L 12 KA 283/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 1065/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 283/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Kläger werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 4. Februar 2004 hinsichtlich der Klageabweisung bezüglich der Kürzung bei der Ziffer 18 EBM-Ä und der Bescheid des Beklagten vom 26. Juni 2003 hinsichtlich der Kürzung bei der Ziffer 18 EBM-Ä aufgehoben, und der Beklagte wird verpflichtet, über den Widerspruch der Kläger vom 4. Oktober 2002 gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses Ärzte München Stadt und Land vom 1. Oktober 2002 insoweit erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
II. Der Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten und die Gerichtskosten beider Instanzen zu tragen. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der im Quartal 1/02 verfügten Kürzung der Ziffer 18 BMÄ/E-GO um 30 % wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise.

Die Kläger nahmen im streitigen Quartal als Orthopäden in M. an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Sie behandelten im Quartal 1/02 insgesamt 773 gesetzlich versicherte Patienten. Die durchschnittliche Fallzahl je Kläger lag mit 387 Patienten um 66,0 % unter der durchschnittlichen Fallzahl der Vergleichsgruppe mit 1.137 Patienten. Die Kläger behandelten insgesamt 223 Rentner, der durchschnittliche Rentneranteil pro Arzt (112 Rentner) lag um 64,8 % unter dem durchschnittlichen Rentneranteil der Vergleichsgruppe mit 318 Rentnern.

Bei den einzelnen Leistungsgruppen und den kurativen Leistungen insgesamt ergeben sich aus der Gesamtübersicht folgende Über- bzw. Unterschreitungen:

- Grundleistungen (Leistungsgruppe 01): + 53,7 %

- Besuche/Visiten (Leistungsgruppe 02): - 66,4 %

- Beratungs- und Betreuungsgrundleistungen (Leistungsgruppe 03): + 342,9 %

- allgemeine Leistungen (Leistungsgruppe 04): - 39,5 %

- Sonderleistungen (Leistungsgruppe 08): + 2,3 %

- physikalisch-medizinische Leistungen (Leistungsgruppe 09): + 248,3 %

- radiologische Leistungen (Leistungsgruppe 12): + 38,7 %

- kurative Leistungen einschl. sonstiger Hilfen: + 57,3 %.

Die hier noch streitige Ziffer 18 BMÄ/E-GO wurde von 58,82 % der Ärzte in der Vergleichsgruppe ebenfalls angesetzt. Die Kläger rechneten diese Leistung in 65 Fällen 66-mal ab. Der Häufigkeitsansatz von 8,53 auf 100 Behandlungsfälle übersteigt den Häufigkeitsansatz der Arztgruppe von 2,03 um 320,19 %.

Die Beigeladenen zu 1) bis 6) haben für das Quartal 1/02 Antrag auf Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise der Kläger in den Leistungsgruppen 03 und 09 gestellt.

Die Kläger haben hierzu mit Schriftsatz vom 31. Juli 2002 Stellung genommen. Bei einem Vergleich müsse genau definiert werden, mit welcher Gruppe man verglichen werde. Die Vergleichsgruppe müsse folgende Merkmale der Praxis aufweisen: Orthopädie, physikalische und rehabilitative Medizin, Rheumatologie, Sportmedizin, Chirotherapie, belegärztlich operative Tätigkeit sowie die in früheren Widerspruchsverfahren anerkannten Praxisbesonderheiten der Konzentration auf Osteoporose-Patienten und Patienten mit diskogenem, vertrebragenem Schmerzsyndrom. Unabhängig von der Vergleichsproblematik entstehe der erhöhte Beratungsbedarf besonders in der Notwendigkeit der Besprechung operativer Maßnahmen und bei Bandscheibenerkrankungen und Wirbelsäulenleiden in der Erläuterung der Querschnittsproblematik.

Der Prüfungsausschuss Ärzte München Stadt und Land hat mit Bescheid vom 1. Oktober 2002 die Honoraranforderung der Kläger für die Beratungs- und Betreuungsgrundleistungen um 40 % (103.200 Punkte) und für die physikalisch-medizinischen Leistungen um 20 % (= 56.575 Punkte) gekürzt.

