L 16 KR 81/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 11 KR 102/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 81/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 20. April 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die rückwirkende Erhebung von Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung aus Versorgungsbezügen des Versorgungswerks der Rechtsanwälte.

Der Kläger war als selbständiger Rechtsanwalt tätig und Pflichtmitglied des Versorgungswerks der Rechtsanwälte im Lande Nordrhein-Westfalen. Von diesem bezieht er seit dem 01.02.1998 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Zum 15.09.1998 nahm der Kläger eine versicherungspflichtige Beschäftigung als Hotelmitarbeiter auf. Seit dem 12.02.1999 steht er im Bezug von Krankengeld. Einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente nahm der Kläger am 27.01.2000 zurück. Durch bestandskräftigen Bescheid vom 01.02.2000 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht des Klägers aufgrund seiner Beschäftigung fest. Nachdem das Versorgungswerk der Beklagten mit Schreiben vom 05.01.2000 mitgeteilt hatte, dass die Berufsunfähigkeitsrente für das Jahr 1998 1.733,86 DM, für das Jahr 1999 1.785,23 DM - wovon im Zeitraum vom 12.02. bis 30.11.1999 die Beträge wegen Rechtsstreitig keiten noch nicht zur Auszahlung gekommen waren - und für das Jahr 2000 1.836,61 DM monatlich betrage, setzte die Beklagte mit Bescheid vom 23.03.2000 Beiträge zur Krankenversicherung/Pflegeversicherung für das Jahr 1998 in Höhe von 428,84/104,16 DM, für Dezember 1999 in Höhe von 124,97/ 30,35 DM und für die Zeit vom 01.01.2000 bis 31.03.2000 in Höhe von 385,68/93,66 DM fest.

Der Kläger legte am 27.03.2000 Widerspruch ein und machte geltend, der Beklagten sei der Bezug der Berufsunfähigkeitsrente seit längerem bekannt. Diese diene als pfändungsfreie Grundversorgung. Die Vornahme der rückwirkenden Beitragsbemessung führe zu einer Unterschreitung des pfändungsfreien Selbstbehalts der Rente und zur Gefahr der Sozialhilfebedürftigkeit.

Nachdem das Versorgungswerk für die Zeit vom 12.02. bis 30.11.1999 eine Nachzahlung der monatlichen Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von je 1.785,23 DM (d.h. insgesamt 17197,72 DM) erbracht hatte, erhöhte die Beklagte die Gesamtnachforderung durch formlosen Bescheid vom 19.04.2000 auf 2.876,18 DM. Der Kläger wandte sich auch hiergegen und machte geltend, er habe mit den Beratern der Beklagten seit Beginn des Berufsunfähigkeitsverfahrens in Korrespondenz gestanden, und hielt die Heranziehung der Versorgungsleistung zur Beitragsbemessung für nicht rechtens.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2000 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Der Kläger hat am 29.06.2000 vor dem Sozialgericht (SG) Detmold Klage erhoben und geltend gemacht, nachdem das Versorgungswerk nach langer Untätigkeit im Herbst 1999 über seinen Rentenantrag entschieden habe, habe er sich im November mit den Unterlagen zur Beklagten begeben, wo ihm erklärt worden sei, dass wegen der besonderen Satzung des Versorgungswerks beitragsmäßig nichts zu veranlassen sei. Infolgedessen habe er ein Mietverhältnis fortgesetzt, was er andernfalls im November 1999 habe beenden können.

Am 04.07.2000 hat der Kläger eine weitere Klage vor dem SG Detmold auf Feststellung erhoben, dass eine Forderung gegenüber ihm nicht bestehe, und hilfsweise beantragt, dass die Forderung erlassen werde.

Mit Beschluss vom 20.07.2000 hat das SG beide Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Mit Urteil vom 20.04.2001 hat das SG die "Klage" abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihm am 07.05.2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10.05.2001 Berufung eingelegt. Er trägt vor, der Mitarbeiter H ... der Beklagten habe zugesichert, dass aufgrund der Bescheide des Versorgungswerkes nichts zu veranlassen sei, was ihn - den Kläger - zu entsprechenden Dispositionen veranlasst habe. Die Durchsetzung der vermeintlichen Beitragsforderung führe zu einer Existenzgefährdung. Hilfsweise meint er, die geltend gemachten Beiträge seien weit überhöht. Der Kläger erhebt Gegenforderungen, weil die Beklagte die Kostenzusage bezüglich einer dringend benötigten stationären Versorgung verzögert habe, was zu Depressionen bei ihm geführt habe. Schließlich sieht der Kläger den Erlass der streitigen Forderung als geboten an. Letzteres Begehren hat die Beklagte durch Bescheid vom 19.06.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2001 abgelehnt, weswegen zwischenzeitlich ein weiteres Verfahren vor dem SG Detmold anhängig ist.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des SG Detmold vom 20.04.2001 zu ändern und die Bescheide der Beklagten vom 23.03.2000 und 19.04.2000, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2000, aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie sieht das angefochtene Urteil als zutreffend an.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden, da dieser mit der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit, deren Zulässigkeit aus den Bestimmungen der §§ 110 Abs. 1, 126, 127 i.V.m. § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) folgt, hingewiesen worden ist.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das SG hat die Klage gegen die Beitragsbescheide zu Recht abgewiesen.

