L 1 KR 712/99

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 12 KR 1343/96
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 712/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage der Kostenerstattung für diagnostische und therapeutische Maßnahmen bei einer neuartigen Krankheit (hier: Chronic fatigue Syndrome).
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 28. April 1999 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung der Kosten für eine privatärztliche Behandlung durch die Ärzte Dr. H. und Prof. Dr. I. in dem Zeitraum vom 28. Juli 1994 bis zum 3. November 1996.

Der Kläger war nach seinen Angaben in den Jahren von 1978 bis 1990 im Rahmen seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit toxisch wirksamen Holzschutzmitteln, Pflanzenschutzmitteln sowie Insektiziden ausgesetzt. Seit Oktober 1984 werden von ihm die Symptome Unruhezustände, Nervosität, häufige Erkältungskrankheiten, Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie Infektanfälligkeiten beschrieben. Der Kläger war wegen dieser Symptome bei verschiedenen Ärzten in Behandlung, wobei unterschiedliche Diagnosen gestellt und unterschiedliche vertragliche und außervertragliche Behandlungsmaßnahmen durchgeführt wurden (u.a. psychotherapeutische Maßnahmen, eine Amalgamsanierung, Akupunktur, Elektroakupunktur, Immuntherapie, Vitamin- und Mineralstoffsublementierung). Die Kosten für die Behandlungen waren dem Kläger von der Beklagten teilweise erstattet worden. Im Juni 1994 begab sich der Kläger zur Behandlung in die Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. I./Dr. H., wobei der Arzt für Innere Medizin Prof. Dr. I. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist und der praktische Arzt Dr. H ... in dem hier maßgeblichen Zeitraum von 1994 bis 1996 ebenfalls zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen war.

Mit einem am 10. November 1994 bei der Beklagten eingegangenen Antrag bat der Kläger um Kostenübernahme für Purimmun-Infusionen, die ihm von den Ärzten Prof. Dr. I./Dr. H ... auf privatärztlicher Basis verabreicht worden seien, und legte dazu ein Attest der betreffenden Ärzte vom 16. Oktober 1994 vor, in dem die Diagnosen "zellulärer Immundefekt, toxische Polyneuropathie und Holzschutzmittel-Intoxikation" bescheinigt wurden.

Nach Einholung eines Gutachtens des Internisten und Rheumatologen Dr. K., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung in Hessen (MdK) vom 2. Februar 1995 teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 10. März 1995 mit, dieser habe als versicherungspflichtiges Mitglied gegenüber seiner Krankenkasse grundsätzlich nur einen Anspruch auf Sachleistung; der Gesetzgeber habe die Möglichkeit, den Weg der Kostenerstattung zu wählen, den freiwillig Versicherten vorbehalten. Die von ihm in Anspruch genommenen Ärzte Prof. Dr. I./ Dr. H ... könnten als Vertragsärzte den Kläger auch im Rahmen des Sachleistungsprinzips über die Krankenversicherungskarte behandeln; auch die Verordnung des begehrten Medikaments Purimmun sei grundsätzlich möglich. Nach dem Gutachten des MdK vom 2. Februar 1994 sei indes nicht ersichtlich, dass eine medizinische Indikation für die durchgeführte Behandlung bestanden habe oder bestehe, zudem seien Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit des Vorgehens der Ärzte nicht nachvollziehbar dokumentiert. Nach Auffassung des MdK sei vielmehr unverändert an ein Krankheitsbild aus dem psychosomatischen-psychiatrischen Formenkreis zu denken. Eine interdisziplinäre Klärung der Beschwerden des Klägers im vertraglichen Rahmen, möglicherweise im Rahmen eines stationären Aufenthaltes, erscheine zweckmäßig. Gegebenenfalls könnte auch ein Beratungsgespräch mit einem psychotherapeutisch qualifizierten und mit umweltmedizinischen Fragestellungen bereits häufig befassten Arzt der MdK-Hauptverwaltung erwogen werden.

Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, im Vordergrund stehe seine Erkrankung an einem chronischen Müdigkeitssyndrom (Chronic Fatigue Syndrom – CFS). Er habe Dr. H ... aufgesucht, weil es sich bei diesem Arzt (ebenso wie bei Prof. Dr. I.) um einen der wenigen Spezialisten auf diesem Gebiet in Deutschland handeln würde. Die Sinnhaftigkeit eines Beratungsgespräches durch den MDK sowie einer interdisziplinären Abklärung im Rahmen eines stationären Aufenthaltes vermöge er nicht erkennen, da er schon bei einem Spezialisten für dieses seltene Krankheitsbild in Behandlung sei. Der Kläger legte eine ärztliche Bescheinigung seines behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. vom 29. Juni 1995 vor, in der neben einer Polyneuropathie das Krankheitsbild CFS diagnostisch festgestellt wird.

In weiteren Schreiben vom 13. April 1995, vom 19. September 1995 und vom 4. Oktober 1995 lehnte die Beklagte weiterhin eine Kostenübernahme der privatärztlichen Behandlungen ab und bot ein Beratungsgespräch beim MDK an.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 1995 mit der Begründung zurück, eine Kostenerstattung der bereits durchgeführten Behandlungen sowie eine Kostenübernahme künftiger Behandlungen bei den Ärzten Prof. Dr. I./Dr. H ... scheide bereits deshalb aus, weil das System der sozialen Krankenversicherung für den Kreis der versicherungspflichtigen Mitglieder nicht vom Kostenerstattungs-, sondern vom Sachleistungsprinzip geprägt sei. Dieses Verfahren schließe die Möglichkeit einer Privat-Versorgung mit nachfolgender Kostenerstattung aus.

Der Kläger hat am 26. Januar 1996 Klage erhoben und geltend gemacht, der Anspruch auf Kostenerstattung für die Behandlung mit Immunglobin ergebe sich unter dem Gesichtspunkt der Systemstörung. Er sei auf Grund seiner Erkrankung an CFS inzwischen als Schwerbehinderter anerkannt und erhalte seit dem 1. Mai 1994 eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Dr. H. als einer der wenigen Spezialisten auf dem Gebiet des CFS sei bis zur höchstrichterlichen Klärung "des Meinungsbildes" des Medizinischen Dienstes und der Krankenkassen über diese Erkrankung und die Wirtschaftlichkeit seiner Therapien nicht mehr bereit, diese "auf Krankenschein" durchzuführen. Aufgrund ihres widersprüchlichen Verhaltens haben die Kassenärztliche Vereinigung, der MdK und fast alle Krankenkassen somit eine Systemstörung in der gesetzlichen Krankenversicherung hervorgerufen. Der Kläger hat hinsichtlich seines Gesundheitszustandes Berichte seines behandelnden Nervenarztes Dr. R. vom 14. November 1995, seines behandelnden Nervenarztes Dr. B. vom 13. November 1995 und vom 9. April 1996 sowie von Prof. Dr. D., Zentrum U. und A. in G., vom 10. April 1996 und von Prof. Dr. M. vom 28. Oktober 1994 vorgelegt. Weiterhin hat der Kläger zur Begründung seines Begehrens ein Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24. November 1997 (S 4 Kr 107/94) sowie medizinische Stellungnahmen und Sachverständigengutachten aus verschiedenen zivilrechtlichen und sozialrechtlichen Verfahren eingereicht, in denen Gegenstand jeweils die Bewertung der Untersuchungen und Behandlungen durch Dr. H. gewesen ist, und zwar ein Gutachten von Prof. Dr. O., R. Universitäts-Klinik H., Institut für I., vom 18. Mai 1995 für den Vorstand der M. V.-AG, eine Stellungnahme von Prof. Dr. B. vom 18. Mai 1995 für den Vorstand der M. K.-AG, ein Gutachten von Prof. Dr. K., P. Institut, Universität zu K., vom 29. August 1996 in einem Parallelverfahren vor dem Sozialgericht Düsseldorf, ein Gutachten des Arztes für Innere Medizin Prof. Dr. M. vom 7. August 1996 für das Landgericht Essen, ein Gutachten von Prof. Dr. Mx., Ärztlicher Direktor des Akademischen Krankenhauses der Universität U., vom 28. Februar 1997 in einem Parallelverfahren vor dem Sozialgericht Trier, ein Gutachten des Internisten Dr. H. vom 25. Februar 1997 in einem Parallelverfahren vor dem Sozialgericht Ulm, ein Gutachten des Arztes Dr. Sch. für die H. Krankenversicherung S. und ein Gutachten von Prof. Dr. E., Arzt für Innere Medizin, V.-K. der H-Universität B., für das Amtsgericht Düsseldorf vom 28. Oktober 1997.

