L 2 U 210/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 13 U 328/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 210/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 24.06.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1940 geborene Klägerin teilte der Beklagten mit Schreiben vom 28.08.1997 mit, dass sie sich mit Hepatitis C infiziert habe.

Die Klägerin war nach ihren Angaben von 1958 bis 1961 als Arzthelferin, von 1970 bis 1972 als Schwester in der Nervenklinik S. , von 1973 bis 1975 als OP-Schwester im St.-J.-Hospital B. , 1977 als Schwester in einer Unfallambulanz, von 1978 bis 1981 beim Arbeiter-Samariterbund S. und von 1981 bis 1983 wieder in einem Krankenhaus als Schwester, vom Juli 1995 bis Mai 1996 als Arzthelferin in der Praxis Dr.S. und vom 20.05.1997 bis 28.07.1997 in der Praxis Dr.M./ Dr.B. beschäftigt. Während der Tätigkeit bei Dr.M. und Dr.B. erfolgten Blutuntersuchungen am 03.07.1997, 24.07.1997 und 01.08.1997, die zu der Diagnose einer floriden Hepatitis-C-Infektion führten. Die Laborärzte bezeichneten die Infektion als relativ frisch.

Dr.S. gab am 08.12.1998 an, die Klägerin sei jeweils am Dienstagnachmittag bei ihm tätig gewesen, außerdem im Juli 1995 für zwei Wochen ganztägig. Mit Blutabnahme sei sie selten beschäftigt worden, da die Blutproben um 12.00 Uhr abgeholt würden. Eine überdurchschnittlich hohe Zahl von HIV-Risikopatienten werde in seiner Praxis nicht behandelt. Er habe in den letzten fünf Jahren drei HIV-positive Patienten mitbehandelt, bei denen er Blutentnahmen persönlich vorgenommen habe. Eine Blutuntersuchung der Klägerin am 08.01.1996 habe normale Werte gezeigt, lediglich der Rheumafaktor sei auffällig gewesen. Dr.M. und Dr.B. gaben an, die Klägerin habe eine Bürotätigkeit ausgeübt, sie sei in der Anmeldung, und zwar jeweils von 8.00 bis 10.30 Uhr beschäftigt gewesen. Schwerstpflegebedürftige seien in der Praxis nicht behandelt worden. Zu Blut habe die Klägerin keinerlei Kontakt gehabt.

Die Klägerin erklärte, sie habe alle Tätigkeiten einer Arzthelferin einschließlich Blutabnahme ausgeübt. In den letzten sechs Monaten vor der Erkrankung sei sie nicht mit Hepatitis C infizierten Patienten in Kontakt gekommen. 1973 sei sie im Kreiskrankenhaus B. an der Galle operiert worden, im Februar 1996 im Evangelischen Waldkrankenhaus an der Bandscheibe.

Das V.-Klinikum berichtete über Untersuchungen der Klägerin am 05.09., 19.09. und 26.09.1997. Die Klägerin gab dabei als Vorerkrankungen u.a. an, Appendektomie, drei Aborte, Tonsillektomie, Cholezystektomie, Hysterektomie mit mehrfacher Hämatomausräumung, Prolapsoperation. Es bestehe eine unklare Gerinnungsstörung, die postoperativ regelmäßig zu Komplikationen geführt habe. Im Rahmen der Cholezystektomie und der Prolapsoperation seien Transfusionen verabreicht worden, die möglicherweise die Infektionsquelle darstellten. Die Klägerin gebe seit etwa drei Wochen ein allgemeines Krankheitsgefühl an.

Vom Evangelischen Waldkrankenhaus S. wurde am 24.02.1998 angegeben, während des stationären Aufenthaltes sei keine Bluttransfusion durchgeführt worden.

