L 28 AL 57/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
28
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 12 AL 446/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 AL 57/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 24. Februar 2003 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt höheres Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 01. Juli 2002 bis 25. November 2002 sowie 17. bis 29. Dezember 2002.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger für die Zeit ab 01. Juli 2002 Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt von 655 Euro für 280 Kalendertage (Bescheid vom 12. Juli 2002 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 26. Juli 2004), nachdem der Kläger zuvor in der Zeit vom 14. Mai 2001 bis 30. Juni 2002 einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als betriebswirtschaftlicher Berater nachgegangen war. Die Beklagte legte dabei gemäß § 133 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III - ein Bemessungsentgelt von 655 Euro (1.280,00 DM) zugrunde, da das Bemessungsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung niedriger gewesen wäre. Sie stellte dabei auf das dem Kläger ab 14. Januar 1999 gewährte Arbeitslosengeld ab, das ihm zunächst mit Bescheid vom 18. März 1999 nach einem Bemessungsentgelt von 1.260 DM (vgl. auch den vorläufigen Bescheid vom 01. März 1999) bis 14. November 1999 (Aufhebungsbescheid vom 15. November 1999) sowie für die Zeit ab 16. Februar 2000 bis 05. März 2000 nach einem Bemessungsentgelt von 1.280 DM (Zahlungsnachweis vom 21. März 2000) gewährt worden war. Zwischenzeitlich hatte der Kläger noch an einer Weiterbildungsmaßnahme teilgenommen, für die ihm die Beklagte Unterhaltsgeld ab 06. März 2000 zunächst nach einem Bemessungsentgelt von 1.280 DM (Zahlungsnachweis vom 13. Dezember 2000) sowie für die Zeit ab 22. Juni 2000 nach einem Bemessungsentgelt von 1.410 DM (Zahlungsnachweis vom 13. Dezember 2000; Änderungsbescheid vom 08. Januar 2001 zum 01. Januar 2001), aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BverfG) zu Einmalzahlungen gewährt hatte. Der tatsächliche Bezug von Unterhaltsgeld endete am 12. April 2001 (Zahlungsnachweis vom 17. April 2001).

Gegen den Bescheid vom 26. Juli 2002 erhob der Kläger am 07. August 2002 Widerspruch, mit dem er geltend machte, dass ihm zuletzt bis zum 13. Mai 2001 Arbeitslosengeld nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.410 DM (entsprechend 720,92 Euro) gewährt worden sei.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04. September 2002 zurück: Der Kläger habe zuletzt bis einschließlich 05. März 2000 Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines wöchentlich gerundeten Bemessungsentgeltes von 1.280 DM (655,00 Euro) bezogen.

Hiergegen hat der Kläger am 04. Oktober 2002 Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt hat.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 12. Juli 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. September 2002 sowie den Bescheid vom 18. Dezember 2002 dahingehend zu ändern, dass der Berechnung des Arbeitslosengeldes als Bemessungsentgelt das Entgelt zugrunde zu legen ist, das der Arbeitslosengeld-Bewilligung bis zum 05. März 2000 zuletzt zugrunde lag (1.280,00 DM), unter Berücksichtigung der Erhöhung der 10 % nach § 434 c Abs. 1.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Gerichtsbescheid vom 24. Februar 2003 hat das Sozialgericht Frankfurt (Oder) die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Arbeitslosengeld des Klägers ab 01. Juli 2002 ein Bemessungsentgelt von 720 Euro zugrunde zu legen. Dass aus seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung vom 14. Mai 2001 bis 30. Juni 2002 ermittelte Bemessungsentgelt von 485 Euro habe die Beklagte zu Recht gemäß § 133 SGB III der Bewilligung des Arbeitslosengeldes ab 01. Juni 2002 nicht zugrunde gelegt. Sie habe das Arbeitslosengeld zutreffend unter Berücksichtigung des zuletzt bis zum 05. März 2002 nach einem Bemessungsentgelt von 1.280 DM erhaltenden Arbeitslosengeldes berechnet. Die Beklagte habe es bei der Zugrundelegung dieses Bemessungsentgeltes jedoch zu Unrecht unterlassen, eine Erhöhung des Bemessungsentgelts um 10 v. H. vorzunehmen. § 133 SGB III sei mit der Maßgabe anzuwenden, dass sich das Bemessungsentgelt, dass sich vor der Rundung ergebe, ab dem 01. Januar 1997 um 10 Prozent höchstens bis zur jeweiligen Leistungsbemessungsgrenze erhöhe (§ 434 c Abs. 1 Satz 1 SGB III). Anderenfalls würde der vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig festgestellte Zustand über den 22. Juni 2000 hinaus fortgesetzt. Das Sozialgericht hat die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Gegen den der Beklagten am 13. März 2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat diese am 08. April 2003 Berufung bei dem Landessozialgericht für das Land Brandenburg eingelegt. Das der Bemessung des Arbeitslosengeldes bis 05. März 2000 zugrunde gelegte Arbeitsentgelt sei nicht gemäß § 434 c SGB III um 10 Prozent zu erhöhen. Über den bis 05. März 2000 bewilligten Anspruch auf Arbeitslosengeld sei bereits unanfechtbar entschieden.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 24. Februar 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie wegen des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten (Kundennummer ...) verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Sozialgericht zugelassene und von der Beklagten erhobene Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 24. Februar 2003 ist begründet.