Das Sozialgericht hat Befundberichte von dem behandelnden Arzt für Allgemeinmedizin Dr. O. vom 18. März 1997 eingeholt und die medizinischen Unterlagen aus der Schwerbehindertenakte des Klägers beim Hessischen Amt für Versorgung und Soziales Kassel zum Verfahren beigezogen. Mit Urteil vom 28. April 1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt, es könne dahinstehen, ob der Anspruch des Klägers bereits an der fehlenden Antragstellung vor Inanspruchnahme der konkreten Behandlung bei Dr. H. scheitere. Der Kläger könne Kostenerstattung bzw. Kostenübernahme jedenfalls deshalb nicht geltend machen, da das Behandlungskonzept der Ärzte Prof. Dr. I. und Dr. H. nach den insoweit einschlägigen Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden noch nicht anerkannt sei im Sinne von § 135 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – SGB V. Die fehlende Anerkennung der neuen Methode beruhe auch nicht auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystems, denn gerade die von den Beteiligten wechselseitig im Verfahren vorgelegten vielfältigen Unterlagen zeigten, wie umstritten das geltend gemachte Behandlungskonzept noch sei. Es lägen somit sachliche Gründe dafür vor, dass der Ausschuss bisher über die Anerkennung der Methode noch nicht entschieden habe. Auch ein Teilkostenerstattungsanspruch komme nicht in Betracht, obgleich ein Teil der streitigen Leistungen als Vertragsleistungen hätten erbracht werden können. Abzustellen sei insoweit auf das Behandlungskonzept beim Krankheitsbild des Klägers als Ganzes. Soweit der Kläger als Teilleistung auch die Kosten für eine am 2. September 1994 durchgeführte Hypervaro-ozontherapie geltend gemacht habe, scheitere der Anspruch daran, dass diese Therapie nach Anlage 2 Nr. 16 der Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden ausdrücklich von der Leistungserbringung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sei.

