S 8 RJ 328/03

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 8 RJ 328/03
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Für die Bestimmung der Verrechnungsgrenze nach § 51, 52 Abs. 2 SGB I ist der Betrag maßgeblich, der nach Abzug eines Erstattungsanspruchs gemäß § 103 SGB X verbleibt.
I. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2003 in Gestalt des Wi-derspruchsbescheides vom 10. Juli 2003 wird insoweit aufgehoben, als der über den Betrag von 5.105,20 Euro hinausgehende Betrag in Höhe von 3.503,37 Euro mit dem Nachzahlungsanspruch des Klägers verrechnet wird. II. Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger 60 % und die Be-klagte 40 %.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe die Beklagte einen Anspruch eines anderen Leis-tungsträgers mit einer ihr gegenüber dem Kläger obliegenden Geldleistung verrechnen darf.

Der Kläger war ab 25. Mai 2000 arbeitsunfähig. Infolgedessen bezog der Kläger von der IKK Sach-sen Krankengeld bis 29. August 2002.

Mit Bescheid vom 19. September 2002 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Rente wegen Er-werbsunfähigkeit mit Beginn 16. Juni 2000. Für die Zeit vom 16. Juni 2000 bis 31. Oktober 2002 errechnete sie einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 22.071,77 Euro, den sie vorläufig einbehielt.

Die IKK Sachsen machte im Hinblick auf das dem Kläger gezahlte Krankengeld gegenüber der Be-klagten einen Erstattungsanspruch geltend, den sie im Schreiben vom 30. September 2002 mit 11.861,38 Euro bezifferte. Die Barmer Ersatzkasse richtete mit Schreiben vom 21. Juli 1999 ein Verrechnungsersuchen wegen Gesamtversicherungsbeiträgen an die Beklagte. Zuletzt wurden An-sprüche in Höhe von 8.608,57 Euro gegen den Kläger geltend gemacht.

Mit Bescheid vom 21. Januar 2003 verrechnete die Beklagte die von der Barmer Ersatzkasse gegen den Kläger geltend gemachten Ansprüche in Höhe von 8.608,57 Euro gegen die mit Bescheid vom 19. September 2002 einbehaltene Nachzahlung aus der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die ein-behaltenen Beträge würden an den zuständigen Leistungsträger abgeführt. Bei der Verrechnung mit Nachzahlungen sei die Prüfung der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes nicht beachtlich, da rückwirkend keine Sozialhilfebedürftigkeit eintreten könne. In Ausübung ihres pflichtgemäßen Er-messens habe sie eine Abwägung der Interessen des Klägers und der Interessen der Versichertenge-meinschaft vorgenommen. Die Gesamtumstände des Einzelfalles seien jedoch nicht geeignet, von einer Verrechnung abzusehen.

Hiergegen legte der Kläger am 20. Februar 2003 (Eingang bei der Beklagten) Widerspruch ein. Die Beklagte habe den Umstand, dass er nur durch ein langwieriges Gerichtsverfahren die Rente erlan-gen konnte, nicht berücksichtigt. Während des fast drei Jahre andauernden Verfahrens habe er unter dem Sozialhilfesatz gelebt, da ihm lediglich das geringe Krankengeld zur Verfügung gestanden ha-be. Daher sei sehr wohl zu prüfen, ob er unter dem Sozialhilfesatz gelebt hat. Insofern habe die Be-klagte das Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zu-rück. Zur Begründung führte Sie im Wesentlichen aus, dass durch die Verrechnung Hilfebedürftig-keit im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes grundsätzlich nicht eintreten könne, da die Sozialhilfe nur für die Zukunft erbracht werde und deshalb ein Sozialhilfeanspruch rückwirkend nicht mehr entstehen könne. Somit könne mit Nachzahlungen stets bis zu deren Hälfte aufgerechnet werden. Der verrechnete Betrag in Höhe von 8.608,57 Euro liege unter der Hälfte des Nachzahlungsan-spruchs. Bei der Bestimmung dieser Hälfte sei die volle Nachzahlung vor Abzug eines Erstattungs-anspruchs maßgebend. Demnach berechnete die Beklagte den zulässigen Höchstbetrag für die Ver-rechnung wie folgt:

22.071,77 Euro x ½ = 11.035,88 Euro

Im Rahmen der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens komme sie zu keiner anderslautenden Entscheidung. Durch die Verrechnung des Betrages, der nicht die Hälfte der Nachzahlung überstei-ge, ergebe sich für den Kläger keine soziale Härte, zumal Sozialhilfebedürftigkeit rückwirkend nicht entstehen könne.

Mit der am 31. Juli 2003 (Eingang bei Gericht) erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung bezieht er sich auf die Ausführungen in seinem Widerspruch. Ferner hält er die Verfahrensweise der Aufrechnung für nicht nachvollziehbar. Die Beklagte habe die Aufrech-nungsgrenze insofern nicht berücksichtigt, als sie bei der Befriedigung der Forderungen der Barmer Ersatzkasse den vorher erstatteten Betrag der IKK Sachsen nicht berücksichtigt hat. Nach seiner Auffassung können die Erstattungsansprüche nicht getrennt nacheinander bzw. unabhängig vonein-ander aufgerechnet werden und damit die vom Gesetzgeber festgelegte Aufrechnungsgrenze von einer Hälfte umgangen werden.