Hiergegen haben die Kläger mit Schreiben vom 4. Oktober 2002 Widerspruch eingelegt, der in der Folge nicht näher begründet wurde.

In der Sitzung des Beklagten vom 2. April 2003 war der Kläger zu 1) persönlich anwesend.

Der Beklagte hat mit Beschluss vom 2. April 2003/Bescheid vom 26. Juni 2003 die Entscheidung des Prüfungsausschusses insoweit abgeändert, als die Kürzung der Leistungsgruppe 03 von 40 % in eine Kürzung der Ziffern 17 und 18 BMÄ/E-GO in Höhe von 30 % umgewandelt wurde. Die Kürzung der Leistungsgruppe 09 wurde ganz aufgehoben. Der Beklagte habe in seiner Sitzung eine eingehende Wirtschaftlichkeitsprüfung durchgeführt. Es sei die Methode des statistischen Fallkostenvergleiches mit der Fachgruppe der Orthopäden unter Zugrundelegung des arithmetischen Mittelwertes als sachgerechte und praktikable Prüfmethode gewählt worden. Aufgrund der Besonderheit des Patientenklientels habe der Beklagte hinsichtlich der Leistungsgruppen 03 und 09 einen verfeinerten Fallkostenvergleich nur mit denjenigen Orthopäden durchgeführt, die ebenso wie die Kläger rheumatologisch tätig seien. Diese engere Vergleichsgruppe umfasse insgesamt 23 Praxen. Hierbei würden die Kläger in der Leistungsgruppe 03 den verfeinerten Fachgruppendurchschnitt um 160,6 % und in der Leistungsgruppe 09 um + 316,7 % überschreiten. Der statistische Fallkostenvergleich zeige für das streitgegenständliche Quartal, dass die Mehraufwendungen bei den Beratungs- und Betreuungsgrundleistungen und den physikalisch-medizinischen Leistungen zum größten Teil auf die spezifische Praxisausrichtung zurückgeführt werden könnten. Der Beklagte komme zu dem Ergebnis, dass die Mehraufwendungen bei den physikalisch-medizinischen Leistungen nicht zu beanstanden seien. Ein Mehrbedarf an Beratungs- und Betreuungsgrundleistungen würde sich aufgrund der Zulassung der Kläger als Chirurg, Orthopäde und Facharzt für physikalische und rehabilitative Medizin ergeben. Der erhöhte Ansatz der Ziff.17 BMÄ/E-GO (+ 158,67 % gegenüber der Fachgruppe) und der Ziff.18 BMÄ/E-GO (+ 319,50 % gegenüber der Fachgruppe) sei für den Beklagten aber auch anhand der aufgeführten Diagnosen nicht nachvollziehbar. Sogar im verfeinerten Fallkostenvergleich lägen die Kläger bei der Ziff.17 mit 80,69 % (gegenüber der Fachgruppe) und der Ziff.18 mit 166,54 % (gegenüber der Fachgruppe) über dem Durchschnitt. Ebenso sei für den Beklagten der sprunghafte Anstieg der Leistungsgruppe 03 im Vergleich zu den Vorquartalen nicht nachvollziehbar (Quartal 3/01: + 105,8 %; Quartal 4/01: + 142,4 % und Quartal 1/02: + 243,8 %). Da die Kläger große Eingriffe an der Wirbelsäule vornehmen würden, sei dies vom Beklagten als Praxisbesonderheit anerkannt worden und sei auch anhand der Diagnosen nachvollziehbar. Der Ansatz der Ziff.17 bzw. der Ziff.18 BMÄ/E-GO für eine Operationsaufklärung könne dagegen für den Ausschuss nur als Falschinterpretation gedeutet werden. Unter Berücksichtigung der weitestgehend zu verzeichnenden Gesamtwirtschaftlichkeit der Praxisführung halte der Beklagte eine Honorarkürzung der Ziff.17 und 18 in Höhe von 30 % unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten für ausreichend und setze diese entsprechend fest.

