L 10 AL 2/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AL 843/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 2/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.11.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 02.04.2001 bis 01.05.2001 sowie die Erstattung überzahlter Leistungen einschließlich überzahlter Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 2.176,37 DM.

Der 1963 geborene Kläger war im Wesentlichen als Sanitärinstallateur und zuletzt bis 19.12.2000 als Spengler beschäftigt gewesen. Ab 20.12.2000 bezog er antragsgemäß Alg, zuletzt aufgrund des Bescheides vom 29.03.2001. Am 18.04.2001 teilte er der Beklagten telefonisch mit, ab 02.05.2001 wieder bei seinem ehemaligen Arbeitgeber beschäftigt zu sein. Weiter notierte der Mitarbeiter der Beklagten: "Hat Anfang April NE bei Firma S. , S ... NE-Besch. zugesandt." Mit Schreiben vom 22.05.2001 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass die telefonisch mitgeteilte Nebenbeschäftigung und das Nebeneinkommen mittels Bescheinigung durch den Arbeitgeber auszufüllen sei. Der entsprechende Vordruck zur Nebenverdienstbescheinigung wurde ihm mit Schreiben vom 23.05.2001 zugesandt. Die Bescheinigung ging nach Erinnerung am 27.06.2001 bei der Beklagten ein. Daraus war für die Zeit vom 02.04. bis 04.04.2001 eine Arbeitszeit von 25,25 Stunden zu entnehmen. Krankenversicherungsbeiträge für diese Zeit seien nicht gezahlt worden.

Auf Anhörung bestätigte der Kläger, vom 02.04. bis 04.04.2001 zur Probe gearbeitet zu haben.

Mit Bescheid vom 12.07.2001 hob die Beklagte die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 02.04.2001 bis 01.05.2001 wegen grob fahrlässiger Verletzung der Mitteilungspflicht auf und forderte die Erstattung überzahlter Leistungen samt der von ihr zur Kranken- und Pflegeversicherung geleisteten Beiträge in Höhe von insgesamt 2.176,37 DM.

Mit dem Widerspruch hiergegen brachte der Kläger vor, es habe sich um ein Probearbeitsverhältnis gehandelt, das am dritten Tag von ihm beendet worden sei. Danach habe er das Arbeitsverhältnis der Beklagten angezeigt, im Glauben, dies würde wegen der kurzfristigen Anbahnung des Arbeitsverhältnisses noch genügen.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.09.2001 zurück. Durch die Aufnahme einer Beschäftigung sei die Wirkung der vorherigen persönlichen Arbeitslosmeldung erloschen. Während der Tätigkeit, deren Aufnahme er grob fahrlässig nicht rechtzeitig mitgeteilt habe, habe er keinen Anspruch auf Alg gehabt. Für die Zeit danach bis 01.05.2001 fehle es an einer erneuten persönlichen Arbeitslosmeldung.

Die zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobene Klage hat der Kläger damit begründet, das Probearbeitsverhältnis habe er kurz nach dessen Beendigung der Beklagten angezeigt, wobei er eine umgehende Nachmeldung für ausreichend gehalten habe, um ggfs zugleich mitteilen zu können, ob es auf Dauer angelegt sei. Da er umgehend das Arbeitsverhältnis nachgemeldet habe und bereits bei Aufnahme der Tätigkeit Zweifel über die Geeignetheit der Arbeitsstelle bestanden hätten, habe er nicht grob fahrlässig gehandelt. Zumindest hätte die Beklagte ihn darauf aufmerksam machen müssen, dass er sich erneut persönlich arbeitslos melden müsse, nachdem sie von dem Sachverhalt erfahren habe. Die rechtliche Unterscheidung zwischen Nebeneinkommen und Probearbeitsverhältnis könne vom Kläger nicht erwartet werden. Er habe bei dem Telefonat am 18.04.2001 ein Probearbeitsverhältnis angegeben, nicht aber von einem Nebeneinkommen gesprochen. Er meine, sich am 18.04.2001 persönlich bei der Beklagten vorgestellt und an diesem Tag auch mit der Beklagten telefoniert zu haben.