Nach Zustimmung der Gewerbeärztin Dr.F. lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 08.10.1998 die Anerkennung der Hepatitis-C-Erkrankung als Berufskrankheit ab. Eine Hepatitis-C-Infektion sei erstmals im Juli 1997 diagnostiziert worden. Es habe nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden können, dass sich die Klägerin die Infektion während ihrer beruflichen Tätigkeit zugezogen habe. Regelmäßige invasive Tätigkeiten seien von ihr nicht durchgeführt worden. Es bleibe daher völlig offen, wann und bei welcher Gelegenheit sich die Klägerin im Frühjahr 1997 mit Hepatitisviren angesteckt habe. Der Nachweis, dass ein gewisser Prozentsatz der von der Klägerin betreuten Patienten an Hepatitis C erkrankt gewesen sei oder Virusträger gewesen sei, oder die Möglichkeit eines unmittelbaren Kontaktes sei nicht gegeben.

Die Klägerin wandte mit Widerspruch vom 19.10.1998 ein, sowohl während der Tätigkeit bei Dr.S. als auch bei Dr.M. und Dr.B. habe sie Blutabnahmen durchgeführt. Insbesondere in der Praxis Dr.S. würden besonders viele homosexuelle Patienten behandelt. Aus den labormedizinischen Daten der Jahre 1992 bis 1995 gehe hervor, dass sie bis 1995 nicht an einer Hepatitis C gelitten habe. Im Schreiben vom 16.09.1999 gab die Klägerin an, sie habe sich bei Blutabnahmen mehrere Male gestochen, zweimal sei ihr Blut ins Gesicht und ins Auge gespritzt. Ein weiteres Mal sei ein blutgefülltes Röhrchen zerbrochen, so dass sie mit dem Blut in Berührung gekommen sei. Einige Wochen nach der Tätigkeitsaufnahme in der Praxis von Dr.M. und Dr. B. sei sie an erhöhtem Blutdruck, begleitet von prickelnden Oberbauchbeschwerden, erkrankt.

Der Internist Prof.Dr.S. führte im Gutachten vom 19.05.2000 aus, anhand der Befunde sei der Infektionszeitraum nicht weiter einzugrenzen; es sei lediglich die Aussage möglich, dass die Infektion vor Mitte 1997 erfolgt sei. Zu berücksichtigen sei auch, dass Transfusionsblut eine gravierende Ursachenmöglichkeit darstelle.

Von der Praxis Dr.M./Dr.B. wurde mitgeteilt, die Klägerin sei vom 07.08. bis 12.08.1997 wegen akutem Erbrechen, Orthostasesyndrom, Vertigo arbeitsunfähig erkrankt gewesen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.11.2000 zurück. Selbst wenn der Infektionszeitpunkt eingrenzbar wäre, sei eine Berufskrankheit nach Nr.3101 nicht anzuerkennen, denn die Klägerin habe in den Praxen keine Arbeiten verrichtet, die eine besondere, über das normale Maß hinausgehende Hepatitis-C-Gefährdung begründen könnten. Eine Infektionsquelle sei nicht nachgewiesen.

Zur Begründung der Klage hat die Klägerin ausgeführt, ausschließlich bei der Tätigkeit in den Praxen Dr.S. und Dr.M. und Dr.B. sei es zu invasivem Kontakt mit fremden Blut gekommen. Beim Zerbrechen des mit Fremdblut gefüllten Röhrchens habe sie sich eine leichte Schnittwunde zugezogen. So habe Blut eindringen können. Sie wisse nicht, ob während ihrer Arbeitszeit in dieser Praxis ein Patient mit Hepatitis-C-Infektion behandelt worden sei, die Ärztinnen seien danach nie gefragt worden. Allerdings könne eine Infektion eines Patienten auch unerkannt geblieben sein. Die Laborunterlagen aus dem Evangelischen Waldkrankenhaus S. zeigten, dass Anfang 1996 kein Hinweis auf eine Hepatitis-C-Infizierung bestanden habe. Das Gleiche gelte für die Unterlagen von dem weiteren stationären Aufenthalt am 23.10.1996. Wenn 1974 Transfusionen vorgenommen worden seien, so sei es unwahrscheinlich, dass sie als Infektionsquelle für die Hepatitis-C-Erkrankung in Betracht kämen.