Hiergegen richtet sich die Klage der Kläger zum Sozialgericht München vom 28. Juli 2003. Der Beklagte habe dem Widerspruch der Kläger bzgl. der Leistungsgruppe 09 vollständig stattgegeben und darüber hinaus sogar ausdrücklich eine "weitestgehend zu verzeichnende Gesamtwirtschaftlichkeit " bescheinigt. Die verbleibende Kürzung bei den Ziffern 17 und 18 BMÄ/E-GO sei rechtswidrig. Zunächst sei festzustellen, dass der Beklagte auch im Rahmen des von ihm vorgenommenen verfeinerten Fallkostenvergleichs eine Vergleichsgruppe gebildet habe, die zu weit sei und den Besonderheiten der klägerischen Praxis nicht gerecht werde. Dem werde der vom Beklagten vorgenommene Vergleich mit lediglich rheumatologisch tätigen Orthopäden nicht gerecht. Dieser Umstand sei zumindest als Praxisbesonderheit zu würdigen. Einer Würdigung als Praxisbesonderheit habe offensichtlich auch ein verfehltes Verständnis der Leistungslegende der Ziff. 17 und 18 BMÄ/E-GO entgegengestanden. Ausweislich des Widerspruchsbescheides halte es der Beklagte für eine "Falschinterpretation" der Leistungslegende, eine Operationsaufklärung unter die Ziff. Nr.17 BMÄ/E-GO und entsprechend dann auch bei längerer Dauer unter Ziff.18 BMÄ/E-GO zu subsumieren. Dazu sei zunächst darauf hinzuweisen, dass die Annahme des Beklagten, es handele sich um eine " Falschinterpretation", nicht in seine Zuständigkeit falle, sondern den Aspekt der sachlich-rechnerischen Richtigkeit des Gebührenansatzes betreffe. Im Übrigen sei diese Annahme auch in der Sache unzutreffend. Aus dem Kölner Kommentar zum EBM (Gebührennummer 17, Anm.1 letzter Absatz, Seite 181) ergebe sich, dass die Ziff.17 BMÄ/E-GO durchaus auch im Falle von Operationsaufklärungen Anwendung finden könne, wenn nur der Leistungsinhalt vollständig erfüllt werde. Nachdem der Beklagte die von den Klägern vorgenommenen großen Eingriffe an der Wirbelsäule ausdrücklich als Praxisbesonderheit anerkannt habe (Seite 4 des Widerspruchsbescheides), folge aus der vorstehend nachgewiesenen Korrektheit der Intepretation der Leistungslegende durch die Kläger, dass die Ziff.17 und 18 BMÄ/E-GO nicht als unwirtschaftliche Leistungen betrachtet werden könnten, sondern vielmehr notwendige, von Rechts wegen unverzichtbare Leistungen seien.

Mit weiterem Schriftsatz vom 12. August 2003 hat der Prozessbevollmächtigte seinen Sachvortrag dahingehend präzisiert, dass es in ganz Bayern nur neun orthopädische Praxen gebe, die gleichzeitig mit der Facharztbezeichnung für physikalische und rehabilitative Medizin betrieben würden.

