L 14 RA 12/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 RA 257/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 RA 12/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 29. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Grund eines vor dem 06.06.1989 eingetretenen Versicherungsfalles.

Der 1947 geborene Kläger war nach dem Abitur von 1966 bis 1968 als Baggerfahrer im elterlichen Tiefbauunternehmen tätig und durchlief dann von 1968 bis 1975 ein Studium der Elektrotechnik, Fachrichtung Nachrichtentechnik, mit dem Abschluss des Diploms. Von 1976 bis Ende 1979 war er als Systemingenieur und nach Zeiten der Arbeitslosigkeit sowie Tätigkeiten als freier Mitarbeiter erneut vom 01.01.1985 bis 31.12.1986 (mit Unterbrechung durch Arbeitsunfähigkeit vom 08.01. bis 05.04.1986 wegen Psychose und Depressionen) als Entwicklungsingenieur im Bereich Sondermüll-Recycling beschäftigt. In der Folgezeit bestand erneut Arbeitslosigkeit. Es kam zu verschiedenen strafrechtlichen Verurteilungen, u.a. mit der Bewährungsauflage einer Unterbringung in einem Wohnheim, Schuldenregulierung und psychotherapeutischer bzw. psychiatrischer Behandlung (Urteil und Beschluss des Amtsgerichts V. vom 07.03.1989). In der Zeit vom 06.06.1989 bis 29.01.1990 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung in der Klinik für Psychiatrie und Neurologie R. (Einweisung unter der Verdachtsdiagnose "reaktive Depression mit suizidalen Tendenzen"; Entlassung u.a. nach testpsychologischer Untersuchung mit dem Ergebnis einer hohen intellektuellen Leistungsfähigkeit, Entlassungsdiagnose: manisch-depressive Psychose, dabei Empfehlung einer Belastungserprobung als Vorbereitung für eine berufliche Rehabilitation). Bei dem darauf folgenden Aufenthalt im Rehabilitationskrankenhaus K. im Zeitraum vom 19.01. bis 31.01.1990 wurde die Diagnose einer Zyklothymie gestellt. Es kam zu einer disziplinarischen Entlassung wegen verschiedener Regelverstösse (u.a. Alkoholgenuss) und der Beurteilung, der Kläger sei nicht in der Lage, in absehbarer Zeit in seinem alten Beruf zu arbeiten oder auch eine andere Tätigkeit durchzuhalten.

Ein vom Kläger im Jahre 1990 gestellter Antrag auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation wurde von der Beklagten gemäß § 18d Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) als Rentenantrag behandelt und mit Bescheid vom 28.09.1991 mit der Begründung abgelehnt, es bestehe zwar seit 29.01.1990 Erwerbsunfähigkeit, die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für diesen Versicherungsfall seien aber nicht erfüllt. Im maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 01.11.1982 bis 31.12.1989 seien die erforderlichen 36 Pflichtbeiträge nicht vorhanden, nachgewiesen seien insoweit lediglich 21 Pflichtbeiträge; auch sei nicht jeder Kalendermonat in der Zeit vom 01.01.1984 bis 31.12.1989 mit Beiträgen oder anderen anwartschaftserhaltenden Zeiten belegt. Grundlage dieses Bescheids war ein nervenärztliches Gutachten des Dr.J. vom 18.07.1991, in dem die Diagnose einer Zyklothymie bestätigt und der Kläger dahin beurteilt wurde, dass eine Einsatzfähigkeit in seinem Beruf als Diplomingenieur nicht bestehe und in untergeordneten technischen Tätigkeiten lediglich ein unter halbschichtiges Leistungsvermögen gegeben sei.

Der Widerspruch gegen diesen Bescheid blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22.11.1991). Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Würzburg (S 5 An 138/91) machte der Kläger unter Vorlage von zwei nervenärztlichen Bescheinigungen des früheren behandelnden Arztes Dr.L. vom 14.11.1984 und 14.10.1985 geltend, schon wesentlich früher erwerbsunfähig gewesen zu sein. (Inhalt der Bescheinigung vom 14.11.1984: Bescheinigung einer seit drei Monaten bestehenden verminderten Geschäftsfähigkeit; Bescheinigung vom 14.10.1985: Diagnose einer schizoaffektiven Psychose, die mit Depressionen und Manien abwechsle bei zuletzt im Vordergrund stehender Depression; der Patient habe in früheren Phasen von Manie sinnlos viel Geld ausgegeben und deshalb Zwist mit seinen Eltern gehabt. Er sei inzwischen auf Lithium eingestellt, ebenso wie eine Schwester, die auch unter Depressionen leide).