Dr.B. berichtete im Befundbericht vom 31.01.2002, die Klägerin sei im Rahmen der Aushilfstätigkeit behandelt worden wegen Lumboischialgie, Verdacht auf Arthritis rheumatica, labilem Hypertonus, Verdacht auf Herzmuskelschwäche, Erbrechen und Kreislaufstörungen. Die Verdachtsdiagnosen hätten sich nicht bestätigt. Die Klägerin sei insgesamt 134,5 Stunden überwiegend im Patientenempfang beschäftigt gewesen.

Der vom SG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Internist Dr.E. hat im Gutachten vom 25.03.2002 ausgeführt, Hepatitis C werde meist parenteral durch Blut oder Blutprodukte übertragen. Allerdings lasse sich bei der Hälfte der Patienten keine fassbare Infektionsquelle eruieren. Das Hepatitis C-Virus sei weit weniger infektiös als das Hepatitis B-Virus. Aus den positiven IGM-Antikörpern habe das Labor am 24.07.1997 abgeleitet, dass eine relativ frische Infektion vorliege. Diese Bestimmung von IGM-Antikörpern bei Hepatitis C werde nicht mehr durchgeführt, da nicht mit ausreichender Sicherheit auf eine frische Infektion geschlossen werden könne. Die Ergebnisse der früheren Laboruntersuchungen ließen nicht den Schluss zu, dass keine Lebererkrankung und deshalb auch keine Hepatitis-C-Infektion vorgelegen habe. Zum einen seien teilweise nur die Gamma-GT-Werte bestimmt worden; auch spreche ein normaler Transaminasen-Wert nicht gegen eine Hepatitis-C-Infektion, da bei gering entzündlicher Aktivität die Transaminasen vorübergehend normal sein könnten. Die Laborwerte von 1996 bestätigten keinesfalls, dass damals eine Hepatitis-C-Infektion noch nicht vorgelegen habe. Die Befunde sprächen mehr dafür als dagegen, dass es bereits vor der Tätigkeit bei Dr.M. und Dr.B. zu einer Infektion mit Hepatitis C gekommen sei. Eine akute Hepatitis C zum Zeitpunkt der Diagnosestellung im Juli 1997 sei aufgrund der Daten äußert unwahrscheinlich. Es spreche einiges dafür, dass bereits 1996 eine chronische Hepatitis C vorgelegen habe.

In der ergänzenden Stellungnahme vom 08.07.2002 hat Dr.E. ausgeführt, eine zeitliche Eingrenzung der Infektion vor April 1997 sei nicht möglich. Eine Infektion von Mai bis Juni 1997 sei unwahrscheinlich, da die Antikörper erst nach einer Latenzzeit von mindestens elf Wochen positiv würden. Gegen eine akute Hepatitis sprächen außerdem die Transaminasen-Werte im Juli 1997. Die Blutwerte von 1996 bewiesen zwar nicht, dass damals eine Hepatitis C vorgelegen habe; da aber eine leichte Transaminasen-Unruhe bestanden habe, sei denkbar, dass bereits zu diesem Zeitpunkt eine chronische Hepatitis C vorgelegen habe.

Der auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Internist und Gastroenterologe Prof. Dr.E. hat im Gutachten vom 26.03.2003 ausgeführt, die Infektion dürfte sich durch eine Stichverletzung mit infektiösem Material im Rahmen der beruflichen Tätigkeit ereignet haben. Eine Übertragung des Virus durch eine Bluttransfusion im Rahmen der Gallenblasenoperation könne nicht ausgeschlossen werden. Der langjährige wiederholte Kontakt mit infektiösem Material im Rahmen der beruflichen Tätigkeit u.a. mit Nadelstichverletzungen erscheine aber um ein Vielfaches wahrscheinlicher als eine einmalige Bluttransfusion. Der ungefähre Infektionszeitpunkt könne auf Grund fehlender klinischer Beschwerden und nur zum Teil vorliegender nahezu unauffälliger Laborwerte retrospektiv nur für die Zeit vor Juli 1997 angegeben werden. Die MdE sei mit 30 v.H. einzuschätzen.