Gegen das ihm am 25. Mai 1999 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14. Juni 1999 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt. Er trägt vor, er habe darauf vertrauen dürfen, dass ihm die fehlende Antragstellung nicht vorgehalten werde, da ihm in der Vergangenheit von der Beklagten auf Vorlage von Arztrechnungen und Rezepten immer wieder Kosten erstattet worden seien. Im Übrigen habe das Sozialgericht fehlerhaft den Anspruch abgelehnt mit der Begründung, es handele sich um eine neue Behandlungsmethode, die in den betreffenden Richtlinien noch nicht anerkannt worden sei. Der Bundesausschuss habe vielmehr mehrfach bestätigt, dass die Diagnostik und Therapie immunologischer Störungen bzw. Erkrankungen Bestandteil der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung seien. Die Leistungen unterlägen damit auch den für alle vertragsärztlichen Leistungen vorgeschriebenen Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Richtigerweise hätte das Sozialgericht untersuchen müssen, ob eine Systemstörung sich ggf. daraus ergebe, dass einzelne Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nicht zur vertragsärztlichen Versorgung gehörten. Für seine schwere Erkrankung gebe es nach wie vor keine Untersuchungs- und Behandlungsmethode, für die ein durch wissenschaftliche Studien hinreichend untermauerter Konsens über die Qualität und Wirksamkeit bestehe. Der Kläger hat dazu einen Bericht der unabhängigen Arbeitsgruppe des britischen Gesundheitsministeriums vorgelegt, der sich mit der Erkrankung CFS befasst.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 28. April 1999 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 10. März und 13. April 1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Dezember 1995 zu verurteilen, ihm die Kosten für in dem Zeitraum vom 24. August 1994 bis 3. November 1996 durchgeführte Behandlungen durch die Ärzte Prof. Dr. I. und Dr. H. einschließlich der von diesen veranlassten Laboruntersuchungen und verordneten Arzneimitteln in Höhe von insgesamt 10.584,03 DM (5.411,50 EUR) zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, für den Zeitpunkt des Beginns der Therapie durch die Ärzte Dr. H./Prof. Dr. I. sei eine sichere Ableitung der Diagnose CFS nicht möglich. Die für diese Erkrankung im maßgeblichen Zeitraum anzunehmenden Haupt- und Nebenkriterien seien von den behandelnden Ärzten nicht dokumentiert und mit einer Ausschlussdiagnostik belegt worden. Die Beklagte beruft sich dafür u. a. auf ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung N. vom 5. Januar 1995, die sie im Klageverfahren zu den Akten eingereicht hat, sowie auf ein Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 28. September 1999 ( - S 7 (11, 2) KR 9/95 - ).

Der Senat hat die Beteiligten in einem Erörterungstermin am 27. November 2003 angehört und zur Ermittlung des medizinischen Sachverhaltes Befundberichte von dem behandelnden Arzt Dr. H. vom 3. September 2004 sowie vom 14. Oktober 2004 eingeholt sowie Behandlungsunterlagen dieses Arztes zum Verfahren beigezogen. Weiterhin hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlich-psychosomatischen Gutachtens nach Aktenlage von dem Leitenden Oberarzt der P. Klinik des U. H., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Facharzt für psychotherapeutische Medizin, Privatdozent Dr. H. vom 25. Oktober 2004 zu der Frage, ob zum Zeitpunkt der Diagnoseerstellung durch Dr. H. und Einleitung einer immun-modulatorischen Behandlung die zum damaligen Zeitpunkt gängigen, durch wissenschaftliche Untersuchungen gesicherten Standards der Diagnostik und Behandlung eingehalten wurden und ob damit das therapeutische Vorgehen der behandelnden Ärzte wissenschaftlich und ökonomisch gerechtfertigt werden kann. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Gutachtens in der Gerichtsakte (Band III, Bl. 588 ff.) Bezug genommen. Zur Erläuterung dieses Gutachtens hat der Senat den Sachverständigen auf Antrag des Klägers im Termin am 3. März 2005 persönlich angehört; insoweit wird auf die Niederschrift zum Termin am 3. März 2005 verwiesen. Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakten (Band I – Band III) sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die zum Verfahren beigezogen worden ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist erfolglos. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Kassel ist im Ergebnis zu Recht ergangen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die in der Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. I./Dr. H ... insbesondere von Dr. H. in dem Zeitraum von Juli 1994 bis November 1996 durchgeführten diagnostischen und therapeutischen Behandlungsmaßnahmen.

Als Rechtsgrundlage für die geltend gemachte Erstattung von Kosten für selbst beschaffte Behandlungen kommt allein § 13 SGB V in Betracht. Da sich der behauptete Kostenerstattungsanspruch spätestens mit dem Abschluss der Behandlung im November 1996 realisiert hat, ist die Sach- und Rechtslage zu diesem Zeitpunkt maßgeblich und § 13 SGB V in der vom 1. Januar 1993 bis zum 30. Juli 1997 geltenden Fassung durch Art. 1 des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) anzuwenden.

