, wenn diese zumindest zu 25 v.H. medizinischen Inhalts sind (vgl. Meyer/Höver/Bach, Kommentar zum ZSEG, 21. Aufl. § 3 Rd. 43.3; LSG NW Beschluss vom 22.07.1980 - L 5 S 11/80-; Beschluss vom 28.06.2002 in L 10 SB 48/99). Damit ergäbe sich im vorliegenden Fall ein Zeitaufwand von über 6 Stunden für das Aktenstudium, wie von der Anweisungsstelle zugrunde gelegt. Die Kostenkammer weicht von dieser bisherigen Praxis ab. Sie geht nunmehr davon aus, dass in einer Stunde 100 Aktenseiten durchgesehen werden können.

Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass durch technische Fortschritte beim Schreiben und Photokopieren die Qualität der Aktenseiten erheblich gestiegen ist, so dass sie leichter zu lesen und zu erfassen sind. Vor 20 Jahren bestanden die Akten noch vorwiegend aus Schreiben, die mit mechanischen Schreibmaschinen auf dünnem Durchschlagpapier oder handschriftlich gefertigt waren und die Photokopien waren dunkel und unscharf. Es kommt hinzu, dass größtenteils eine Grobdurchsicht der Akten ausreicht, weil photokopierte ärztliche Unterlagen ungeprüft mehrfach zur Akte geheftet werden. Auch sonst sind die Akten mit viel Material aufgebläht, das für den Gutachter bedeutungslos ist. Eine sorgfältige Durcharbeitung der Akten ist deshalb in großen Teilen der Akte entbehrlich, so dass der Gutachter im Schnitt ohne weiteres 100 Seiten schaffen kann. Diese Betrachtungsweise entspricht auch der Rechtsprechung einiger Landessozialgerichte. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (B. v. 16.05.2000 in L 12 RJ 296/00 KO-A) hält sogar die Durchsicht von 150 bis 200 Aktenblättern pro Stunde für möglich, weil für den medizinischen Sachverständigen nur bestimmte Aktenteile von Interesse sind.

Der Zeitansatz von 0,5 Stunden für die Auswertung einer Kernspintomographie aus Herford erscheint der Kostenkammer ebenfalls überhöht. Dafür benötigt ein Arzt bestimmt nicht mehr als 10 Minuten. Wären Röntgenbilder derart zeitaufwendig in der Auswertung, würden die Ärzte viel weniger Patienten zum Radiologen überweisen oder die GOÄ sähe für diese Leistung weit höhere Gebühren vor.

Nicht zu beanstanden ist der Zeitansatz von 3 Stunden für Anamnese und Untersuchung. Bei der Vielzahl der im Gutachten beschriebenen Befunde und anamnestischen Angaben gibt es keinen konkreten Anhaltspunkt für eine Kürzung, wie die Anweisungsstelle sie vorgenommen hat.

Zutreffend hat die Anweisungsstelle jedoch die geforderte Vergütung für Literaturstudium abgelehnt. Nach dem JVEG wird nicht der tatsächliche Zeitaufwand vergütet, sondern nur der erforderliche (§ 8 Abs. 2 JVEG) ist zu entschädigen. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller mit der einschlägigen Literatur zumindest in den Grundzügen vertraut ist und sich durch Einsicht in die einschlägige Literatur auf dem Laufenden hält. Die dafür aufgewendete Zeit gehört zu seinen allgemeinen Unkosten, die er nicht als Spezialunkosten seines Gutachtens in Rechnung stellen kann. Darum könnte nur in besonders gelagerten Fällen das Studium außergewöhnlicher Fachbücher hier Berücksichtigung finden (vgl. Meyer/Höver/Bach, Kommentar zum ZSEG, 21. Auflage § 3 Rz. 43,4). Solche werden aber vom Antragsteller nicht genannt und die Frage nach der traumatischen Entstehung eines Bandscheibenschadens ist auch keine für einen Orthopäden ungewöhnliche Fragestellung.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass sich die Höhe des Stundensatzes gemäß Anlage 1 zu § 9 JVEG nach der Schwierigkeit der medizinischen Fragen richtet. Mit der höheren Bezahlung ist ein eventuell erforderliches Literaturstudium bereits abgegolten. Es wäre sinnwidrig, einem Sachverständigen für ein schwierigeres Gutachten sowohl einen höheren Stundensatz als auch einen zusätzlichen Zeitaufwand für ein noch erforderliches Literaturstudium zuzubilligen.

Anhaltspunkte dafür, dass der Zeitansatz von 3 Stunden für die Ausarbeitung des Konzepts für das vom Antragsteller erstattete Gutachten überhöht sein könnte, ergeben sich nicht.