Dr.E. hat hierzu in der ergänzenden Stellungnahme vom 06.05. 2003 erklärt, der Aussage von Prof.Dr.E. , die Infektion müsse vor Juli 1997 stattgefunden haben, eine weitere Eingrenzung sei nicht möglich, könne nahezu voll zugestimmt werden. Eine Infektion während der Tätigkeit bei Dr.M. und Dr.B. , wie sie in der Klagebegründung angenommen werde, könne nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, erscheine aber wegen der Latenz (11 bis 20 Wochen) bis zum positiven Antikörpertest eher unwahrscheinlich. Mit großer Wahrscheinlichkeit könne davon ausgegangen werden, dass die Infektion vor Mai 1997 bzw. spätestens im Mai 1997 stattgefunden habe. Zwar habe eine Krankenschwester häufiger Umgang mit infektiösem Material als ein Normalbürger, hieraus sei jedoch lediglich die Möglichkeit einer Infektion, nicht aber die Wahrscheinlichkeit einer Infektion abzuleiten. Es bleibe die Möglichkeit einer Infektion durch eine Bluttransfusion oder auf einem nicht parenteralen Weg, auf den auch Prof.Dr.E. hingewiesen habe.

Die Beklagte hat erklärt, die allgemeine Infektionswahrscheinlichkeit im Falle von Nadelstichverletzungen liege nach arbeitsmedizinischen Erkenntnissen bei ungefähr 10 %. Dies er- kläre sich daraus, dass es bei solchen Verletzungen regelmäßig nicht zu einer Inokulation kontaminierten Blutes komme.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 24.06.2003 abgewiesen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit der Klägerin als Krankenschwester bzw. Arzthelferin und der Infektion sei nicht wahrscheinlich. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Ansteckung auch außerberuflich möglich sei, sei eine besondere Ansteckungsgefahr zu fordern. Auch unter Zugrundelegung des von der Klägerin geschilderten Tätigkeitsprofils sei eine zeitliche Übereinstimmung zwischen der Infektionsmöglichkeit und dem Krankheitsverlauf nicht mit Wahrscheinlichkeit gegeben. Es sei mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Infektion spätestens im Mai 1997 stattgefunden habe. Das Infektionsrisiko bei einer Nadelstich- verletzung liege bei Hepatitis B bei 20 bis 30 %, bei Hepatitis C bei 3 % (Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S.777). Eine akute Hepatitis C zum Zeitpunkt der Diagnosestellung im Juli 1997 sei äußerst unwahrscheinlich. Hinweise darauf, dass eine Infektion während der Beschäftigung bei Dr.S. eingetreten sei, lägen nicht vor. Wenn Prof.Dr.E. ausführe, dass sich die Klägerin die Infektion durch eine Stichverletzung zugezogen haben dürfte, gebe er zu erkennen, dass er ohne triftige Begründung nur einen von mehreren möglichen Übertragungswegen heraushebe. Eine Infektion, die zeitlich nicht einzugrenzen sei und sowohl während einer versicherten Tätigkeit als auch außerhalb davon stattgefunden haben könne, könne nicht der versicherten Tätigkeit ursächlich zugerechnet werden.

