S 22 RA 955/04

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 22 RA 955/04
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 84a Bundesversorgungsgesetz in der Fassung des Gesetzes vom 6. Dezember 2000 (BGBl. 1676) verbietet bis zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet die Gewährung einer ungekürzten Beschädigtengrundrente an Berechtigte nach § 1 des Gesetzes über einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet.
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe des dem Kläger bewilligten Dienstbeschädigtenausgleichs. Der 1932 geborene Kläger, der Angehöriger der Nationalen Volksarmee war, erlitt im Dezember 1963 einen Dienstunfall, in dessen Folge er sich ein Schädel-Hirn-Trauma zuzog und das rechte Auge verlor. In der Folge entwickelte sich eine posttraumatische Epilepsie. Mit Bescheid vom 15. November 1968 bewilligte das Wehrbezirkskommando F. dem Kläger eine Dienstbeschädigungsteilrente nach einem Körperschaden von 35 von Hundert, die mit Bescheid vom 14. Juli 1969 auf eine Bemessungsgrundlage nach einem Körperschaden von 50 von Hundert umgestellt wurde. Mit Bescheid vom 14. März 1973 stellte das Wehrbezirkskommando D. den Wert im Hinblick auf das mit Ablauf des 30. April 1973 eintretende Ausscheiden des Klägers aus der Nationalen Volksarmee ab 1. Mai 1973 auf monatlich 625,40 Mark fest. Diesen Bescheid hob die Beklagte durch ersetzenden Bescheid vom 1. Februar 1993 auf und setzte den monatlichen Wert der Dienstbeschädigungsteilrente ab 1. Januar 1992 auf 662,46 DM fest, indem sie dem auf 626,00 DM gerundeten Ausgangswert der Dienstbeschädigungsteilrente unter Anwendung von § 11 Abs. 6 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) 5,825% hinzusetzte. Diese Leistung wurde mit Bescheid vom 2. Dezember 1994 wegen des Bezuges von Altersrente zum Ablauf des 31. Dezember 1994 eingestellt. Nach Erlaß des 1. AAÜG-Änderungsgesetzes bewilligte die Beklagte dem Kläger auf dessen Antrag vom 25. November 1996 mit Bescheid vom 7. Oktober 1997 ab 1. Januar 1997 einen monatlichen Dienstbeschädigungsausgleich (DBA) nach einem Körper- oder Gesundheitsschaden von 50 von Hundert in Höhe von 321,00 DM aufgrund des als Artikel 3 des 1. AAÜG-Änderungsgesetzes verkündeten Gesetzes über einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet (DBAG). Diesen Betrag ermittelte die Beklagte durch Multiplikation der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 vom Hundert entsprechenden Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit einem Umrechnungsfaktor für das Beitrittsgebiet. Die ursprünglich maßgebliche Grundrente betrug bei einem Körper- oder Gesundheitsschaden von 50 von Hundert 390,00 DM. Multipliziert mit dem Faktor 0,8228 ergab sich der auf volle Deutsche Mark gerundete Betrag von 321,00 DM. In der Folge wurde der DBA regelmäßig zum 1. Juli eines jeden Jahres angepaßt.

Seit dem 1. Januar 2000 gewährte die Beklagte monatlich den DBA wie folgt:

Bescheid vom gültig ab Grundrente BVGMdE von 50 v. H. einschließlich Erhöhungsbetrag für Schwerbeschädigte, die das 65. Lebensjahr vollendet haben. Umrechnungsfaktor DBA/Monat

28. Dezember 1999 01. Juli 1999 446,00 DM 0,8671 387,00 DM
31. Juli 2000 01. Juli 2000 448,00 DM 0,8676 389,00 DM
23. Juli 2001 01. Juli 2001 457,00 DM 0,8706 398,00 DM
31. Juli 2002 01. Juli 2002 240,00 Euro 0,8778 211,00 Euro
24. September 2003 01. Juli 2003 242,00 Euro 0,8791 213,00 Euro