Nachdem der Kläger zunächst beantragt hatte, den Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2003 aufzuheben, hat er die Klage in der mündli-chen Verhandlung insoweit zurückgenommen, als sein Begehren die Aufhebung der Bescheide im Hinblick auf die Verrechnung des über den Betrag von 5.105,20 Euro hinausgehenden Betrages betrifft. Der Kläger beantragt zuletzt, den Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2003 insoweit aufzuheben, als ein über den Betrag von 5.105,20 Euro hinaus-gehender Betrag mit dem Nachzahlungsanspruch des Klägers verrechnet wird.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Ergänzend trägt sie vor, dass im Falle eines vorrangigen Erstattungsanspruchs für die Bestimmung des Aufrech-nungsbetrages ("Häfte") die volle Nachzahlung vor Abzug des Erstattungsanspruchs maßgebend sei. An diese Festlegung der Rentenversicherungsträger (21. Tagung der Südwestdeutschen Renten-dezernenten, 1993, TOP 2) sei sie gebunden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der gerichtlichen Verfahrensakte mit den Schriftsätzen nebst Anlagen sowie den Inhalt der vom Gericht beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 21. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2003 ist rechtswidrig, soweit ein über den Betrag von 5.105,20 Euro hinausgehender Betrag in Höhe von 3.503,37 Euro mit dem Nachzahlungsanspruch des Klägers verrechnet wird, und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung ist in der angefochtenen Höhe rechtswidrig.

Gemäß § 52 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) kann der für eine Geldleistung zuständige Leis-tungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berech-tigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. § 51 Abs. 2 SGB I a. F. normiert, dass der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Ge-setz gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen kann, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird.

Danach durfte die Beklagte auf der Grundlage der §§ 52, 51 Abs. 2 SGB I grundsätzlich verrechnen, da die Barmer Ersatzkasse die Beklagte zur Verrechnung von Beitragsansprüchen ermächtigt hatte. Die Verrechnung ist aber deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte nicht den vollen Betrag in Höhe von 8.608,57 Euro verrechnen durfte. Denn der Nachzahlungsanspruch des Klägers auf Geldleis-tung im Sinne des § 51 Abs. 2 SGB I bestand im maßgeblichen Zeitpunkt der Verrechnungserklä-rung nicht mehr in Höhe von 22.071,77 Euro, sondern nur noch in Höhe von 10.210,39 Euro. Da die Beklagte nur bis zur Hälfte des Nachzahlungsbetrages verrechnen durfte, kommt eine Verrech-nung allenfalls mit dem Betrag von 5.105,20 Euro in Betracht.

Die Verrechnung nach § 52 SGB I setzt zwar nicht die Gegenseitigkeit der Forderungen, aber neben deren Gleichartigkeit im Übrigen die Erfüllbarkeit der Hauptforderung des Berechtigten voraus. Diese Voraussetzungen müssen im Zeitpunkt der Abgabe der Verrechnungserklärung gegeben sein (vgl. Palandt, 61. auflage, § 387 BGB Rz. 3). Im Zeitpunkt der Verrechnungserklärung der Beklag-ten im Januar 2003 war indes der Anspruch des Klägers nicht mehr in Höhe von 22.071,77 Euro erfüllbar, sondern nur noch in Höhe von 10.210,39 Euro. Denn mit dem gemäß § 103 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) kraft Gesetzes gegen die Beklagte entstandenen Erstattungsanspruch der IKK Sachsen in Höhe von 11.861,38 Euro gilt der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte gemäß § 107 Abs. 1 SGB X als erfüllt und damit als erloschen. Der Erstattungsanspruch seinerseits ist vor der Erklärung der Verrechnung durch die Beklagte erstanden. Denn der Erstattungsanspruch ent-steht in dem Zeitpunkt, in dem der Erstattungsberechtigte nach seinem Recht erfüllt hat (vgl. hierzu Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 27. März 2003, S 2 RJ 45/01). Dies war vorliegend mit der Zahlung des Krankengeldes gemäß § 46 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) der Fall.

§ 107 Abs. 1 SGB X verhindert also nicht nur, dass der Empfänger der Vorleistung seinen Sozial-leistungsanspruch gegen den vorrangig originär zuständigen Leistungsträger behält und durchsetzen kann, anderweitig hierüber verfügen kann oder dass ein anderer etwa durch Pfändung auf diesen Anspruch Zugriff nehmen kann. Die Erfüllungsfiktion beinhaltet vielmehr auch, dass eine nachträg-lich entstandene Verrechnungslage nicht mehr zur Verrechnung berechtigt bzw. nur noch bis zur Hälfte des nach Abzug des Erstattungsbetrages noch übrigen Nachzahlungsanspruches (vgl. auch von Wulffen in SGB X, Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz, 4. Auflage, § 107 Rz. 2 a. E.).

Da im Zeitpunkt der Verrechnungserklärung der Anspruch des Klägers somit nur noch in Höhe von 10.210,39 Euro erfüllbar war, konnte die Beklagte allenfalls mit einem Betrag von 5.105,20 Euro verrechnen. Dieser Betrag entspricht der Hälfte der noch erfüllbaren Forderung des Klägers gegen die Beklagte aus der Nachzahlung. Die vorgenommene Verrechnung in Höhe von 8.608,57 Euro überschreitet daher die nach dem Gesetz zulässige Betragsgrenze um 3.503,37 Euro.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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