Zur Begründung der Berufung führte die Klägerin aus, HC-Antikörper seien erst zunehmend Ende Juli/Anfang August 1997 festgestellt worden. Dr.E. vertrete die Auffassung, die Antikörperbildung indiziere, dass eine Infektion mindestens drei Monate zurückliegen müsse. Dies treffe aber nicht zu. Antikörper könnten auch schon nach kürzerer Zeit gebildet werden. Es werde beantragt, eine ergänzende laborfachärztliche Auskunft einzuholen zu der Frage, dass bzw. ob die seinerzeit erstellten Laborbefunde der Blutproben der Klägerin unter Berücksichtigung der Antikörperbildung eine frische, das heißt wahrscheinlich in den Zeitraum seit dem 15.05.1997 fallende Hepatitis-C-Infektion, indiziert hätten. Die Klägerin habe außerdem unter Beweis gestellt, dass sie während ihrer Beschäftigung bei Dr.M. und Dr.B. mit Patientenblut in Berührung gekommen sei. Dr.M. und Dr.B. , außerdem die Praxismitarbeiterinnen seien als Zeugen zu vernehmen. Die Angabe von Dr.M. und Dr.B. , die Klägerin habe keinen unmittelbaren Kontakt mit Patientenblut gehabt, sei nicht wahr. Die Ärztinnen würden auch bestätigen müssen, dass während der Zeit der Beschäftigung der Klägerin dort Hepatitis-C-infizierte Patienten behandelt worden seien, denn dies sei offensichtlich Anlass für die Ärztinnen gewesen, alle Praxismitarbeiter im Juli 1997 untersuchen zu lassen. Wenn zumindest mit großer Wahrscheinlichkeit eine Infizierung der Klägerin mit Hepatitis-C-Erregern nur in der kurzen Beschäftigungszeit bei Dr.M. und Dr.B. in Betracht komme, so sei eine Berufskrankheit nach Nr.3101 anzuerkennen. Während der Prolapsoperation 1996 sei keine Bluttransfusion erfolgt. Dass eine unbestritten erfolgte Bluttransfusion anlässlich einer Cholezystektomie 1971 zu einer Hepatitis-C-Infizierung geführt habe, die sich erst 26 Jahre später aktiviert habe, sei völlig unwahrscheinlich. Insoweit könne auch Prof.E. nicht gefolgt werden, als er eine Übertragung durch eine Bluttransfusion 1971 nicht glaube ausschließen zu können.

Die Beklagte erklärte, es genügten weder Nadelstichverletzungen noch Schnitte, um die für eine Infektion notwendige Inokulation mit Fremdblut zu bewirken. Auch ließe sich eine konkrete Infektionsquelle nicht nachweisen. Zu berücksichtigen sei auch, dass bis Anfang der Neunzigerjahre die diagnostischen Methoden zur Erkennung der Hepatitis C nicht ausgereicht hätten. Insofern sei der Infektionszeitraum nicht näher einzugrenzen, wie Dr. E. ausgeführt habe.

Der vom Senat zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Internist und Gastroenterologe Dr.S. kam im Gutachten vom 28.11.2003 zusammenfassend zu dem Ergebnis, in der Regel erfolge eine Antikörperbildung bis zehn Wochen nach Infektion; der kürzeste Zeitraum betrage vier Wochen. Es seien aber auch Verläufe bis zu einem halben Jahr beschrieben. Gehe man von der kürzesten Zeitdauer aus, müsse die Infektion vor dem 24.06.1997 erfolgt sein. Bezüglich der Klassifizierung als relativ frische Hepatitis durch das Institut für medizinische Diagnostik sei zu berücksichtigen, dass sie auf Grund des positiven Nachweises von IGM-Antikörpern erfolgt sei. Inzwischen wisse man, dass dieser Rückschluss für die Hepatitis C nicht gelte. An eine Nadelstichverletzung zwischen 1970 und 1983 könne sich die Klägerin nicht erinnern, sie aber auch nicht vollkommen ausschließen. In der Praxis von Dr.S. habe sie äußerst selten Blut abgenommen, daher schließe sie eine Infektion aus. Neben der Infektionsmöglichkeit im Rahmen der beruflichen Tätigkeit bestehe bei der Klägerin eine weitere Infektionsmöglichkeit durch die Bluttransfusionen im Rahmen einer Gallenblasenoperation 1971 sowie einer Mandelentfernung 1972. Damals sei der Hepatitis-C-Erreger noch nicht bekannt gewesen und Blutkonserven seien nur auf Hepatitis A und B getestet worden. Da die Hepatitis nur in 10 % der Fälle symptomatisch verlaufe, sei der genaue Infektionszeitpunkt sehr oft nicht bestimmbar. Ab wann der chronische Verlauf zu Allgemeinsymptomen mit Leistungsabfall führe, sei nicht bekannt. Zwischen der chronischen Hepatitis C und der beruflichen Tätigkeit könne ein ursächlicher Zusammenhang im Sinne der Entstehung bestehen, da die Klägerin als Krankenschwester prinzipiell Kontakt mit Hepatitis-C-Patienten gehabt haben könnte, vor allem in ihrer zweijährigen Tätigkeit als Operationsschwester. Außerdem sei rein rechnerisch bei Annahme der kürzestmöglichen Serokonversionszeit von vier Wochen eine Infektion in der Praxis Dr.M. und Dr.B. möglich. Die Erkrankung sei aber nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Rahmen der Berufsausübung aufgetreten. Ein Kausalzusammenhang sei möglich, aber nicht wahrscheinlich. Die Klägerin könne keine Angaben über die Patienten machen, bei denen es zu Nadelstichverletzungen oder überhaupt Blutkontakt gekommen sei. Zu berücksichtigen sei auch die zweimalige Bluttransfusion. Unabhängig von der Kausalität sei die MdE mit 30 v.H. zu bewerten.