Das Sozialgericht hat unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Bescheide die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung eines höheren Bemessungsentgeltes zu gewähren. Der Bescheid vom 26. Juli 2002, der den Bescheid vom 12. Juli 2002 hinsichtlich der Gewährung von Arbeitslosengeld ab 01. Juli 2002 ersetzt hat, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. September 2002 erweist sich als rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung eines höheren Bemessungsentgeltes als 655 Euro wöchentlich.

Die Beklagte hat der Bemessung des Arbeitslosengeldes für den hier streitigen Zeitraum ab 01. Juli 2002 gemäß § 133 SGB III das Bemessungsentgelt des Arbeitslosengeldbezuges seit 01. Juli 1999 zugrunde gelegt. Gemäß § 133 Abs. 1 SGB III ist Bemessungsentgelt, soweit der Arbeitslose innerhalb der letzten drei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezogen hat, mindestens das Entgelt, nach dem das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe zuletzt bemessen worden ist. Da vorliegend ein neuer Arbeitslosengeldanspruch ab 01. Juli 2002 geltend gemacht wird, ist mithin der Arbeitslosengeldbezug ab 01. Juli 1999 zu berücksichtigen. Die Frist ist kalendermäßig vom Tag des Entstehens des neuen Alg-Anspruchs (vgl. Pawlak in Eicher/Schlegel, SGB III § 133 Rz. 32) zu berechnen. Dabei ist grundsätzlich abzustellen auf das Arbeitslosengeld, das bei der Entstehung des früheren Anspruchs ohne Berücksichtigung von Anpassungen zugrunde lag (vgl. Pawlak, a.a.O. Rz. 34 zu § 133). Zum Zeitpunkt des Entstehens des "alten Anspruchs" am 14. Januar 1999 war dem Kläger lediglich Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt von 1.260 DM gewährt worden, erst für den Zeitraum ab 15. Februar 2000 war dem Kläger Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung eines Bemessungsentgeltes von 1.280 DM gewährt worden. Da die Beklagte im Rahmen des § 133 Abs. 1 SGB III auf diesen letzteren höheren Wert abgestellt hat, kann der Kläger dadurch jedenfalls nicht in seinen Rechten verletzt sein und es kann dahinstehen, ob rechtlich die Beklagte von einem Bemessungsentgelt von 1.260 DM hätte ausgehen müssen. Das Bundessozialgericht versteht die Vorschrift dahin, dass, soweit das Arbeitslosengeld nach dem Entgelt zu bemessen ist, nach dem zuletzt das Arbeitslosengeld bemessen worden ist, es auf den tatsächlichen Betrag im letzten bindenden Arbeitslosengeldbescheid ankommt; dessen Rechtmäßigkeit sei nicht zu prüfen (vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1991, 9 b RAr 18/90 - SozR 3-4100 § 44 Nr. 7). Dies gilt nach der vorgenannten Entscheidung des Bundessozialgerichts sowohl in Fällen, in denen das Bemessungsentgelt im bindenden "Alt"-Bescheid zu hoch, aber auch dann, wenn das Bemessungsentgelt dort zu niedrig berechnet worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1991, a.a.O., a. E.). Wenn die Beklagte mithin auf die letzte bindende Bewilligung von Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung eines Bemessungsentgelts von 1.280 DM abgestellt hat und daraus für die Neubewilligung ebenfalls ein Bemessungsentgelt von 1.280 DM entnommen hat, so ist dieses rechtlich nicht zu beanstanden. Auf das der Bewilligung von Unterhaltsgeld zugrunde liegende Bemessungsentgelt kommt es im Rahmen des § 133 SGB III nicht an.

Der Kläger kann eine Änderung der bestandskräftigen Entscheidung auch nicht im Wege einer rückwirkenden Zugunstenentscheidung gemäß § 44 SGB X erreichen, da die Bewilligung zum 15. Februar 2000 am 21. Juni 2000 bereits bestandskräftig war. Eine nachträgliche Pauschalerhöhung des Bemessungsentgeltes wegen Berücksichtigung von Einmalzahlungen für die Zeit vor dem 22. Juni 2000, und nur um solche geht es hier, denn der Arbeitslosengeldbezug endete zum 05. März 2000, aufgrund eines Überprüfungsantrages nach § 44 Abs. 1 SGB X ist nicht vorzunehmen, wenn der Ausgangsbescheid bereits am 21. Juni 2000 bestandskräftig war. Dies folgt aus § 434 c SGB III und auch aus § 330 Abs. 1 SGB III (vgl. BSG, Urteil vom 16. Oktober 2003, Aktenzeichen B 11 AL 19/03 R, SGB 2004, S. 38 f. m.w.N.).