Mit Schreiben vom 18. Februar 2004, bei der Beklagten eingegangen am 20. Februar 2004, beantragte der Kläger die Neufestsetzung des DBA und bezog sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. September 2003, B 4 RA 54/02 R. Dies wies die Beklagte mit Bescheid vom 26. Februar 2004 zurück. Eine Rücknahme des Bescheides vom 7. Oktober 1997 in der Fassung der Folgebescheide gemäß §§ 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) komme nicht in Betracht, da die Entscheidung des BSG vom 23. September 2003 einen Einzelfall darstelle, aus dem keine allgemeinen Schlußfolgerungen gezogen werden könnten. Die bisherige Rechtsanwendung sei richtig. Den dagegen eingelegten und nicht näher begründeten Widerspruch vom 3. März 2004 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 2004 unter Wiederholung und Präzisierung der Begründung zurück. Mit der am 1. Juli 2004 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren unter Berufung auf die Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 23. September 2003 weiter. Er beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 26. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2004 zu verurteilen, dem Kläger den Dienstbeschädigtenausgleich unter Anwendung der ungekürzten Beträge gemäß § 31 Bundesversorgungsgesetz ab 1. Januar 2000, in der jeweils gültigen Fassung zu zahlen. Hilfsweise stellt er den Antrag, die Sprungrevision zuzulassen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie verweist auf ihre Äußerungen im Verwaltungsverfahren. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Sitzungsniederschrift und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 26. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2004 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Absatz 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Der Kläger hat keinen Anspruch aus § 44 SGB X auf Rücknahme des Bescheides vom 7. Oktober 1997 in der Fassung der in der Folge ergangenen Änderungsbescheide und Neuberechnung seines DBA ab 1. Januar 2000 unter Berücksichtigung der Grundrentenbeträge-West nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Nach § 44 Abs. 1 SGB X kann auch ein unanfechtbarer Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn festzustellen ist, daß bei seinem Erlaß das Recht unrichtig angewandt wurde und infolgedessen Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht wurden. Dies setzt voraus, daß der Bescheid bereits bei seinem Erlaß rechtwidrig war. Eine Rücknahme der bewilligenden Bescheide ab 1. Januar 2000 ist nicht möglich. Der Bescheid vom 7. Oktober 1997 war bei seinem Erlaß rechtmäßig. Er entsprach der Anspruchsgrundlage des § 1 DBAG. Danach hat dem Grunde nach Anspruch auf DBA, wer am 31. Dezember 1996 Anspruch auf eine Dienstbeschädigungsrente aus einem der Sonderversorgungssysteme nach Anlage 2 Nr. 1 bis 3 AAÜG hatte oder in Folge der Überführung in die gesetzliche Rentenversicherung oder infolge vor dem 19. Mai 1990 erfolgten Verzugs in das Altbundesgebiet nicht mehr hatte. Diese Voraussetzungen hat der Kläger erfüllt. Ihm war Dienstbeschädigtenteilrente bewilligt gewesen, die in Folge der Überführung in die gesetzliche Rentenversicherung weggefallen war. Hinsichtlich der Höhe des zu leistenden Dienstbeschädigungsausgleichs enthält das DBAG keine eigenständige Regelung, sondern verweist dynamisch in seinem § 2 Abs. 1 Satz 1 auf die Höhe der im Beitrittsgebiet geltenden Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) (BSG, Urteil vom 23. September 2003, B 4 RA 54/02 R). § 2 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz DBAG legt dabei fest, daß der Grad des Körper- oder Gesundheitsschadens mit der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) im Sinne des BVG gleichzusetzen ist. Im Zusammenwirken mit der Vorschrift des § 31 BVG hat dies zunächst zur Folge, daß die Höhe der Grundrente abhängig ist vom Hundertsatz der MdE. Die so berechnete Grundrente war jedoch zunächst für alle Personen, denen Leistungen unter Anwendung des BVG zustanden und die am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz im Beitrittsgebiet hatten, in Folge der durch den Einigungsvertrag in das BVG aufgenommenen Vorschrift des § 84a BVG entsprechend den Maßgaben des Einigungsvertrages anzupassen. Konkret bedeutete dies, daß sämtliche nach dem BVG zu berechnende Leistungen, soweit sie an Berechtigte mit Wohnsitz am 18. Mai 1990 im Beitrittsgebiet zu