Die Klägerin beantragte nochmals, Dr.M. und Dr.B. als Zeuginnen zu vernehmen und ihnen aufzugeben, anhand der Patientenkartei festzustellen, ob damals Hepatitis-C-infizierte Patienten behandelt worden seien. Es sei richtig zu stellen, dass anlässlich der Mandelentfernung keine Bluttransfusion erfolgt sei. Dr.S. habe die Klägerin missverstanden.

Die Beklagte wies darauf hin, selbst wenn eine Befragung von Dr.M. und Dr.B. zum Ergebnis hätte, dass Hepatitis-C-infizierte Patienten behandelt worden seien, erscheine die Führung eines Nachweises einer konkreten Infektionsquelle nahezu unmöglich. Es sei damit nicht nachgewiesen, dass die Klägerin tatsächlich Kontakt mit dem Blut dieser Patienten gehabt habe. Im Übrigen hätten Dr.M. und Dr.B. angegeben, dass die Klägerin überhaupt keinen Blutkontakt gehabt habe.

Dr.S. erklärte in der ergänzenden Stellungnahme vom 13.09.2004 , eine Bluttransfusion sei 1974 im Gegensatz zu den Angaben der Klägerin nicht dokumentiert. Es sei offenbar postoperativ zu einem Blutverlust gekommen, der erstaunlicherweise nicht ausgeglichen worden sei. Am 13.03.1974 habe bei der Klägerin bei normalen Transaminasen und normaler Leberhistologie keine Hepatitis bestanden. Ob eine mögliche Bluttransfusion nach der Operation zu einer chronischen Hepatitis C geführt habe, bleibe weiterhin offen.

Die Klägerin stellt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 06.10.2003.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid vom 24.06.2003 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Die Entscheidung richtet sich nach den bis 31.12.1996 geltenden Vorschriften der RVO, da der streitige Versicherungsfall möglicherweise vor dem 01.01.1997 eingetreten ist und über einen daraus resultierenden Leistungsanspruch vor dem 01.01.1997 zu entscheiden gewesen wäre (§§ 212, 214 Abs.3 SGB VII i.V.m. § 580 RVO).

Gemäß § 551 Abs.1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine Berufskrankheit. Maßgeblich ist seit 01.12.1997 die Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl.I S.26, 23). Als Berufskrankheit kommen grundsätzlich solche Erkrankungen in Betracht, die von der Bundesregierung als Berufskrankheiten bezeichnet und in die BKV aufgenommen worden sind (Listenprinzip). Die Krankheit muss durch eine versicherte Tätigkeit verursacht oder wesentlich verschlimmert worden sein, d.h. die Gefährdung durch schädigende Einwirkungen muss ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein und die Einwirkung muss die Krankheit verursacht haben (vgl. Bereiter-Hahn/ Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 9 SGB VII Rdnr.3). Alle rechtserheblichen Tatschen müssen an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen (vgl. BSGE 45, 285).