Schließlich kommt auch keine Erhöhung des Bemessungsentgeltes für die Zeit ab 01. Juli 2002 unter Berücksichtigung des § 434 c Abs. 1 Satz 1 SGB III in Betracht. Diese Vorschrift ist im Rahmen des § 133 Abs. 1 SGB III nicht anzuwenden. Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen hat der Senat nicht.

Eine direkte Anwendung kommt nach dem vorgesagten nicht in Betracht, da § 434 c Abs. 1 Satz 2 SGB III lediglich eine Erhöhung des Bemessungsentgeltes für Ansprüche vom 22. Juni 2000 an regelt, über die am 21. Juni 2000 bereits unanfechtbar entschieden war. Der Kläger war ab dem 05. März 2000 jedoch nicht mehr arbeitslos, er befand sich in einer Weiterbildungsmaßnahme.

Anders als das Sozialgericht annimmt, ist aber § 434 c Abs. 1 Satz 1 SGB III auch nicht entsprechend im Rahmen des § 133 Abs. 1 SGB III anwendbar. § 133 Abs. 1 SGB III stellt seinem Wortlaut nach auf das Bemessungsentgelt ab, nach dem das Arbeitslosengeld zuletzt bemessen worden ist und nicht etwa auf ein Arbeitslosengeld, wie es ggf. hätte bemessen werden müssen. Hier fehlt es schon an einem Ansatz im Wortlaut der Vorschrift. Zutreffend weist das Sächsische Landessozialgericht (Urteil vom 25. März 2004, Aktenzeichen L 3 AL 218/02) auch darauf hin, dass insoweit eine planwidrige Regelungslücke, die durch analoge Anwendung des § 434 c Abs. 1 SGB III auszufüllen wäre, nicht erkennbar ist. Vielmehr trifft § 133 Abs. 1 SGB III gerade für solche Fälle eine ausdrückliche Regelung, die auf das Bemessungsentgelt abstellt, nach dem zuletzt das Arbeitslosengeld tatsächlich berechnet worden ist. Es gibt auch keinen Hinweis dafür, dass der Gesetzgeber "planwidrig" eine Bezugnahme in § 434 c Abs. 1 SGB III auf die Regelung des § 133 Abs. 1 SGB III unterlassen hat. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die spezielle Regelung von § 133 Abs. 1 SGB III, die auf den objektiven Bezug von Arbeitslosengeld im Vorzeitraum abstellt, ausnahmsweise erweitern wollte. Damit fehlt es schon an einer Regelungslücke.

Auch ist es nach Auffassung des Senats verfassungsrechtlich nicht geboten, § 434 c SGB III entsprechend anzuwenden. Insbesondere wird dadurch ein verfassungswidriger Zustand nicht fortgeschrieben. Denn zum verfassungsgemäßen Zustand gehört es auch, dass bestandskräftige Bescheide, selbst wenn sie auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärten Rechtsnorm beruht haben, bis zum Wirksamwerden der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unanfechtbar sind (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 25. März 2004, a.a.O.). Der Bescheid vom 08. März 2000 war jedoch bereits vor diesem Stichtag unanfechtbar geworden.

Ein Verstoß dieses Rechtszustandes gegen Art. 14 des Grundgesetzes ist schon deshalb nicht zu erkennen, als dem Kläger aufgrund seiner letzten versicherungspflichtigen Tätigkeit grundsätzlich nur ein Arbeitslosengeld nach einem noch niedrigeren Bemessungsentgelt zusteht und § 133 Abs. 1 SGB III erst die Möglichkeit schafft, auf das höhere Bemessungsentgelt des Arbeitslosengeldvorbezuges abzustellen. In diesem Rahmen liegt es auf der Hand, dass auch Art. 3 des Grundgesetzes nicht verletzt ist, denn wenn der Gesetzgeber im Rahmen eines Sonderfalls der Berechnung von Arbeitslosengeld, wie ihn die Regelung von § 133 Abs. 1 SGB III darstellt, eine andere Rechtsfolge regelt, als dies bei einem "höheren" Neu-Anspruch auf Arbeitslosengeld der Fall ist, so regelt er nicht etwa Gleiches ungleich. Verfassungsrechtlich wäre es nur bedenklich, wenn der Gesetzgeber unter Aufhebung des § 133 Abs. 1 SGB III bei der Neubegründung des Arbeitslosengeldanspruches die 10prozentige Erhöhung des Arbeitslosengeldes nicht berücksichtigen würde. Stellt man auf den Neuanspruch des Klägers ab 01. Juli 2002 ab, der sich nach einem Bemessungsentgelt von 485 Euro richten würde, würde die 10prozentige Erhöhung des Arbeitslosengeldes unterhalb des von der Beklagten berücksichtigten Bemessungsentgeltes von 655 Euro liegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, da zur erweiternden Auslegung des § 434 c Abs. 1 SGB III auf Fälle, in denen sich das Bemessungsentgelt nach § 133 SGB III richtet, noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung ergangen ist und bei dem Bundessozialgericht ein entsprechendes Verfahren bereits anhängig ist (BSG, B 11 AL 37/04 R).
Rechtskraft
Aus
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