Nach Beiziehung verschiedener Unterlagen durch das Gericht (u.a. Krankenbericht über den stationären Aufenthalt im Krankenhaus R. vom 05.02.1990, Auszug aus dem Mitglieder- und Leistungsverzeichnis der AOK U., Befundbericht des Dr.L. über den Behandlungszeitraum 08.10.1984 bis 06.05.1986, Übersichtsbogen des Arbeitsamts K. mit Arbeitslosmeldungen des Klägers zwischen 1967 und 1991, Gutachten des Dr.M. vom 16.04.1991 für das Arbeitsamt W.) ging die Beklagte von einer nicht unwesentlichen Leistungseinschränkung bereits seit 06.06.1989 aus und regte zur weiteren Abklärung die Beiziehung möglicher psychiatrischer Gutachten aus den früheren Strafverfahren an. Entsprechende Ermittlungen unterblieben mangels Mitwirkung des Klägers, der auf Grund ständiger Wohnsitzwechsel bzw. Wohnsitzlosigkeit unerreichbar war. Der damalige Bevollmächtigte legte die Vertretung nieder.

Mit Urteil vom 26.10.1993 - nach öffentlicher Zustellung der Ladung zum Verhandlungstermin - wurde die Klage abgewiesen. Ein erheblich vermindertes Leistungsvermögen vor dem 06.06.1989 habe sich nicht klären lassen, insbesondere sei die Überprüfung von in den Jahren 1987/88 erfolgten Behandlungen wegen fehlender Mitwirkung des Klägers nicht möglich gewesen. Der Bericht des Rehabilitationskrankenhauses K. vom 04.09.1990 lasse keine Rückschlüsse auf ein zeitlich eingeschränktes Leistungsvermögen in den Zeiträumen der Beitragslücken 1987 und 1988/89 zu. Weiter hieß es, auch bei Annahme des von der Beklagten zugestandenen früheren Versicherungsfalles der Erwerbsunfähigkeit am 06.06.1989 seien die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der §§ 23 Abs.2a, 24 Abs.2a AVG nicht erfüllt, weil es laut Versicherungsverlauf vom 23.03.1992 im maßgebenden Zeitraum an den erforderlichen 36 Pflichtbeiträge fehle; auch seien in der Zeit vom 17.05.1987 bis 11.10.1987 und vom 25.05.1988 bis 09.03.1989 Lücken im Versicherungsverlauf vorhanden, die nicht gemäß Art.2 § 2b Abs.1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) mit Beiträgen oder anwartschaftserhaltenden Zeiten belegt seien. Im Übrigen gelte für den Kläger die im Rahmen von sozialgerichtlichen Verfahren heranzuziehende Regelung der Beweislastverteilung. Die Folgen einer objektiven Beweislosigkeit oder der Nichtfeststellbarkeit einer Tatsache seien von dem Beteiligten zu tragen, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten wolle. Dementsprechend müsse der Kläger die Folgen der Nichterweislichkeit seiner Behauptungen tragen. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Den streitgegenständlichen Antrag auf Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit stellte der Kläger formlos am 15.04.1998. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 28.09.1998 wegen mangelnder Mitwirkung abgelehnt. Nachdem der Kläger seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen war, erging der ablehnende Bescheid vom 06.01.1999: der Kläger sei seit 29.01.1990 erwerbsunfähig, erfülle aber die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Rente nicht, da im maßgebenden Zeitraum vom 29.08.1983 bis 28.01.1990 nur 25 Kalendermonate an Pflichtbeiträgen vorhanden seien und in der Zeit vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung nicht jeder Kalendermonat mit einer Anwartschaftserhaltungszeit belegt sei; im Übrigen sei auch die Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht auf Grund eines Tatbestandes eingetreten, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt sei.