Das Sozialgericht München hat mit Urteil vom 4. Februar 2004 den Bescheid des Beklagten vom 26. Juni 2003 hinsichtlich der Kürzung bei der Ziff. 17 BMÄ/E-GO aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, insoweit über den Widerspruch der Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf eine weitere Verfeinerung der Vergleichsgruppe sei nach Auffassung des Gerichts nicht geboten. Wie das Bundessozialgericht (Urteil vom 9. März 1994, Az.: 6 RKA 17/92) zum Ausdruck gebracht habe, könne eine verfeinerte, auf Teilbereiche der ärztlichen Tätigkeit bezogene Wirtschaftlichskeitsprüfung in der Form von Sparten- und Einzelleistungsvergleichen mangels genügend ausgereifter statistischer Verfahren nicht durchgeführt werden. Die Folge wäre, dass danach gröbere Unwirtschaftlichkeiten unerkannt bleiben müssten bzw. im Rahmen der angewandten Prüfmethode nicht beanstandet werden könnten. Insofern könnten nach Auffassung des Gerichts die Kläger nicht verlangen, mit Orthopäden verglichen zu werden, die ebenfalls wie sie auch operativ tätig seien. Allerdings sei die Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis bei Einzelleistungsspositionen, wie hier die Ziffern 17 und 18 BMÄ/E-GO, grundsätzlich höher anzusetzen als bei der Prüfung von Leistungssparten oder bei der Prüfung der Gesamtbehandlungskosten eines Arztes. Eine exakte Bestimmung dieser Grenze durch die Sozialgerichte sei nicht erfolgt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung habe eine Grenzziehung zum offensichtlichen Missverhältnis bei einer Einzelleistungsprüfung bei einer Überschreitung des Fachgruppendurchschnittes um 50 bzw.100 % für rechtmäßig erachtet (vgl. BSG, Urteil vom 9. März 1994, Az.: 6 RKa 17/92). Die Ziff.17 BMÄ/E-GO sei vom Beklagten bei einer Ausgangsüberschreitung nach dem verfeinerten Vergleich von 80,69 % um 30 % gekürzt worden. Dies bedeute, dass der Beklagte offenbar die Grenze des offensichtlichen Missverhältnisses bereits bei knapp 60 % annehme. Bei dieser Sachlage und in Kenntnis der Rechtsprechung der Sozialgerichte hätte der Beklagte darstellen müssen, warum er von einer derart niedrigen Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis bei der Prüfung der Einzelleistungspositon 17 BMÄ/E-GO ausgehe. In diesem Zusammenhang wäre auch zu erörtern gewesen, ob und in welchem Umfang sich eventuell die anerkannte Praxisbesonderheit "Vornahme von großen Eingriffen an der Wirbelsäule" auf die Erbringung der Ziff.17 BMÄ/E-GO auswirke. Anders stelle sich die Sach- und Rechtslage bei der Ziff.18 BMÄ/E-GO dar, die ebenfalls um 30 % gekürzt worden sei. Die Ziff.18 BMÄ/E-GO sei von den Klägern bei Heranziehung des verfeinerten Vergleichs um 166,54 % gegenüber der Vergleichsgruppe überschritten worden. Es handele sich um eine erhebliche Überschreitung, die auch bei einer Prüfung von Einzelleistungen die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit in sich trage. Auch nach der Kürzung um 30 % verbleibe den Klägern eine Restüberschreitung im dreistelligen Bereich. Nach Auffassung des Gerichts sei in diesem Fall die etwaige Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten oder Einsparungen auch nicht geboten gewesen. Denn die Klägerseite habe im Widerspruchsverfahren ihren Widerspruch trotz entsprechender Ankündigung nicht begründet. Die Kläger hätten deshalb ihrer Mitwirkungspflicht nicht Genüge getan. Es entspreche ständiger Rechtsprechung, dass ein Vertragsarzt seiner Mitwirkungspflicht grundsätzlich im Verwaltungsverfahren nachzukommen habe.

Hiergegen richtet sich Berufung der Kläger vom 21. April 2004 zum Bayerischen Landessozialgericht. Die vom Sozialgericht vorgenommene Differenzierung zwischen den Ziffern 17 und 18 BMÄ/ E-GO sei nicht nachvollziehbar. Die Ziff.18 BMÄ/E-GO sei ein Sondertatbestand für jene Fälle, in denen das Gespräch, welches auch ein Aufklärungsgespräch sein könne, schlicht länger gedauert habe. Insweit könne nicht eine statistische Betrachtung vorgenommen werden, sondern müsse auf die in der Klagebegründung eingehend dargestellte und auch vom Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2003 ausdrücklich anerkannte Praxisbesonderheit der Durchführung großer Eingriffe an der Wirbelsäule berücksichtigt werden. Weshalb das Sozialgericht ungeachtet der ausdrücklichen Anerkennung dieser Praxisbesonderheit durch den Beklagten die rechtlichen Ausführungen in der Klagebegründung völlig unbeachtet gelassen habe, erschließe sich nicht.