zahlen waren, in dem Verhältnis zu vermindern waren, in dem die Standardrente im Beitrittsgebiet hinter der Standardrente im alten Bundesgebiet bei sonst gleichen Bedingungen der Höhe nach zurückblieb. Im Hinblick auf die Tatsache, daß diese Vorschrift für die Kriegsopfer, die sich für den selben Staat im selben Krieg aufgeopfert haben, zur Folge hatte, daß sie abhängig vom Wohnsitz am 18. Mai 1990 eine ungleiche Versorgung erhielten, und im Hinblick auf die Tatsache, daß die Versorgung der Kriegsopfer auch eine immaterielle Genugtuungsfunktion hat, hat das Bundesverfassungsgericht die Vorschrift des § 84a BVG mit Urteil vom 14. März 2000 mit Wirkung vom 1. Januar 1999 an verworfen. Mit Gesetz vom 6. Dezember 2000 wurde § 84a BVG daraufhin um Satz 3 ergänzt, der am 1. Januar 1999 in Kraft trat. Die Vorschrift beschränkt den Anwendungsbereich der Sätze 1 und 2 auf die Beschädigtengrundrenten von Personen, die nicht Berechtigte nach § 1 BVG, dem Häftlingshilfegesetz, dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz und dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz sind. Anders ausgedrückt bedeutet dies, daß die Grundrenten der genannten Personenkreise entsprechend der jeweiligen Anspruchsgrundlage unmittelbar im Zusammenwirken mit § 31 BVG zu berechnen sind. Der Kläger ist aber weder Berechtigter nach § 1 BVG, noch nach dem Häftlingshilfegesetz, noch nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz noch nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz. Er ist vielmehr Berechtigter nach dem DBAG. Im Gegenschluß ergibt sich daraus, daß auf den Anspruch des Klägers auf DBA § 84a Sätze 1 und 2 BVG anzuwenden ist. Dieses Ergebnis korreliert zwanglos damit, daß das DBAG in § 2 auf die Höhe der im Beitrittsgebiet geltenden Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz verweist. Damit kann nur § 84a in Verbindung mit § 31 BVG gemeint sein. Würde das Gesetz schon vor der Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse die Zahlung einer einheitlichen Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz für alle Gruppen von Berechtigten anordnen wollen, so enthielte § 2 Abs. 1 Satz 1 DBAG die Worte "für das Beitrittsgebiet" nicht, sondern würde unmittelbar auf § 31 BVG verweisen. In diesem Fall enthielte § 84a BVG keinen Sinngehalt. Dieser verobjektivierte Wille des Gesetzes entspricht auch der Entstehungsgeschichte. Hätte der Gesetzgeber nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes die Verfassungswidrigkeit der bisherigen Regelung durch Schaffung einer einheitlichen Grundrente auch für die Gruppe der Berechtigten nach dem DBAG beseitigen wollen, hätte er nach der ab 1. Januar 1999 eingetretenen Nichtigkeit des § 84a BVG lediglich in § 2 Abs. 1 Satz 1 DBAG die Worte "für das Beitrittsgebiet" streichen müssen (ähnlich SG Berlin, Urteil vom 19. Oktober 2004, S 7 RA 4235/04). Stattdessen hat er aber die Verfassungswidrigkeit der bisherigen Regelung dadurch beseitigt, daß er die nichtige Vorschrift des § 84a Satz 1 und 2 BVG neu erlassen hat und mit Satz 3 zusätzliche, differenzierende Kriterien eingeführt hat. Bei dieser Sachlage sieht sich die Kammer außerstande, den aus dem DBAG berechtigten Kläger, der seinen Wohnsitz stets im Beitrittsgebiet hatte, einem Kriegsopfer im Sinne von § 1 BVG gleichzustellen. Dies wäre nur dann möglich, wenn in § 2 Abs. 1 Satz 1 DBAG die Worte "für das Beitrittsgebiet" gestrichen würden. Diese Entscheidung ist den gesetzgebenden Körperschaften vorbehalten. Auch sieht die Kammer in der unterschiedlichen Behandlung von Wehrdienstbeschädigten aus den alten Bundesländern und Berechtigten nach dem DBAG keinen Verstoß gegen Art. 3 Absatz 1 Grundgesetz. Der Gleichheitsgrundsatz verbietet, daß eine Gruppe von Normadressaten anders als andere Normadressaten behandelt wird, ohne daß zwischen beiden Gruppen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. Die nach wie vor noch nicht erreichte Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse ist nach Auffassung der Kammer ein Merkmal, das die unterschiedliche Behandlung beider Gruppen noch erlaubt. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Revision war aufgrund der Divergenz zum Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. September 2003, B 4 RA 54/02 R, gemäß §§ 161 Abs. 1 und 2, 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG zuzulassen. -
Rechtskraft
Aus
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