Pflichtversicherte Mitglieder wie der Kläger können Kostenerstattung nach der hier maßgeblichen Fassung des § 13 SGB V nur dann geltend machen, wenn die Krankenkasse eine notwendige und unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (§ 13 Abs. 3 1 Alt. SGB V) oder eine notwendige Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind (§ 13 Abs. 3 2. Alt. SGB V ).

Die Beklagte hat die Behandlung nicht zu Unrecht verweigert und den Kläger dadurch gezwungen, sich die notwendige Leistung selbst zu beschaffen (§ 13 Abs. 3 2. Alternative SGB V). Soweit der Kläger die Erstattung von Kosten für Leistungen geltend gemacht hat, die er vor dem ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 10. März 1995 in Anspruch genommen hat, kommt eine Erstattung schon deshalb nicht in Betracht, weil es an der nach § 13 Abs. 3 2. Alternative SGB V erforderlichen Kausalität zwischen Ablehnung und Kostenentstehung fehlt. Aus dem Wortlaut der Vorschrift in der hier anzuwendenden Fassung geht hervor, dass ein Kausalzusammenhang zwischen den Kosten für die selbst - d. h. außerhalb des für Sachleistungen gesetzlich vorgesehenen Weges und/oder eines nicht zugelassenen Leistungserbringers - beschaffte Leistung und der Nichtleistung und der Leistungsablehnung durch die Krankenkasse erforderlich ist (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes, vgl. u.a. BSG, Beschluss vom 15. April 1997 – 1 BK 31/96 –, NZS 1997, 569-570; Urteil vom 20. Mai 2003 – B 1 KR 9/03 R - , Breithaupt 2004, 182). Wegen des Ausnahmecharakters der Kostenerstattung und zur Vermeidung von Missbräuchen muss der Krankenkasse vorab die Prüfung ermöglicht werden, ob die beanspruchte Behandlung im Rahmen des vertragsärztlichen Versorgungssystems bereitgestellt werden kann und, falls dies nicht möglich ist, ob sie zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Der Versicherte muss sich deshalb vor jeder Behandlung in zumutbarem Umfang um die Gewährung der Behandlung als Sachleistung bemühen, d. h. er muss vor Behandlungsbeginn mit der Krankenkasse Kontakt aufgenommen und deren Entscheidung abgewartet haben. Erst die Weigerung (Leistungsablehnung) der Kasse gibt dem Versicherten das Recht, sich die benötigte Behandlung selbst zu beschaffen und die Erstattung der dafür aufgewendeten Kosten zu verlangen (vgl. BSG, Urteile vom 15. April 1997 und vom 20. Mai 2003, jeweils a.a.O.).