Die Kläger stellen den Antrag, das Urteil des Sozialgerichts München vom 4. Februar 2004 und den Bescheid des Beklagten vom 26. Juni 2003 aufzuheben, soweit dort eine Kürzung in Höhe von 30 % bei der Ziff.18 BMÄ/E-GO festgesetzt wurde, und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch der Kläger vom 4. Oktober 2002 erneut unter Beachtung der Rechtsauffasung des Gerichts zu entscheiden.

Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten stellt den Antrag, die Berufung der Kläger zurückzuweisen.

Dem Senat liegen die Verwaltungsakte des Beklagten, die Klageakte des Sozialgerichts München mit dem Az.: S 38 KA 1065/03 sowie die Berufungsakte des Bayerischen Landessozialgerichts mit dem Az.: L 12 KA 283/04 zur Entscheidung vor, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden und auf deren weiteren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte sowie gemäß § 151 Abs.1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Kläger ist zulässig und auch begründet.

Das Sozialgericht München hat mit dem angefochtenen Urteil vom 4. Februar 2004 die Klage der Kläger gegen die Kürzung der Leistungsanforderung bei der Ziff.18 BMÄ/E-GO in Höhe von 30 % nach dem Bescheid des Beklagten vom 26. Juni 2003 zu Unrecht bestätigt und deswegen die Klage insoweit abgewiesen.

Rechtsgrundlage für den Bescheid des Beklagten vom 26.Juni 2003, der allein Gegenstand des Klage- und auch des Berufungsverfahrens ist (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 22), ist § 106 Abs.2 Satz 1 Nr.1 SGB V. Mit dieser seit dem 1. Januar 1989 geltenden Bestimmung hat der Gesetzgeber die in der Praxis seit langem angewandte, durch Richterrecht sanktionierte Methode des statistichen Kostenvergleiches als Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Behandlungs- und Verordnungstätigkeit anerkannt und als Regelmethode übernommen (arztbezogene Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten). Es hat damit zugleich die zur Legitimation einer statistischen Vergleichsprüfung unerlässliche Annahme gebilligt, dass die Gesamtheit aller Ärzte im Durchschnitt gesehen, wirtschaftlich behandelt oder verordnet, jedenfalls das Maß des Notwendigen und Zweckmäßigen nicht unterschreitet und deshalb der durchschnittliche Behandlungs- und Verordnungsaufwand einer Arztgruppe grundsätzlich ein geeigneter Maßstab für die Wirtschaftlichkeitsprüfung eines Angehörigen dieser Arztgruppe ist. Eine Unwirtschaftlichkeit ist bei einer arztbezogenen Prüfung nach Durchschnittswerten dann anzunehmen, wenn der Fallwert des geprüften Arztes so erheblich über dem Vergleichsgruppendurchschnitt liegt, dass sich die Mehrkosten nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur und in Behandlungsnotwendigkeiten erklären lassen und deshalb zuverlässig auf eine unwirtschaftliche Behandlungs- oder Verordnungsweise als Ursache der erhöhten Aufwendungen geschlossen werden kann. Wann dieser mit dem Begriff des offensichtlichen Missverhältnisses gekennzeichnete Überschreitungsgrad erreicht ist, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Prüfungsgegenstandes und den Umständen des konkreten Falles ab und entzieht sich einer allgemein verbindlichen Festlegung. Im Hinblick darauf, dass die Festlegung des Grenzwertes für das offensichtliche Missverhältnis von der Beurteilung zahlreicher und in ihren wechselseitigen Auswirkungen nicht exakt quantifizierbarer Einzelfaktoren abhängt und auch bei der Berücksichtigung aller relevanten Umstände letzlich eine wertende Entscheidung fordert, bleibt den Prüfungsorganen insoweit ein Beurteilungsspielraum.

Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten genügt nicht den Anforderungen, die das Bundessozialgericht speziell an die Prüfung der Wirtschaftlichkeit einzelner Gebührenpositionen stellt ( vgl. insbesondere BSG SozR 3-2500 § 106 Nrn.6, 13, 15, 23, 26, 33, 36). Die statistische Betrachtung muss danach bereits auf der ersten Prüfungsstufe durch eine intellektuelle Prüfung und Entscheidung ergänzt werden, bei der die für die Frage der Wirtschaftlichkeit relevanten medizinisch-ärztlichen Gesichtspunkte, wie das Behandlungsverhalten und die unterschiedlichen Behandlungsweisen innerhalb der Arztgruppe und die bei dem geprüften Arzt vorhandenen Praxisbesonderheiten, in Rechnung zu stellen sind. Es dürfen dabei nur solche Einzelleistungen in die Prüfung miteinbezogen werden, die fachgruppentypisch sind und die die Prüfgremien wegen der Häufigkeit ihres Ansatzes vor dem Hintergrund der Patientenstruktur und der Praxisausrichtung des geprüften Arztes als auffällig bewerten. Bei einem Einzelleistungsvergleich kann deshalb der Beweis der Unwirtschaftlichkeit regelmäßig nicht allein mit der Feststellung und Angabe von Überschreitungsprozentsätzen geführt werden. Es bedarf vielmehr einer genaueren Untersuchung der Strukturen und des Behandlungsverhaltens innerhalb des speziellen engeren Leistungsbereichs sowie der Praxisumstände des geprüften Arztes, um die Eignung der Vergleichsgruppe und den Aussagewert der gefundenen Vergleichszahlen beurteilen zu können. Die dazu angestellten Erwägungen müssen, damit sie auf ihre sachliche Richtigkeit und auf ihre Plausibilität und Vertretbarkeit hin überprüft werden können, im Bescheid genannt werden oder jedenfalls für die Beteiligten und das Gericht erkennbar sein. Bei der isolierten Überprüfung der Wirtschaftlichkeit einzelner Leistungen muss stets auch der Gesamtfallwert mitreflektiert und im Bescheid dokumentiert werden.

Diesen Vorgaben wird der Bescheid des Beklagten vom 26. Juni 2003 nicht nur - wie schon vom SG beanstandet - hinsichtlich der Ziff.17 BMÄ/E-GO, sondern nach Auffassung des Senats auch hinsichtlich der Ziff.18 BMÄ/E-GO nicht gerecht.

Es ist allerdings zunächst nicht zu beanstanden, dass der Beklagte die Ziff.18 BMÄ/E-GO für eine fachgruppentypische Leistung angesehen hat. Eine solche fachgruppentypische Leistung liegt vor, wenn sie von einer hinreichend großen Zahl von Ärzten in der Vergleichsgruppe abgerechnet wird und in einer ausreichend großen Zahl von Fällen angesetzt wird (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 SGB V Nr.23 Seite 130). Die erste Bedingung ist unzweifelhaft erfüllt, weil 58,82 % (Spezialvergleich sogar: 78,26 %) der Ärzte der Vergleichsgruppe die Ziff.18 BMÄ/E-GO ebenfalls abrechnen und das BSG (bei Injektionsleistungen) schon einen 50%igen Abrechnungsanteil hat genügen lassen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 SGB V Nr.23). Die auf den ersten Blick geringe Ansatzhäufigkeit in 2,03 (Spezialvergleich: 3,20) Fällen auf 100 Fälle in der Vergleichsgruppe führt nicht zu einer Beurteilung als fachgruppenuntypisch. Auch hier ist festzustellen, dass das BSG bei vergleichbar geringen Behandlungsfällen (Nr.60 BMÄ a.F. bei 6 % der Behandlungsfälle - BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.15; Nr.387 BMÄ a.F. in 7,4 % der Behandlungsfälle- BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.26) von einer fachgruppentypischen Leistung ausgegangen ist.