Die mit der Anfechtungsklage gegen diese Bescheide verbundene Feststellungsklage und Klage auf Erlass der streitigen Beitragsforderung vom 04.07.2000 hat das SG im angefochtenen Urteil nicht behandelt. Ob es gleichwohl zumindest über das Feststellungsbegehren konkludent eine Entscheidung hat treffen wollen, indem es die Beitragspflicht bejaht hat, was der Feststellung des Nichtbestehens dieser Forderung entgegensteht, kann ebenso dahinstehen, wie die Frage, ob im gegenteiligen Fall mangels einer Rüge des Klägers im Berufungsverfahren bezüglich des Übergehens dieses Antrags und des Fehlens eines Antrags nach § 140 SGG auf Urteilsergänzung dieser Anspruch noch rechtshängig ist. Denn der Kläger kann mit der Berufung jedenfalls insoweit nicht durchdringen, weil die Feststellungsklage unzulässig ist. Mit seinem Feststellungsantrag kann der Kläger keine weiteren Rechte verwirklichen als durch seine Anfechtungsklage, weil bei deren Stattgabe die streitige Beitragsschuld vollständig entfiele, so dass ein darüber hinausgehendes Feststellungsinteresse nicht erkennbar ist.

Zulässigerweise hat der Kläger allerdings mit der Berufung gerügt, dass das SG über seinen Antrag auf Erlass bzw. Niederschlagung der Beitragsforderung keine Entscheidung getroffen hat. Jedoch ist auch diese Klage unzulässig, weil im Zeitpunkt ihrer Erhebung ein Verwaltungsverfahren über einen solchen Anspruch nicht durchgeführt worden war. Die zulässige Erhebung einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in Zusammenhang mit der Feststellung von Beitragsschulden zwischen Versichertem und Versicherungsträger, zwischen denen ein Über- und Unterordnungsverhältnis besteht, setzt voraus, dass die streitig gewordenen Ansprüche zunächst in einem Verwaltungsverfahren durch Verwaltungsakt geregelt worden sind (vgl. BSGE 57, 184, 186; Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, Rdn. 37a zu § 54). Eine Ausnahme hiervon gilt nur, soweit besondere Umstände vorliegen, die die Durchführung eines Vorverfahrens für den Versicherten unzumutbar machen (vgl. BSG, NZS 96, 39). Solche Umstände sind hier jedoch nicht ersichtlich, so dass ein Rechtsschutzbedürfnis für die Erhebung der Klage zu verneinen ist.

Der inzwischen von der Beklagten erlassene Ablehnungsbescheid bezüglich des Erlasses der Beitragsforderung des Klägers vom 19.06.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2001 ist nicht nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Wird nach Klageerhebung der Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt, so wird auch der neue Verwaltungsakt gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, weil zum einen hinsichtlich der am 04.07.2000 erhobenen Klagen ein abänderungsfähiger Bescheid nicht vorgelegen hat und zum anderen die Entscheidung über den Erlass bzw. die Niederschlagung einer Beitragsforderung (§ 76 Abs. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IV -) unabhängig von derjenigen bezüglich der Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Forderung ist. Zwar ist bei Verneinung des Bestands der Forderung ersterer Antrag hinfällig, es besteht aber ein Interesse des Versicherten auf Entscheidung über diesen unabhängig von der Feststellung der Rechtmäßigkeit der Beitragsforderung selbst, weil letztere sofort vollziehbar ist und § 76 Abs. 2 SGB IV auch nicht die Feststellung der Bestandskraft des Anspruchs, der dem Sozialversicherungsträger zusteht, als Tatbestandsvoraussetzung vorsieht (vgl. BSGE 69, 301).