Mit seinem Widerspruch trug der Kläger vor, er sei bereits seit Mitte der 70er Jahre über längere Zeit arbeitsunfähig krank und in psychiatrischer Behandlung gewesen. Er benannte die ab 1977 tätig gewesenen behandelnden Ärzte Dr.B. und Dr.S. sowie Dr.L. , ferner Prof.K. von der Abt. Psychotherapie der Universität U. für den Zeitraum von 1979 bis 1987. Er legte die Kopie eines Berichts des Prof.K. an den behandelnden Arzt Dr.L. vom 08.07.1987 vor, in dem es hieß, eine diagnostische Festlegung sei "zum jetzigen Zeitpunkt nicht getroffen worden, da keine psychopathologische Symptomatik in erkennbarem Ausmaß vorgelegen habe".

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.1999 mit der bisherigen Begründung zurück.

Die hiergegen eingelegte Klage wurde erst nach mehrfacher Mahnung und Anberaumung eines Verhandlungstermines begründet: Erwerbsunfähigkeit sei bereits seit 1984 anzunehmen. Beigefügt war ein am 18.02.1999 ausgestellter Schwerbehindertenausweis des Klägers mit dem GdB 50.

Das Sozialgericht (SG) ermittelte erfolglos wegen weiterer ärztlichen Unterlagen der früheren behandelnden Ärzte Dr.L. und Dr.S ... Es zog die ärztlichen Unterlagen des Prof.K. (Gesprächsnotizen und Interview-Berichte aus 1980, 1985, 1987 und 1992) sowie einen weiteren Bericht über die stationäre Behandlung im Krankenhaus R. vom 06.06.1989 bis 29.01.1990 wegen depressiver Episode im Rahmen einer manisch-depressiven Psychose bei.

Mit Urteil vom 29.10.2002 wies das SG die sinngemäß auf Aufhebung des Bescheids vom 06.01.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2000 und auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit einem spätestens am 31.12.1987 festgestellten Leistungsfall gerichtete Klage ab mit der Begründung, ein früherer Leistungsfall als der 29.01.1990 bzw. 06.06.1989 lasse sich nicht beweisen. Die Überprüfung habe ergeben, dass der Sachverhalt, der dem ablehnenden Bescheid vom 28.09.1991 zugrundegelegen habe, sich nicht als unrichtig erwiesen habe. Selbst bei Annahme eines am 06.06.1989 eingetretenen Versicherungsfalles lägen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, wie das SG Würzburg bereits in seinem Urteil vom 26.10.1993 festgestellt habe, nicht vor. Auch die Angabe weiterer behandelnder Ärzte habe zu keinen hinreichenden Anhaltspunkten über einen früheren Leistungsfall als dem 06.06.1989 geführt. Selbst die Berichte des Prof.K. über sporadische Behandlungen ab 1980 sähen keine Behandlungsbedürftigkeit vor, Hinweise auf Phasen einer endogenen Depression hätten sich nicht ergeben; in seinem Bericht an den Allgemeinarzt Dr.A. sei formuliert worden, eine diagnostische Festlegung im Sinne einer Psychose könne nicht erfolgen, es gebe derzeit keinen Anhalt für einen psychotischen Prozess. Allein die Tatsache, dass psychiatrische Behandlungen vorgenommen wurden, erbringe keinen Beleg für Erwerbsunfähigkeit. Im Übrigen habe der Kläger noch bis 31.12. 1986 als Entwicklungsingenieur gearbeitet. Auch die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Jahres 1986 ergäben kein anderes Bild.

Mit der Berufung begehrt der Kläger die Einholung eines Gutachtens nach Aktenlage zur Feststellung seiner Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit bereits seit 1987.

Der Senat zog Unterlagen des Arbeitsamts W. , des Sozialamts V. und der AOK U. (Arbeitsunfähigkeitzeiten ab 27.09.1984) sowie die noch vorhandenen ärztlichen Unterlagen des Dr.S. aus den Jahren ab 1978 bei (im Laufe der Zeit gestellte Diagnosen: Neurose, auf zyklothyme Anlagen zurückgehendes Syndrom, Erschöpfungszustand mit depressiven Zügen bei Kernneurose; dabei Äußerungen über die Schwierigkeit der psychopathologischen Beurteilung des Kläger). Nach Bekanntgabe der Aktenzeichen der früheren Verfahren vor dem Amtsgericht (AG) bzw. bei der Staatsanwalt V. ab 1987 bis 1992 (12 Verfahren) zog der Senat die noch vorhandenen Akten 10 Ds 137/88 einschließlich des Bewährungsheftes des AG V. (dreijährige Bewährungszeit bis 14.03. 1992) bei. Der Kläger übersandte seinerseits die Betreuungsberichte etc. des ehemaligen Bewährungshelfers und weitere im damaligen Verfahren bedeutsam gewesene Unterlagen.