Der Beklagte hat zwar bereits auf der ersten Stufe zur Feststellung des offensichtlichen Missverhältnisses ansatzweise eine sogenannte ergänzende intellektuelle Prüfung vorgenommen. Die Darlegungen des Beklagten lassen aber nicht hinreichend erkennen, wie der Beklagte das Leistungsverhalten der Kläger letztlich beurteilt. Zunächst sind einige Aussagen des Beklagten in sich widersprüchlich. Zum einen geht der Beklagte davon aus, dass der statistische Fallkostenvergleich zeige, dass die Mehraufwendungen bei den Beratungs- und Betreuungsgrundleistungen zum größten Teil auf die spezifische Praxisausrichtung der klägerischen Praxis zurückzuführen seien. Ein Mehrbedarf an Beratungs- und Betreuungsgrundleistungen ergebe sich für den Ausschuss aufgrund der Zulassung als Chirurg, Orthopäde und Facharzt für physikalische und rehabilitative Medizin. Deswegen hält der Beklagte eine Kürzung bei der Leistungsgruppe 03 insgesamt für nicht vertretbar. Andererseits ist der Beklagte aber der Auffassung, dass innerhalb der Leistungsgruppe 03, die insgesamt nur aus 3 Ziffern bei den Klägern besteht (Ziff.16 EBM-Ä mit 62.100 abgerechneten Punkten, Ziff.17 EBM-Ä mit 176.100 abgerechneten Punkten und Ziff.18 EBM-Ä mit 19.800 abgerechneten Punkten) bei den Leistungen 17 und 18 BMÄ/E-GO eine Unwirtschaftlichkeit vorliegt. Schließlich führt der Beklagte noch aus, dass die Kläger große Eingriffe an der Wirbelsäule vornehmen, was als Praxisbesonderheit anerkannt werde und anhand der Diagnosen auch nachvollziehbar sei. Im Ergebnis werde unter Berücksichtigung der weitestgehend zu verzeichnenden Gesamtwirtschaftlichkeit der Praxisführung eine Honorarkürzung unter anderem bei der Ziff.18 BMÄ/E-GO in Höhe von 30 % unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten für ausreichend angesehen.

Aus all diesen Äußerungen des Beklagten ist für den Senat nicht erkennbar, dass die Prüfungsreihenfolge bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung durch den Beklagten ordnungsgemäß vollzogen worden ist. Eine ordnungsgemäße Wirtschaftlichkeitsprüfung setzt voraus, dass der Beklagte vor Feststellung des Vorliegens des offensichtlichen Missverhältnisses eine intellektuelle Prüfung insbesondere mit Zielrichtung des Vorliegens/ Nichtvorliegens von Praxisbesonderheiten bzw. Einsparungen durchführt. Hier hat der Beklagte ausdrücklich die Tatsache der Durchführung großer Eingriffe an der Wirbelsäule durch die Kläger als Praxisbesonderheit anerkannt. Er hat es aber versäumt, diese Praxisbesonderheit zu quantifizieren und entsprechend die Anforderung der Kläger bei der Ziff.18 BMÄ/E-GO zu bereinigen und hinsichtlich der Restüberschreitung eine Aussage darüber zu treffen, ob vom Vorliegen eines offensichtlichen Missverhältnisses auszugehen ist. Der Beklagte begnügt sich demgegenüber mit der Feststellung, dass bei der Ziff.18 BMÄ/E-GO mit + 166.54 % gegenüber der Fachgruppe eine Überschreitung vorliegt. Schon ohne Berücksichtigung einer Vorabbereinigung der Überschreitung durch Anerkennung und Quantifizierung der Praxisbesonderheit "Durchführung großer Eingriffe an der Wirbelsäule" ergeben sich folgende Werte: Die 30 %ige Kürzung bei der Ziff.18 BMÄ/E-GO (66 Leistungen) führt zu einer Bereinigung um 20 Leistungen, so dass den Klägern 46 Leistungen der Ziff.18 BMÄ/E-GO belassen werden. Dies ergibt eine Ansatzhäufigkeit auf 100 Fälle (46: 773) in Höhe von 5,95 Fälle auf hundert Behandlungsfälle. Damit überschreiten die Kläger die Ansatzhäufigkeit in der Spezialvergleichsgruppe in Höhe von 3,20 Fälle auf 100 nur noch um + 53,78 %. Der Beklagte wäre spätestens an dieser Stelle der Wirtschaftlichkeitsprüfung gehalten gewesen, sich im Rahmen des ihm obliegenden Beurteilungsspielraumes Gedanken darüber zu machen, wo vorliegend die Grenze zum offensichtlichen Missverhältniss anzusetzen ist. Das BSG hat bislang keine generelle Stellungnahme dazu abgegeben, wo bei der Kürzung einer einzelnen Leistungsziffer im allgemeinen die Grenzziehung zum offensichtlichen Missverhältnis vorzunehmen ist. Es hat es aber mehrfach nicht für beanstandenswert gehalten, wenn die Prüfungsinstanzen bei Überschreitungswerten von 100 % und mehr gegenüber der Vergleichsgruppe vom Vorliegen eines offensichtlichen Missverhältnisses ausgegangen sind (vgl. BSG, SozR 2200 § 368 e Nr.4, Seite 7/8, SozR 3-2500 § 106 Nr.15, Seite 89 f., Nr.23 Seite 123, 130 und BSG, USK 94 143 Seite 774; in dieselbe Richtung geht die ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt Urteil vom 15. März 2000, L 12 KA 136/98). Daraus lässt sich in der Regel ableiten, dass jedenfalls bei einer Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts um 100 % bei der Kürzung einer einzelnen Leistungsziffer ein offensichtliches Missverhältnis vorliegt (in diesem Sinne auch Clemens in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1 § 35 Rdnr.153). Damit ist es freilich nicht ausgeschlossen, im Einzelfall die Grenzziehung zum offensichtlichen Missverhältnis auch unterhalb der 100 % Grenze festzusetzen - etwa weil es sich von vornherein um einen sehr homogenen Leistungsbereich handelt oder wie hier im Rahmen eines Spezialvergleiches etwaige Abweichungen bereits weitestgehend im Rahmen der Fallwertbereinigung berücksichtigt worden sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 9. März 1994, 6 RKA 17/92).