Die Klägerin begehrt die Feststellung einer Berufskrankheit im Sinne der Nr.3101 der Anlage zur BKV, also einer Infektionskrankheit, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war. Voraussetzung ist also eine Infektionsquelle mit entsprechenden Erregern im Bereich der Berufstätigkeit, die nachweist, dass die Berufstätigkeit durch Patienten, Mitarbeiter oder auf sonstige Weise mit besonderen, über das verkehrsübliche Maß im privaten Bereich hinausgehenden Infektionsgefahren verbunden war d.h., unmittelbaren oder mittelbaren Kontakt während der Inkubationszeit mit erkrankten Personen brachte. Die Gefahr der berufsbedingten Ansteckung kann durch die ausgeübte Tätigkeit dauernd und gewohnheitsmäßig oder gelegentlich und vorübergehend sein. Die Verursachung einer Infektionskrankheit durch die berufliche Beschäftigung erfordert nicht immer den konkreten Nachweis der tatsächlichen Infektionsquelle. Ein gewisser Prozentsatz unerkannt Infizierter unter den versorgten Patienten kann ausreichend sein. Dies gilt auch, wenn die berufliche Infektionsgefahr gegenüber dem privaten Bereich ein deutliches Übergewicht hat. Weiter ist ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Gefährdung im Beruf und Auftreten der ersten Symptome bzw. dem Zeitpunkt der Diagnosestellung erforderlich. Der bei Feststellung der Infektionserkrankung erhobene Befund muss für eine Neuansteckung während der Berufstätigkeit sprechen (vgl. Schoenberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage 2003, S.768 f.).

Die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit, nämlich der Arbeit als Krankenschwester und Sprechstundenhilfe, und der Hepatitis C ist nicht gegeben. Nach ihren eigenen Angaben hatte die Klägerin während der Tätigkeit als Krankenschwester von 1970 bis 1983 keinen Kontakt mit Fremdblut. Während der Tätigkeit als Sprechstundenhilfe bei Dr.S. vom Juli 1995 bis Mai 1996 und bei Dr. M. und Dr.B. vom 20.05. bis 28.07.1997 bestanden keine besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Gefahren, an Hepatitis C zu erkranken.

Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass Allgemeinpraxen wie die von Dr.S. und Dr.M. und Dr.B. besonders hepatitisgefährdete Einrichtungen sind. Die Klägerin hat zudem bezüglich der Gefährdung widersprüchliche Angaben gemacht. Während sie zunächst angab, in der Praxis von Dr.S. in besonders hohem Maß ansteckungsgefährdet gewesen zu sein, hat sie diese Argumentation gegenüber Dr.E. und Dr.S. nicht mehr aufrechterhalten, sondern eingeräumt, dass sie in dieser Praxis nur äußerst selten mit Blutabnahmen beschäftigt gewesen sei und auch keine Angaben zu etwaigem Blutkontakt gemacht. Dies entspricht auch den Ausführungen des Dr.S. , der zudem darauf hingewiesen hat, dass die Klägerin nur an einen halben Tag pro Woche und zwei Wochen im Juli 1995 bei ihm tätig war.

Auch in der Praxis von Dr.M. und Dr.B. arbeitete die Klägerin nur in Teilzeit, nämlich nach ihren Angaben an drei halben Tagen sowie während einer Urlaubsvertretung in Vollzeit. Dr.M. und Dr.B. haben angegeben, die Klägerin sei überwiegend in der Patientenannahme tätig gewesen und habe keinerlei Kontakt mit Patientenblut gehabt, die Klägerin dagegen beharrt darauf, sich gerade in dieser Praxis während der ersten vier Wochen ihrer Tätigkeit, also zwischen dem 20.05. und 20.06., mehrfach bei Blutabnahmen und -untersuchungen verletzt zu haben, sodass Kontakt mit Fremdblut habe eintreten können. Selbst wenn die Klägerin Kontakt mit Blut hatte, durch das ein Hepatitis-C-Virus, wenn es vorhanden gewesen wäre, hätte übertragen werden können, ist damit eine besondere Hepatitis-Exposition noch nicht begründet. Die Klägerin konnte keine näheren Angaben zum Zeitpunkt der Nadelstichverletzungen machen und die betroffenen Patienten nicht benennen.