Im Wege der Beweisaufnahme beauftragte der Senat den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. mit der Erstellung eines nervenfachärztlichen Gutachtens nach Aktenlage zur Frage des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit des Klägers vor 1989/1990. Der Sachverständige kam in seinem Gutachten vom 12.01.2004 zu der Beurteilung, es handle sich beim Kläger um eine endogene Psychose in Form einer Zyklothymie bzw. einer schizoaffektiven Psychose die sich Ende der 70er Jahre und möglicherweise auch bereits früher (Mitte der 70er Jahre) bei bestehender hereditärer Belastung etabliert habe und mindestens seit 1988 eine ungünstige Entwicklung habe erkennen lassen. Sie führe zu einer erheblichen Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit. Mit hoher Wahrscheinlichkeit seien dem Kläger seit März 1988 regelmäßige Erwerbstätigkeiten nicht mehr zumutbar gewesen. Eine definitive sozialmedizinische Beurteilung lasse sich aber erst ab Beginn des Jahres 1988 (im März 1988 Straftat mit anschließender Verurteilung durch das AG V.) erstellen. Allerdings lägen erhebliche Verdachtsmomente dafür vor, dass der Kläger Mitte 1987 und auch bereits 1985 in der beruflichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt gewesen sei.

Die Beklagte hielt das Gutachten für nachvollziehbar. Der Sachverständige habe einen Leistungsfall im Januar 1988 nach sorgfältigem Aktenstudium und detaillierter Verlaufsbeschreibung nachvollziehbar begründet.

Der Kläger wies daraufhin, dass er bereits in der Zeit vor 1988 in verschiedenen Strafverfahren wegen der Frage der Schuldunfähigkeit auf Grund einer psychischen Erkrankung untersucht worden sei, es sei auch Schuldunfähigkeit angenommen worden. Seine Bemühungen, die Unterlagen zu erhalten, seien vergeblich gewesen, da die betreffenden Akten nicht mehr existierten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Würzburg vom 29.10.2002 und den Bescheid der Beklagten vom 06.01.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.07.1999 aufzuheben und die Beklagten zu verpflichten, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten einschließlich der Akten S 10 Al 7/92 des SG Würzburg, auf die beigezogenen Akten der Beklagten, des Sozialamts V. und des AG V. Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ), sie erweist sich aber nicht als begründet.

Die Entscheidung des Erstgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Auch die Überprüfung im Berufungsverfahren ergibt, dass der bindend gewordene ablehnende Bescheid der Beklagten vom 28.09.1991 nicht rechtwidrig war und dass nicht auf Grund dieses Bescheides zu Unrecht Rentenleistungen erbracht worden sind (§ 44 Abs.1 SGB X). Ein Anspruch des Klägers auf die geltend gemachte Rente, der sich noch nach den Vorschriften des vor dem 01.01.1992 geltenden AVG richtete, bestand damals nicht und besteht weiterhin nicht.

Eine Änderung gegenüber den Feststellungen des Erstgerichts ergibt sich allerdings insofern, als nach den Ermittlungen des Senats schon vor 1989/1990 vom Eintritt des medizinischen Leistungsfalles der Erwerbsunfähigkeit auszugehen ist. Dieser kann mit ausreichender Wahrscheinlichkeit bereits ab März 1988 angenommen werden. Bezüglich noch weiter zurückliegender Zeiträume ergeben sich dagegen lediglich "erhebliche Verdachtsmomente" für eine bereits deutlich geminderte Leistungsfähigkeit des Klägers, die jedoch eine eindeutige sozialmedizinische Beurteilung noch nicht erlauben.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr.K. in seinem Gutachten vom 12.01.2004 ist eine Zyklothymie nicht grundsätzlich mit einer erheblich eingeschränkten Leistungsfähigkeit verbunden. Es zeigen sich insoweit sehr unterschiedliche Krankheitsverläufe. Bei konsequenter Behandlung können die Betroffenen oft einem normalen beruflichen und privaten Leben nachgehen. Patienten mit häufigen manischen Phasen zeigen allerdings oft keine Bereitschaft zur Behandlung, weil sie den Krankheitswert nicht erkennen, was als solches bereits ein krankheitswertiges Symptom ist.