Das SG hat mit Urteil vom 05.11.2001 die Klage abgewiesen. Die Aufhebung der Bewilligung von Alg sei gerechtfertigt, denn der Kläger habe eine unbefristete Beschäftigung am 02.04.2001 aufgenommen. Bis zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zum 04.04.2001 habe er mehr als 15 Stunden gearbeitet. Danach habe er sich nicht erneut persönlich arbeitslos gemeldet. Seine Mitteilungspflicht habe er grob fahrlässig verletzt. Diese Pflicht sei ihm aus dem vorangegangenen Verfahren wie auch aus dem ausgehändigten Merkblatt bekannt gewesen. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bestehe mangels Beratungsfehlers - die Beklagte habe lediglich von einer Nebentätigkeit gewusst - und mangels Möglichkeit, die persönliche Arbeitslosmeldung im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches zu fingieren, nicht. Der Beklagten stehe ein Erstattungsanspruch zu. Die Höhe der Erstattung sei zutreffend berechnet worden, nachdem der damalige Arbeitgeber keine weiteren Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung geleistet habe.

Zur Begründung der dagegen zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Berufung hat der Kläger vorgetragen, er sei lediglich ein Probearbeitsverhältnis für drei Tage eingegangen. Es habe sich eigentlich um eine "Schnuppertätigkeit" mit kurzfristiger Lösungsmöglichkeit gehandelt, die er nicht als vollwertiges Arbeitsverhältnis angesehen habe. Diese Tätigkeit habe er am 18.04.2001 der Beklagten gemeldet. Für die verspätete Vorlage der Arbeitsbescheinigung könne er nichts. Auch wenn er am 18.04.2001 telefonisch lediglich von einer Nebentätigkeit gesprochen hätte, hätte der Mitarbeiter der Beklagten diesbezüglich nachfragen müssen. Bezeichnend sei, dass der damalige Arbeitgeber des Klägers keine Krankenversicherungspflicht angenommen habe. Das Gericht habe auch überraschend Unterlagen beigezogen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.11.2002 sowie den Bescheid vom 12.07.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2001 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 12.07.2001 idG des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2001 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Rechtsgrundlage für die rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 29.03.2001 stellt § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) iVm § 330 Abs 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) dar. Die Bewilligung von Alg ist nach Erlass des Bewilligungsbescheides wegen einer Änderung der Verhältnisse, nämlich wegen der Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses und damit nicht mehr bestehender Arbeitslosigkeit, rechtswidrig geworden. Der Kläger hat seine Pflicht, diese wesentliche Änderung der Beklagten mitzuteilen, grob fahrlässig verletzt. Die Pflicht zur Erstattung überzahlter Leistungen findet ihre Rechtsgrundlage in § 50 Abs 1 SGB X. Die Rückforderung der von der Beklagten zur Kranken- und Pflegeversicherung geleisteten Beiträge stützt sich auf § 335 Abs 1 und 5 SGB III. Diesbezüglich wird gemäß § 153 Abs 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des SG verwiesen.

Zur Ergänzung ist lediglich auszuführen, dass es sich bei der "Schnuppertätigkeit" - so der Kläger - bzw bei der Probearbeit vom 02.04.2001 bis 04.04.2001 um ein normales Probearbeitsverhältnis und somit reguläres - unbefristetes - Arbeitsverhältnis gehandelt hat (vgl BayLSG, Urteil vom 19.02.2004 - L 10 AL 110/02; Palandt, BGB, 62.Aufl, Einführung vor § 611 RdNr 43). Daran ändert auch eine evtl vereinbarte kurzfristige Lösungsmöglichkeit nichts. Zudem ergibt sich aus den Ausführungen des Klägers in der Klageschrift, dass das Arbeitsverhältnis nicht von vorneherein befristet war, wenn er angibt, er habe eine umgehende Nachmeldung des Arbeitsverhältnisses für ausreichend gehalten, insbesondere da er dann gleich mitteilen hätte können, ob es auf Dauer angelegt sei oder sich zerschlagen habe.

Bezüglich der grob fahrlässigen Verletzung der Mitteilungspflicht ist zur Untermauerung der sozialgerichtlichen Ausführung zu ergänzen, dass gerade wegen der Auffassung, eine Nachmeldung würde genügen, davon auszugehen ist, dass der Kläger von der Notwendigkeit einer Mitteilung und der Mitteilungspflicht wusste. Im Übrigen ist er durch das Merkblatt für Arbeitslose "Ihre Rechte - Ihre Pflichten" (Stand April 2000) - Erhalt und Kenntnisnahme hat er unterschriftlich bestätigt - auf Bl 53 - dort ist gerade auch die Mitteilung der Aufnahme eines Probearbeitsverhältnis erwähnt - und Bl 17 (Mitteilungspflicht vor Beginn der Tätigkeit) ausdrücklich und klar über seine Pflichten belehrt worden. Den eindeutigen Inhalt der übergebenen Merkblätter nicht zur Kenntnis zu nehmen, stellt in der Regel eine grobe Fahrlässigkeit dar (vgl Niesel, SGB III, 2.Aufl, § 330 RdNr 32, Wiesner in v.Wulffen, 5.Aufl, § 45 RdNr 24; BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 9). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger das Merkblatt nicht verstanden hat, fehlen und drängen sich zudem aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit und seiner Ausbildung nicht auf.