Soweit der Kläger Erstattung von Kosten für Leistungen geltend macht, die er sich nach dem ablehnenden Bescheid durch die Beklagte bei Dr. H. beschafft hat, scheitert eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 2. Alt. SGB V daran, dass ein Anspruch auf die Sachleistung nicht bestanden hätte und damit auch nicht im Wege der Kostenerstattung geltend gemacht werden kann. Der Sachleistungsanspruch des Versicherten ist gemäß §§ 2 Abs. 1, 12, Abs. 1 und 27 Abs. 1 SGB V auf Leistungen beschränkt, deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen medizinischen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und zweckmäßig und wirtschaftlich sind; das Maß des Notwendigen darf nicht überschritten werden. Therapiefreiheit des Arztes in dem Sinne, dass Untersuchungs- oder Behandlungsmaßnahmen beliebig eingesetzt werden können, kennt weder das einfache Recht noch das Verfassungsrecht. Eine bloß auf allgemeine Erwägungen gestützte hypothetische Möglichkeit eines Heilerfolges kann die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung auch nicht begründen, denn in einem solchen Fall ist der therapeutische Nutzen der Behandlung gerade nicht ausreichend gesichert (BSG, Urteil vom 6. Oktober 1999 – B 1 KR 13/97 R -, BSGE 85, 56). Hinsichtlich der Feststellung der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit bei Maßnahmen, die zur Bekämpfung einer neuartigen Krankheit wie der Erkrankung CFS eingesetzt werden, hat das Bundessozialgericht ausgeführt, für diese gelte zwar nicht ohne weiteres der Erlaubnisvorbehalt in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V, denn dieser beziehe sich auf neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, nicht dagegen auf umstrittene Krankheitsbilder; die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit von Leistungen lasse sich bei neuartigen Krankheiten aber nur dann beurteilen, wenn eine zuverlässige Diagnoseentscheidung möglich sei (vgl. BSG, Urteile vom 25. September 2000 – B 1 KR 24/99 R – , SGb 2001, 639, und B 1 KR 5/99 R - , NZS 2001, 319). Zu untersuchen sei daher, ob zumindest die von den Befürwortern der betreffenden medizinischen Auffassung selbst aufgestellten Diagnosestandards eingehalten seien, ferner, ob allgemein anerkannte Grundsätze einer sinnvollen Stufendiagnostik zum Ausschluss anderer Erkrankungen befolgt wurden und ob die angewandte Therapie in Ansehung der festgestellten Regelwidrigkeiten medizinisch vertretbar gewesen sei (BSG, Urteile vom 25. September 2000, a.a.O.).

Im vorliegenden Fall lässt sich bei Zugrundelegung der allgemein anerkannten Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft im Zeitpunkt der Behandlung nicht zuverlässig feststellen, dass die von Dr. H. diagnostizierte Erkrankung CFS bei dem Kläger vorgelegen hat, so dass schon aus diesem Grund nicht beurteilt werden kann, ob die angewandte Therapie zweckmäßig und wirtschaftlich gewesen ist. Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass das Beschwerdebild des Klägers dem Krankheitsbild CFS entspricht, so lässt sich hinsichtlich der im streitigen Zeitraum erfolgten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, bei denen es sich um vertragliche Leistungen gehandelt hat, nicht zuverlässig feststellen, dass es sich um zweckmäßige Behandlungsstrategien gehandelt hat.

Für diese Feststellungen stützt sich der Senat auf das von ihm eingeholte Gutachten des Sachverständigen Priv. Doz. Dr. Hx., Leitender Oberarzt der P. Klinik des Universitätsklinikums H., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Facharzt für psychotherapeutische Medizin, vom 25. Oktober 2004 sowie auf die Erläuterungen des Sachverständigen bei seiner mündlichen Anhörung im Termin am 3. März 2005. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten die Standarddiagnostikschemata zu diesem Krankheitsbild im Behandlungszeitraum unter Auswertung der Literatur dargestellt und ausgeführt, für die Diagnosestellung CFS könnten nach der Selbstauskunft des Klägers einige Symptome entnommen werden, eine sichere Ableitung der Diagnose sei jedoch nicht möglich. Die initialen Symptome, Unruhezustände, Nervosität, häufige Erkältungskrankheiten, Schlafstörungen seien eher unspezifische Symptome, die sowohl einer Anpassungsstörung, aber auch einer leicht bis mittelgradigen depressiven Episode zugeordnet werden könnten. Die ab 1987 beschriebenen Symptome (ständiger Schwindel, Depression und Weinkrämpfe, massive Schlafstörungen, Infektanfälligkeiten, Konzentrationsstörungen) seien ebenfalls unspezifisch und könnten als mittelgradige depressive Episode eventuell in Verbindung mit einer autonomen somatoformen Störung des cardiovaskulären Systems gewertet werden. Der Sachverständige betont, dass die Standarddiagnostikschemata des Jahres 1994 sämtlich in Bezug auf das Hauptsymptom Müdigkeit eine ausführliche und differenzierte Abschlussdiagnostik anderer organischer oder psychiatrischer Erkrankungen erforderten. Derlei Feststellungen fehlten im vorliegenden Fall völlig. Dr. H., der dazu noch einmal befragt worden sei, habe in seiner Auskunft vom 14. Oktober 2004 lediglich auf ausführliche wissenschaftliche Publikationen aus den Jahren 1995 bis 2003 verwiesen und auf das von ihm herausgegebene Sachbuch "Gesund oder krank" (erschienen 1995). Bei seiner Anhörung im Termin hat der Sachverständige nochmals bestätigt, dass bei den (erheblichen) Beschwerden, die der Kläger in seiner Selbstauskunft dargestellt habe, verschiedene Erklärungsmodelle denkbar seien, denen diese Symptome zugeordnet werden könnten; vorliegend fehle jedenfalls eine eindeutige Dokumentation für den Ausschluss anderer Erklärungsansätze außer der geltend gemachten Erkrankung CFS.