Die angefochtenen Beitragsbescheide sind entgegen der Auffassung des Klägers rechtmäßig. Beitragspflichtige Einnahmen versicherungspflichtig Beschäftigter sind u.a. nach § 226 Abs. 1 Nr. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge). Als solche gelten gemäß § 229 Abs. 1 Nr. 3 SGB V Renten der Versicherungs- und Versorgungseinrichtungen, die für Angehörige bestimmter Berufe errichtet sind, soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden. Der Gesetzgeber wollte hierdurch die Renten aus den Versorgungseinrichtungen der kammerfähigen freien Berufe erfassen (BT-Drucks. 9/458 S. 35). Hierzu zählt unzweifelhaft der Beruf des Rechtsanwalts (Krauskopf, Soziale Krankenversicherung und Pflegeversicherung - Kommentar -, Rdn. 8 zu § 229 SGB V; Peters, Kasseler Kommentar, Rdn. 9 zu § 229 SGB V). Die Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte im Lande Nordrhein-Westfalen über die Rechtsanwaltsversorgung (RAVG NW) in der hier maßgeblichen Fassung der Zehnten Satzungsänderung gemäß Bekanntmachung vom 08.12.1997, JMBl. NW Nr. 1 vom 01.01.1998, S. 2, bestimmt in ihren Regelungen über die Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente (§§ 15 Abs. 1 Nrn. 2, 18, 19) auch weder etwas Abweichendes noch wäre entgegen der Auffassung des Klägers der Satzungsgeber befugt, bundesgesetzliche Regelungen in Beitragsangelegenheiten der Sozialversicherung außer Kraft zu setzen.

Der festgesetzte Krankenversicherungsbeitrag ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Rechnerische Fehler sind nicht erkennbar und auch vom Kläger nicht geltend gemacht worden. Soweit er rügt, durch die Höhe der Beiträge werde die Pfändungsfreigrenze unterschritten, ist dies keine Frage der Rechtmäßigkeit der Beitragsforderung, sondern berührt lediglich deren Vollstreckbarkeit.

Aus den behaupteten Erklärungen des Mitarbeiters der Beklagten Hagemeier über die Nichtanrechnung der bezogenen Berufsunfähigkeitsrente kann der Kläger im vorliegenden Verfahren keine Einwendungen gegen die Beitragsforderung herleiten, da eine lediglich mündlich erteilte Auskunft, anders als schriftliche Zusagen, keine verbindliche Regelung zwischen Versichertem und Versicherungsträger herbeiführt (§ 34 Abs. 1 SGB X).

Dem Kläger stehen auch keine Aufrechnungsrechte zu. Soweit ihm durch fehlerhafte Auskünfte seitens der Beklagten, die diese allerdings bestritten hat, ein finanzieller Schaden - Fortsetzung eines ungünstigen Mietverhältnisses - entstanden sein sollte, fehlt es an der Feststellung eines solchen Schadensersatzanspruchs, für den die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht zuständig sind (Art. 34 Satz 3 Grundgesetz - GG - i.V.m. § 71 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG ), so dass ein fälliger Gegenanspruch des Klägers nicht begründet ist.

Nichts anderes gilt hinsichtlich der behaupteten Gesundheitsschädigung infolge einer verspäteten Kostenübernahmeerklärung der Beklagten, denn auch insoweit könnte der Kläger mit seinem vermeintlichen Schadensersatzanspruch nur aufrechnen, wenn dieser bereits festgestellt und fällig wäre, woran es hier jedoch fehlt.

Schließlich ist dem Kläger der Einwand verwehrt, die Beiträge seien infolge unzulässiger Versicherung bestimmter Risiken (Drogenmißbrauch) zu seinen Lasten überhöht (vgl. BSG SozR 2200 § 385 Nr. 10; BSG SozR 3-1500 § 54 Nr. 1).

Dem Grund und der Höhe nach zutreffend hat die Beklagte auch die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung durch die angefochtenen Bescheide, für deren Feststellung sie als Einzugsstelle zuständig war (§§ 28h Abs. 2, 28d Satz 2), fest gesetzt, da nach § 57 Abs. 1 SGB XI - Soziale Pflegeversicherung - §§ 226, 229 SGB V entsprechend Geltung haben.

Die Beiträge waren insgesamt vom Kläger selbst zu fordern, da auf ihn als versicherungspflichtig Beschäftigten die Vorschrift des § 256 SGB V keine Anwendung findet (vgl. Krauskopf a.a.O. Rdn. 2 zu § 256 SGB V, Peters a.a.O. Rdn. 3 zu § 256 SGB V).

Die Berufung musste daher mit der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückgewiesen werden.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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