Der Kläger hat auch für die Zeit nach Beendigung der Tätigkeit am 04.04.2001 bis zur erneuten persönlichen Arbeitslosmeldung ebenfalls keinen Anspruch auf Alg (§ 122 Abs 2 Nr 2 SGB III). Er hat sich nämlich bis zur Aufnahme einer weiteren versicherungspflichtigen Beschäftigung ab 02.05.2001 nicht erneut persönlich arbeitslos gemeldet, und er hat die Tätigkeit, die er ab 02.04.2001 ausgeübt hat, nicht unverzüglich der Beklagten mitgeteilt. Er hat sich frühestens am 18.04.2001 an die Beklagte gewandt. Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern. Dabei darf jedenfalls eine Obergrenze von in der Regel zwei Wochen nicht überschritten werden (vgl hierzu: Palandt, aaO § 121 RdNr 3). Unabhängig davon, ob der für das Bürgerliche Gesetzbuch anzulegende Maßstab auch im SGB III zugrunde zu legen ist, ist die Überschreitung der Zweiwochengrenze jedenfalls nicht mehr als unverzüglich anzusehen. Der Kläger hat jedoch erst 17 Tage nach Aufnahme der Beschäftigung diese - in welchem Umfang auch immer - der Beklagten mitgeteilt.

Auch hat sich der Kläger nicht persönlich, sondern lediglich telefonisch am 18.10.2001 gemeldet. Eine telefonische Meldung erfüllt jedoch nicht die Anforderungen an eine persönliche Arbeitslosmeldung (vgl Brand in Niesel aaO § 122 RdNr 2).

Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch besteht mangels Beratungsfehlers durch den Mitarbeiter der Beklagten am 18.04.2001 - erst ab diesem Zeitpunkt käme überhaupt wieder eine persönliche Arbeitslosmeldung in Betracht - nicht. Nach den Angaben des Klägers zum Bezug von Nebeneinkommen bestand kein Beratungsanlass. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger bei diesen Gesprächen nur von Nebeneinkommen, nicht aber von einem Probearbeitsverhältnis gesprochen hat. Der Unterschied zwischen beiden Begriffen ist ihm zum einen aus den vorangegangenen Nebenbeschäftigungen und Meldungen an die Beklagte bekannt gewesen, wobei sich Unterlagen hierüber in den Verwaltungsakten befinden, auf deren Beiziehung das SG in der Ladung hingewiesen hat. Zum anderen ergibt sich aus dem ausgehändigten Merkblatt eindeutig die Unterscheidung zwischen Nebeneinkommen und Probearbeitsverhältnis. Auf Bl 40 des Merkblattes wird ausdrücklich und deutlich ausgeführt, dass zwar Nebeneinkommen erzielt werden kann, die Nebenbeschäftigung allerdings einen zeitlichen Umfang von 15 Stunden wöchentlich nicht erreichen darf. Die von ihm geleistete Arbeitszeit musste dem Kläger in Erinnerung sein. Im Übrigen ist auf Bl 17 des Merkblattes ausdrücklich auf die Mitteilungspflicht hinsichtlich der Aufnahme eines Probearbeitsverhältnisses hingewiesen worden. Im Vermerk der Beklagten über das Telefonat vom 18.04.2001 findet sich zudem keinerlei Hinweis darauf, dass der Kläger erklärt hätte, die ab 02.04.2001 aufgenommene Beschäftigung sei bereits wieder beendet, und dass er Angaben zu den geleisteten Arbeitsstunden gemacht hätte. Gegen die Erwähnung eines Probearbeitsverhältnisses spricht auch, dass die Beklagte in dem Schreiben vom 22.05.2001 ausdrücklich von Nebeneinkommen und einer Nebenbeschäftigung gesprochen hat. Spätestens hier hätte dem Kläger ein evtl Missverständnis auffallen und er hätte für Klärung sorgen müssen.

Im Übrigen kann die persönliche Arbeitslosmeldung als Tatsachenerklärung nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches ersetzt werden.

Die Nichtabführung von Krankenversicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber hat keine Bedeutung für die Frage des Bestehens von Arbeitslosigkeit iS des § 118 SGB III.

Nach alledem ist die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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