Hinsichtlich der - hier vorgenommenen - Behandlung mit Immunglobulinen, die jeweils abhängig von den Beschwerden des Patienten oder den Erfahrungswerten des Behandlers zum Einsatz kämen, hat der Sachverständige festgestellt, es gebe nach Auswertung der wissenschaftlichen Literatur keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege für deren Wirksamkeit bei der Erkrankung CFS; bei diesen Maßnahmen habe es sich weder um notwendige noch um wirtschaftliche Behandlungsstrategien gehandelt. In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige diese Ausführungen dahingehend bekräftigt, der von den betreffenden Ärzten gewählte immunmodulatorische Ansatz, der zudem erhebliche Nebenwirkungen zur Folge habe, sei schon im Zeitpunkt der Behandlung des Klägers (1994 – 1996) in der Wissenschaft hinsichtlich des Heilerfolges bei der Krankheit CFS als fragwürdig angesehen worden. Dieser Trend habe sich in der wissenschaftlichen Beurteilung in der Folgezeit verstärkt. So könne auch der von dem Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten britischen Studie entnommen werden, dass bei dem Krankheitsbild CFS als medizinisch vertretbare Behandlungsmöglichkeiten die Verhaltens- und/oder Übungstherapie in Betracht kämen. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten hervorgehoben, es wäre möglich gewesen, eine Erfolg versprechende neue Therapiestrategie im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung zu erproben. Unverzichtbar dafür sei eine nach aktuellem wissenschaftlichen Stand standardisierte Diagnosestellung (die hier in den Akten vollständig fehle und von den Ärzten H. und I. nicht nachgereicht werden konnte), eine ausführliche Aufklärung des Patienten über zu erwartende positive Wirkungen und mögliche unerwünschte Wirkungen der Behandlungsmaßnahmen (diese fehle ebenfalls) sowie eine in einem angemessenen Zeitraum vorgenommene Dokumentation des Behandlungsverlaufs, die mindestens sechs Monate über die Beendigung der Behandlungsmaßnahme hinaus reichen sollte. Eine entsprechende Dokumentation fehle ebenfalls und sei von den Ärzten auch auf Anforderung nicht nachgereicht worden.

Der Senat hat keinen Zweifel an der Richtigkeit der Ausführungen und Bewertungen des Sachverständigen, die für den Senat nachvollziehbar und überzeugend sind. Priv. Doz. Dr. Hx. gehört zu den Ärzten, die sich mit dem Krankheitsbild CFS intensiv befasst und dieses auch in der wissenschaftlichen Literatur abgehandelt haben (vgl. Henningsen.: Somatoforme Störungen: Leitlinien und Quellentexte S. 53-58, Schaftauer Verlag, Stuttgart 2002).