Soweit die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis bei der Kürzung einer einzelnen Ziffer unterhalb der 100 %-Grenze festgesetzt werden soll, bedarf es hierzu aber einer eingehenden Begründung in gleicher Weise wie wenn eine Kürzung bis in die Übergangszone hinein festgesetzt wird. Des Weiteren wäre in dem Bescheid eine Bewertung der Gesamtwirtschaftlichkeit vorzunehmen gewesen, insbesondere wäre vorliegend zu begründen gewesen, wieso der Beklagte bei Annahme einer weitestgehenden Gesamtwirtschaftlichkeit gleichwohl eine Kürzung bei der Ziff.18 BMÄ/ E-GO für notwendig hält. Nachvollziehbare Ausführungen des Beklagten hierzu fehlen vollständig.

Vor diesem Hintergrund ist der Bescheid bereits wegen seiner Widersprüchlichkeit und der völligen Verkennung der wesentlichen Gesetzmäßigkeiten einer Wirtschaftlichkeitsprüfung auch bzgl. der Ziff.18 BMÄ/E-GO - die Differenzierung des Sozialgerichts zwischen der Ziff.17 einerseits und der Ziff.18 BMÄ/ E-GO überzeugt nicht - aufzuheben und der Beklagte ist zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers auch hinsichtlich der Ziff.18 BMÄ/E-GO nochmals unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Diese Ausführungen gelten unabhängig davon, dass der Senat auf der Grundlage der Angaben des Klägers zu 1) den Eindruck hatte, dass die Kläger die Tatbestandsvoraussetzungen des Ansatzes auch der Ziff.18 BMÄ/E-GO sehr großzügig ausgelegt haben. Soweit der Beklagte in dem streitgegenständlichen Bescheid davon spricht, dass auch hinsichtlich der Ziff.18 BMÄ/E-GO eine Falschinterpretation vorliege, steht dies einer Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht entgegen, weil eine scharfe Trennung zwischen Wirtschaftlichkeitsprüfung und sachlich-rechnerischen Richtigstellung in Fällen der vorliegenden Art weder praktisch durchführbar noch rechtlich geboten ist (vgl. BSG, SozR 3-2500 § 106 SGB V Nr.23). Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs.1 Satz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs.2 VwGO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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