Hinzu kommen 3,8 Stunden für Diktat und Korrektur. Nach der bisherigen Rechtsprechung zum ZSEG benötigt ein Sachverständiger von durchschnittlichen Fähigkeiten und Kenntnissen für Diktat und Korrektur von normalen Schreibmaschinenseiten erfahrungsgemäß etwa eine Stunde für 6 Seiten. (vgl. Beschlüsse des LSG NW vom 19.02.1979 - L 16 S 98/78 - und vom 06.06.1980 - L 5 S 37/79). Demnach wäre hier von einem Zeitaufwand von 4 Stunden auszugehen. An dieser Rechtsprechung hält die Kostenkammer jedoch nicht mehr fest. Das seit dem 01.7.2004 geltende JVEG stellt nämlich nicht mehr auf die Seitenzahl des Gutachtens sondern auf die Anzahl der Anschläge ab. Gemäß § 12 Abs.1 Nr. 3 JVEG werden bei Erstellung eines schriftlichen Gutachtens je angefangene 1000 Anschläge 0,75 Euro gesondert ersetzt; ist die Zahl der Anschläge nicht bekannt, ist sie zu schätzen. Diese leichte zu handhabende Abrechnungsmethode für die Schreibgebühren vermeidet die früheren Streitigkeiten über das angemessene Schriftbild, zu großen Zeilenabstand oder zu breiten Rand. Es bleibt jetzt dem ästhetischen Gefühl jedes Sachverständigen überlassen, in welcher Form er sein Gutachten zu Papier bringt. Es wäre widersinnig, diese Vereinfachung nicht auch für die Ermittlung des Zeitaufwands für Diktat und Korrektur zu nutzen. Die Kostenkammer geht nach ihren Erfahrungen davon aus, dass ein Sachverständiger in einer Stunde einen Text mit 10.000 Anschlägen diktieren und korrigieren kann. Das entspricht 6 normalen Schreibmaschinenseiten mit jeweils etwa 1650 Anschlägen. Die von der Anweisungsstelle geforderten 2700 Anschläge sind unrealistisch. Derartig eng beschriebene Seiten sind bei Gutachten nie üblich gewesen. Wegen ihrer Unübersichtlichkeit sind derart eng beschriebene Seiten auch nicht wünschenswert. Schließlich entspricht es auch nicht dem Willen des Gesetzgebers, dass Sachverständige durch das neue JVEG eine Vergütung erhalten, die niedriger ist als die frühere Entschädigung nach dem ZSEG. Darauf läuft aber die Forderung von 2700 Anschlägen pro Textseite hinaus. Die Rechtsprechung der Kostenkammer bedeutet, dass sich bei 38.000 Anschlägen für Diktat und Korrektur ein erforderlicher Zeitaufwand von 3,8 Stunden ergibt.

Entsprechend der Anzahl von 38.000 Anschlägen errechnen sich die Schreibgebühren gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 3 JVEG: 38 mal 0,75 = 28,50 Euro.

Die dem Sachverständigen zustehende Vergütung errechnet sich demnach wie folgt:

Aktenstudium 3,2 Stunden zu 60 Euro
Untersuchung 3 Stunden
Abfassung 3 Stunden
Rö-Auswertung 0,2 Stunden
Diktat und Korrektur 3,8 Stunden
Zusammen 13,5 Stunden

= 810,00 Euro

Schreibgebühren 28,50 Euro

Summe 838,50 Euro

MwSt 16 % 134,16 Euro

Porto 7,67 Euro

Gesamt 980,33 Euro

Die Kostenkammer hat die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Fragen zugelassen. Wie oben ersichtlich, bestehen hinsichtlich der Berechnung des Zeitaufwands für Diktat und Korrektur Meinungsverschiedenheiten zwischen der Kostenkammer des Sozialgerichts Gelsenkirchen und der Anweisungsstelle beim Sozialgericht Gelsenkirchen. Eine Klärung durch die nächste Instanz wäre wünschenswert. Das gilt auch für die von der bisherigen Praxis abweichende Auffassung der Kostenkammer zum Zeitaufwand für Aktenstudium. Außerdem erscheint es klärungsbedürftig, ob der gesonderte Zeitansatz für Diktat und Korrektur noch der heutigen Arbeitsweise der Sachverständigen entspricht mit Einsatz von Diktiergeräten oder PC bereits beim Aktenstudium, bei der Untersuchung und bei der Abfassung der Beurteilung. Die Kostenkammer hat bereits in mehreren Beschlüssen Bedenken angemeldet, ob hier die gleiche Leistung mehrfach vergütet wird. Mangels ausreichender eigener Erkenntnisse hat die Kammer bisher noch von einer Kürzung abgesehen.
Rechtskraft
Aus
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