Dr.M. und Dr.B. haben ausdrücklich versichert, dass Patienten, die an Hepatitis erkrankt waren, während der Beschäftigungszeit der Klägerin nicht behandelt worden sind. Auch Dr.S. hat ausdrücklich erklärt, dass er Blutabnahmen bei HIV-Patienten nur selbst vorgenommen und solche Tätigkeiten dem Personal verboten hatte. Insofern ist eine weitere Sachaufklärung durch Vernehmung der Arbeitgeber und Kolleginnen nicht veranlasst. Hinzu kommt, dass in Anbetracht der Kürze der Tätigkeit der Klägerin in den beiden Praxen, wobei sie bei Dr.M. und Dr.B. nur insgesamt 134,5 Stunden gearbeitet hat, eine Infektion während der Arbeitszeit nicht einmal wahrscheinlich zu machen ist. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Inkubationszeit der Hepatitis-C-Erkrankung nicht feststeht; wie die ärztlichen Sachverständigen Dr.E. und Dr.S. überzeugend dargelegt haben, können Patienten auch nach der Infektion über Jahre hinweg völlig beschwerdefrei sein. Insofern könnte sich die Klägerin auch in einem früheren Zeitpunkt bei Operationen oder Zahnbehandlungen angesteckt haben. Zwar ließen sich die von der Klägerin zunächst angegebenen Bluttransfusionen im Rahmen der Gallenblasenoperation 1974 nicht nachweisen, trotzdem hat Dr.S. darauf hingewiesen, dass eine Transfusion, wenn sie erfolgte - und die Klägerin hatte ausdrücklich erklärt, es seien mehrere Blutkonserven transfundiert worden - ein erheblich höheres Risiko, an Hepatitis C zu erkranken darstellen würde, als eine Nadelstichverletzung. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass sich bei der Hälfte der an Hepatitis C erkrankten Patienten, wie Dr.E. erläutert, keine fassbare Infektionsquelle eruieren lässt, sodass auch nicht parenterale Infektionswege existieren müssen. Zudem ist das Hepatitis-C-Virus weit weniger infektiös als das Hepatitis-B-Virus. Es müssen große Mengen infektiösen Materials inokuliert werden, sodass Nadelstichverletzungen als Ursache für Hepatitis-C-Übertragungen eher selten sind. Wie alle befragten Ärzte übereinstimmend angegeben haben, lässt sich die Inkubationszeit im Fall der Klägerin nicht näher als auf einen Zeitraum etwa Mitte 1997 eingrenzen. In der Praxis Dr.M. und Dr.B. hätte sich die Klägerin also nur dann anstecken können, wenn man von der kürzestmöglichen Inkubationszeit von vier Wochen ausgeht. Eine derart kurze Inkubationszeit ist aber, wie Dr.E. hervorgehoben hat, nur bei Infektionen nach Transfusionen beobachtet worden.

Im Übrigen ist die Argumentation der Klägerin, auf Grund früherer Laboruntersuchungen sei nachgewiesen, dass eine Hepatitis-C-Infektion erst in der Praxis Dr.M./Dr.B. stattgefunden haben könne, nicht zutreffend, wie Dr.E. überzeugend erläutert hat. Die Laborwerte aus dem Jahr 1996 bestätigen keinesfalls, dass zum damaligen Zeitpunkt eine chronische Hepatitis-C-Infektion noch nicht vorlag. Denn auch bei der Untersuchung durch Dr.E. und Dr.S. zeigte sich nur eine gering entzündliche Aktivität, im August 1997 war nur eine geringgradige GPT-Erhöhung und eine normale GOT vorhanden, im Oktober 1996 leicht erhöhte GPT und normale GOT.

Insgesamt ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Berufstätigkeit der Klägerin und der Hepatitis-C-Erkrankung zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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