Eine stichhaltige Bewertung kann vorliegend laut Dr.K. erst für die Zeit ab März 1988 vorgenommen werden, für die Zeit davor ist sie nicht mit ausreichender Sicherheit möglich. Sie kann insbesondere nicht auf die damaligen (immer nur sporadischen) nervenärztlichen Behandlungen des Klägers oder aus den sich aus den Strafakten ergebenden Aussagen seiner Mutter und Schwester mit Hinweisen auf wiederholte depressive oder manische Phasen gestützt werden. Selbst bezüglich eines Scheckbetrugs im Jahre 1987 sieht Dr.K. nur die Möglichkeit, dass sich dieser in einer Phase ereignet habe, in der strafrechtliche Verantwortung nicht gegeben gewesen sei; es handle sich insoweit aber nur um eine Vermutung. Der Senat schließt sich diesen aus rückwirkender Sicht angesichts des weiteren Krankheitsverlaufs sicher etwas unbefriedigenden, insgesamt aber schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des erfahrenen Gutachters an. Auch aus seiner Sicht entspricht dieses Ergebnis der Aktenlage. So äußerte - was auch das Erstgericht im angefochtenen Urteil anführt - noch im Juli 1987 Prof.K. in seinem Schreiben an Dr.L. , dass bei seinem Kontakt mit dem Kläger keine psychopathologische Symptomatik in erkennbarem Ausmaß vorgelegen habe. Auch war der Kläger noch 1985 laut Aussagen des Dr.L. auf Lithium eingestellt, von einer eingeschränkten Geschäftsfähigkeit (zuvor im Attest vom 14.11.1984 für einen Zeitraum von drei Monaten bescheinigt) war nicht mehr die Rede. Dass der Kläger seine Medikamente nicht mehr einnahm, ist erst für den Zeitraum der Begutachtungen durch Dr.J. und Dr.M. im Jahre 1991 aktenkundig. Dabei ging Dr.M. erkennbar von der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers bei entsprechender Medikamenteneinnahme zur Unterdrückung manisch-depressiver Phasen aus. Hinzu kommt, dass eine manische Krankheitsphase des Klägers medizinisch nie dokumentiert wurde. Dr.L. äußerte 1991, er habe den Kläger in einer solchen Phase nicht gesehen. Auch die Beratungsgespräche bei Prof.K. fanden immer erst statt, wenn eine Krise vorüber war. Im Übrigen spricht die versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers bis Dezember 1986 gegen einen bis dahin eingetretenen Versicherungsfall.

Auch bei Berücksichtigung der danach notwendigen Rückdatierung des medizinischen Leistungsfalles auf den Monat März 1988 bleibt es bei den Feststellungen des Erstgerichts, dass der bindend gewordene ablehnende Bescheid der Beklagten vom 28.09.1991 nicht nach § 44 SGB X wegen Unrichtigkeit bzw. wegen eines Rentenanspruchs des Klägers mit einem vor 1989/90 eingetretenen Versicherungsfall aufzuheben war. Selbst bei einem im März 1988 eingetretenen Versicherungsfall waren nämlich die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der vor dem 01.01.1992 gültigen §§ 23 Abs.2 a, 24 Abs.2 a AVG für die begehrte Rente weiterhin nicht erfüllt (keine 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der Leistungsminderung). Bei einem im März 1988 eingetretenen Versicherungsfall ergibt sich, das im maßgebenden Fünfjahreszeitraum (01.03. 1983 bis 28.02.1988, erweitert um sieben Monate der in diesem Zeitraum liegenden Arbeitslosigkeit, also vom 01.08.1982 bis 28.02.1988) lediglich 25 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt sind.

Ebenso ist es weiterhin zutreffend, dass nicht alternativ die gesamte Zeit seit 01.01.1984 bis zum Ende des Kalenderjahres vor dem Eintritt des Versicherungsfalles mit anwartschaftserhaltenden Zeiten belegt ist, vgl. Art.2 § 7b Abs.1 AnVNG. Insoweit bestehen Lücken in der Zeit vom 16.05. bis 12.10.1987. Ein vor Anfang 1988 eingetretener Versicherungsfall, bei dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch erfüllt wären, ist andererseits - wie oben ausgeführt - nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

Bei dieser Sachlage konnte die Berufung keinen Erfolg haben. Sie war mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen. Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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