Ein Kostenerstattungsanspruch lässt sich hier auch nicht mit dem Unvermögen der Beklagten zur rechtzeitigen Erbringung einer unaufschiebbaren und notwendigen Leistung begründen (§ 13 Abs. 3 1. Alt. SGB V). Unaufschiebbarkeit liegt vor bei Behandlungen aufgrund eines Notfalles im Sinne von § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V, bei einer Systemstörung, einer Versorgungslücke oder einer durch höhere Gewalt hervorgerufenen dringenden Bedarfslage (Höfler in Kasseler Kommentar, Band I, Stand: 1. April 2002, § 13 SGB V Rdnrn. 26, 27). Ein Systemversagen - auf das sich der Kläger hier beruft - lässt sich nicht feststellen, denn die betreffenden Ärzte mussten von dem Kläger nicht aufgesucht werden, weil eine von der Beklagten geschuldete Behandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nicht zur Verfügung gestellt werden konnte. Zum einen lässt sich nach dem von dem Senat eingeholten Sachverständigengutachten das Vorliegen der Erkrankung CFS und die medizinische Notwendigkeit der hier getroffenen Behandlungsmaßnahmen nicht feststellen. Zum anderen müssen Versicherte auch in dringenden Bedarfslagen ihrerseits das Erforderliche tun und sich vor Inanspruchnahme einer Leistung außerhalb des Sachleistungssystems grundsätzlich an ihre Krankenkasse wenden. Auch Schwierigkeiten bei der Leistungsbeschaffung, die sich etwa daraus ergeben, dass große Teile der Ärzteschaft mit dem Krankheitsbild CFS nicht vertraut (gewesen) sind, rechtfertigen insoweit keine Ausnahme (vgl. BSG, Urteil vom 25. September 2000 - B 1 KR 5/99 R -, a.a.O.). Sie sind vielmehr ein zusätzlicher Anlass, sich an die Beklagte zu wenden, um tatsächlich alle erreichbaren Behandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Vorliegend hat indes der Kläger sämtliche ihm von der Beklagten angebotenen diagnostischen Möglichkeiten zur Erfassung des Krankheitsbildes abgelehnt.

Aufgrund der Tatsache, dass wegen der fehlenden Dokumentation des behandelnden Arztes eine zuverlässige Diagnosestellung nicht möglich bzw. die Einhaltung der Diagnosestandards für das Krankheitsbild CFS nicht geprüft werden kann, brauchte der Senat der Anregung des Klägers, ein weiteres – internistisches – Gutachten einzuholen, nicht nachzugehen. Aus den gleichen Gründen ist der Antrag auf Einholung eines internistischen Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abzulehnen; auf die von dem Kläger aufgeworfenen Fragen, welchem medizinischen Fachgebiet die Erkrankung CFS zuzuordnen ist und welche Therapien bei diesem Krankheitsbild wirksam sind, kommt es nicht an, da schon eine zuverlässige Diagnosestellung für den Behandlungszeitraum nicht möglich ist.

Der Kläger kann sich gegenüber der Beklagten hinsichtlich einer Leistungsgewährung im Wege der Kostenerstattung auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Zum einen kommt Bewilligungen im Krankenversicherungsrecht grundsätzlich nur eine eingeschränkte Bindungswirkung zu, indem diese grundsätzlich nur für den nächsten Bewilligungsabschnitt gelten (BSG, Urteil vom 16. November 1999 – B 1 KR 9/97 R - , BSGE 85, 132). Dies gilt erst recht für konkludente Bewilligungen durch tatsächliche Zahlung. Zum anderen hat die Beklagte dem Kläger in der Vergangenheit zwar teilweise Kosten für verschiedene Behandlungen und Medikamente erstattet. Eine fortgesetzte Leistungsgewährung (durch Kostenerstattung) für Behandlungen in der Praxis der Ärzte Dr. H. und Prof. Dr. I. hat indes nicht stattgefunden. Vielmehr hat der Kläger die Kostenerstattung bzw. die künftige Kostenübernahme für Behandlungen bei diesen Ärzten erstmals mit seinem (streitgegenständlichen) Antrag von November 1994 geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da Zulassungsgründe angesichts der genannten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu dem betreffenden Krankheitsbild und zu dem Umfang der erforderlichen Ermittlungen vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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